Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 24.07.2013, Az.: 5 LA 288/12

Gewährung einer Beihilfe zu den Aufwendungen für das Präparat "GO-ON Fertigspritzen"

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
24.07.2013
Aktenzeichen
5 LA 288/12
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 41779
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2013:0724.5LA288.12.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 04.10.2012 - AZ: 2 A 5054/11

Fundstelle

  • PharmaR 2013, 428-430

Amtlicher Leitsatz

Zur Frage, ob zu den Aufwendungen für das Präparat "GO-ON Fertigspritzen" eine Beihilfe zu gewähren ist.

[Gründe]

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Denn die Voraussetzungen der geltend gemachten Zulassungsgründe sind nicht erfüllt.

1. Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.

Ernstliche Zweifel sind erst dann zu bejahen, wenn bei der Überprüfung im Zulassungsverfahren, also aufgrund der Begründung des Zulassungsantrages und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts, gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zu Tage treten, aus denen sich ergibt, dass ein Erfolg der erstrebten Berufung mindestens ebenso wahrscheinlich ist, wie ein Misserfolg. Das ist der Fall, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird. Die Richtigkeitszweifel müssen sich auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zur Änderung der angefochtenen Entscheidung führt. Um ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils darzulegen, muss sich der Zulassungsantragsteller substantiiert mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Welche Anforderungen an Umfang und Dichte seiner Darlegung zu stellen sind, hängt deshalb auch von der Intensität ab, mit der die Entscheidung des Verwaltungsgerichts begründet worden ist. Ist das angegriffene Urteil auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, müssen hinsichtlich aller dieser Begründungen Zulassungsgründe hinreichend dargelegt werden (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 25.4.2008 - 5 LA 154/07 -).

Ausgehend von diesen Grundsätzen führt das Vorbringen des Klägers nicht zur Zulassung der Berufung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Das Verwaltungsgericht ist rechtsfehlerfrei zu der Einschätzung gelangt, dass die Beklagte nicht verpflichtet ist, dem Kläger zu den mit seinen Beihilfeanträgen vom 22. September 2011 und 13. Oktober 2011 geltend gemachten Aufwendungen für zwei Fertigspritzen mit der Bezeichnung "GO-ON" von jeweils 90 EUR eine Beihilfe zu gewähren. Der Senat macht sich die zutreffende Begründung des angefochtenen Urteils (UA S. 7, 3. Abs. bis S. 9) zu Eigen und verweist auf sie (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).

Im Hinblick auf das Vorbringen des Klägers im Zulassungsverfahren ist das Folgende hervorzuheben bzw. zu ergänzen:

Nach § 22 Abs. 1 Satz 2 BBhV (in der hier maßgeblichen Fassung vom 17.12.2009, BGBl. I S. 3922) ist § 31 Absatz 1 Satz 2 und 3 SGB V entsprechend anwendbar. Nach § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V hat der Gemeinsame Bundesausschuss durch Richtlinien festzulegen, in welchen medizinisch notwendigen Fällen Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die als Medizinprodukte nach § 3 Nr. 1 oder Nr. 2 des Medizinproduktegesetzes (MPG) zur Anwendung am oder im menschlichen Körper bestimmt sind, ausnahmsweise in die Arzneimittelversorgung einbezogen werden. Das ist durch die Anlage V zum Abschnitt J der Arzneimittelrichtlinie (- AM-RL -, hier in der Fassung vom 17.12.2009) geschehen. Diese Anlage zählt das Präparat "GO-ON" nicht auf. Schon aufgrund des Verweises in § 22 Abs. 1 Satz 2 BBhV auf den entsprechenden Abschnitt der Arzneimittelrichtlinie scheidet die Erstattungsfähigkeit der Aufwendungen für das Präparat "GO-ON" aus. Dieses Ergebnis entspricht im Übrigen auch der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur BBhV (BBhV-VwV, hier in der Fassung vom 17.12.2009, GMBl 2010 S. 319). Nach ihrer Ziffer 22.1.4 werden beihilfefähige Medizinprodukte abschließend im Anhang 10 zur BBhV-VwV aufgezählt. Auch dort findet sich das Präparat "GO-ON" nicht.

Der Kläger legt im Zulassungsverfahren dar, er sei aufgrund einer Hühnereiweiß-Allergie auf das Präparat "GO-ON" angewiesen. Er könne nicht auf das gleichwertige und beihilfefähige Präparat "Hyalart", das ebenfalls als wesentlichen Hauptwirkstoff Hyaluronsäure beinhalte, ausweichen, weil dieses Präparat Hühnereiweiß enthalte. Das Vorbringen des Klägers ist nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils zu begründen.

Für den bei dem Kläger in den Rechnungen vom 19. September 2011 und 26. September 2011 diagnostizierten "Knorpelschaden des Kniegelenks" steht mit dem Präparat "Hyalart" grundsätzlich ein zugelassenes, verschreibungspflichtiges und damit beihilfefähiges Arzneimittel zur Verfügung, so dass eine medizinische Notwendigkeit für einen Rückgriff auf andere, nicht beihilfefähige Medizinprodukte in aller Regel schon nicht besteht (vgl. in diesem Sinne BVerwG, Beschluss vom 19.8.2010 - BVerwG 2 B 14.10 -, [...] Rn 6; OVG NRW, Urteil vom 21.2.2011 - 1 A 308/09 -, [...] Rn 122).

Dass die Verwendung des Präparats "Hyalart" in seinem Fall ausgeschlossen ist, hat der Kläger weder im erstinstanzlichen Verfahren noch im Zulassungsverfahren durch Vorlage von Befunden substantiiert. Eine nachvollziehbare und nachprüfbare ärztliche Bescheinigung, die seine Behauptung bestätigt, hat er nicht vorgelegt. Über die beiden Fertigspritzen des Präparats "GO-ON" liegt nicht einmal eine ärztliche Verordnung vor.

Selbst wenn jedoch für den Kläger eine Verwendung des Präparats "Hyalart" mit Blick auf die von ihm behauptete Hühnereiweiß-Allergie nicht in Betracht gekommen sein sollte, weil das in diesem Präparat enthaltene Natriumhyaluronat aus Hahnenkämmen hergestellt wird, würde dies keine andere Betrachtung rechtfertigen. Denn der Kläger hätte gegebenenfalls grundsätzlich auch die Möglichkeit gehabt, auf andere einschlägige, auf dem Markt erhältliche Medizinprodukte zurückzugreifen, die kein Hühnereiweiß enthalten, soweit diese apothekenpflichtig sind. Dass entsprechende apothekenpflichtige Präparate nicht zur Verfügung gestanden haben, ist nicht ersichtlich.

Soweit der Kläger unter Berufung auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Juni 2008 (- BVerwG 2 C 2.07 -, [...]) vorgetragen hat, seinem Einzelfall sei unter Umständen im Wege einer Härtefallregelung zu begegnen, da er auf das Präparat "GO-ON" angewiesen gewesen sei, muss er sich entgegenhalten lassen, dass - wie schon ausgeführt wurde - nicht substantiiert vorgetragen worden ist, dass keine Möglichkeit bestanden hat, auf das Präparat Hyalart oder auf andere einschlägige, auf dem Markt erhältliche Medizinprodukte zurückzugreifen. Es kommt hinzu, dass der Kläger das Vorliegen eines Härtefalles gegebenenfalls in einem gesonderten Verwaltungsverfahren geltend machen muss (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.6.2008, a. a. O., Rn 17; Urteil vom 5.5.2010 - BVerwG 2 C 12.10 -, [...] Rn 20 und 25).

2. Die Voraussetzungen des geltend gemachten Zulassungsgrundes des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegen ebenfalls nicht vor.

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine tatsächliche oder rechtliche Frage von allgemeiner fallübergreifender Bedeutung aufwirft, die im Berufungsrechtszug entscheidungserheblich ist und im Interesse der Rechtseinheit geklärt werden muss. Die in diesem Sinne zu verstehende grundsätzliche Bedeutung muss durch die Formulierung mindestens einer konkreten, sich aus dem Verwaltungsrechtsstreit ergebenden Frage dargelegt werden. Dabei ist substantiiert zu begründen, warum die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig gehalten wird, das heißt worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll, weshalb die Frage entscheidungserheblich und ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist (vgl. Kopp/ Schenke, VwGO, 18. Aufl. 2012, § 124 a Rn 54). Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen des Klägers nicht.

Die von dem Kläger als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage, ob die Aufwendungen für das Präparat "GO-ON" beihilfefähig sind, lässt sich, wie den Ausführungen zum Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu entnehmen ist, unter Heranziehung der maßgeblichen Bestimmungen schon im Zulassungsverfahren beantworten, so dass es keiner grundsätzlichen Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf. Soweit sich der Kläger auf das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 11. März 2010 (- 10 S 3090/08 -, [...]) beruft, ist darauf hinzuweisen, dass jener Entscheidung ein Begehren auf Gewährung von Kassenleistungen nach einer Satzung zugrunde lag. Das Begehren des Klägers ist jedoch nach den Bestimmungen der Bundesbeihilfeverordnung und damit nach anderen Rechtsgrundlagen zu beurteilen.

Auch mit seinen Darlegungen zu der von ihm des Weiteren als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfenen Frage, ob die durch § 22 Abs. 1 Satz 2 BBhV i. V. m. § 31 Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB V erfolgte Übertragung der Entscheidungskompetenz über den Ausschluss bestimmter Präparate auf den nach § 91 Abs. 1 Satz 1 SGB V gebildeten Gemeinsamen Bundesausschuss verfassungsgemäß ist, kann der Kläger die Zulassung der Berufung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht beanspruchen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat allerdings zu § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 Buchst. b Satz 2 der früheren Beihilfevorschriften des Bundes (BhV) in der Fassung vom 1. November 2001 (GMBl S. 918), zuletzt geändert durch Art. 1 der 28. Änderungsverwaltungsvorschrift (ÄndVwV) vom 30. Januar 2004 (GMBl S. 379), wiederholt ausgeführt, dass die Übertragung der Entscheidungskompetenz über den Ausschluss bestimmter Präparate auf den nach § 91 Abs. 1 Satz 1 SGB V gebildeten Gemeinsamen Bundesausschuss im Wege der dynamischen Verweisung gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 Buchst. b Satz 2 BhV verfassungsrechtlichen Bedenken begegne. Aufgrund der grundlegenden Strukturunterschiede der beiden Sicherungssysteme "gesetzliche Krankenversicherung" und "private Eigenvorsorge mit ergänzender Beihilfe" liege es - so das Bundesverwaltungsgericht - nahe, die Tatbestände beihilferechtlicher Leistungsausschlüsse normativ festzulegen, anstatt ihre nähere Bestimmung einem Gremium zu überlassen, in dem der Dienstherr nicht vertreten sei und das seine Entscheidungen nach Maßgabe des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung unter Berücksichtigung der Interessen der Versichertengemeinschaft treffe. Hieraus hat das Bundesverwaltungsgericht aber nicht auf die Unanwendbarkeit der Regeln über Leistungsausschlüsse geschlossen, sondern die Rechtsauffassung vertreten, dass den dargestellten Bedenken nicht mehr nachgegangen zu werden brauche, weil die früheren Beihilfevorschriften nur noch während eines Übergangszeitraums, der spätestens im Zeitpunkt des Ablaufs der vergangenen Legislaturperiode des Deutschen Bundestages geendet habe, anwendbar gewesen seien (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.5.2008 - BVerwG 2 C 24.07 -, [...] Rn 18; Urteil vom 26.6.2008 - BVerwG 2 C 2.07 -, [...] Rn 20; Urteil vom 5.5.2010, a. a. O., Rn 21).

Der Kläger hat im Rahmen seiner Darlegungen zu der von ihm als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfenen Frage nicht in einer den Anforderungen des § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Weise substantiiert begründet, warum die nach dem Inkrafttreten der Bundesbeihilfeverordnung vom 13. Februar 2009 (BGBl. I S. 326), die an die Stelle der früheren Beihilfevorschriften des Bundes, bei denen es sich um bloße Verwaltungsvorschriften gehandelt hat, in § 22 Abs. 1 Satz 2 BBhV i. V. m. § 31 Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB V normierte Übertragung der Entscheidungskompetenz über den Ausschluss bestimmter Präparate auf den nach § 91 Abs. 1 Satz 1 SGB V gebildeten Gemeinsamen Bundesausschuss verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet. Auf den rechtssystematischen Unterschied zwischen den früheren Beihilfevorschriften des Bundes, die als Verwaltungsvorschriften nicht den verfahrensmäßigen Anforderungen, insbesondere nicht dem Publizitätserfordernis, die Art. 82 GG für Normen mit verbindlicher Außenwirkung zwingend vorsieht, unterlagen, und der in seinem Fall maßgeblichen Bundesbeihilfeverordnung ist der Kläger nicht eingegangen. Dies wäre jedoch erforderlich gewesen, um der Anforderung, die grundsätzliche Bedeutung der aufgeworfenen Frage und ihre Klärungsbedürftigkeit substantiiert zu begründen, zu genügen.

Nur ergänzend merkt der Senat an, dass das Bundessozialgericht in ständiger Rechtsprechung für das Sicherungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung die Verfassungsmäßigkeit der gemäß § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V vom Gemeinsamen Bundesausschuss erlassenen Arzneimittelrichtlinie (- AM-RL -, hier in der Fassung vom 17.12.2009) nicht mehr grundlegend in Zweifel zieht. Es behält sich aber vor, die vom Gemeinsamen Bundesausschuss erlassenen, im Rang unterhalb des einfachen Gesetzesrechts stehenden normativen Regelungen formell und auch inhaltlich in der Weise zu prüfen, wie wenn der Bundesgesetzgeber derartige Regelungen in Form einer untergesetzlichen Norm - etwa einer Rechtsverordnung - selbst erlassen hätte, wenn und soweit hierzu aufgrund hinreichend substantiierten Beteiligtenvorbringens konkreter Anlass besteht (vgl. BSG, Urteil vom 3.7.2012 - B 1 KR 23/11 R -, [...] Rn 26 m. w. N.).

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).