Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 20.12.2005, Az.: L 7 AY 40/05

Voraussetzungen einer leistungsrechtlichen Besserstellung eines Asylbewerbers nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG); Vorliegen einer rechtsmissbräuchlichen Beeinflussung der Dauer des Aufenthalts als maßgebliches Kriterium; Auslegung des Begriffs des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens; Berücksichtigung einer möglichen Ausreise und von tatsächlich oder rechtlich bestehenden Ausreisehindernissen

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
20.12.2005
Aktenzeichen
L 7 AY 40/05
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2005, 31756
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2005:1220.L7AY40.05.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - 24.06.2005 - AZ: S 51 AY 64/05

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Die Besserstellung des Leistungsberechtigten in der Neuregelung des § 2 Abs. 1 AsylbLG setzt voraus, dass nicht die Dauer des Aufenthalts vom Leistungsberechtigten rechtsmissbräuchlich beeinflusst wurde. Ein solches Verhalten ist immer dann anzunehmen, wenn es erkennbar der Verfahrensverzögerung und somit der Aufenthaltsverlängerung dient, obwohl eine Ausreise möglich und zumutbar wäre.

  2. 2.

    Allein die Nutzung der Rechtsposition der Duldung kann ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Ausländers nicht begründen. Rechtsmissbräuchlich ist aber, wenn im Asylverfahren vorsätzlich falsche Angaben zur Nationalität gemacht werden oder wenn der Ausländer sich weigert, bei der Beschaffung von Dokumenten mitzuwirken, die für eine Ausreise erforderlich sind.

Tenor:

Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 24. Juni 2005 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Kläger beanspruchen Leistungen nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) in Verbindung mit dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) mit Wirkung ab 1. Februar 2005.

2

Der im Jahr 1952 in K. geborene Kläger zu 1) und die im Jahr 1961 in L. geborene Klägerin zu 2) sind die verheirateten Eltern des im Jahr 1990 in M. geborenen Klägers zu 3) und des im Jahr 1994 in N. geborenen Klägers zu 4). Die Kläger sind Angehöriger der Volksgruppe der Roma aus dem O ... Sie besitzen die serbisch - montenegrinische Staatsangehörigkeit.

3

Die Kläger zu 1) bis 3) reisten zusammen mit vier weiteren zwischen 1980 und 1985 geborenen Kindern der Kläger zu 1) und zu 2) am 15. April 1992 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Die Asylanträge der Kläger wurden durch Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Niedersachsen vom 16. September 1997 (8 L 7645/95) und am 26. April 1996 durch Urteil des Verwaltungsgerichts (VG) G. (13 A 309/96) abgelehnt; die Entscheidungen sind rechtskräftig. Das Gleiche gilt für die ablehnenden Entscheidungen über die Feststellung von Abschiebehindernissen nach § 53 Ausländergesetz (AuslG).

4

Bei der Einreise gaben die Kläger zu 1) bis 3) an, Angehörige der Volksgruppe der Roma zu sein. Im Verlauf des Asylverfahrens erklärten sie, sie seien albanischer Volkszugehörigkeit und moslemischer Glaubenszugehörigkeit. Anlässlich einer Vorsprache der Klägerin zu 2) am 17. Juli 2000 bei der zuständigen Ausländerbehörde erklärte diese, entgegen ihren früheren Angaben, P. zu sein, gehörten sie dem Volk der Roma an.

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Ausweislich der Verwaltungsakten der Beklagten erklärten die Kläger unter dem 26. November 1997 und auch unter dem 27. April 2005, nicht bereit zu sein, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen. Sie seien auch nicht bereit, entsprechende Identitätsnachweise vorzulegen beziehungsweise sich bei der Heimatbotschaft um die Ausstellung eines Nationalpasses zu bemühen.

6

Den Antrag der Kläger auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 10. Mai 2005 ab.

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Seit der Einreise der Kläger zu 1) bis 3) in das Bundesgebiet wird ihr Aufenthalt ausländerrechtlich geduldet. Das Gleiche gilt für den Kläger zu 4). Den Verwaltungsakten der Beklagten (Bl 283) ist zu entnehmen, dass die Kläger anlässlich von Vorsprachen zur Verlängerung der Duldungen mündlich aufgefordert worden sind, Reisepässe zum Zweck der freiwilligen Ausreise bei der serbisch-montenegrinischen Botschaft in Q. zu beantragen. Dies ist indes nicht geschehen.

8

Die Kläger beziehen Grundleistungen nach dem AsylbLG. Zunächst bezogen sie Leistungen nach §§ 3 ff AsylbLG und zuletzt bis zum 30. September 2004 nach § 2 AsylbLG. Durch Bescheid vom 16. September 2004 bewilligte die Stadt R. mit Wirkung ab 1. Oktober 2004 Leistungen - nur noch - nach §§ 3 ff AsylbLG. Den Widerspruch der Kläger hiergegen wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 21. März 2005 als unbegründet zurück. Auf die hiergegen erhobene Klage zum Az. S 51 AY 36/05 verpflichtete das Sozialgericht (SG) Hannover die Beklagte durch Gerichtsbescheid vom 25. Mai 2005, den Klägern Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG in Verbindung mit dem SGB XII mit Wirkung ab 1. bis 31. Januar 2005 zu bewilligen. Über die hiergegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten ist noch nicht befunden (Az. L 7 AY 3/05 NZB des LSG Niedersachsen-Bremen).

9

Durch Bescheid vom 20. Januar 2005 bewilligte die Stadt R. den Klägern mit Wirkung ab 1. Februar 2005 Grundleistungen nach §§ 3 ff AsylbLG. Hiergegen legten die Kläger unter dem 25. Januar 2005 Widerspruch ein, den die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 9. Mai 2005 als unbegründet zurückwies. Weil die Kläger die Dauer ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet rechtsmissbräuchlich selbst beeinflussten, komme eine Leistungsbewilligung nur nach §§ 3 ff AsylbLG in Betracht. Die Kläger seien verpflichtet, das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu verlassen. Dies sei ihnen auch zumutbar. Sie könnten in das Staatsgebiet S. und T. ausreisen. Es bestehe auch eine Ausreisemöglichkeit in das Gebiet des O ... Die Weigerung auszureisen, verstoße gegen ihre Ausreisepflicht. Dieser Verstoß gegen ausländer- und aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bedeute ein rechtsmissbräuchliches Verhalten und habe Auswirkungen auf die Dauer des Aufenthalts. Die Kläger hätten sich nicht bemüht, entsprechende Heimreisedokumente zu beschaffen, die zur Ausreise erforderlich seien. Vielmehr hätten sie dies verweigert. Dies sei ebenfalls als rechtsmissbräuchliches Verhalten im Sinn des § 2 AsylbLG zu bewerten.

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Gegen den am 12. Mai 2005 bekannt gemachten Widerspruchsbescheid haben die Kläger am 19. Mai 2005 Klage erhoben. Das SG Hannover hat die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 20. Januar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Mai 2005 verpflichtet, den Klägern mit Wirkung ab 1. Februar bis 9. Mai 2005 Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG zu bewilligen (Gerichtsbescheid vom 24. Juni 2005). Eine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Dauer ihres Aufenthalts im Sinn des § 2 AsylbLG liege nicht vor. Zwar sei es für die Kläger zumutbar, freiwillig auszureisen. Hierauf komme es indes seit Änderung der Vorschrift zum 1. Januar 2005 nicht mehr an. Vielmehr sei ein Anspruch auf höhere Leistungen nur noch dann ausgeschlossen, wenn die Dauer des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland von dem Ausländer rechtsmissbräuchlich beeinflusst werde. Dies sei im Fall der Kläger nicht anzunehmen. Zwar bedeute die Angabe einer falschen Volkszugehörigkeit, wie dies im Fall der Kläger geschehen sei, unter Umständen eine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer. Das Gleiche gelte für die Weigerung, bei der Beschaffung von Reisedokumenten mitzuwirken. Rechtlich bedeutsam sei indes das Verhalten der Kläger nur für den Aufenthalt im Zeitraum, für den erhöhte Leistungen noch begehrt würden. In diesem Zeitpunkt liege kein Rechtsmissbrauch der Kläger vor.

11

Gegen den am 1. Juli 2005 zugestellten Gerichtsbescheid führt die Beklagte am 27. Juli 2005 Berufung. Die Weigerung der Kläger zur Ausreise sei ein Rechtsmissbrauch im Sinn des § 2 Abs. 1 AsylbLG, weil dieser Verstoß gegen Rechtsvorschriften von den Klägern schuldhaft begangen werde. Eine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer sei demnach immer dann anzunehmen, wenn und sobald eine freiwillige Ausreise möglich sei, aber nicht erfolge.

12

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 24. Juni 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

13

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

14

Sie erwidern, weil eine zwangsweise Rückführung von Roma aus dem O. rechtlich unmöglich und eine freiwillige Ausreise unzumutbar sei, handelten sie nicht rechtsmissbräuchlich im Sinn des § 2 AsylbLG.

15

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf die Prozessakte Bezug genommen. Die die Kläger betreffenden Verfahrensakten zum Az. S 51 AY 36/05 des SG Hannover sowie L 7 AY 22/05 und L 7 AY 3/05 NZB des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen liegen ebenso vor wie die die Kläger betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten; diese sind ebenfalls Gegenstand der Verhandlung und Entscheidung gewesen.

Entscheidungsgründe

16

Die gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und zulässige Berufung ist begründet. Die Kläger haben keinen Anspruch auf höhere Leistungen nach § 2 AsylbLG in Verbindung mit dem SGB XII mit Wirkung ab 01. Februar bis 09. Mai 2005.

17

Nach § 2 Abs. 1 AsylbLG ist das SGB XII abweichend von den §§ 3 bis 7 AsylbLG auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt 36 Monate Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten haben und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Die mit Wirkung ab 1. Januar 2005 in Kraft getretene Neuregelung des § 2 Abs. 1 (Art. 8 Nr. 3 des Gesetzes vom 30.07.2004 - BGBl. I 1950) knüpft hinsichtlich der Bestimmung über die Folgen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens an die Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten an (Amtsblatt der Europäischen Union vom 06.02.2003 - L 31/18). In Art. 16 der Richtlinie, der die Einschränkung oder den Entzug der im Rahmen der Aufnahmebedingungen gewährten Vorteile regelt, werden Formen von "negativem Verhalten" zusammengefasst, die auf nationaler Ebene eine Einschränkung der Leistungen erlauben (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung vom 10.01.2003 zu der Neuregelung des § 2 Abs. 1 AsylbLG - BR-Drucks 22/03 S. 296). Sinn dieser Änderung des AsylbLG ist es, den Anreiz zur missbräuchlichen Asylantragstellung weiter einzuschränken, was schließlich zu einer Reduzierung der Anträge und damit insgesamt zu einer Verfahrensbeschleunigung führen soll (Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung vom 10.01.2003, a.a.O., S. 295).

18

Anders als die noch bis zum 31. Dezember 2004 geltende Regelung des § 2 Abs. 1 AsylbLG, wonach eine leistungsrechtliche Besserstellung dann in Betracht kam, wenn sowohl einer freiwilligen Ausreise als auch dem Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen entgegenstehende Gründe vorliegen mussten, ist nach der Neuregelung des § 2 Abs. 1 AsylbLG entscheidend, ob die Dauer des Aufenthalts rechtsmissbräuchlich beeinflusst wurde. Das bedeutet, dass nach der Neuregelung für die Frage der leistungsrechtlichen Besserstellung ohne rechtliche Bedeutung ist, ob tatsächliche oder rechtliche Gründe einer Beendigung des Aufenthalts des Ausländers im Bundesgebiet entgegenstehen; rechtlich maßgebend ist allein, ob die Dauer des Aufenthalts von dem Leistungsberechtigten rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst worden ist. Erhöhte Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG i.V.m. dem SGB XII sind danach ausgeschlossen, wenn eine Ausreise aus dem Bundesgebiet anderenfalls zu einem früheren Zeitpunkt möglich gewesen wäre, also ein kausaler Zusammenhang zwischen dem rechtsmissbräuchlichen Verhalten und der Beendigung des Aufenthalts besteht. Eine Beeinflussung der Dauer des Aufenthalts in diesem Sinn ist indes nicht allein dann anzunehmen, wenn eine Ausreise des Leistungsberechtigten zum konkreten Zeitpunkt der Entscheidung über den Leistungsantrag möglich ist, d.h. keine tatsächlichen oder rechtlichen Hindernisse entgegenstehen, sondern auch dann, wenn eine Ausreise aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen, wie z.B. im Fall der Kläger aufgrund der vorübergehenden Aussetzung der Abschiebung aus humanitären Gründen, nicht in Betracht kommt. In derartigen Fällen besteht wegen der aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen bestehenden Ausreisehindernisse zwar kein kausaler Zusammenhang zwischen dem rechtsmissbräuchlichen Verhalten des Leistungsberechtigten und der Ausreisemöglichkeit zum konkreten Zeitpunkt. Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Leistungsberechtigten in dem o. g. Sinn ist indes generell geeignet, die Dauer des Aufenthalts zu beeinflussen. Es kommt insoweit nicht darauf an, dass sich die Verlängerung bereits realisiert hat oder ob der kausale Zusammenhang dadurch weggefallen ist, dass zwischen dem rechtsmissbräuchlichen Verhalten und dem Leistungsantrag die Abschiebung vorübergehend ausgesetzt worden ist. Allein eine solche abstrakte Betrachtungsweise entspricht dem Zweck der Neuregelung des § 2 Abs. 1 AsylbLG, nach der für die leistungsrechtliche Privilegierung nicht mehr wie nach der Regelung des § 2 Abs. 1 AsylbLG a.F. tatsächliche oder rechtliche Ausreisehindernisse rechtlich von Bedeutung sind. Vielmehr bezweckt die Neuregelung eine leistungsrechtliche Begünstigung derjenigen Hilfeempfänger, die sich nicht rechtsmissbräuchlich im Sinn der Regelung verhalten, um auf diese Weise den Anreiz zur rechtsmissbräuchlichen Asylantragstellung einzuschränken und zu einer Reduzierung der Anträge und damit zu einer Verfahrensbeschleunigung zu gelangen. Dieser Zweck würde verfehlt, wenn - bei Vorliegen der rechtlichen Voraussetzungen im Übrigen - Leistungsberechtigte trotz rechtsmissbräuchlichen Verhaltens im Sinn der genannten Regelung leistungsrechtlich privilegiert würden, weil ein Ausreisehindernis aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen bestünde.

19

Insbesondere aus dem Wortlaut der Regelung aber auch aus ihrem o. g. Zweck ist zu schließen, dass es dabei auf die gesamte Dauer des Aufenthalts des Ausländers im Bundesgebiet ankommt und nicht etwa nur z.B. auf die Dauer des Aufenthalts nach rechtskräftiger Ablehnung des Asylantrags an (so bereits der Beschluss des Senats vom 19. 08.2005 - L 7 AY 12/05 ER -).

20

Dies zugrunde gelegt, können die Kläger keine höheren Leistungen beanspruchen. Allerdings haben sämtliche Kläger Leistungen nach § 3 AsylbLGüber eine Dauer von mehr als 36 Monaten bezogen; insoweit besteht zwischen den Beteiligten Übereinstimmung. Ein Anspruch auf höhere Leistungen besteht indes deshalb nicht, weil sie die Dauer ihres Aufenthalts rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben im Sinn der Regelung des § 2 Abs. 1 AsylbLG.

21

Im Asylbewerberleistungsgesetz sind die Voraussetzungen, unter denen rechtsmissbräuchliches Verhalten im Sinn des § 2 Abs. 1 AsylbLG anzunehmen ist, nicht ausdrücklich geregelt. Daher ist der in der Regelung des § 242 BGB niedergelegte und das gesamte Rechtsleben beherrschende Grundsatz, dass jedermann in Ausübung seiner Rechte und Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln hat (Palandt/Heinrichs, § 242 Rdnr. 1 m. w. Nachw.) für die Auslegung des Begriffs des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens im Sinn der genannten Regelung nutzbar zu machen. Treu und Glauben bilden eine allen Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung. Die gegen § 242 BGB verstoßende Rechtsausübung oder Ausnutzung einer Rechtslage ist als Rechtsüberschreitung missbräuchlich und unzulässig. Der Rechtsmissbrauch kann dabei individuell oder institutionell erfolgen. Welche Anforderungen sich aus Treu und Glauben ergeben, lässt sich nur unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls entscheiden.

22

Ob ein Verhalten des Ausländers als rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Dauer des Aufenthalts zu werten ist, ist unter Berücksichtigung des Zwecks der Regelung zu entscheiden. Weil die Regelung nach dem offenkundigen Willen des Gesetzgebers die Regelung des Art. 16 der "Richtlinien" umsetzen soll, ist diese zur Auslegung des § 2 Abs. 1 AsylbLG heranzuziehen (Hohm, Leistungsrechtliche Privilegierung nach § 2 Abs. 1 AsylbLG S. 2005, NVWZ 2005 S. 388 f, 389). Nach Art. 16 Abs. 1 Buchst a) können die Mitgliedstaaten die im Rahmen der Aufnahmebedingungen gewährten Vorteile einschränken oder entziehen, wenn ein Asylbewerber ohne Genehmigung der zuständigen Behörde seinen zugewiesenen Aufenthaltsort verlässt, seinen Melde- und Auskunftspflichten nicht nachkommt oder wenn er im gleichen Mitgliedstaat bereits einen Antrag gestellt hat. Daraus ist zu schließen, dass ein rechtsmissbräuchliches Verhalten im Sinn des § 2 Abs. 1 AsylbLG immer dann anzunehmen ist, wenn das Verhalten erkennbar der Verfahrensverzögerung und somit der Aufenthaltsverlängerung dient, obwohl eine Ausreise möglich und zumutbar wäre (Herbst, a.a.O., Rdnr. 26). Weitere Auslegungskriterien für die Entscheidung der Frage rechtsmissbräuchlichen Verhaltens sind unter rechtsystematischen Gesichtspunkten zudem der Regelung des § 1a AsylbLG zu entnehmen. Diese Regelung sieht Leistungseinschränkungen im Falle leistungsmissbräuchlicher Einreiseabsichten und missbräuchlicher Verhinderung aufenthaltsbeendender Maßnahmen aus vom Leistungsberechtigten zu vertretenden Gründen vor (Hohm, a.a.O., 390).

23

Legt man diese Erwägungen zugrunde, haben die Kläger die Dauer ihres Aufenthalts rechtsmissbräuchlich beeinflusst. Die Annahme eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens nach § 2 Abs. 1 AsylbLG im Sinn eines subjektiv vorwerfbaren Fehlverhaltens beruht in dem hier zu entscheidenden Verfahren allerdings nicht darauf, dass eine freiwillige Ausreise der Kläger möglich wäre, wie die Beklagte meint. Wie der Senat in seinem Beschluss vom 12. 10. 2005 (L 7 AY 1/05 ER) ausgeführt hat, kann die Nutzung der wenn auch unsicheren Rechtsposition der Duldung allein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Ausländers nicht begründen. Die Kläger haben die Dauer ihres Aufenthalts im Bundesgebiet hier indes rechtsmissbräuchlich beeinflusst, indem sie zur Begründung ihres Asylantrags angegeben haben, Kosovo-Albaner zu sein. Es bedarf keiner weiteren Ausführungen, dass die Durchführung eines Asylverfahrens auf der Grundlage dieser falschen Tatsachenangaben den Aufenthalt der Kläger im Bundesgebiet beeinflusst hat. Der Umstand, dass dies aufgrund vorsätzlich falscher Angaben geschehen ist, begründet die Rechtsmissbräuchlichkeit des Verhaltens, dessen Ziel daher offensichtlich die Verlängerung des Aufenthalts im Bundesgebiet ist. Rechtsmissbräuchlich ist das Verhalten der Kläger auch, soweit sie sich weigern, bei der Beschaffung von Dokumenten mitzuwirken, die für eine Ausreise erforderlich sind. Durch dieses Verhalten wird ebenfalls offensichtlich eine Verlängerung des Aufenthalts im Bundesgebiet bezweckt. Der Senat teilt nicht die Auffassung des SG Hannover in dem angefochtenen Gerichtsbescheid, dieses Verhalten sei unter dem Gesichtspunkt des § 2 Abs. 1 AsylbLG rechtlich nicht von Bedeutung, weil die Neuregelung zu jenem Zeitpunkt noch nicht geltendes Recht gewesen sei. Abgesehen davon, dass sich die Kläger mit diesen Verhaltensweisen bereits zu jenem Zeitpunkt nicht entsprechend den gesetzlichen Regelungen verhalten haben, genießen sie insoweit auch keinen Vertrauensschutz.

24

Liegen demnach die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 AsylbLG hinsichtlich der Kläger zu1) und 2) aus den genannten Gründen nicht vor, besteht ein derartiger Anspruch gem. § 2 Abs. 3 AsylbLG auch nicht für die Kläger zu 3) und 4).

25

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abse. 1 und 4 SGG.

26

Der Senat hat die Revision gem. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG im Hinblick auf die Auslegung des Begriffs der rechtmissbräuchlichen Beeinflussung des Aufenthalts im Sinn des § 2 Abs. 1 AsylbLG zugelassen.