Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 21.07.2023, Az.: 10 LA 113/22

Beeinflussung des Wahlergebnisses; Briefwahlunterlagen; Wahlbeeinflussung; Wahleinspruch; Wahlergebnis; Wahlprüfung; Wahlprüfungsklage; Wahlrechtsverstoß; Wahlverstoß

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
21.07.2023
Aktenzeichen
10 LA 113/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 26815
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2023:0721.10LA113.22.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Lüneburg - 19.10.2022 - AZ: 1 A 6/22

Fundstellen

  • DÖV 2023, 869
  • NordÖR 2023, 474-476

Amtlicher Leitsatz

Eine nicht nur unwesentliche Beeinflussung des Wahlergebnisses i.S.d. § 48 Abs. 1 Nr. 2 NKWG kann angenommen werden, wenn nach der Lebenserfahrung eine konkrete Möglichkeit besteht, dass der in Frage stehende Verstoß oder die unzulässige Beeinflussung für das Ergebnis der Wahl von entscheidender Bedeutung gewesen sein könnten.

Tenor:

Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 1. Kammer - vom 19. Oktober 2022 wird abgelehnt.

Der Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zulassungsverfahren auf 7.500 EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts, mit dem dieses die Wahlprüfungsentscheidung des Beklagten bezüglich der Wahl des Samtgemeindebürgermeisters der Samtgemeinde A-Stadt im September 2021 aufgehoben und den Beklagten verpflichtet hat, den Wahleinspruch des Beigeladenen zurückzuweisen, hat keinen Erfolg. Er ist zulässig, aber unbegründet.

Der Zulässigkeit des Antrags des Beklagten auf Zulassung der Berufung steht nicht entgegen, dass das Urteil des Verwaltungsgerichts, gegen das sich der genannte Antrag richtet, im Schriftsatz vom 29. November 2022 nicht mit vollständigen und zutreffenden Angaben zu den Beteiligten und dem Verkündungs- und Zustellungsdatum bezeichnet ist. Auch wenn zur Erfüllung der Vorgaben des § 124a Abs. 4 Satz 3 VwGO ebenso wie im Rahmen des § 124a Abs. 2 Satz 2 VwGO grundsätzlich neben der Angabe des Gerichts, das das Urteil erlassen hat, und des Aktenzeichens auch die Angabe des Datums sowie der Beteiligten erforderlich ist, sind unvollständige oder falsche Angaben dann unschädlich, wenn gleichwohl nicht zweifelhaft sein kann, um welches Urteil es sich handelt (vgl. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 28. Auflage 2022, § 124a Rn. 47). Da sich vorliegend das angefochtene Urteil auf Grund der Nennung des - zutreffenden - Aktenzeichens, des entscheidenden Gerichts sowie der Prozessbevollmächtigten der Beteiligten innerhalb der Antragsfrist zweifelsfrei bestimmen ließ, bestehen entgegen der Meinung des Klägers keine Bedenken an der Zulässigkeit des Antrags im Hinblick auf § 124a Abs. 4 Satz 3 VwGO.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wurde am 29. November 2022 und damit innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO gestellt. Denn das angefochtene Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten ausweislich des in der Gerichtsakte befindlichen Empfangsbekenntnisses (Bl. 131 GA) am 1. November 2022 zugestellt.

Zweifel an der Zulässigkeit des Antrags auf Zulassung der Berufung bestehen auch nicht auf Grund der Beschlussfassung durch den Verwaltungsausschuss der Samtgemeinde A-Stadt. Maßgeblich ist, dass der Beklagte, der als Unterlegener durch das angefochtene Urteil beschwert ist, vertreten durch den Ratsvorsitzenden, den Rechtsbehelf eingelegt und insoweit lediglich den Verwaltungsausschuss beteiligt hat. Die Einlegung des Zulassungsantrags durch den Rat der Samtgemeinde bzw. durch dessen Vorsitzenden ist trotz der falschen bzw. unvollständigen Bezeichnung in den Schriftsätzen vom 29. November und 21. Dezember 2022 - wie oben ausgeführt - auf Grund der weiteren Angaben erkennbar und wurde mit Schreiben vom 27. Februar 2023 ausdrücklich bestätigt.

Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung ist jedoch unbegründet. Denn die von ihm geltend gemachten Zulassungsgründe ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) und von Verfahrensmängeln (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) liegen nicht vor bzw. sind nicht hinreichend dargelegt worden.

Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seines stattgebenden Urteils ausgeführt, die Klage sei als Verpflichtungsklage statthaft und auf Grund der Sonderregelungen in § 47 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 i.V.m. § 49 Abs. 2 NKWG auch ohne die vorherige Durchführung eines Verwaltungsverfahrens zulässig. Die Klage sei zudem begründet. Der Anspruch des Klägers auf Zurückweisung des Wahleinspruchs ergebe sich aus § 48 Abs. 1 NKWG i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 NKWG und § 1 NKWG. Der Wahleinspruch des Beigeladenen sei zulässig, jedoch unbegründet. Wahlverstöße seien vorliegend nicht festzustellen. Die Zugriffsmöglichkeiten auf die Wahlbriefe durch den Kläger im Rahmen der Leerung des Briefkastens des Samtgemeinderathauses am Tag vor der Wahl und der Ablage der Wahlbriefe stellten keine Verstöße gegen Vorschriften des NKWG oder der NKWO dar. Der amtierende Samtgemeindebürgermeister leite und beaufsichtige als Hauptverwaltungsbeamter die Verwaltung, sei Teil der Samtgemeinde und im Zusammenhang mit Wahlen gesetzlich nur ausdrücklich insoweit ausgeschlossen, dass ein Wahlbewerber nicht die Wahlleitung oder stellvertretende Wahlleitung (§ 9 Abs. 4 NKWG) übernehmen oder ein Wahlehrenamt (§ 13 Abs. 2 NKWG) ausüben könne. Weitere Rechte und Pflichten der innegehabten Stellung seien insoweit nicht eingeschränkt. Ausweislich der Vorschriften zur Briefwahl sei nicht vorgesehen, dass ausschließlich die Samtgemeindewahlleitung Wahlbriefe entgegennehmen könne. Die Gemeindeverwaltung sei sowohl beim Übersenden der Wahlbriefe als auch bei der Abgabe in der Dienststelle in den Prozess eingebunden, da innerhalb der Dienststelle gewährleistet sein müsse, dass der Wahlbrief die Samtgemeindewahlleitung erreiche. Indem der Kläger als amtierender Samtgemeindebürgermeister am Tag vor der Wahl Wahlbriefe aus dem Briefkasten des Samtgemeinderathauses entnommen und auf einen Schreibtisch im Eingangsbereich gelegt habe, habe er der Samtgemeindeverwaltung zugewiesene Aufgaben ausgeübt, von denen er nicht ausgeschlossen gewesen sei. Es sei auch kein ungeschriebenes Gebot der Zurückhaltung ersichtlich, wonach ein zur Wiederwahl kandidierender Samtgemeindebürgermeister in der Ausübung seiner internen Aufgaben der Verwaltung eingeschränkt sei. Öffentlichkeitswirksame Handlungen seien in diesem Zusammenhang nicht erfolgt. Unter Berücksichtigung der Systematik und des Normzwecks der diesbezüglichen Regelungen insbesondere in § 59 Abs. 1 Satz 1 NKWO erfülle die Lagerung der Wahlbriefe im (verschlossenen) EDV-Raum des Samtgemeinderathauses die gesetzlichen Anforderungen. Die Systematik der Wahlvorschriften habe lediglich den Anspruch, Manipulationsmöglichkeiten bei der Durchführung einer Wahl zu minimieren, nicht jede theoretische Gelegenheit der Manipulation auszuschließen. Auch soweit der Kläger Wahlbriefe aus den Wahllokalen mit in das Samtgemeinderathaus genommen habe, habe er nicht gegen die gesetzlichen Regelungen des NKWG und der NKWO verstoßen. Er habe in diesem Zusammenhang als Bote der Wähler bzw. der Wahlhelfer und nicht als Teil der Samtgemeindeverwaltung agiert. Schließlich gebe es keine Hinweise darauf, dass der Kläger durch die Zugriffsmöglichkeiten auf die Briefwahlunterlagen in unzulässiger Weise die Wahl in ihrem Ergebnis beeinflusst habe, § 48 Abs. 1 NKWG. Allein von der theoretischen Möglichkeit könne nicht auf das tatsächliche Vorhandensein einer Manipulation geschlossen werden. Es seien keine Tatsachen oder Beweise dafür ersichtlich, dass der Kläger Wahlbriefe vor der Auszählung verändert oder entsorgt habe. Insbesondere weise die Rücklaufquote der Briefwahlunterlagen bei der Samtgemeindebürgermeisterwahl keinen auffälligen Wert auf und sei im Übrigen höher als die Rücklaufquote für die Briefwahl bei der Kreiswahl in der Samtgemeinde A-Stadt am gleichen Tag. Die Verteilung von Süßigkeiten an die Wahlhelfer am Wahltag in Verbindung mit dem damit zum Ausdruck gebrachten Dank für die ehrenamtliche Tätigkeit und die Übergabe von Blumensträußen an Wahlhelfer, die dieses Amt zum wiederholten Mal ausübten, stelle nach den konkreten Umständen keinen Verstoß gegen § 33 Abs. 2 NKWG und auch ansonsten keine unzulässige Beeinflussung des Wahlergebnisses im Sinne von § 46 Abs. 1 Satz 2 NKWG dar. Nach Auffassung der Kammer erscheine es äußerst unwahrscheinlich, dass der persönliche Dank bei den Wahlhelfern die anwesenden Wähler - soweit diese den Besuch des Klägers überhaupt vor ihrer Stimmabgabe wahrgenommen hätten - zu einer spontanen Stimmabgabe zugunsten des Klägers bewegt haben könnte. Auf Grund der geringen zeitlichen Dauer der Anwesenheit und der fehlenden objektiven Zielgerichtetheit hinsichtlich der sich im jeweiligen Wahllokal befindlichen Wähler, fehle es bereits an einer objektiven Eignung des genannten Verhaltens des Klägers zur Beeinflussung der Wählenden. Selbst wenn man den Wahleinspruch als zulässig und begründet ansehen würde, bliebe die Wahlprüfungsklage dennoch erfolgreich, da ein etwaiger Rechtsverstoß das Wahlergebnis nicht wesentlich beeinflusst habe, § 48 Abs. 1 Nr. 2 NKWG. Hierfür bedürfe es einer konkreten, nach der Lebenserfahrung begründeten Wahrscheinlichkeit, dass der in Frage kommende Verstoß für das Ergebnis der Wahl von entscheidendem Einfluss gewesen sein könnte. Vorliegend gäben jedoch weder die Rücklaufquote der Wahlbriefe, die Anzahl der auf den Kläger entfallenden Briefwahlstimmen noch andere Tatsachen einen konkreten Anlass zu der Annahme, der Kläger könnte auf Wahlbriefe eingewirkt oder diese vorenthalten haben. Dies gelte ebenfalls für die Besuche des Klägers in den Wahllokalen. Selbst wenn man die - äußerst fernliegende - Möglichkeit der Beeinflussung annehmen würde, hätte diese kein Ausmaß erreichen können, das sich mehr als nur unwesentlich auf das Ergebnis der Wahl zuungunsten der Gegenkandidatin hätte auswirken können.

Die Berufung gegen dieses Urteil ist nicht - wie der Beklagte zunächst geltend macht - wegen des Vorliegens eines Verfahrensfehlers nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zuzulassen.

Der Beklagte führt zur Begründung dieses Berufungszulassungsgrundes an, dass das Verwaltungsgericht nicht aufgeklärt habe, in welchem Umfang der Kläger tatsächlich Gelegenheit gehabt habe, unbeobachtet Zugriff zu den Briefwahlrückläufern zu nehmen. Es sei nicht geklärt worden, wie viele Wahlbriefe der Kläger aus dem Briefkasten genommen und auf dem Schreibtisch abgelegt habe und ob er über einen längeren Zeitraum Gelegenheit gehabt habe, Briefwahlrückläufer zu manipulieren. Damit erhebt der Beklagte eine sogenannte Aufklärungsrüge, indem er als Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens geltend macht, das Verwaltungsgericht habe entgegen § 86 Abs. 1 VwGO den Sachverhalt nicht hinreichend von Amts wegen aufgeklärt.

Zwar ist das Verwaltungsgericht verpflichtet, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 VwGO). Daneben besteht jedoch auch im Verwaltungsprozess die Prozessförderungspflicht der Beteiligten. Ist ein Beteiligter vor dem Verwaltungsgericht anwaltlich vertreten, so darf von ihm erwartet werden, dass er mit allen dafür zur Verfügung stehenden prozessualen Mitteln auf eine ihm geboten erscheinende Aufklärung des Sachverhalts hinwirkt. Der Zulassungsantragsteller muss daher substantiiert darlegen, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände der Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären. Weiterhin muss dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, entweder auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist, oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 16.3.2011 - 6 B 47.10 -, juris Rn. 12 und vom 20.9.2007- 4 B 38.07 -, juris Rn. 3; Bay. VGH, Beschluss vom 30.7.2015 - 10 ZB 15.819 -, juris Rn. 52). Denn die Aufklärungsrüge stellt kein Mittel dar, um Versäumnisse eines Verfahrensbevollmächtigten in der Vorinstanz, vor allem das Unterlassen förmlicher Beweisanträge zu kompensieren (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 18.12.2006 - 4 BN 30.06 - juris, Rn. 2 und vom 5.3.2010 - 5 B 7.10 -, juris Rn. 9; Bayerischer VGH, Beschluss vom 10.5.2021 - 21 ZB 16.1016 -, juris Rn. 33). Dabei sind in Schriftsätzen angekündigte Beweisanträge unzureichend, da diese lediglich Beweisangebote darstellen (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 11.5.2000 - 1 L 1694/00 -, juris Rn. 3; sowie Beschluss vom 2.12.1999 - 12 L 4537/99 -, juris 27).

Gemessen an diesen Maßstäben sind bereits die Darlegungen des Beklagten für eine Aufklärungsrüge unzureichend. Es fehlt an jeglicher Darstellung, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen für die vermisste Sachverhaltsaufklärung in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären sowie, dass bereits im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Aufnahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist. Soweit der Beklagte diesbezüglich vorbringt, die mündliche Verhandlung sei "völlig unstrukturiert" geführt worden, entbindet ihn dies - selbst wenn dies zuträfe - nicht von der Pflicht, an der Ermittlung der von ihm für maßgeblich gehaltenen Tatsachen mitzuwirken, insbesondere da das Verwaltungsgericht nach dem Vortrag des Beklagten deutlich gemacht hatte, dass es die entsprechende Sachverhaltsaufklärung für irrelevant erachtete und sich ihm die vermissten Ermittlungen daher gerade nicht aufgedrängt haben. Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 19. Oktober 2022 hat der Beklagte jedoch keinen Beweisantrag oder sonstigen Antrag, mit dem er auf die von ihm gewünschte Aufklärung des Sachverhalts hätte hinwirken können, gestellt.

Die von dem Beklagten darüber hinaus gegen das angefochtene Urteil erhobenen Einwände sind nicht geeignet, ernstliche Zweifel an dessen Richtigkeit zu begründen.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind dann zu bejahen, wenn bei der Überprüfung im Zulassungsverfahren, also auf Grund der Begründung des Zulassungsantrags und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts, gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zutage treten (Senatsbeschlüsse vom 23.1.2018 - 10 LA 21/18 -, juris Rn. 7, und vom 24.10.2017 - 10 LA 90/16 -, juris Rn. 11; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 11.7.2013 - 8 LA 148/12 -, juris Rn. 9). Das ist grundsätzlich dann der Fall, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (BVerfG, Stattgebende Kammerbeschlüsse vom 6.6.2018 - 2 BvR 350/18 -, juris Rn. 16, und vom 16.10.2017 - 2 BvR 2615/14 -, juris Rn. 19; Senatsbeschluss vom 23.1.2018 - 10 LA 21/18 -, juris Rn. 7; vgl. auch Gaier, NVwZ 2011, 385, 388 ff.). Die Richtigkeitszweifel müssen sich dabei auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen. Es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zur Änderung der angefochtenen Entscheidung führt (Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 4.7.2018 - 13 LA 247/17 -, juris Rn. 4 m.w.N.; BVerwG, Beschluss vom 10.3.2004 - 7 AV 4.03 -, juris Leitsatz und Rn. 9; vgl. dazu auch BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 9.6.2016 - 1 BvR 2453/12 -, juris Rn. 17). Zur Darlegung der ernstlichen Zweifel bedarf es regelmäßig qualifizierter, ins Einzelne gehender, fallbezogener und aus sich heraus verständlicher Ausführungen, die sich mit der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage einer eigenständigen Sichtung und Durchdringung des Prozessstoffs auseinandersetzen (Niedersächsisches OVG, Beschlüsse vom 8.3.2018 - 7 LA 67/17 -, juris Rn. 6, vom 11.12.2017 - 2 LA 1/17 -, juris Rn. 3, vom 31.8.2017 - 13 LA 188/15 -, juris Rn. 8, und vom 13.7.2017 - 8 LA 40/17 -, juris Rn. 10).

Ist die angegriffene Entscheidung auf mehrere selbstständig tragende Begründungen gestützt, so hat die Begründung des Rechtsmittels sich mit jeder dieser Begründungen substantiiert auseinanderzusetzen und für jede der Begründungen darzulegen, warum sie nach ihrer Auffassung die angefochtene Entscheidung nicht trägt (BVerwG, Beschluss vom 12.4.2021 - 1 B 18.21 -, juris Rn. 5; Senatsbeschlüsse vom 24.10.2022 - 10 LA 4 -, n. v., und vom 28.6.2022 - 10 LA 234/20 -, juris Rn. 2).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.

Der Beklagte trägt zur Begründung dieses Zulassungsgrundes zunächst vor, dass die Integrität einer Wahl verletzt sei, wenn Briefwahlunterlagen gegenüber einem Wahlbewerber nicht abgeschottet gewesen seien. Eine verfahrensfehlerhafte Wahl müsse nur dann nicht wiederholt werden, wenn sich konkret feststellen lasse, dass auch bei Einhaltung der Wahlvorschriften kein anderes Wahlergebnis erzielt worden wäre. Daraus folge, dass jeder theoretisch denkbare Manipulationsverdacht ausgeschlossen sein müsse, damit die Wahl eine ausreichende Legitimationswirkung entfalten könne.

Insoweit geht der Beklagte bereits von einem unzutreffenden rechtlichen Ansatz aus. Denn nach § 46 Abs. 1 Satz 2 NKWG kann der Wahleinspruch nur damit begründet werden, dass die Wahl nicht den Vorschriften dieses Gesetzes oder der Verordnung nach § 53 Abs. 1 oder 3 entsprechend vorbereitet oder durchgeführt oder in unzulässiger Weise in ihrem Ergebnis beeinflusst worden ist. Nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 NKWG ist ein Wahleinspruch zurückzuweisen, wenn er zwar zulässig und begründet ist, aber der Rechtsverstoß auch im Zusammenhang mit anderen Rechtsverstößen das Wahlergebnis nicht oder nur unwesentlich beeinflusst hat. Anders als das Arbeitsgericht Braunschweig in der von dem Beklagten angeführten Entscheidung (Beschluss vom 13.7.2022 - 3 BV 5/22 -, juris) aufgrund der in dem dortigen Verfahren maßgeblichen Vorschriften zur Betriebsratswahl angenommen hat, reicht es für einen (erfolgreichen) Wahleinspruch nach dem Niedersächsischen Kommunalwahlgesetz daher nicht, dass eine theoretische Manipulationsmöglichkeit bestanden hat, vielmehr muss dadurch die Wahl in unzulässiger Weise in ihrem Ergebnis beeinflusst worden sein (§ 46 Abs. 1 Satz 2 NKWG) und selbst dann, wenn der Wahleinspruch zulässig und begründet ist, ist dieser nur dann erfolgreich, wenn der Rechtsverstoß das Wahlergebnis nicht nur unwesentlich beeinflusst hat (§ 48 Abs. 1 Nr. 2 NKWG).

Dem Beklagten ist zwar zuzugeben, dass die Wahl hier ohne größere praktische Schwierigkeiten so hätte organisiert werden können, dass der Kläger, der selbst Wahlbewerber war, nicht mit den Wahlbriefen in Kontakt gekommen und damit insoweit jede Möglichkeit einer Beeinflussung bzw. Manipulation der Wahl ausgeschlossen gewesen wäre. Doch hat der Beklagte damit schon nicht ausreichend dargelegt, dass die Ausführungen des Verwaltungsgerichts dazu, dass hier nicht gegen Vorschriften des Niedersächsischen Kommunalwahlgesetzes oder der Niedersächsischen Kommunalwahlordnung verstoßen und die Wahl auch nicht in unzulässiger Weise in ihrem Ergebnis beeinflusst worden sei, ernstlichen Zweifeln begegnen.

Der Beklagte hat aber jedenfalls nicht hinreichend dargelegt, dass die weitere - das angefochtene Urteil selbstständig tragende - Annahme des Verwaltungsgerichts, dass das Wahlergebnis nicht oder nur unwesentlich beeinflusst worden ist, unzutreffend ist.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gilt bei Verstößen bei Wahlen zu Volksvertretungen, dass das Außerachtlassen schwer wiegender Verstöße gegen die Grundsätze der Freiheit oder Gleichheit der Wahl wie fortlaufende gravierende Verletzungen des Verbots der amtlichen Wahlbeeinflussung oder massive, unter erheblichen Zwang oder Druck ausgeübte Einflüsse privater Dritter auf die Wählerwillensbildung das Demokratieverbot nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG verletze, das die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern an die Grundsätze des demokratischen Rechtsstaats bindet (vgl. BVerfG, Urteil vom 8.2.2001 - 2 BvF 1/00 -, juris Rn. 90). Diese Rechtsprechung setzt im Hinblick auf den Maßstab für die Auswirkungen eines Rechtsverstoßes auf das Wählerverhalten hohe Anforderungen. Denn das ebenfalls dem Demokratiegebot entstammende Erfordernis des Bestandsschutzes einer gewählten Volksvertretung schließt es aus, Wahlbeeinflussungen einfacher Art und ohne jedes Gewicht schlechthin zum Wahlungültigkeitsgrund zu erheben (BVerfG, Urteil vom 8.2.2001 - 2 BvF 1/00 -, juris Rn. 90). Dieser strenge Maßstab gilt zwar für die hier maßgebliche Frage der Relevanz von Wahlfehlern für Direktwahlen - wie die Samtgemeindebürgermeisterwahl - nicht, da hier der oben genannte verfassungsrechtliche Grundsatz des Bestandsschutzes gewählter Volksvertretungen nicht zu berücksichtigen ist. § 48 Abs. 1 Nr. 2 NKWG verlangt aber für einen erfolgreichen Wahleinspruch, dass der Wahlfehler das Wahlergebnis mehr als nur unwesentlich beeinflusst hat. Auch wenn nicht erforderlich ist, dass mit absoluter Gewissheit feststehen muss, dass der Verstoß sich auf das Ergebnis ausgewirkt hat. Denn ein dahingehender Nachweis kann in aller Regel nicht geführt werden und würde die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit eines Wahleinspruchs letztlich weitgehend leerlaufen lassen. So kann aber eine mehr als nur unwesentliche Beeinflussung i.S.d. § 48 Abs. 1 Nr. 2 NKWG jedenfalls nur dann angenommen werden, wenn nach der Lebenserfahrung eine konkrete Möglichkeit besteht, dass der in Frage stehende Verstoß für das Ergebnis der Wahl von entscheidendem Einfluss gewesen sein könnte (Senatsurteil vom 26.3.2008 - 10 LC 203/07 -, juris Rn. 40).

Hier hat der Beklagte im Rahmen der Begründung seines Zulassungsantrags nicht hinreichend dargelegt, dass die fehlende Abschottung der Wahlunterlagen sowie die Beeinflussung von Wählern durch die Anwesenheit des Klägers in Wahllokalen am Wahltag - sollten diese Vorkommnisse denn als Wahlverstöße zu werten sein - nach der Lebenserfahrung für das Ergebnis der Wahl von entscheidendem Einfluss gewesen sein könnten.

Allein ein knappes Wahlergebnis ersetzt keine konkreten Anhaltspunkte für eine mehr als unwesentliche Beeinflussung. Anders als in dem vom Senat entschiedenen Fall bezüglich eines Zeitungsinterviews eines Landrats (OVG Lüneburg, Urteil vom 26.3.2008 - 10 LC 203/07 -, juris Rn. 41) entspricht es nicht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass die fehlende Abschottung von Wahlunterlagen und die Anwesenheit eines Wahlbewerbers in einem Wahllokal am Wahltag (vgl. hierzu VG Hannover Urteil vom 14.3.2022 - 1 A 6477/21 -, juris Rn. 33) zu einer wesentlichen Veränderung der Stimmanteile geführt haben könnte. Dies gilt bezüglich der fehlenden Abschottung von Wahlunterlangen vor allem dann, wenn es wie im vorliegenden Fall, keine Auffälligkeiten im Hinblick auf die Rückläuferquote der Briefwahlunterlagen, die Anzahl der auf den Kläger entfallenden Briefwahlstimmen sowie auf die Mehrheitsverhältnisse im Briefwahlbereich im Vergleich mit den in den Wahllokalen ausgefüllten Wahlzetteln gegeben hat, auch von den Wahlhelfern bei der Auszählung der Wahlbriefe keine Auffälligkeiten festgestellt worden sind (etwa dass Wahlbriefe den Eindruck erweckt haben, dass sie bereits einmal geöffnet und wieder verschlossen worden sind) und auch sonst keinerlei Anhaltspunkte für tatsächlich vorgenommene Manipulationen an den Wahlunterlagen bestehen.

In diesem Zusammenhang hat das Verwaltungsgericht auch zutreffend darauf hingewiesen, dass eine Manipulation der Wahlbriefe einen erheblichen Aufwand erfordert hätte. Denn der Kläger hätte zunächst in Erfahrung bringen müssen, zu wessen Vorteil die jeweiligen Wahlzettel ausgefüllt waren. Er hätte dann die Wahlbriefe wieder unauffällig verschließen müssen, damit nicht solche Stimmen "entsorgt" werden, die zu seinen Gunsten abgegeben worden sind. Soweit der Beklagte auf die Möglichkeit des Austausches von Wahlunterlagen hinweist, spricht der von ihm selbst hierfür angeführte Aufwand - Öffnen und Einsehen der Briefe, erneutes Absenden der Briefe unter Verwendung der ausgefüllten eidesstattlichen Versicherungen, neuer Stimmzettel und neuer Umschläge - offenkundig dagegen, dass dies nach der Lebenserfahrung eine konkrete Möglichkeit der Beeinflussung der Wahl gewesen ist. Eine derartige "kriminelle Energie" kann dem Kläger nicht unterstellt werden.

Dass das Verteilen von Süßigkeiten und Blumensträußen an die Wahlhelfer das Wahlergebnis nicht nur unwesentlich beeinflusst hat, erachtet auch der Senat - wie das Verwaltungsgericht - für unwahrscheinlich.

Eine Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO kommt ebenfalls nicht in Betracht.

Eine Rechtssache ist nur dann grundsätzlich bedeutsam, wenn sie eine höchstrichterlich noch nicht geklärte Rechtsfrage oder eine obergerichtlich bislang noch nicht beantwortete Tatsachenfrage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die im Rechtsmittelverfahren entscheidungserheblich und einer abstrakten Klärung zugänglich ist, im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf, nicht schon geklärt ist und nicht bereits anhand des Gesetzeswortlauts und der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung sowie auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens beantwortet werden kann (BVerwG, Beschluss vom 8.8.2018 - 1 B 25.18 -, juris Rn. 5, zu § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; Senatsbeschlüsse vom 4.3.2019 - 10 LA 1/18 -, n. v., vom 23.1.2018 - 10 LA 21/18 -, juris Rn. 29 ff., und vom 13.01.2014 - 10 LA 48/12 -, juris Rn. 29; Niedersächsisches OVG, Beschlüsse vom 21.6.2018 - 5 LA 149/17 -, juris Rn. 2, vom 23.4.2018 - 7 LA 54/17-, juris Rn. 30, und vom 31.8.2017 - 13 LA 188/15 -, juris Rn. 53; vgl. dazu auch BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 6.6.2018 - 2 BvR 350/18 -, juris Rn. 17). Um die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO darzulegen, hat der Antragsteller die für fallübergreifend gehaltene Frage zu formulieren, sowie zu begründen, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (Senatsbeschlüsse vom 4.3.2019 - 10 LA 1/18 -, vom 23.1.2018 - 10 LA 21/18 -, juris Rn. 29, und vom 24.10.2017 - 10 LA 90/16 -, juris Rn. 55; vgl. auch BVerwG, Beschlüsse vom 1.3.2016 - 5 BN 1.15 -, juris Rn. 2, vom 17.2.2015 - 1 B 3.15 -, juris Rn. 3, und vom 30.1.2014 - 5 B 44.13 -, juris Rn. 2, jeweils zu § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).

Der Beklagte hat es bereits versäumt, die Frage, deren grundsätzliche Klärung er für erforderlich hält, entsprechend der vorstehenden Anforderungen zu formulieren. Legt man seinen Vortrag jedoch so aus, dass er die Frage, ob

"im Kommunalrecht eine Abschottung der Wahlunterlagen gegenüber Wahlbewerbern, die zugleich führendes Mitglied der die Wahl durchführenden Körperschaft sind, nicht gefordert werden kann, oder es hier auch Grenzen gibt"

aufgeworfen hat, so kommt dieser keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zu, da sie nicht in dieser Allgemeinheit beantwortet werden kann und es zudem an der Entscheidungserheblichkeit im vorliegenden Verfahren fehlt. Das Verwaltungsgericht hat der angefochtenen Entscheidung nicht die Annahme zu Grunde gelegt, dass eine Abschottung von Wahlunterlagen nicht gefordert werden könne, sondern hat ausgeführt, dass die Lagerung der Wahlbriefe im EDV-Raum des Samtgemeinderathauses auf Grund der konkreten Umstände des vorliegenden Falles die gesetzlichen Anforderungen erfüllt habe (Urteilsabdruck, S. 10). Mit diesen und den weiteren diesbezüglichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts u.a. zur demokratischen Legitimation und der Ableistung eines Diensteides durch den Kläger hat sich der Beklagte im Übrigen in keiner Weise auseinandergesetzt. Darüber hinaus handelt es sich bei der Verneinung eines Verfahrensverstoßes im Hinblick auf den möglichen Zugriff auf Wahlunterlagen - wie oben ausgeführt - nur um ein Begründungselement des Verwaltungsgerichts, so dass der Beantwortung der Frage nach der Erforderlichkeit einer Abschottung der Wahlunterlagen bereits aus diesem Grund keine Ergebnisrelevanz zukommt.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Die Kosten des Beigeladenen waren nicht für erstattungsfähig zu erklären, da dieser im Berufungszulassungsverfahren keinen Antrag gestellt hat und damit nicht das Risiko einer eigenen Kostenpflicht eingegangen ist. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG und Nr. 22.1.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).