Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 25.11.2020, Az.: 10 LA 58/20

autismusspezifische Förderung; Bedarfsdeckung; Beeinträchtigungsprofil; Beschulung; Eingliederungshilfe; Förderbedarf; Förderschwerpunkt; Hilfebedarf; Hilfeplanung; In-Kenntnis-Setzen; kooperativer Entscheidungsprozess; Kostenerstattung; Mitwirkungspflichten; Privatschule; Schulcoaching; Selbstbeschaffung; Steuerungsverantwortung des Jugendhilfeträgers

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
25.11.2020
Aktenzeichen
10 LA 58/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 71878
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 23.01.2020 - AZ: 3 A 457/18

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Es besteht grundsätzlich kein Anspruch auf Übernahme der Kosten für den Besuch einer Privatschule gegen den Jugendhilfeträger. Ausnahmen sind jedoch dann geboten, wenn auch unter Einsatz unterstützender Maßnahmen keine Möglichkeit besteht, den konkreten Hilfebedarf des jungen Menschen im Rahmen des öffentlichen Schulsystems zu decken, mithin diesem der Besuch einer öffentlichen Schule aus objektiven oder aus schwerwiegenden subjektiven (persönlichen) Gründen unmöglich bzw. unzumutbar ist.
2. Ein In-Kenntnis-Setzen des Jugendhilfeträgers i.S.d. § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII erfordert eine eindeutige Willenserklärung des Hilfeberechtigten über den konkreten Bedarf in Form eines (nicht formgebundenen) Antrags vor der Selbstbeschaffung der Leistung.
3. Selbstbeschaffung i.S.d. § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII ist nicht bereits der Abschluss des Schulvertrages, sondern erst die Deckung des Hilfebedarfs durch den Beginn der Beschulung.

Tenor:

Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 3. Kammer - vom 23. Januar 2020 wird abgelehnt.

Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt Eingliederungshilfe in Form der Kostenübernahme für den Besuch der Realschule des privaten C. -Gymnasiums in D. ab Beginn des Schuljahres 2018/2019.

Er ist im Januar 2008 geboren und lebt zusammen mit seinen zwei jüngeren Geschwistern und seinen Eltern in A-Stadt. Im Juni 2015 diagnostizierte die Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie Frau E. bei dem Kläger das Asperger-Syndrom, eine einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung, eine Entwicklungsstörung der motorischen Funktionen und nicht organische Enuresis (unwillkürliches Einnässen). Seit dem 1. September 2015 erhält er durch den Beklagten fortlaufend im Rahmen der Eingliederungshilfe Unterstützung in Form einer ambulanten autismusspezifischen Förderung in der Einrichtung „F. H...“ zunächst in Einzel-Stunden, seit September 2017 in einer Gruppen-Situation. Das Aufmerksamkeits-Defizits-Syndrom des Klägers wird mit Methylphenidat behandelt.

Im Schuljahr 2017/2018 besuchte der Kläger die 4. Klasse der Grundschule G. mit einer Klassenstärke von 19 Kindern. Er erhielt einen Nachteilsausgleich sowie Förderstunden bezüglich des Schulfachs Mathematik. Darüber hinaus wurde durch die Landesschulbehörde ein Reader für den Kläger beschafft. Eine Begleitung durch eine Schulassistenz fand nicht statt.

Im Hilfeplangespräch vom 16. August 2017 zwischen den Beteiligten wurde festgehalten, dass der Kläger gut in die Klasse integriert ist und dort auf Grund des außerordentlichen Engagements der Klassenlehrerin sowie der extremen Umsicht der Schule optimale Förderung erhält. In ihrer fachärztlichen Stellungnahme vom 26. Oktober 2017 empfahl die Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie Frau E. die Integrierte Gesamtschule (IGS) H. als geeignete Möglichkeit für die weitere Beschulung des Klägers nach Beendigung der Grundschule ggf. mit Unterstützung durch eine Schulbegleitung. Der Übergang an die weiterführende Schule war auch Gegenstand des Hilfeplangesprächs am 19. Februar 2018. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Eltern des Klägers sich bereits das C. -Gymnasium in D. als potenzielle weiterführende Schule angesehen. Während im Fördergutachten der Grundschule vom 14. Februar 2018 die Begleitung des Klägers an der weiterführenden Schule durch einen Einzelfallhelfer von Beginn an als zwingend erforderlich angesehen wurde, sah Herr I. in der Stellungnahme der F. vom 25. April 2018 eine eins-zu-eins-Begleitung als nicht zielführend für den Kläger an und führte aus, dass eine reduzierte Klassengröße die Entwicklung des Klägers begünstigen würde.

Anfang Mai 2018 erfolgte die Anmeldung des Klägers am C.-Gymnasium in D.. Am 4. Mai 2018 beantragten seine Eltern zunächst telefonisch und anschließend mit Email vom 6. Mai 2018 bei dem Beklagten, die Kosten für den Schulbesuch des Klägers am C. -Gymnasium im Realschulbereich zu übernehmen. Sie erklärten, auf die Möglichkeit einer Schulbegleitung zunächst zu verzichten, da sie davon ausgingen, dass der Kläger sein eigenverantwortliches Handeln und seine erlernte Selbstständigkeit weiter festigen und im kleinen Klassenverband des C. -Gymnasiums weiter ausbauen könne.

In der Folgezeit fanden zwischen dem Beklagten und den Eltern des Klägers verschiedene Gespräche statt. Hierbei bot der Beklagte den Eltern des Klägers Eingliederungshilfe in Form einer Koordination des Schulwechsels sowie Schulcoaching an. Diese Maßnahmen lehnten die Eltern des Klägers ab. Eine individuelle Beobachtung des Klägers durch Mitarbeiter des Beklagten an der Grundschule wurde vor dem Schulwechsel nicht mehr durchgeführt. Seit dem Schuljahr 2018/2019 besucht der Kläger die weiterführende Realschule des C. -Gymnasiums in D. mit einer Klassengröße von maximal 10 Kindern.

Nach Anhörung des Klägers lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 19. September 2018 den Antrag des Klägers auf Übernahme der Kosten für die Beschulung auf dem C. -Gymnasium ab und führte aus, dass die Anspruchsvoraussetzungen des § 35a SGB VIII nicht erfüllt seien. Dem mehrdimensionalen Krankheitsbild des Klägers habe von Schulbeginn an über die schulischen Ressourcen in jeglicher Form entsprochen werden und eine Beschulung an einer Regelschule erfolgen können. Daher könne davon ausgegangen werden, dass der bisherige erfolgreiche Schulbesuch auch an einer weiterführenden Regelschule, welcher die gleichen Ressourcen wie der Grundschule zur Verfügung stünden, gelingen werde. Die Beschulung auf dem C.-Gymnasium sei aus sozialpädagogischer Sicht nicht die geeignete Maßnahme für eine passgenaue Hilfe.

Hiergegen hat der Kläger, vertreten durch seine Eltern, am 19. Oktober 2018 Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, dass das C. -Gymnasium über ein besonderes pädagogisches Konzept mit kleinen Lerngruppen und individuell angepasstem Lerntempo verfüge, um insbesondere auch Kindern mit Autismus einen angemessenen Schulbesuch zu ermöglichen und zu erleichtern. Bei ihm - dem Kläger - bestehe ein besonderer Unterstützungsbedarf für den Schulbesuch, er sei auf eine individuelle Förderung im Unterricht angewiesen. So benötige er kleine Lerngruppen sowie einen kleinen Klassenverband, damit er angemessen am Unterrichtsgeschehen teilhaben und mit anderen Kindern direkt interagieren könne, ohne permanent auf die Hilfestellung Erwachsener angewiesen zu sein. Beim selbständigen Arbeiten sei er sehr verlangsamt, unstrukturiert, zeige eine hohe Ablenkbarkeit und müsse ständig an seinen Arbeitsauftrag erinnert werden, zudem verfüge er über eine geringe Konzentrationsspanne. Er benötige eine genaue Anleitung durch die Lehrkraft mit angepassten Aufgabenstellungen, kurzen Arbeitsaufträgen und visueller Unterstützung. Der Umgang mit veränderten Situationen löse große Ängste und Unsicherheit bei ihm aus, bei Reizüberflutung und Zeitdruck halte er sich die Ohren zu, zeige verstärkt Ticks und motorische Unruhe und bedürfe strukturierender Hilfe. Kleine Klassen und Lerngruppen seien daher für ihn notwendig. Nur in kleinen Gruppen könne er selbst Kontakte zu Gleichaltrigen schließen. Dies sei an einer weiterführenden Regel-Schule mit Klassengrößen von bis zu 28 Schülern nicht möglich. Er habe einen Anspruch auf Kostenübernahme und Erstattung des Schulgeldes für das D.-Gymnasium im Rahmen der Eingliederungshilfe als Hilfe zur angemessenen Schulbildung, da sein besonderer Hilfebedarf im öffentlichen Schulsystem nicht vergleichbar und ausreichend gedeckt werden könne. Am C.-Gymnasium habe er entsprechend seinem Hilfebedarf die Möglichkeit, in kleinen Klassen auch mit anderen Kindern mit Autismus einen Schulalltag zu erleben und sich nicht als Außenstehender zu fühlen. Die von der Beklagten empfohlene K. -Schule in L. sei räumlich zu weit entfernt, darüber hinaus lägen seine Leistungen über dem Niveau des dort angebotenen Hauptschulabschlusses. Dies gelte auch für die erst im gerichtlichen Verfahren von dem Beklagten benannte M. -Schule in N.. Eine konkrete, bedarfsgerechte Alternative, an welcher er wie an der kleinen Grundschule angemessen beschult werden könne, habe der Beklagte nicht aufgezeigt. Der Beklagte sei rechtzeitig über den Hilfebedarf informiert worden und die Deckung des Bedarfs habe keinen zeitlichen Aufschub geduldet. Schließlich seien die Kosten für den Besuch des C. -Gymnasiums nicht höher als für eine etwaige qualifizierte Schulbegleitung an einer Regel-Schule und damit auch wirtschaftlich angemessen. Der Beklagte habe durch die Übernahme der Beförderungskosten zum C. -Gymnasium im Übrigen deutlich gemacht, dass eine vergleichbare, zumutbare und erreichbare öffentliche Schule nicht vorhanden sei.

Dem ist der Beklagte entgegengetreten und hat vorgetragen, dass die bestehende Teilhabebeeinträchtigung des Klägers nicht zusätzlich verschlimmert werde, wenn er eine Regelschule oder eine staatliche Förderschule besuche. Die Regelschulen in seinem Zuständigkeitsbereich böten allen Schülerinnen und Schülern, die einen Integrationsbedarf aufwiesen, eine intensive und individuelle bedarfsgerechte Förderung. Die Klassengröße liege durchschnittlich bei 22,5 Schülern pro Klasse. Sofern der Kläger es nicht ablehnen würde, wäre Eingliederungshilfe in Form von Koordination, Clearing und Schulcoaching weiterhin möglich. Damit könne eine konstruktive und lösungsorientierte Integration durch Beteiligung aller am Prozess beteiligten Personen erreicht werden. Eine solche Kooperation sei mit dem C. -Gymnasium in der Vergangenheit wiederholt fehlgeschlagen. Darüber hinaus habe das C. -Gymnasium nicht die Möglichkeit, mobile Dienste für Unterstützungsbedarfe anzufordern. Zudem beständen Zweifel, ob die gewählte Schule in der Lage sei, Personalanforderungen zu erfüllen, die Schülern mit seelischer Behinderung gerecht werden könnten. Nachhaltige Lösungen der Eingliederungshilfe seien vorrangig im öffentlichen Schulwesen zu suchen. Die Übernahme der Kosten der Schülerbeförderung erfolge auf einer anderen rechtlichen Grundlage und binde den Beklagten nicht.

Im November 2018 wurde der Kläger am Rücken operiert und versäumte einen beträchtlichen Teil des Schuljahres, so dass er auf den Wunsch seiner Eltern hin die 5. Klasse wiederholte. Er erhält bei Klassenarbeiten und Tests Nachteilsausgleich in Form einer Zeitverlängerung.

Das Verwaltungsgericht Braunschweig hat der Klage mit Urteil vom 23. Januar 2020 mit der Begründung stattgegeben, dass dem Kläger der geltend gemachte Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe in Form der Erstattung bzw. Übernahme der Kosten für die Beschulung auf dem C. -Gymnasium in den Schuljahren 2018/2019 und 2019/2020 zukomme. Die Anspruchsvoraussetzungen des § 35a Abs. 1 SGB VIII hätten im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung vorgelegen. Die seelische Gesundheit des Klägers weiche auf Grund des diagnostizierten Störungsbildes länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand ab. Dem Kläger habe auch eine darauf beruhende Teilhabebeeinträchtigung im Sinne des § 35a Abs. 1 Nr. 2 SGB VIII im Zeitpunkt des Übergangs von der Grundschule zur weiterführenden Schule gedroht. Der seit 2014 mit dem Hilfefall des Klägers befasste Beklagte sei im Sinne des § 36a Abs. 3 Nr. 1 SGB VIII hinreichend rechtzeitig über den grundsätzlichen Bedarf des Klägers informiert gewesen. Er habe auch gewusst, dass die Voraussetzungen von § 36a Abs. 3 Nr. 2 SGB VIII dem Grunde nach vorgelegen hätten, da der Kläger nach § 35a Abs. 1 SGB VIII eingliederungsberechtigt sei, schließlich erbringe der Beklagte bereits Leistungen im Rahmen der ambulanten autismusspezifischen Förderung. Zudem seien dem Beklagten der anstehende Schulwechsel sowie - seit dem Hilfeplangespräch am 19. Februar 2018 - die Überlegungen der Eltern des Klägers, diesen zukünftig auf dem C. -Gymnasium beschulen zu lassen, bekannt gewesen. Der Beklagte habe es versäumt, für die anstehende Wahl der weiterführenden Schule ein Hilfeplanverfahren durchzuführen und hierbei das ihm bekannte Bedürfnis des Klägers nach einem überschaubaren Rahmen mit kleinen Klassengrößen zu berücksichtigen. Es wäre seine Pflicht gewesen, im Rahmen dieses Hilfeplanverfahrens zu klären, unter welchen Bedingungen eine Beschulung des Klägers stattfinden könne und ob dies von dem schulischen Verantwortungsträger hinreichend konkret gewährleistet werde. Die durchgeführten Gespräche am 23. Mai 2019 und am 4. September 2018 sowie die schriftliche Anhörung zu der geplanten Ablehnung vom 12. Juli 2018 ersetzten das geforderte Hilfeplanverfahren nicht und ließen auch nicht erkennen, dass sich der Beklagte in angemessenem Umfang um konkrete Alternativen für eine Beschulung des Klägers an einer öffentlichen Schule gekümmert habe. Der Wortlaut des § 35a Abs. 3 SGB VIII lasse mit seinem Verweis auch auf § 54 SGB XII erkennen, dass Aufgabe und Ziel der Eingliederungshilfe „insbesondere“ auch sei, Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, vor allem im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen zu gewähren. In der Rechtsprechung sei dementsprechend auch mit Blick auf den Nachrang der Jugendhilfe gemäß § 10 Abs. 1 SGB VIII anerkannt, dass es in einschlägigen Fällen zum Aufgabenbereich der Jugendhilfe zählen könne, bei der Frage der Beschulung mitzuwirken und erforderlichenfalls auch materielle Hilfe zu gewähren. Nachdem der Beklagte kein Hilfeplanverfahren durchgeführt habe und nach der Mitteilung der Eltern des Klägers bezüglich der beabsichtigten Anmeldung auf dem C. -Gymnasium nicht mehr nach geeigneten Alternativen im Regelschulbereich gesucht bzw. diese den Eltern des Klägers nicht angemessen mitgeteilt habe, hätten diese annehmen dürfen, dass die mit ihrer nicht weiter aufschiebbaren Beschulungsentscheidung verbundenen Kosten vom Träger der Jugendhilfe zu übernehmen sein würden. Wenn das Jugendamt nicht rechtzeitig oder - wie hier - nicht in einer den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Weise über die begehrte Hilfeleistung entschieden habe, könnten an dessen Stelle die Betroffenen den sonst der Behörde zustehenden, nur begrenzt gerichtlich überprüfbaren Entscheidungsspielraum für sich beanspruchen, da sie dazu gezwungen seien, eine eigene Entscheidung über die Geeignetheit und Erforderlichkeit einer Maßnahme zu treffen. Gerichtlich sei daher allein zu prüfen, ob die maßgeblichen Erwägungen der Eltern des Leistungsberechtigten fachlich vertretbar gewesen seien. Es könne ihnen im Nachhinein nicht entgegengehalten werden, dass das Jugendamt eine andere oder keine weitere Hilfe für geeignet gehalten hätte. Die Entscheidung der Eltern des Klägers für dessen Beschulung am C. -Gymnasium sei ihm Hinblick auf dessen Schwierigkeiten in der Schule fachlich gut vertretbar. Darüber hinaus habe die Entscheidung über die Wahl einer weiterführenden Schule nicht länger aufgeschoben werden können. Der ablehnende Bescheid des Beklagten setze sich dagegen mit dem durch die verschiedenen Berichte und Stellungnahmen belegten besonderen Förderbedarf des Klägers gar nicht auseinander. Es sei nicht zumutbar gewesen, es zunächst auf eine Beschulung auf einer Regelschule ankommen zu lassen und abzuwarten, ob es der staatlichen Schulverwaltung gelingen werde, den Anforderungen im Hinblick auf die Problematik des Klägers gerecht zu werden, zumal der Beklagte selbst in der mündlichen Verhandlung noch keine geeignete Alternative (staatliche Realschule mit kleinen Klassen und der Möglichkeit, den nach Ansicht des Beklagten im Vordergrund stehenden körperlich-motorischen Förderbedarf des Klägers auszugleichen) aufgezeigt habe. Es sei nicht erkennbar, dass die von dem Beklagten angeführte M. -Schule den dem Kläger nach den durchgeführten Intelligenztests voraussichtlich möglichen Realschulabschluss anbieten könne.

Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 25. Februar 2020 die Zulassung der Berufung gegen diese Entscheidung beantragt.

II.

Die von dem Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts erhobenen Einwände sind nicht geeignet, ernstliche Zweifel an dessen Richtigkeit i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu begründen.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind dann zu bejahen, wenn bei der Überprüfung im Zulassungsverfahren, also auf Grund der Begründung des Zulassungsantrags und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts, gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zutage treten (Senatsbeschlüsse vom 23.1.2018 – 10 LA 21/18 –, juris Rn. 7, und vom 24.10.2017 – 10 LA 90/16 –, juris Rn. 11; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 11.7.2013 – 8 LA 148/12 –, juris Rn. 9). Das ist grundsätzlich dann der Fall, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (BVerfG, Stattgebende Kammerbeschlüsse vom 6.6.2018 – 2 BvR 350/18 –, juris Rn. 16, und vom 16.10.2017 – 2 BvR 2615/14 –, juris Rn. 19; Senatsbeschluss vom 23.1.2018 – 10 LA 21/18 –, juris Rn. 7; vgl. auch Gaier, NVwZ 2011, 385, 388 ff.). Die Richtigkeitszweifel müssen sich dabei auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen. Es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zur Änderung der angefochtenen Entscheidung führt (Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 4.7.2018 – 13 LA 247/17 –, juris Rn. 4 m.w.N.; BVerwG, Beschluss vom 10.3.2004 – 7 AV 4.03 –, juris Leitsatz und Rn. 9; vgl. dazu auch BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 –, juris Rn. 17). Zur Darlegung der ernstlichen Zweifel bedarf es regelmäßig qualifizierter, ins Einzelne gehender, fallbezogener und aus sich heraus verständlicher Ausführungen, die sich mit der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage einer eigenständigen Sichtung und Durchdringung des Prozessstoffs auseinandersetzen (Niedersächsisches OVG, Beschlüsse vom 8.3.2018 – 7 LA 67/17 –, juris Rn. 6, vom 11.12.2017 – 2 LA 1/17 –, juris Rn. 3, vom 31.8.2017 – 13 LA 188/15 –, juris Rn. 8, und vom 13.7.2017 – 8 LA 40/17 –, juris Rn. 10).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.

Der Beklagte rügt in der Begründung seines Zulassungsantrags zunächst, dass der Kläger ihn - den Beklagten - nicht rechtzeitig i.S.d. § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt habe. Der Antrag sei nicht so frühzeitig gestellt worden, dass der Jugendhilfeträger zur pflichtgemäßen Prüfung möglicher Hilfemaßnahmen vor Beginn des Schuljahres am 9. August 2020 in der Lage gewesen sei. Die Eltern des Klägers hätten sich sehr früh auf das C. -Gymnasium festgelegt und hätten daher keinerlei Konsensfähigkeit mehr gezeigt, obwohl er ein Hilfekonzept angeboten habe, dass eine angemessene Lösung zur Bewältigung der festgestellten Belastungssituation enthalten habe.

Dieses Vorbringen ist nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils zu begründen.

Anspruchsgrundlage für die beantrage Erstattung der Kosten der Beschulung des Klägers am C. -Gymnasium ist § 36a Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 35a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII. Nach der letztgenannten Vorschrift haben Kinder oder Jugendliche Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist. Sind diese Voraussetzungen - was hier unstreitig ist - erfüllt, so trägt der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Kosten der Hilfe grundsätzlich gemäß § 36a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGB VIII nur dann, wenn sie auf der Grundlage seiner Entscheidung nach Maßgabe des Hilfeplans unter Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts erbracht wird. Diese Vorschrift normiert den Grundsatz des Entscheidungsprimats des Jugendhilfeträgers im Sinne seiner Entscheidungs- und Steuerungsverantwortung (vgl. Gesetzesbegründung in BTDrucks. 15/3676, S. 26). Demnach setzt eine Kostenübernahme grundsätzlich voraus, dass der Jugendhilfeträger den Hilfeprozess von Beginn an steuert. Diese Steuerungsverantwortung kann der Träger der öffentlichen Jugendhilfe nur wahrnehmen, wenn der Hilfebedarf rechtzeitig in Gestalt eines - nicht förmlichen - Antrags an ihn herangetragen wird (BVerwG, Beschluss vom 22.5.2008 - 5 B 130.07 -, juris Orientierungssatz 1 und Rn. 4; Schmid-Obkirchner in Wiesner, SGB VIII, 5. Auflage 2015, § 36a Rn. 13). Voraussetzung für eine Hilfegewährung ist daher eine eindeutige Willensbekundung des Leistungsberechtigten, Hilfe in Anspruch nehmen zu wollen. Dieses Erfordernis ist vorliegend auch nicht deshalb entfallen, weil dem Kläger in der Vergangenheit (und fortlaufend) unter Durchführung eines Hilfeplanverfahrens bereits Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Kosten für eine Autismus-Therapie bewilligt worden ist, da vorliegend eine erhebliche Erweiterung der Hilfe begehrt wurde, die unzweifelhaft eine Vorbefassung des Jugendhilfeträgers erfordert.

Ein Anspruch auf Kostenerstattung ergibt sich vorliegend jedoch - wie das Verwaltungsgerichts insoweit zutreffend ausgeführt hat - unter den Voraussetzungen des § 36a Abs. 3 Satz 1 SGV VIII. Danach ist der Träger der öffentlichen Jugendhilfe dann, wenn Hilfen abweichend von den Absätzen 1 und 2 der Vorschrift vom Leistungsberechtigten selbst beschafft werden, zur Übernahme der erforderlichen Aufwendungen verpflichtet, wenn

1. der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat,

2. die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vorlagen und

3. die Deckung des Bedarfs

a) bis zu einer Entscheidung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe über die Gewährung der Leistung oder

b) bis zu einer Entscheidung über ein Rechtsmittel nach einer zu Unrecht abgelehnten Leistung

keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat.

Die Voraussetzung des § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII ist vorliegend entgegen der Ansicht des Beklagten erfüllt. Maßgeblich ist hierbei jedoch nicht, dass der Beklagte seit dem Hilfeplangespräch im Februar 2018 über die Überlegungen der Eltern des Klägers bezüglich der Schulwahl und den anstehenden Schulwechsel informiert war, zumal zunächst nach der fachärztlichen Stellungnahme von Frau E. vom 26. Oktober 2017 eine Beschulung auf der IGS H. sowie nach dem Schulbericht der Grundschule vom 2. November 2017 die Frage nach der Beantragung einer Schulbegleitung im Raum stand, die von den Eltern des Klägers erst mit der Beantragung der Beschulungskosten endgültig nicht mehr weiterverfolgt wurde. Nach § 36a Abs. 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII bedarf es - wie vorstehend ausgeführt - einer eindeutigen Willenserklärung in dem Sinne, dass der Leistungsberechtigte den Jugendhilfeträger über den konkreten Hilfebedarf in Kenntnis setzt und einen (nicht formgebundenen) Antrag auf die gewünschte Leistung stellt (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 25.4.2012 - 12 A 659/11 -, juris Rn. 48; Schmid-Obkirchner in Wiesner, SGB VIII, 5. Auflage 2015, § 36a Rn. 44). Abzustellen ist vorliegend demnach auf den telefonischen Antrag der Eltern des Klägers vom 4. Mai 2020, die Kosten für die Beschulung des Klägers auf dem C. -Gymnasium zu übernehmen. Die Eltern des Klägers hatten diesen zwar ausweislich des Vermerks über dieses Telefonat (Telefonvermerk zwischen Bl. 154 und Bl. 155 der Beiakte 002) bereits zuvor am C. -Gymnasium angemeldet, diese Anmeldung ist jedoch noch nicht als Selbstbeschaffung im Sinne des § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGV VIII anzusehen. Selbstbeschaffung in diesem Sinne ist erst die Deckung des jugendhilferechtlichen Bedarfs durch die unmittelbare Inanspruchnahme eines Leistungserbringers außerhalb der Reichweite des § 36a Abs. 2 SGB VIII (vgl. Schmid-Obkirchner in Wiesner, SGB VIII, 5. Auflage 2015, § 36a Rn. 42; nach Kunkel/Pattar in Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 7. Auflage 2018, § 36a Rn. 16 muss das Jugendamt vor der „Bedarfsdeckung“ über den Bedarf informiert werden). Vorliegend erfolgte eine Deckung des Hilfebedarfs des Klägers bezüglich der angemessenen Schulbildung erst mit dem Beginn der Beschulung am C. -Gymnasium, mithin am 9. August 2018 und damit nachdem der Beklagte über den konkreten Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt wurde.

Dass sich die Eltern des Klägers zu diesem Zeitpunkt möglicherweise bereits subjektiv auf die Beschulung auf dem C. -Gymnasium festgelegt hatten, steht dem nicht entgegen. Maßgeblich ist, dass der Antrag so rechtzeitig gestellt wird, dass der Jugendhilfeträger zur pflichtgemäßen Prüfung sowohl der Anspruchsvoraussetzungen als auch möglicher Hilfemaßnahmen in der Lage ist (BVerwG, Urteil vom 11.8.2005 - 5 C 18.04 -, juris Rn. 19), d.h. er muss durch die Antragstellung in die Lage versetzt werden, seiner prüfenden, beratenden und steuernden Aufgabe im Rahmen eines kooperativen pädagogischen Entscheidungsprozesses im Vorfeld der Leistungserbringung nachzukommen (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14.3.2003 - 12 A 1193/01 -, juris Rn. 24). Dies war vorliegend der Fall. Nach der Antragstellung verblieben über drei Monate bis zum Beginn des kommenden Schuljahres und sieben Wochen bis zu dem Beginn der Sommerferien, in denen eine Beobachtung des Klägers in der zu dem Zeitpunkt gegebenen Schulsituation und eine auf dem festgestellten Bedarf aufbauende Prüfung von Beschulungsalternativen möglich gewesen wäre. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass eine Prüfung der unstreitig erfüllten Anspruchsvoraussetzungen des § 35a SGB VIII im Hinblick auf die fortlaufend bewilligte Eingliederungshilfe in Form der autismusspezifischen Förderung keinen erheblichen Aufwand verursacht hätte und sich die Prüfung des Beklagten in erster Linie auf die Erforderlichkeit und Geeignetheit der im Zusammenhang mit der Beschulung des Klägers erforderlichen Hilfen hätte beschränken können. Dass sich die Eltern des Klägers jeglichen Vorschlägen des Beklagten gegenüber verschlossen und dadurch ihre Mitwirkungspflichten verletzt hätten mit der Folge, dass ein kooperativer Entscheidungsprozess im Sinne des § 36 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII nicht mehr möglich gewesen wäre, ist den Verwaltungsvorgängen nicht zu entnehmen und lässt sich insbesondere nicht aus deren Ablehnung der von dem Beklagten angebotenen Maßnahmen in Form der Koordination sowie des Schulcoachings, die noch keine konkrete Beschulungsmöglichkeit benennen, sondern diese nur ergänzen, geschlossen werden. Vielmehr haben die Eltern des Klägers im Gespräch mit dem Beklagten am 23. Mai 2018 erklärt, die ihnen von dem Beklagten vorgeschlagene K. -Schule zusammen mit dem Kläger besichtigen zu wollen (Vermerk über das Gespräch am 23.5.2018, Bl. 169 Beiakte 002).

Der Beklagte, der in der Begründung seines Zulassungsantrags weiter vorträgt, er habe in seiner Hilfeplanung aufgezeigt, dass eine sonderpädagogische Förderung des Klägers an einer weiterführenden Regelschule auf Grund des spezifischen Beeinträchtigungsprofils des Klägers, insbesondere seines körperlich-motorischen Förderbedarfs, geboten sei, hat es ferner nicht vermocht, die Feststellungen des Verwaltungsgerichts, dass die für den Kläger auf Grund seiner schulischen Schwierigkeiten insbesondere im Bereich der Interaktion mit Gleichaltrigen und der Konzentrationsfähigkeit erforderliche Hilfe nur auf dem C. -Gymnasium durch die allein dort gewährleisteten sehr kleinen Klassengrößen sowie den zusätzlich gewährten Nachteilsausgleich in zumutbarer Weise geleistet werden könne und dem Kläger keine fachlich vertretbare Alternative aufgezeigt worden sei, in Zweifel zu ziehen. Die körperlich-motorischen Schwierigkeiten des Klägers, der in seiner Freizeit Tischtennis und Schlagzeug spielt sowie auf keine Hilfsmittel angewiesen ist, stellen erkennbar nicht den Schwerpunkt seiner Beeinträchtigungen dar und gebieten es insbesondere nicht, ihn auf einer Schule mit einem derartigen Förderschwerpunkt zu beschulen, an der es ihm aller Voraussicht nach nicht möglich ist, den ihm nach seinen intellektuellen Fähigkeiten höchst möglichen Schulabschluss zu erlangen. Es ist zwar zutreffend, dass die Bereitstellung der räumlichen, sächlichen, personellen und finanziellen Mittel für die Erlangung einer angemessenen, den Besuch weiterführender Schulen einschließenden Schulbildung auch solcher Kinder und Jugendlicher, deren seelische Behinderung festgestellt ist oder die von einer solchen bedroht sind, grundsätzlich nicht dem Träger der Kinder- und Jugendhilfe, sondern dem Träger der Schulverwaltung obliegt und die Beschulung dieser Kinder in erster Linie im Rahmen des ausdifferenzierten öffentlichen Schulsystems durch sonderpädagogische Unterstützungsmaßnahmen sicherzustellen ist. Es besteht daher grundsätzlich kein Anspruch auf Übernahme der Kosten für den Besuch einer Privatschule gegen den Jugendhilfeträger. Eine Ausnahme ist jedoch dann geboten, wenn auch unter Einsatz unterstützender Maßnahmen keine Möglichkeit besteht, den konkreten Hilfebedarf des jungen Menschen im Rahmen des öffentlichen Schulsystems zu decken, mithin diesem der Besuch einer öffentlichen Schule aus objektiven oder aus schwerwiegenden subjektiven (persönlichen) Gründen unmöglich bzw. unzumutbar ist (BVerwG, Beschl. v. 17.2.2015 - 5 B 61.14 -, juris Rn. 4; Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 20.1.2017 - 4 ME 277/16 -, n.v.). Die ausführliche Begründung des Verwaltungsgerichts, warum dies vor dem Hintergrund der bei dem Kläger bestehenden schulischen Schwierigkeiten der Fall ist, hat der Beklagte durch seinen Vortrag nicht zu entkräften vermocht. Der - wiederholte - Hinweis auf „Koordination und Schulchoaching“ stellt die konkreten Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht in Frage.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 188 VwGO nicht erhoben.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).