Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 28.03.2014, Az.: 8 LA 192/13
Anspruch eines albanischen Staatsangehörigen auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 28.03.2014
- Aktenzeichen
- 8 LA 192/13
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2014, 14559
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2014:0328.8LA192.13.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Hannover - 27.11.2013 - AZ: 12 A 4019/12
Rechtsgrundlagen
- Art. 6 Abs. 1 GG
- Art. 8 EMRK
- § 25 Abs. 5 S. 1 AufenthG
Tenor:
Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichterin der 12. Kammer - vom 27. November 2013 wird abgelehnt.
Die Kläger tragen die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.
Der Streitwert des Berufungszulassungsverfahrens wird auf 10.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Kläger begehren die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen aus humanitären Gründen.
Der 1968 geborene Kläger und die 1973 geborene Klägerin reisten 2001 mit ihrem gemeinsamen 1993 geborenen Sohn in das Bundesgebiet ein. Die Kläger legten der beklagten Ausländerbehörde auf die Namen C. und D. ausgestellte griechische Nationalpässe vor. Hierauf wurden ihnen zunächst bis 2006 gültige Aufenthaltserlaubnisse für Angehörige eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union erteilt und daran anschließend Bescheinigungen des Daueraufenthalts für Unionsbürger ausgestellt.
Mit Schreiben vom 15. Dezember 2010 teilten die Kläger der Beklagten mit, dass die Angaben zu ihrer Identität falsch gewesen seien. Sie seien tatsächlich albanische Staatsangehörige und hätten vor ihrer Einreise in das Bundesgebiet fünf Jahre in Griechenland gelebt und gearbeitet. Sie legten albanische Personenstandszeugnisse und ein albanisches Familienbuch vor und beantragten die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen aus humanitären Gründen. Sie machten geltend, ihr lange zurückliegendes Fehlverhalten dürfe ihnen nicht mehr vorgeworfen werden. Sie hätten während ihres Aufenthalts im Bundesgebiet durchweg gearbeitet, befänden sich in ungekündigten Arbeitsverhältnissen und seien auch sonst in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 16. Mai 2012 den Antrag auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen aus humanitären Gründen ab und drohte den Klägern die Abschiebung nach Albanien an.
Die hiergegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 27. November 2013 abgewiesen. Die Ausreise der Kläger sei auch unter Berücksichtigung der sich aus Art. 8 EMRK ergebenden Schutzwirkungen nicht rechtlich unmöglich. Eine den Schutz des Privatlebens nach dieser Bestimmung auslösende soziale Beziehung setze grundsätzlich einen rechtmäßigen Aufenthalt und ein dadurch begründetes schutzwürdiges Vertrauen in den Fortbestand des Aufenthalts voraus. Daran fehle es hier, da sich die Kläger zu keiner Zeit rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hätten. Ein schutzwürdiges Vertrauen könne auch deshalb nicht entstanden sein, weil die Kläger ihren Aufenthalt allein aufgrund der Täuschung über ihre Identität erlangt hätten. Davon unabhängig sei auch eine faktische Verwurzelung der Kläger im Bundesgebiet zu verneinen.
Die Kläger beantragen die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Die von den Klägern geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (1.) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (2.) liegen nicht vor.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind zu bejahen, wenn der Rechtsmittelführer einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 8.12.2009 - 2 BvR 758/07 -, BVerfGE 125, 104, 140). Die Richtigkeitszweifel müssen sich dabei auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.3.2004 - BVerwG 7 AV 4.03 -, NVwZ-RR 2004, 542, 543). Eine den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügende Darlegung dieses Zulassungsgrundes erfordert, dass im Einzelnen unter konkreter Auseinandersetzung mit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ausgeführt wird, dass und warum Zweifel an der Richtigkeit der Auffassung des erkennenden Verwaltungsgerichts bestehen sollen. Hierzu bedarf es regelmäßig qualifizierter, ins Einzelne gehender, fallbezogener und aus sich heraus verständlicher Ausführungen, die sich mit der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage einer eigenständigen Sichtung und Durchdringung des Prozessstoffes auseinandersetzen (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 3.4.2013 - 13 LA 34/13 -, [...] Rn. 2; Beschl. v. 24.3.2009 - 10 LA 377/08 -, [...] Rn. 2; Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: September 2004, § 124a Rn. 100).
Die Kläger wenden gegen die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung ein, das Verwaltungsgericht habe den Schutz des Privatlebens nach Art. 8 EMRK zu Unrecht mit der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts verknüpft. Nach dieser Auffassung wäre der durch unwahre Angaben erschlichene Aufenthalt selbst nach jahrzehntelanger Dauer und bei guter Integration in die Lebensverhältnisse des Aufenthaltsstaates nicht schutzwürdig. Dies stehe im Widerspruch zu der Rechtsprechung zur Rücknahme von rechtswidrigen Einbürgerungen, die den Gesetzgeber zur Neuregelung des § 35 des Staatsangehörigkeitsgesetzes veranlasst habe. Hiernach dürften rechtswidrige Einbürgerungen nur innerhalb von fünf Jahren nach ihrer Bekanntgabe zurückgenommen werden. Diese Frist gelte auch bei einer Täuschung über die Nationalität oder Identität. Diese Wertungsmaßstäbe seien auf das Aufenthaltsrecht, insbesondere den Schutz des Privatlebens nach Art. 8 EMRK zu übertragen. Dies gebiete auch der demographische Hintergrund. Deutschland benötige den Zuzug von Ausländern, die als Einzahler in die Sozialsysteme in Erscheinung träten. Die erzwungene Ausreise nach freiwilliger Aufdeckung der wahren Identität entfalte auch eine unerwünschte generalpräventive Wirkung; Ausländer würden von der freiwilligen Offenbarung ihrer wahren Identität abgehalten. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass ihr Sohn zwischenzeitlich über einen Aufenthaltstitel verfüge und die Schutzwirkungen des Art. 6 GG nicht mit dessen Volljährigkeit endeten.
Nach dem eingangs dargestellten Maßstab setzen diese Einwände die erstinstanzliche Entscheidung ernstlichen Richtigkeitszweifeln nicht aus. Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zutreffend festgestellt, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG nicht erfüllt sind. Nach dieser Bestimmung kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von § 11 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Eine rechtliche Unmöglichkeit in diesem Sinne kann sich etwa aus inlandsbezogenen Abschiebungsverboten ergeben, zu denen auch diejenigen Verbote zählen, die aus Verfassungsrecht, hier aus Art. 6 GG, oder aus Völkervertragsrecht, hier aus Art. 8 EMRK, in Bezug auf das Inland herzuleiten sind. Die Voraussetzungen der inlandsbezogenen Abschiebungsverbote nach diesen Bestimmungen erfüllen die Kläger nicht.
Nach Art. 6 Abs. 1 GG schutzwürdige Belange können einer (zwangsweisen) Beendigung des Aufenthalts des Ausländers dann entgegen stehen, wenn es dem Ausländer nicht zuzumuten ist, seine familiären Bindungen durch eine Ausreise zu unterbrechen (vgl. BVerwG, Urt. v. 4.6.1997 - BVerwG 1 C 9.95 -, BVerwGE 105, 35, 39 f.; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 20.5.2009 - 11 ME 110/09 -, [...] Rn. 10 m.w.N.). Der Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG umfasst die Freiheit der Eheschließung und Familiengründung sowie das Recht auf ein eheliches und familiäres Zusammenleben (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.5.1987 - 2 BvR 1226/83 u.a. -, BVerfGE 76, 1, 42). Er knüpft dabei nicht an bloße formal-rechtliche familiäre Bindungen an. Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern, mithin eine tatsächlich bestehende familiäre Lebensgemeinschaft (vgl. Senatsbeschl. v. 27.7.2009 - 8 PA 106/09 -). In den so beschriebenen Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG fallen zwar auch die Beziehungen zwischen volljährigen Familienmitgliedern. Diesen kommt im Verhältnis zu den widerstreitenden einwanderungspolitischen Belangen aber in der Regel nur ein geringeres Gewicht zu. Allenfalls dann, wenn beispielsweise ein erwachsenes Familienmitglied zwingend auf die Lebenshilfe eines anderen Familienmitglieds angewiesen ist und diese Hilfe sich nur in der Bundesrepublik Deutschland erbringen lässt, kann dies einwanderungspolitische Belange zurückdrängen (vgl. Senatsbeschl. v. 30.6.2010 - 8 ME 133/10 -, [...] Rn. 33 m.w.N.). Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger und ihr zwanzigjähriger Sohn, der derzeit über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG verfügt, zwingend auf die Lebenshilfe des jeweils anderen angewiesen sind und eine solche Lebenshilfe nur im Bundesgebiet erbracht werden kann, ergeben sich aus dem Zulassungsvorbringen indes nicht.
Im Hinblick auf den Schutz des Familienlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK verweist der Senat auf die vorstehenden Ausführungen im Zusammenhang mit dem Schutzgebot aus Art. 6 Abs. 1 GG. Art. 8 EMRK kann dort, wo sein Anwendungsbereich sich mit dem des Art. 6 Abs. 1 GG deckt, keine weitergehenden als die durch Art. 6 Abs. 1 GG vermittelten Schutzwirkungen entfalten. Das ist unter anderem für das Verhältnis der Eltern zu ihren Kindern der Fall; diese Beziehungen werden vom Schutzbereich beider Vorschriften umfasst (vgl. BVerwG, Urt. v. 9.12.1997 - BVerwG 1 C 20.97 -, NVwZ 1998, 748, 750).
Im Hinblick auf den Schutz des Privatlebens kommt einer aufenthaltsrechtlichen Entscheidung eine Eingriffsqualität in Bezug auf Art. 8 Abs. 1 EMRK nur dann zu, wenn der Ausländer ein Privatleben, das durch persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen charakterisiert ist, faktisch nur noch im Aufenthaltsstaat als Vertragsstaat der EMRK führen kann (vgl. Senatsbeschl. v. 27.1.2010 - 8 ME 2/10 -, [...] Rn. 11; Meyer-Ladewig, EMRK, 2. Aufl., Art. 8 Rn. 25a m.w.N.). Schutzwürdig können aber nur solche Bindungen sein, die während Zeiten einer den Aufenthalt des Ausländers im Aufenthaltsstaat gestattenden behördlichen Entscheidung entstanden sind, die zugleich ein berechtigtes Vertrauen des Ausländers in den Fortbestand seines Aufenthalts begründet hat (vgl. EGMR 4. Sektion, Urt. v. 8.4.2008 - 21878/06 -, zitiert nach Human Rights Documentation - HUDOC - (Nnyanzi ./. Vereinigtes Königreich); EGMR 3. Sektion, Urt. v. 11.4.2006 - 61292/00 -, zitiert nach HUDOC (Useinov ./. Niederlande); EGMR 3. Sektion, Urt. v. 7.10.2004 - 33743/03 -, NVwZ 2005, 1043, 1045 (Dragan u.a. ./. Deutschland); EGMR 1. Sektion, Urt. v. 5.9.2000 - 44328/98 -, zitiert nach HUDOC (Solomon ./. Niederlande); BVerwG, Urt. v. 30.4.2009 - BVerwG 1 C 3.08 -, InfAuslR 2009, 333, 335; Senatsbeschl. v. 29.3.2011 - 8 LB 121/08 -, [...] Rn. 52 f. mit eingehender Begründung und weiteren Nachweisen; Fritzsch, Die Grenzen des völkerrechtlichen Schutzes sozialer Bindungen von Ausländern nach Art. 8 EMRK, in: ZAR 2010, 14, 20 f.). Erst wenn die so begründete und deshalb berechtigte Erwartung in einen fortbestehenden rechtmäßigen Aufenthalt durch eine weitere staatliche Entscheidung enttäuscht wird, kann eine Verletzung von Art. 8 EMRK vorliegen. Ein Ausländer, der, ohne den geltenden Gesetzen zu entsprechen, die Behörden des Aufnahmestaats mit seiner Anwesenheit in diesem Staat konfrontiert, kann aber im Allgemeinen nicht erwarten, dass ihm konventionsrechtlich ein Anspruch auf ein Aufenthaltsrecht erwächst (vgl. EGMR 2. Sektion, Urt. v. 31.1.2006 - 50435/99 -, EuGRZ 2006, 562, 564 (da Silva und Hoogkamer ./. Niederlande).
Hiernach erweisen sich die von den Klägern behaupteten tatsächlichen Bindungen an das Bundesgebiet von vorneherein als nicht schutzwürdig.
Die Kläger verfügten zwar in der Zeit vom 30. Juli 2001 bis zum 29. Juli 2006 (Blatt 15 der Beiakte A und Blatt 15 der Beiakte B) über Aufenthaltserlaubnisse für Angehörige eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union nach dem seiner Zeit geltenden Gesetz über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft - AufenthG/EWG -. Diese Aufenthaltserlaubnisse sind auch nicht aufgehoben worden. Sie waren, da den Klägern die nach § 1 Abs. 1 AufenthG/EWG zwingend erforderliche Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft fehlte, aber offensichtlich rechtswidrig und konnten den Klägern, die aufgrund der Identitätstäuschung diesen Umstand kannten, ein Vertrauen in den Fortbestand ihres Aufenthalts im Bundesgebiet nicht vermitteln. Seit dem 30. Juli 2006 verfügen die Kläger über keinen Aufenthaltstitel mehr. Die ihnen ausgestellten Bescheinigungen des Daueraufenthaltsrechts für Unionsbürger nach § 5 Abs. 6 Satz 1 FreizügG/EU in der bis zum 28. Januar 2013 bzw. § 5 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU in der ab dem 29. Januar 2013 geltenden Fassung (BGBl. I S. 86) stellen einen solchen Aufenthaltstitel nicht dar, sondern setzten das Bestehen eines Aufenthaltsrechts voraus (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.3.2013 - BVerwG 1 C 12.12 -, BVerwGE 146, 117, 131; GK-FreizügG/EU, Stand: Oktober 2010, § 5 Rn. 12 und 73). An einem solchen Recht, dies ist den Klägern bewusst, fehlt es hier. Auch die Bescheinigungen des Daueraufenthaltsrechts für Unionsbürger können daher ein Vertrauen der Kläger in den Fortbestand ihres Aufenthalts im Bundesgebiet nicht begründen.
Aufgrund der danach fehlenden schutzwürdigen tatsächlichen Bindungen an das Bundesgebiet kommt einer aufenthaltsrechtlichen Entscheidung eine Eingriffsqualität in Bezug auf Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht zu. Im Übrigen ist der mit einer Aufenthaltsbeendigung verbundene Eingriff in das nach Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Privatleben auch nach den Vorgaben des Art. 8 Abs. 2 EMRK verhältnismäßig.
Ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens und die davon umfassten persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind und denen angesichts der zentralen Bedeutung dieser Bindungen für die Entfaltung der Persönlichkeit eines Menschen bei fortschreitender Dauer des Aufenthalts wachsende Bedeutung zukommt, ist nach Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt, wenn er eine in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Maßnahme darstellt, die durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und mit Blick auf das verfolgte legitime Ziel auch im engeren Sinne verhältnismäßig ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.2.2011 - 2 BvR 1392/10 -, NVwZ-RR 2011, 420, 421). Dies schließt es nicht aus, zur Herleitung eines Aufenthaltsrechts aus Art. 8 EMRK ein durch persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen charakterisiertes Privatleben zu fordern, das nur noch im Bundesgebiet geführt werden kann, und hierbei einerseits auf die Integration des Ausländers in Deutschland, andererseits die Möglichkeit zur Reintegration im Staat der Staatsangehörigkeit abzustellen (vgl. hierzu Senatsurt. v. 19.3.2012 - 8 LB 5/11 -, [...] Rn. 43 m.w.N.). Die bei dieser Prüfung ermittelten konkreten individuellen Lebensverhältnisse und auch Lebensperspektiven des Ausländers sind schließlich aber im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung nach den Maßgaben des Art. 8 Abs. 2 EMRK in eine gewichtende Gesamtbewertung einzustellen und mit den Gründen, die für eine Aufenthaltsbeendigung sprechen, abzuwägen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.2.2011, a.a.O.; BVerwG, Beschl. v. 7.5.2013 - BVerwG 1 B 6.13 -, [...] Rn. 3; OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 15.3.2012 - 7 A 11417/11 -, [...] Rn. 29 und 34 f.; OVG Bremen, Urt. v. 28.6.2011 - 1 A 141/11 -, NordÖR 2011, 440, 441).
Diese Abwägung fällt zu Lasten der Kläger aus. Das öffentliche Interesse an einer Beendigung ihres Aufenthalts überwiegt das private Interesse an der Aufrechterhaltung ihrer privaten, familiären und wirtschaftlichen Bindungen im Bundesgebiet. Die Kläger sind zwar in Ansätzen in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert. Sie leben seit nunmehr zwölf Jahren im Bundesgebiet, sprechen offenbar die deutsche Sprache, verfügen über einen festen Wohnsitz und gehen einer Erwerbstätigkeit nach. Das hier erzielte Erwerbseinkommen genügte indes nicht, um den Lebensunterhalt vollständig zu sichern. Die Kläger haben nach Mitteilung des Jobcenters der Region Hannover vom 4. Juli 2012 (Blatt 119 der Beiakte A) in der Zeit vom 19. September 2005 bis zum 31. Juli 2011 Leistungen nach dem SGB II bezogen. Die Leistungen wurden aufgrund eines Verzichts der Kläger eingestellt. Anhaltspunkte für eine weitergehende soziale Eingebundenheit in die hiesigen Lebensverhältnisse bestehen nicht. Die Kläger haben ihre grundlegende Sozialisation in Albanien erlangt, wo sie bis zur Vollendung des 28. bzw. des 23. Lebensjahrs gelebt haben. Ihnen ist daher auch eine Reintegration in die Lebensverhältnisse in Albanien und damit das Führen eines Privatlebens dort ohne Weiteres möglich und auch zumutbar (vgl. zur Maßgeblichkeit dieser beiden Aspekte: EGMR, Urt. v. 5.7.2005 - 46410/99 -, InfAuslR 2005, 450 f. (Üner ./. Niederlande); Senatsbeschl. v. 12.3.2013 - 8 LA 13/13 -, [...] Rn. 18; v. 14.6.2011 - 8 ME 325/10 -, [...] Rn. 35). Das schon danach nur gering zu gewichtende private Interesse an der Fortdauer des Aufenthalts im Bundesgebiet wird aufgewogen durch die fast zehn Jahre währende Täuschung über die wahre Identität der Kläger, die wenn nicht allein, dann jedenfalls maßgeblich den Aufenthalt im Bundesgebiet und das Entstehen von Bindungen überhaupt ermöglicht hat. Derart entstandenen Bindungen ein das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung überwiegendes Gewicht beizumessen, hieße die Missachtung aufenthaltsrechtlicher Bestimmungen zu prämieren und Anreize zur Rechtsverletzung zu geben.
Anlass, dieses Ergebnis zu revidieren, bietet schließlich auch der Hinweis des Klägers auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zur Rücknahme von Einbürgerungen und auf die Bestimmung in § 35 des Staatsangehörigkeitsgesetzes nicht.
Das Bundesverfassungsgericht stellte in seinem Urteil vom 24. Mai 2006 (- 2 BvR 669/04 -, BVerfGE 116, 24 f.) fest, dass die Rücknahme einer erschlichenen Einbürgerung durch Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG nicht grundsätzlich ausgeschlossen sei. Wenn demjenigen, der durch Täuschung oder vergleichbares Fehlverhalten eine rechtswidrige Einbürgerung erwirkt habe, die missbräuchlich erworbene Rechtsposition nicht belassen werde, beeinträchtige dies weder ein berechtigtes Vertrauen des Betroffenen noch könne das Vertrauen Anderer, die sich im Verfahren ihrer Einbürgerung solche Missbräuche nicht haben zuschulden kommen lassen, beschädigt werden (vgl. BVerfG, Urt. v. 24.5.2006, a.a.O., S. 36 f.). Auch der in Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG verankerte Schutz vor Staatenlosigkeit stehe einer Rücknahme der Einbürgerung nicht entgegen (vgl. BVerfG, Urt. v. 24.5.2006, a.a.O., S. 45 f.). Die allgemeine verwaltungsverfahrensrechtliche Ermächtigungsgrundlage für die Rücknahme von Verwaltungsakten sei aber nur für den Fall der zeitnahen Rücknahme einer Einbürgerung, über deren Voraussetzungen der Eingebürgerte selbst getäuscht habe, ausreichend (vgl. BVerfG, Urt. v. 24.5.2006, a.a.O., S. 52 f. und die insoweit abweichenden Sondervoten auf S. 60 f.). In anderen Fallkonstellationen, in denen wesentliche Fragen der sachlichen und zeitlichen Reichweite der Rücknehmbarkeit von Einbürgerungen durch die allgemeine verwaltungsverfahrensverfahrensrechtliche Ermächtigungsgrundlage nicht grundrechtsspezifisch und konkret gelöst würden, bedürfe es einer spezialgesetzlichen Entscheidung des Gesetzgebers (vgl. BVerfG, Urt. v. 24.5.2006, a.a.O., S. 58 f.). Dem folgend führte das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 14. Februar 2008 (- BVerwG 5 C 4.07 -, BVerwGE 130, 209, 210 f.) aus, dass es für die Rücknahme einer erschlichenen Einbürgerung achteinhalb Jahre danach an einer erforderlichen hinreichend bestimmten und vorhersehbaren Ermächtigungsgrundlage fehle. Veranlasst durch diese Rechtsprechung (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes, BT-Drs. 16/10528, S. 7) fügte der Bundesgesetzgeber mit Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 5. Februar 2009 (BGBl. I S. 158) einen § 35 neu in das Staatsangehörigkeitsgesetz - StAG - ein. Danach kann eine rechtswidrige Einbürgerung oder eine rechtswidrige Genehmigung zur Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit mit Wirkung für die Vergangenheit (§ 35 Abs. 4 StAG) nur bis zum Ablauf von fünf Jahren nach der Bekanntgabe der Einbürgerung oder Beibehaltungsgenehmigung (§ 35 Abs. 3 StAG) zurückgenommen werden, wenn der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für seinen Erlass gewesen sind, erwirkt worden ist (§ 35 Abs. 1 StAG), ohne dass der Rücknahme in der Regel entgegen steht, dass der Betroffene dadurch staatenlos wird (§ 35 Abs. 2 StAG).
Die in dieser gesetzlichen Regelung und der ihr vorausgegangenen bundesgerichtlichen Rechtsprechung zum Ausdruck kommenden Wertungen sind für die hier relevante Frage, unter welchen Voraussetzungen Bindungen an den Aufenthaltsstaat den Schutzanspruch des Art. 8 EMRK auslösen können, ohne Belang. Maßgeblicher Ansatzpunkt der dargestellten bundesgerichtlichen Rechtsprechung und der Regelung des § 35 StAG ist das sich aus Art. 16 Abs. 1 GG ergebende Freiheitsrecht (vgl. BVerfG, Urt. v. 18.7.2005 - 2 BvR 2236/04 -, BVerfGE 113, 273, 293). Dessen Schutzbereich ist indes nur tangiert, wenn staatliches Handeln zu einer Beeinträchtigung der deutschen Staatsangehörigkeit im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG führt (vgl. BVerfG, Urt. v. 24.5.2006, a.a.O., S. 44 f.). Die Entscheidung über die Gewährung eines Aufenthaltsrechts an einen Ausländer, wie sie hier streitgegenständlich ist, tangiert den Schutzbereich des Art. 16 Abs. 1 GG offensichtlich nicht. Sie muss daher auch den dargestellten Anforderungen an die Rechtfertigung von Eingriffen in dieses Freiheitsrecht nicht genügen. Auch die rein tatsächlichen Interessenlagen der Betroffenen weichen deutlich voneinander ab. Während der nach einer Einbürgerung deutsche Staatsangehörige sich gegen den Verlust seiner Zugehörigkeit zum Bundesvolk wehrt, begehrt der Ausländer die Einräumung eines Rechts zum bloßen Aufenthalt im Bundesgebiet.
2. Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Eine solche grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine höchstrichterlich noch nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine obergerichtlich bislang ungeklärte Tatsachenfrage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die sich im Rechtsmittelverfahren stellen würde und im Interesse der Einheit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung durch das Berufungsgericht bedarf (vgl. Senatsbeschl. v. 11.7.2013 - 8 LA 148/12 -, [...] Rn. 30; Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: September 2004, § 124 Rn. 30 f. m.w.N.). Um die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO darzulegen, hat der Zulassungsantragsteller die für fallübergreifend gehaltene Frage zu formulieren sowie näher zu begründen, weshalb sie eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat und ein allgemeines Interesse an ihrer Klärung besteht. Darzustellen ist weiter, dass sie entscheidungserheblich ist und ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten steht (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 17.2.2010 - 5 LA 342/08 -, [...] Rn. 12; Schoch/Schneider/Bier, a.a.O., § 124a Rn. 103 f.).
Hieran gemessen kommt der von den Klägern aufgeworfenen Frage,
ob die Wertungsmaßstäbe des Gesetzesgebers aus dem Staatsangehörigkeitsrecht nicht ebenfalls für aufenthaltsrechtliche Belange im Rahmen des § 25 Abs. 5 AufenthG und Art. 8 EMRK heranzuziehen sind,
eine die Zulassung der Berufung erfordernde grundsätzliche Bedeutung nicht zu. Die Frage ist, wie zu 1. ausgeführt, unschwer anhand des Gesetzes und juristischer Auslegungsmethoden verneinend zu beantworten und daher nicht klärungsbedürftig im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (vgl. zur mangelnden Klärungsbedürftigkeit in einem solchen Fall: Senatsbeschl. v. 6.2.2013 - 8 LA 136/12 -, [...] Rn. 15 m.w.N.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, 52 Abs. 1, 39 Abs. 1 GKG und Nr. 8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).