Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 08.07.2013, Az.: 5 LA 106/13
Pflicht des Dienstherrn zur Gewährung ergänzender Beihilfeleistungen bei Kürzung der Versorgungsbezüge des Beamten aufgrund eines Versorgungsausgleichs
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 08.07.2013
- Aktenzeichen
- 5 LA 106/13
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2013, 40367
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2013:0708.5LA106.13.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Stade - 12.12.2012 - AZ: 3 A 508/11
Rechtsgrundlagen
- § 45 BeamtStG
- § 57 BeamtVG
Fundstellen
- DRiZ 2014, 266-267
- DÖD 2013, 301-303
- NVwZ-RR 2013, 1011-1012
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Eine Pflicht des Dienstherrn, zur Sicherstellung des amtsangemessenen Lebensunterhalts in außergewöhnlichen Lebenslagen ergänzende Beihilfeleistungen zu gewähren (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.1.2012 - BVerwG 2 C 24.10 -, [...] Rn. 15), besteht dann nicht, wenn der Grund für den ungedeckten Bedarf in der Sphäre des Beamten selbst liegt.
- 2.
Ein solcher Fall liegt insbesondere dann vor, wenn die Versorgungsbezüge des Beamten aufgrund eines Versorgungsausgleichs gemäß § 57 BeamtVG gekürzt werden und der Kürzungsbetrag den ungedeckten Bedarf übersteigt.
[Gründe]
I.
Der Kläger begehrt weitere Beihilfeleistungen zu den Kosten der Heimunterbringung.
Der im Jahr 19 geborene Kläger ist Ruhestandsbeamter der Beklagten. Unter anderem bedingt durch eine Demenzerkrankung lebt er seit dem Jahr 20 in einem Pflegeheim. Für die Heimunterbringung fallen monatliche Kosten in Höhe von rund 2.350,- EUR an. Hinzu kommen Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von rund 250,- EUR sowie Aufwendungen für Medikamente, persönliche Dienstleistungen und alltägliche Bedürfnisse in Höhe von rund 200,- EUR im Monat. Dem stehen Gesamteinkünfte in Höhe von rund 1.550,- EUR gegenüber; die in den Einkünften enthaltenen Versorgungsbezüge des Klägers sind aufgrund eines Versorgungsausgleichs zugunsten seiner geschiedenen Ehefrau um rund 180,- EUR gekürzt. Weiter erhält der Kläger Leistungen der Pflegeversicherung sowie der Beihilfe in Höhe von rund 1.100,- EUR. Insgesamt ergibt sich ein Fehlbetrag in Höhe von rund 150,- EUR pro Monat, den die Tochter des Klägers aus eigenen Mitteln ausgleicht.
Im Februar 20 beantragte der Kläger ergänzende Beihilfeleistungen zu den Kosten der Heimunterbringung. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 17. Februar 20 und Widerspruchsbescheid vom 15. März 20 unter Hinweis auf die gesetzlichen Regelungen ab.
Das Verwaltungsgericht Stade hat die maßgeblich auf die beamtenrechtliche Fürsorgepflicht gestützte Klage mit Urteil vom 12. Dezember 2012 abgewiesen. Zur Begründung hat das Gericht im Wesentlichen ausgeführt, dass das einfache Recht keine weiteren Beihilfeleistungen zu den Kosten der Heimunterbringung vorsehe. Ein derartiger Anspruch folge auch nicht aus der Fürsorgepflicht. Der Fehlbetrag resultiere im Fall des Klägers allein daraus, dass seine Versorgungsbezüge aufgrund eines Versorgungsausgleichs zugunsten seiner geschiedenen Ehefrau gekürzt würden. Dieser Umstand sei der Privatsphäre des Beamten zuzurechnen und könne nicht zu Belastungen des Dienstherrn führen. Dem tritt der Kläger mit seinem Zulassungsantrag entgegen.
II.
Der Zulassungsantrag bleibt ohne Erfolg.
Die Voraussetzungen des geltend gemachten Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sind nicht erfüllt.
Ernstliche Zweifel sind erst dann zu bejahen, wenn bei der Überprüfung im Zulassungsverfahren, also aufgrund der Begründung des Zulassungsantrages und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts, gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zu Tage treten, aus denen sich ergibt, dass ein Erfolg der erstrebten Berufung mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg. Das ist der Fall, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird. Die Richtigkeitszweifel müssen sich auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zur Änderung der angefochtenen Entscheidung führt (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 25.4.2008 - 5 LA 154/07 -).
Nach diesen Maßgaben ist es dem Kläger nicht gelungen, das Urteil des Verwaltungsgerichts ernstlich in Zweifel zu ziehen. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr zu Recht und mit zutreffender Begründung entschieden, dass der Kläger keine weiteren Beihilfeleistungen zu den Kosten der Heimunterbringung beanspruchen kann.
Da - wie die Beklagte und das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt haben - das Beihilferecht im Fall des Klägers keinen Anspruch auf weitere Beihilfeleistungen zu den Kosten der Heimunterbringung vorsieht, kommt als Anspruchsgrundlage allein die in Art. 33 Abs. 5 GG verankerte Pflicht des Dienstherrn zur Sicherstellung des amtsangemessenen Lebensunterhalts in Betracht. Diese Pflicht erstreckt sich auch auf Lebenslagen, die einen erhöhten Bedarf begründen. Die verfassungsrechtliche Alimentationspflicht gebietet dem Dienstherrn, Vorkehrungen zu treffen, dass die notwendigen und angemessenen Maßnahmen im Falle von Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Geburt und Tod nicht aus wirtschaftlichen Gründen unterbleiben, weil sie der Beamte mit der Regelalimentation nicht bewältigen kann, oder dass der amtsangemessene Lebensunterhalt wegen der finanziellen Belastungen in diesen Ausnahmesituationen nicht gefährdet wird. In solchen Lebenslagen gebietet auch die verfassungsrechtlich in Art. 33 Abs. 5 GG wurzelnde und einfachrechtlich in § 45 BeamtStG statuierte Fürsorgepflicht, dass Beamte nicht mit erheblichen Aufwendungen belastet bleiben, die sie durch zumutbare Eigenvorsorge nicht absichern können (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.3.2008 - BVerwG 2 C 49.07 -, [...] Rn. 20; Urteil vom 24.1.2012 - BVerwG 2 C 24.10 -, [...] Rn. 15).
Der Alimentationsanspruch eines Beamten erstreckt sich daher auf eine ergänzende Erstattung der beihilferechtlich notwendigen und angemessenen Pflegekosten, die bei einer stationären Unterbringung in einem Pflegeheim anfallen, wenn die Regelalimentation des Beamten nach Abzug der Pflegekosten nicht mehr ausreicht, um den amtsangemessenen Lebensunterhalt zu bestreiten. Dies gilt allerdings nicht uneingeschränkt. Art. 33 Abs. 5 GG und § 45 BeamtStG fordern keine weitere Alimentation, wenn die Ursache dafür, dass der amtsangemessene Lebensunterhalt nicht gewährleistet ist, in der Sphäre des Beamten selbst liegt. Das ist beispielsweise der Fall, wenn es der Beamte unterlassen hat, für den Fall der Pflegebedürftigkeit eine zumutbare Eigenvorsorge zu betreiben. Ein solcher Fall liegt aber auch dann vor, wenn die Regelalimentation aus Gründen, die nicht den Dienstherrn, sondern den Beamten selbst betreffen, gekürzt zur Auszahlung gelangt und darin die Ursache für den ungedeckten Bedarf liegt. Auch in einem solchen Fall verpflichten weder das Alimentationsprinzip noch die Fürsorgepflicht den Dienstherrn zur Gewährung ergänzender Leistungen.
Dies vorausgeschickt hat der Kläger keinen Anspruch auf weitere Beihilfeleistungen zu den Kosten seiner Heimunterbringung. Der Grund dafür, dass seine Alimentation den Bedarf für einen amtsangemessenen Lebensunterhalt um rund 150,- EUR unterschreitet, liegt allein darin, dass er geschieden ist und zugunsten seiner geschiedenen Ehefrau ein familienrechtlicher Versorgungsausgleich durchgeführt wurde. Dieser Versorgungsausgleich führt dazu, dass seine Versorgungsbezüge gemäß § 57 BeamtVG, § 69 NBeamtVG um rund 180,- EUR gekürzt ausgezahlt werden. Dieser Kürzungsbetrag übersteigt den verbleibenden Bedarf um rund 30,- EUR.
§ 57 BeamtVG, § 69 NBeamtVG dienen dem finanziellen Interesse des Dienstherrn, durch die Ehescheidung des Beamten bezüglich der gesamten Versorgungsaufwendungen nicht höher belastet zu werden, als wenn sich der Beamte nicht hätte scheiden lassen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22.1.1987 - BVerwG 2 B 49.86 -, [...] Rn. 2; BVerfG, Beschluss vom 9.11.1995 - 2 BvR 1762/92 -, [...] Rn. 21). Deshalb verliert der Versorgungsempfänger - vereinfacht ausgedrückt - Versorgungsbezüge in der Höhe, in der sein geschiedener Ehegatte eine Rente erhält und deshalb Zahlungspflichten des Dienstherrn entstehen (vgl. § 225 SGB VI). Diese verfassungsrechtlich unbedenkliche Zielsetzung impliziert, dass eine Kürzung selbst dann stattfindet, wenn der Versorgungsempfänger in der Konsequenz nicht einmal die Mindestversorgung nach § 14 Abs. 4 Satz 2 und 3 BeamtVG erhält und gegebenenfalls auf den Bezug ergänzender Sozialleistungen angewiesen ist. Auch dies läuft dem in Art. 33 Abs. 5 GG verankerten Alimentationsprinzip nicht zuwider (vgl. Strötz, in: GKÖD, § 57 BeamtVG Rn. 21, 23 <Stand der Bearbeitung: Mai 2011>).
Liegt demnach der Grund dafür, dass der amtsangemessene Lebensunterhalt des Klägers nach Abzug der Pflegekosten nicht gewährleistet ist, in der Ehescheidung, also in einem Umstand, der seiner privaten Lebenssphäre zuzuordnen und nicht dem Dienstherrn anzulasten ist, und hat sich der Gesetzgeber weiter in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise dafür entschieden, die aus der Kürzung der Versorgungsbezüge folgenden Härten beamtenrechtlich nicht abzufedern (vgl. demgegenüber § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 NBhVO und - zu § 47 Abs. 2 Satz 1 BBhV - Nds. OVG, Urteil vom 7.5.2013 - 5 LB 253/12 -, [...]), kann der Kläger keine ergänzenden Beihilfeleistungen beanspruchen. Weder das Alimentationsprinzip noch die Fürsorgepflicht gebieten es, dass der Dienstherr eine finanzielle Verantwortung für die Folgen der Ehescheidung des Klägers übernimmt.
Dass die Ehescheidung - wie der Kläger einwendet - zu finanziellen Härten führen kann, trifft demgegenüber nicht bloß auf Beamte, sondern vielmehr auf alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen zu. Ein dadurch im Einzelfall entstehender mittelbarer Druck, an einer Ehe aus wirtschaftlichen Gründen festzuhalten, ist verfassungsrechtlich unbedenklich. Weder die Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG noch Art. 6 Abs. 1 GG, der in Gestalt der Eheschließungsfreiheit die speziellere Regelung darstellen dürfte, werden durch die Regelungen über den Versorgungsausgleich und die resultierenden Kürzungen der Altersbezüge des Verpflichteten verletzt. Das gilt auch dann, wenn dies zu einer Rente bzw. zu Versorgungsbezügen führt, die wegen ihrer geringen Höhe durch andere Sozialleistungen ergänzt werden müssen (vgl. BVerfG, Urteil vom 28.2.1980 - 1 BvL 17/77 u. a. -, [...] Rn. 162, 164).
Soweit der Kläger schließlich meint, es sei widersprüchlich, dass zwar der Versorgungsausgleich berücksichtigt werde, andererseits aber Unterhaltsleistungen an die Ehefrau bei fortbestehender Ehe als fiktive Abzugsposition nicht akzeptiert würden, trifft das nicht zu. Bereits das Verwaltungsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass auf den Ist-Zustand und nicht auf einen fiktiven Zustand abzustellen ist. Wäre der Kläger überdies noch verheiratet, griffe aller Voraussicht nach § 9 Abs. 7 Satz 4 BhV bzw. nunmehr § 34 Abs. 3 Satz 1 NBhV ein, sodass er weitere Leistungen auf beihilferechtlicher Grundlage erhielte und sich die aufgeworfenen Fragen schon im Ausgangspunkt nicht stellen würden.
Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO hat eine Rechtssache dann, wenn sie eine grundsätzliche, fallübergreifende Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, die im allgemeinen Interesse der Klärung bedarf. Das ist nur dann zu bejahen, wenn die Klärung der Frage durch die im erstrebten Berufungsverfahren zu erwartende Entscheidung zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder für eine bedeutsame Fortentwicklung des Rechts geboten erscheint (Nds. OVG, Beschluss vom 1.10.2008 - 5 LA 64/06 -, [...] Rn. 14).
Legt man dies zugrunde, ist bereits sehr fraglich, ob das Vorbringen des Klägers den Darlegungsanforderungen des § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügt. Jedenfalls sind die aufgeworfenen Rechtsfragen - wie ausgeführt - in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts einerseits und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts andererseits geklärt.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).