Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 09.07.2013, Az.: 2 PS 248/13

Zugang einer empfangsbedürftigen Willenserklärung an einen ortsabwesenden Empfänger am Wohnsitz oder Geschäftssitz am Tag der tatsächlichen Übersendung als landesweiter gesetzlicher Feiertag (hier: Fronleichnam) erst am folgenden Werktag

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
09.07.2013
Aktenzeichen
2 PS 248/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 40365
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2013:0709.2PS248.13.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Göttingen - 18.06.2013 - AZ: 8 D 465/13

Fundstellen

  • DÖV 2013, 784
  • NdsVBl 2014, 28-29

Amtlicher Leitsatz

Eine empfangsbedürftige Willenserklärung geht ihrem ortsabwesenden Empfänger im Fall, dass der Tag der tatsächlichen Übersendung (etwa mittels Fax) am Wohn- oder Geschäftssitz des Empfängers ein landesweiter gesetzlicher Feiertag (hier: Fronleichnam) ist, im Sinne des im öffentlichen Recht entsprechend anzuwendenden § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB erst am darauffolgenden Werktag zu.

[Gründe]

Die Beschwerde des Vollstreckungsgläubigers gegen die Ablehnung seines Antrages, gegen die Vollstreckungsschuldnerin ein Zwangsgeld in einer dem Gericht angemessenen Höhe anzudrohen, hat Erfolg.

Der Senat geht aufgrund des Regelungskonzeptes des § 172 VwGO gemäß § 88 VwGO wie das Verwaltungsgericht davon aus, dass der Antrag des Vollstreckungsgläubigers dahin geht, zunächst ein Zwangsgeld nur anzudrohen und erst im Fall des fruchtlosen Fristablaufs entweder ein weiteres Zwangsgeld anzudrohen oder das angedrohte Zwangsgeld festzusetzen und im Folgenden notfalls einzutreiben. Dies hat der Vollstreckungsgläubiger mit seinem Beschwerdeantrag, ein Zwangsgeld anzudrohen und erforderlichenfalls festzusetzen, zudem hinreichend klargestellt.

Nach § 172 Satz 1 VwGO kann das Gericht des ersten Rechtszuges auf Antrag unter Fristsetzung gegen eine Behörde ein Zwangsgeld bis zehntausend EUR durch Beschluss androhen, nach fruchtlosem Fristablauf festsetzen und von Amts wegen vollstrecken, wenn die Behörde der ihr in einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO auferlegten Verpflichtung nicht nachkommt. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts sind diese Voraussetzungen gegeben. Denn die Vollstreckungsschuldnerin ist der ihr gegenüber dem Vollstreckungsgläubiger als Nachrücker auf einen Teilstudienplatz im 2. Fachsemester im Studiengang Humanmedizin bestehenden Verpflichtung aus Ziffer II 3 in Verbindung mit Ziffer II 2 und 1 des Tenors des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 29. April 2013 bisher nicht nachgekommen. Sie verweigert dem Vollstreckungsgläubiger zu Unrecht die vorläufige Zulassung auf dem genannten Studienplatz. Der Vollstreckungsgläubiger seinerseits ist den Bedingungen des Beschlusses des Verwaltungsgerichts rechtzeitig nachgekommen, da er gegenüber der Vollstreckungsschuldnerin innerhalb von drei Werktagen nach Bekanntgabe des Nachrückfalls und damit fristgerecht die Annahme des Studienplatzes erklärt und die erforderliche eidesstattliche Versicherung abgegeben hat.

Das Schreiben der Vollstreckungsschuldnerin vom 30. Mai 2013 (Fronleichnam), mit dem sie dem in dem Bundesland B. ansässigen Prozessbevollmächtigen des Vollstreckungsgläubigers per Telefax mitgeteilt hat, dass dieser nach dem Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 29. April 2013 - 8 C 1/13 u. a. (hier: 8 C 356/13) - auf einen vorläufigen Teilstudienplatz im 2. Fachsemester nachrückt, ist dem Prozessbevollmächtigten des Vollstreckungsgläubigers im Rechtssinn nicht am Donnerstag, 30. Mai 2013, als Tag der Versendung des Telefax, sondern erst am darauffolgenden Freitag, 31. Mai 2013, zugegangen. Zutreffend gehen die Beteiligten davon aus, dass im Bereich des öffentlichen Rechts für den Zugang empfangsbedürftiger Willenserklärungen die Vorschrift des § 130 BGB entsprechend anzuwenden ist. Nach § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB wird eine Willenserklärung, die einem Abwesenden gegenüber abzugeben ist, in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie ihm zugeht. Zugegangen ist die Willenserklärung, wenn sie so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Die Kenntnisnahme durch den Empfänger muss hierbei unter Zugrundelegung gewöhnlicher Verhältnisse objektiv möglich und nach der Verkehrsanschauung zu erwarten sein (Palandt-Ellenberger, BGB, 72. Aufl. 2013, § 130 Rdnr. 5 m. w. N.).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kommt es daher maßgeblich auf die objektiven Verhältnisse auf Seiten des Empfängers der Willenserklärung an, die für den Absender erkennbar sind. Diese Verhältnisse sind vorliegend dadurch gekennzeichnet, dass der Tag des 30. Mai 2013, an dem in tatsächlicher Hinsicht die Bekanntgabe des Nachrückfalls durch die Vollstreckungsschuldnerin gegenüber dem Prozessbevollmächtigten des Vollstreckungsgläubigers erfolgt war, in Niedersachsen ein normaler Arbeitstag, im gesamten B. hingegen ein gesetzlicher Feiertag war. An landesweiten gesetzlichen Feiertagen herrscht sowohl in Niedersachsen (§ 3 NFeiertagsG) als auch im B. (§ 4 Abs. 1 SFG) allgemeine Arbeitsruhe und ein allgemeines Arbeitsverbot. Dies bedeutet, dass Arbeitnehmer unter Fortzahlung des Entgeltes durch den Arbeitgeber einen freien Arbeitstag haben. Daher ruhen an diesem Tage - mit den gesetzlich vorgesehenen Ausnahmen - sämtliche Dienstleistungen und sonstige im Zusammenhang mit der Erledigung der Arbeit verbundene Tätigkeiten. Dies gilt nach der Verkehrsanschauung sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber, für letztere auch, soweit sie freiberuflich tätig sind. Diese Sachlage an gesetzlich festgelegten Feiertagen ist daher nicht mit der Situation vergleichbar, in denen die Umstände, die den Empfänger - etwa im Fall einer Erkrankung oder Abwesenheit aus sonstigen individuellen Gründen - an der Kenntnisnahme einer empfangsbedürftigen Willenserklärung hindern, in die Risikosphäre des Empfängers fallen und er deshalb gehalten ist, entsprechende Vorsorge zu treffen. Dies ist für den Absender der empfangsbedürftigen Willenserklärung auch nicht unbillig oder sonst unverhältnismäßig, da er sich über die Gesetzeslage im Bundesland des Empfängers unschwer und zuverlässig umgehend Kenntnis verschaffen kann. Dieser Rechtsgedanke des Schutzes auch der regionalen gesetzlichen Feiertage zeigt sich - wenn auch in anderem Zusammenhang - im Rahmen der Zustellung durch die Behörde gegen Empfangsbekenntnis. Nach §§ 1 Abs. 1 NVwZG, 5 Abs. 3 VwZG sind die regionalen Feiertage den allgemeinen bundesweiten Feiertagen gleichgestellt (vgl. dazu Engelhardt/App, Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz, Verwaltungszustellungsgesetz, 9. Aufl. 2011, § 5 Rdnr. 9).

Daher hat der Prozessbevollmächtigte des Vollstreckungsgläubigers als Empfänger einer empfangsbedürftigen Willenserklärung nicht die Möglichkeit gehabt, an dem im B. landesweit gesetzlich festgelegten Feiertag Fronleichnam Kenntnis von dem Schreiben der Vollstreckungsschuldnerin zu nehmen. Insoweit gilt etwas anderes als an den von dem Verwaltungsgericht zur Stützung seiner Auffassung mit in den Blick genommenen Tagen, an denen lediglich gewohnheitsmäßig landes- oder bundesweit (z. B. Heiligabend, 24.12., Silvester, 31.12.) oder gebietsspezifisch (z. B. Rosenmontag) nicht gearbeitet wird (vgl. hierzu etwa FG Niedersachsen, Beschl. v. 15.4.2013 - 2 K 25/13 -, [...] m. w. N.). Die Frage, ob etwas anderes gilt, wenn es sich um einen nicht landesweit geltenden, sondern lediglich in einigen Gemeinden eines Bundeslandes gültigen gesetzlichen Feiertag handelt (dies ist im Fall von Fronleichnam in Sachsen und in Thüringen der Fall, in denen dieser Tag lediglich in einigen Gemeinden mit überwiegend katholischer Bevölkerung ein gesetzlicher Feiertag ist), lässt der Senat mangels Entscheidungserheblichkeit offen.

Ein anderes Ergebnis ist entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht unter Hinweis auf die föderale Struktur der Bundesrepublik Deutschland gerechtfertigt. Insbesondere fällt es nicht in den Risikobereich des Adressaten einer empfangsbedürftigen Willenserklärung sicherzustellen, an nicht bundeseinheitlichen Feiertagen gegebenenfalls ihn an seinem Geschäftssitz erreichende Willenserklärungen auch zur Kenntnis zu nehmen und bereits an diesem Tag Folgerungen zu ziehen. Gerade die föderale Struktur in Deutschland bedingt, dass in bestimmten Bereichen in den einzelnen Bundesländern unterschiedliche Regelungen bestehen, wobei die jeweiligen "Landeskinder" dem Recht des Landes unterworfen sind, in dem sie wohnen oder geschäftsansässig sind. Daher sieht der Senat keine Veranlassung, dem Prozessbevollmächtigten des Vollstreckungsgläubigers die Verpflichtung aufzubürden, an landesweit gesetzlich festgelegten Feiertagen verlässliche Vorkehrungen etwa in Form eines Notdienstes im Büro zu treffen, ohne dass hierzu konkret im Einzelfall Anlass besteht. Auch für Rechtsanwälte, die in erheblichem Umfang bundesweit tätig sind, gilt nichts anderes. Sie müssen nur ihrerseits bei der Einlegung von Rechtsmitteln prüfen, ob am Sitz des Gerichts andere Feiertagsregelungen gelten als am Sitz ihrer Praxis (vgl. BGH, Beschl. v. 10.1.2012 - VI ZA 27/11 -, NJW-RR 2012, 254; OLG Celle, Beschl. v. 30.7.20107 - 11 U 116/07 -, [...]).

Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts bestand für den Prozessbevollmächtigten des Vollstreckungsgläubigers auch keine Verpflichtung, die Frist von drei Tagen nicht voll auszuschöpfen, sondern mit Blick auf die andersartige Gesetzeslage in Niedersachsen noch vor Ablauf dieser Frist tätig zu werden, um sicherzustellen, dass die erforderlichen Erklärungen noch innerhalb der von der von der Vollstreckungsschuldnerin für richtig gehaltenen Frist bei dieser eingehen. Eine derartige Forderung findet in dem Tenor des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 29. April 2013, in dem ausdrücklich von "drei Werktagen" die Rede ist, keine Grundlage und hieße, die dort aufgeführten Bedingungen nachträglich zu Lasten der Nachrücker zu verschärfen. Der weitere Einwand des Verwaltungsgerichts, der Prozessbevollmächtigte des Vollstreckungsgläubigers habe jedenfalls unmittelbar nach Kenntniserlangung vom Nachrückfall am Montag, 3. Juni 2013, als nächstem regulären Arbeitstag und damit noch rechtzeitig für seinen Mandanten in dessen (vermutetem) Auftrag und ohne mit diesem Rücksprache gehalten zu haben, zur Sicherung von dessen Rechten eine entsprechende Erklärung gegenüber der Vollstreckungsschuldnerin abgeben können, greift zu kurz. Denn die neben der Erklärung der Annahme des Studienplatzes zugleich erforderliche eidesstattliche Versicherung konnte nur durch den Vollstreckungsgläubiger selbst abgegeben werden.

Ohne Erfolg macht der Vollstreckungsgläubiger hingegen geltend, auf den Beginn der Frist zur Abgabe der erforderlichen Erklärungen sei die Vorschrift des § 41 Abs. 2 Satz 2 VwVfG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Satz 1 NVwVfG entsprechend anzuwenden. Die in dem Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 29. April 2013 formulierte Bedingung ist hinsichtlich der Frist eindeutig und einer in diesem Sinn erweiternden Auslegung nicht zugänglich, zumal es sich bei der schriftlichen Bekanntgabe des Nachrückfalls durch die Vollstreckungsschuldnerin mangels Regelungswirkung nicht um einen Verwaltungsakt im Sinne des § 35 Satz 1 VwVfG handelt und die gebotene schnelle Abwicklung der Nachrückverfahren einer weiteren zeitlichen Streckung entgegensteht.

Daher war vorliegend Fristbeginn der von dem Verwaltungsgericht gesetzten dreitägigen Frist Sonnabend, der 1. Juni 2013, 0.00 Uhr, da gemäß § 30 Abs. 2 VwVfG der Lauf der Frist mit dem Tag beginnt, der auf die Bekanntgabe der Frist (hier nach dem oben Gesagten: Freitag, 31. Mai 2013) folgt. Fristende war mithin drei Werktage später, das heißt - da der Sonntag, 2. Juni 2013 nicht mitgezählt wird - hier am 4. Juni 2013. Innerhalb dieser Frist lagen die erforderlichen Erklärungen des Vollstreckungsgläubigers bei der Vollstreckungsschuldnerin vor.

Der Senat übt sein Ermessen nach § 172 Abs. 1 VwGO dahingehend aus, dass er der Vollstreckungsschuldnerin ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000 EUR androht und die Frist zur Vornahme der geforderten Handlung auf drei Tage nach Bekanntgabe dieses Beschlusses auf dem normalen Postweg festlegt.

Zur Vermeidung von Missverständnissen weist der Senat abschließend ausdrücklich darauf hin, dass mit diesem Beschluss lediglich im Wege der Vollstreckung die vorläufigen Folgerungen aus dem Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 29. April 2013 - 8 C 1/13 u. a. (hier: 8 C 356/13) - gezogen werden, ohne dass eine Aussage über die inhaltliche Richtigkeit der Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Kapazitätserschöpfung und damit einhergehend über die Erfolgsaussichten der den Vollstreckungsgläubiger betreffenden Beschwerde der Vollstreckungsschuldnerin gegen den diesen als Nachrücker betreffenden Beschluss des Verwaltungsgerichts getroffen wird. Diese Prüfung bleibt dem Beschwerdeverfahren 2 NB 188/13 vorbehalten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Festsetzung eines Streitwerts bedarf es nicht, da sowohl für die erste als auch für zweite Instanz jeweils eine streitwertunabhängige Festgebühr nach Nr. 5301 und Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) anfällt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).