Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 03.07.2013, Az.: 2 ME 228/13

Anspruch auf Zugang zum Masterstudiengang "Lehramt am Gymnasium" bei Vorhandensein eines Bachelorabschlusses "Combined Studies"

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
03.07.2013
Aktenzeichen
2 ME 228/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 41759
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2013:0703.2ME228.13.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Osnabrück - 07.05.2013 - AZ: 1 C 8/13

Amtlicher Leitsatz

Bestätigung der Interessenabwägung im Beschluss des Verwaltungsgerichts Osnabrück vom 7. Mai 2013 - 1 C 8/13 -.

[Gründe]

Die Antragstellerin, die über einen Bachelorabschluss "Combined Studies" der Universität C. verfügt, möchte ihr Studium im Masterstudiengang "Lehramt am Gymnasium" bei der Antragsgegnerin fortsetzen, erfüllt allerdings die Anforderungen der dortigen Zugangsordnung nicht (Bachelorabschluss mit 7 Punkten, Mindestnote von 3,0 in den beiden Hauptfächern sowie im lehramtsbezogenen Professionalisierungsbereich).

Das Verwaltungsgericht hat die Antragsgegnerin infolge von Zweifeln am berufsqualifizierenden Charakter des Bachelorabschlusses mit dem angegriffenen Beschluss, auf den wegen der Einzelheiten verwiesen wird, im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Antragstellerin vorläufig in diesem Masterstudiengang mit den Kernfächern "Deutsch" und "Biologie" im ersten Fachsemester zum Sommersemester 2013 einzuschreiben (Beschl. v. 7.5.2013 - 1 C 8/13 -, [...]).

Die dagegen gerichtete Beschwerde der Antragsgegnerin bleibt ohne Erfolg.

Es ist zunächst nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht den anwaltlich formulierten, an sich auf Zulassung zum Studium gerichteten Antrag als einen (zugangsrechtlichen) Antrag auf vorläufige Einschreibung ausgelegt hat. Die maßgeblichen Grundsätze für die Auslegung eines Klagebegehrens hat das Bundesverwaltungsgericht wie folgt zusammengefasst (Beschl. v. 12.3.2012 - 9 B 7.12 -, DÖD 2012, 190):

"Nach § 88 VwGO darf das Gericht über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden; es hat vielmehr das tatsächliche Rechtschutzbegehren zu ermitteln (Urteil vom 3. Juli 1992 - BVerwG 8 C 72.90 - Buchholz 310 § 88 VwGO Nr. 19 S. 4 f.; Beschlüsse vom 5. Februar 1998 - BVerwG 2 B 56.97 - Buchholz 310 § 88 VwGO Nr. 25 und vom 17. Dezember 2009 - BVerwG 6 B 30.09 - Buchholz 310 § 88 VwGO Nr. 38 Rn. 3). Maßgebend für den Umfang des Klagebegehrens ist das aus dem gesamten Parteivorbringen, insbesondere der Klagebegründung, zu entnehmende wirkliche Rechtsschutzziel (stRspr; Urteil vom 3. Juli 1992 a.a.O.; Beschluss vom 25. Juni 2009 - BVerwG 9 B 20.09 - Buchholz 310 § 88 VwGO Nr. 37 Rn. 2). Insoweit sind die für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätze (§§ 133, 157 BGB) anzuwenden. Wesentlich ist der geäußerte Parteiwille, wie er sich aus der prozessualen Erklärung und sonstigen Umständen ergibt; der Wortlaut der Erklärung tritt hinter deren Sinn und Zweck zurück (Urteil vom 27. April 1990 - BVerwG 8 C 70.88 - Buchholz 310 § 74 VwGO Nr. 9 S. 5; Beschluss vom 19. Juni 2010 - BVerwG 6 B 12.10 - Buchholz 422.2 Rundfunkrecht Nr. 55 Rn. 4). Neben dem Klageantrag und der Klagebegründung ist auch die Interessenlage des Klägers zu berücksichtigen, soweit sie sich aus dem Parteivortrag und sonstigen für das Gericht und den Beklagten als Empfänger der Prozesserklärung erkennbaren Umständen ergibt (vgl. Urteil vom 18. November 1982 - BVerwG 1 C 62.81 - Buchholz 310 § 82 VwGO Nr. 11 S. 5 f.; Beschlüsse vom 17. Dezember 2009 a.a.O. und vom 19. Juni 2010 a.a.O.).

Ist der Kläger bei der Fassung des Klageantrages anwaltlich vertreten worden, kommt der Antragsformulierung allerdings gesteigerte Bedeutung für die Ermittlung des tatsächlich Gewollten zu. Selbst dann darf die Auslegung jedoch vom Antragswortlaut abweichen, wenn die Klagebegründung, die beigefügten Bescheide oder sonstige Umstände eindeutig erkennen lassen, dass das wirkliche Klageziel von der Antragsfassung abweicht."

Das Interesse der Antragstellerin ging hier ersichtlich dahin, das Studium "Lehramt an Gymnasien" aufnehmen zu können. Ob dem zulassungs- oder zugangsrechtliche Hindernisse im Wege standen bzw. wie die aufgeworfenen Hindernisse rechtlich einzuordnen waren, war für sie ohne Belang und wird nach den Erfahrungen des Senats auch bei anwaltlicher Vertretung in vergleichbaren Verfahren unterschiedlich beurteilt. Anhaltspunkte dafür, dass es der Antragstellerin allein auf die Klärung zulassungsrechtlicher Fragen ankam, bestanden danach nicht.

Der Senat sieht auch keinen Anlass, die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Interessenabwägung zu revidieren. Zwar bestehen gegen die im Zusammenhang mit dem Bologna-Prozess geschaffenen Regelungen nach der Senatsrechtsprechung (Beschl. v. 7.6.2010 - 2 NB 375/09 -, NdsVBl. 2010, 296; Beschl. v. 19.2.2013 - 2 NB 5/13 - [...]; vgl. zu dieser Thematik auch Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, Beschl. v. 19.6.2013 - 150/12, 150 A/12 -, [...]) keine grundsätzlichen Bedenken. Die Beschwerdeangriffe entkräften jedoch nicht das Kernargument des Verwaltungsgerichts, dass sich lehramtsbezogene Studiengänge unter bestimmten Umständen trotz äußerer Einkleidung in unterteilte Bachelor- und Masterstudiengänge möglicherweise der Sache nach im Lichte von Art. 12 Abs. 1 GG immer noch als ein durchgängiges Erststudium darstellen.

Angesichts des subjektiv-rechtlichen Ansatzes des genannten Grundrechts hat das Verwaltungsgericht für die Frage, ob der durchlaufene Bachelorstudiengang zu einem berufsqualifizierenden Abschluss geführt hat, zutreffend auf das Berufsziel der Antragstellerin abgestellt, hier also den Beruf als Gymnasiallehrerin. Dagegen kommt es nicht darauf an, dass der Studiengang "Combined Studies" an der Universität C. objektiv eine Vielzahl beruflicher Möglichkeiten eröffnet. Art. 12 Abs. 1 GG verheißt dem erfolgreich Studierenden nicht nur irgendwelche berufliche Aussichten, sondern schützt ihn bei der Verfolgung des von ihm selbst gewählten Berufsziels. Will er Lehrer werden, reduziert sich die Fragestellung deshalb dahin, ob das abgeschlossene - und jedenfalls auch auf den Lehrerberuf vorbereitende - Bachelorstudium gerade für die Lehrertätigkeit berufsqualifizierend ist. Es kommt mithin nicht darauf an, dass das hier gewählte Bachelorstudium kein "reiner Lehramtsstudiengang" war; zum Nachteil würde es der Antragstellerin allenfalls gereichen, wenn die Verfolgung des Berufsziels "Lehrer" in diesem Studiengang atypisch wäre. Letzteres ist jedoch nicht dargetan. Ebensowenig ist dargetan, dass der Arbeitsmarkt gerade für eine Lehrertätigkeit Angebote für Absolventen des Studienganges "Combined Studies" bereithält.

Vor diesem Hintergrund ist zweifelhaft, ob für die hier in Rede stehende Konstellation die vom Gesetzgeber an sich gewollte Differenzierung zwischen Bachelor- und Masterstudium als Erst- und Zweitstudium Platz greifen kann. Fehlt es dem Bachelorabschluss für das Berufsziel Lehrer am Merkmal der Berufsqualifizierung, stellt sich die Kombination von Bachelor- und Masterstudium hier möglicherweise insgesamt als Erststudium dar. Unter diesen Umständen fehlte es an einer Rechtfertigung für Zugangsbeschränkungen.

Soweit die Antragsgegnerin rügt, das Verwaltungsgericht habe in seiner Interessenabwägung die weitreichenden Folgen verkannt, welche die einstweilige Anordnung für sie haben werde, ist richtig, dass das Verwaltungsgericht als Nachteil für die Antragsgegnerin nur angesehen hat, dass diese eine von ihr nicht für "besonders geeignet" gehaltene Studierende ausbilden müsse, die jedoch keinem anderen Bewerber einen Studienplatz wegnehme. Für sich genommen hat es diesen Nachteil zu Recht als geringfügig bewertet. Demgegenüber ist die Sorge der Antragsgegnerin, dass dieser Einzelfall wegen seiner Vorbildwirkung zu einer Vielzahl von Nachahmern führen und damit die fraglichen Studiengänge in den kommenden Semestern erheblich belasten werde, nicht von der Hand zu weisen. Solche potentiellen Nachteile sind dem Rechtsschutzsystem jedoch immanent. Sie träfen die Antragsgegnerin auch dann, wenn das Verwaltungsgericht im Hauptsacheverfahren zugunsten der Antragstellerin entschiede, weil auch in diesem Fall die Rechtslage eventuell für längere Zeiträume bis zu einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht abschließend geklärt wäre.

Den angesprochenen Nachteilen sind indes ihrerseits Grenzen dadurch gesetzt, dass die fraglichen "Nachahmer" in kommenden Semestern ihrerseits jeweils um gerichtlichen Rechtsschutz nachzusuchen hätten und dass das Verwaltungsgericht bei seiner sodann zu treffenden Interessenabwägung (eventuell eine Klärung der Sach- und Rechtslage durch eine Hauptsachenentscheidung im vorliegenden Verfahren, jedenfalls aber) andere tatsächliche Voraussetzungen als jetzt in Rechnung zu stellen hätte. Würden - wenn auch nicht festgesetzte, so doch faktisch begrenzte - Studienkapazitäten durch einen ungewöhnlichen "Ansturm" auf bestimmte Studiengänge überbeansprucht, wäre das Verwaltungsgericht bei seiner Interessenabwägung nicht ohne Weiteres gehalten, zugunsten aller zusätzlichen Bewerber eine einstweilige Anordnung auszusprechen, sondern könnte sich auf eine begrenzte Anzahl von Fällen beschränken.

Auch wenn das Verwaltungsgericht dabei von der Nichtanwendbarkeit der Mindestanforderungen der Zugangsordnung überzeugt sein sollte, schlösse dies eine Berücksichtigung bisheriger Studienleistungen der Bewerber im Rahmen der Interessenabwägung möglicherweise nicht aus, denn je geringer die Erfolgschancen eines Bewerbers für das Masterstudium sind, desto leichter können seine Interessen an der Aufnahme dieses Studiums in dieser Abwägung zurückgestellt werden.