Sozialgericht Stade
Urt. v. 20.01.2009, Az.: S 1 KR 314/04

Kostenerstattung einer ambulant durchgeführten Kapselendoskopie wegen rezidivierenden kolikartigen abdominellen Schmerzen durch die gesetzliche Krankenversicherung; Rechtzeitige Erbringung einer unaufschiebaren Leistung; Besorgung einer Leistung ohne vorheriges Einschalten der Krankenkasse

Bibliographie

Gericht
SG Stade
Datum
20.01.2009
Aktenzeichen
S 1 KR 314/04
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2009, 19972
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGSTADE:2009:0120.S1KR314.04.0A

Redaktioneller Leitsatz

Eine Kostenerstattung durch die Krankenkasse für eine selbst beschaffte Behandlung kommt nicht in Betracht, wenn der Versicherte den so genannten Beschaffungsweg nicht eingehalten hat, sich also die begehrte Leistung besorgte, ohne die Entscheidung der Krankenkasse abzuwarten, und es sich bei der durchgeführten Behandlung auch nicht um eine unaufschiebbare Leistung handelte.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Kostenerstattung für eine ambulant durchgeführte Kapselendoskopie.

2

Der im September 1953 geborene Kläger ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Nach dem Akteninhalt litt er seit Anfang 2000 unter rezidivierenden kolikartigen abdominellen Schmerzen (Bauchschmerzen). Aufgrund dessen unterzog sich der Kläger einer Vielzahl ambulanter und stationärer Untersuchungen und Behandlungen, u.a. in der II. Medizinischen Klinik des G. krankenhauses H ... Dort stellte er sich am 16. März 2004 zur ambulanten Durchführung einer Enteroskopie vor. Nach Vorlage und Auswertung der Befunde teilte der behandelnde Arzt PD Dr. I. im Befundbericht vom 25. März 2004 mit, seines Erachtens empfehle sich jetzt bei Nachweis eines tubulären Adenoms mit schwerer Epitheldysplasie die Durchführung einer operativen Evaluierung. Dies sollte beinhalten eine Lymphknotenextirpation aus dem Retroperitoneum sowie eine intraoperative Enteroskopie des gesamten Dünndarms. Am 23. März 2004 stellte sich der Kläger im Zentrum für Innere Medizin in Bremen (Medizinische Klinik II, Klinikum J.) vor. Die behandelnden Fachärzte Prof. Dr. I. und Dr. Gutberlet stellten fest, aktuell sei der Kläger beschwerdefrei, im durchgeführten Sonogramm fänden sich lediglich kleinste mesenteriale Lymphknoten und im linken Mittelbauch ein Dünndarmsegment mit einem geringen Wandödem. In der Gesamtschau der vorgelegten Befunde scheine ihnen ein entzündliches Krankheitsbild, wie ein Morbus Crohn des Dünndarms oder eine ulceröse Jejunitis hochwahrscheinlich, während eine Invagination oder Briden-Beschwerden kaum über mehrere Jahre immer wieder mit Entzündungszeichen einhergehen dürfte. Auch für eine diffuse Verlaufsform einer refraktären Mesenteritis sei der Verlauf sicher eher untypisch. Da die bildgebende Diagnostik bereits umfangreich durchgeführt worden sei - lediglich eine "konventionelle" Sellinkuntersuchung des Dünndarms fehle - hielten sie eine Kapselendoskopie für den sinnvollen nächsten Schritt. Sie würden sie am 1. April 2004 ambulant durchführen. Der Kläger werde sich um eine Kostenübernahme bei seiner Krankenkasse bemühen.

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Am 29. März 2004 beantragte der Kläger die Bewilligung einer Kapselendoskopie. Hierbei handelt es sich um eine Untersuchung des Dünndarms mittels einer Kapsel (so genannte "PillCam"), die Batterien, einen Sender, eine Lichtquelle und eine Chip-Kamera, die über einen Zeitraum von sechs Stunden Bilder mit einer Frequenz von 2/sec sendet, enthält. Die Antragstellung erfolgte mittels Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung der Hausärztin und Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. K ... Diese führte aus: "Eine Operation hätte aber im Falle der vermuteten chronisch entzündlichen Darmerkrankung ein hohes Risiko mit Wundheilungsstörung, Verschlechterung der Symptomatik, ggf. Folgeoperationen und würde evtl hohe Kosten nach sich ziehen. Aus diesem Grunde habe ich dem Kläger dringend eine videoendoskopische Untersuchung mittels Kapsel empfohlen. Diese wird in den nächsten Tagen in Bremen/St. Jürgen durchgeführt. Der Patient wird die Kosten von 1.200,00 EUR zunächst aus eigener Tasche bezahlen." Am 2. April 2004 legte der Kläger eine weitere ärztliche Bescheinigung der Ärzte Prof. Dr. I. und Dr. Gutberlet vom 24. März 2004 vor. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 1. April 2004 ab mit der Begründung, der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) habe die Kapselendoskopie beurteilt und negativ bewertet. Der Bescheid wurde dem Kläger schriftlich durch einfachen Brief bekannt gegeben.

4

Am 1. April 2004 wurde bei dem Kläger ambulant eine Kapselendoskopie durchgeführt, wofür ihm Kosten in Höhe von 1.216,44 EUR entstanden. Die entsprechende Rechnung vom 27. Juli 2004 bezahlte der Kläger am 28. September 2004.

5

Nach Durchführung der Untersuchung holte die Beklagte eine gutachterliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) ein. Der Gutachter Dr. L. teilte am 15. April 2004 mit: "NUB-Verfahren. Ausnahmekriterien treffen sicher nicht zu." Unter Vorlage weiterer medizinischer Unterlagen legte der Kläger am 26. April 2004 Widerspruch gegen die Leistungsablehnung ein. Die Beklagte holte eine weitere gutachterliche Stellungnahme des MDK ein. Der Gutachter Dr. L. führte am 4. Juni 2004 aus, die Untersuchung des Gastrointestinaltraktes mittels Kapselendoskopie sei bisher vom G-BA nicht bewertet worden. Sie sei damit als neue Behandlungsmethode einzuordnen und falle unter die UUB-Begutachtungsrichtlinien, die sowohl für den MDKN wie für die Kasse bindend seien. Im Übrigen weise er darauf hin, dass es sich bei einer ambulanten Kapselendoskopie um ein Verfahren handele, das von der MDK-Gemeinschaft in einem Grundsatzgutachten aus sozialmedizinischer Sicht bereits negativ bewertet worden sei. Mit Schreiben vom 15. Juni 2004 wiederholte und begründete die Beklagte die Ablehnung der Kostenübernahme für eine Kapselendoskopie. Mit Schreiben vom 7. Juli 2004 trug der Kläger sinngemäß vor, erst mittels der Kapselendoskopie habe der Dünndarm eingesehen, eine gesicherte Diagnose gestellt und damit eine lebensbedrohliche Situation ausgeschlossen werden können. Mit Widerspruchsbescheid vom 4. November 2004 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück mit der (sinngemäßen) Begründung, mangels Anerkennung der Kapselendoskopie durch den G-BA dürfe die Beklagte die begehrte Leistung nicht bewilligen.

6

Mit seiner am 6. Dezember 2004 erhobenen Klage macht der Kläger im Wesentlichen geltend, die Durchführung der Kapselendoskopie sei zur Befunderhebung und Krankheitserkennung notwendig gewesen. Wenn Untersuchungs- und Behandlungsmethoden so neu seien, dass es bisher noch nicht zu einer positiven Empfehlung des G-BA gekommen sei, könne es trotzdem ausnahmsweise zu Gunsten eines Versicherten in Betracht kommen, dass auch eine solche Untersuchung bzw. Behandlung von der Krankenversicherung erstattet werde. Insbesondere trete ein solcher Fall dann auf, wenn die Nichtanwendung dieser Methode (hier der Kapselendoskopie) zu einer weiteren Verschlimmerung der Krankheit bzw. zum Auftreten schwerer irreversibler Schäden führen könne. Genau dies sei hier der Fall. Aufgrund der untypischen Symptomatik habe ein Morbus Crohn mit letzter Sicherheit nicht bestätigt oder verneint werden können. Dieses sei hier aber von entscheidender Bedeutung, da sowohl ein nicht behandelter Morbus Crohn zu schweren Schäden bzw. zu einem stark erhöhten Risiko des Auftretens eines Darmskrebs führen könne und andererseits eine unnötig, d.h. überflüssige Behandlung mit Kortikosteroiden zu heftigen Nebenwirkungen und irreversiblen Langzeitschäden führe. Es sei in diesem Fall also von entscheidender Bedeutung gewesen, die Diagnose des Vorliegens eines Morbus Crohn abzusichern. Diese Absicherung sei mit den anderen bildgebenden Diagnostikverfahren, welche zuvor durchgeführt worden seien, nicht ausreichend gelungen.

7

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 1. April 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. November 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger die ihm für eine Kapselendoskopie entstandenen Kosten von 1.216,44 EUR zu erstatten.

8

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

9

Die Beklagte bezieht sich auf die Gründe des Widerspruchsbescheides und weist darauf hin, dass es sich bei der Kapselendoskopie um eine unkonventionelle Untersuchungsmethode handele, für die der G-BA noch keine positive Bewertung abgegeben habe. Die Kapselendoskopie habe lediglich die bereits vorher eingeleitete Behandlung als richtig bestätigt. Diese Konstellation sei mit der vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Urteil vom 6. Dezember 2005 (Az 1 BvR 347/98) entschiedenen, in der eine tödlich verlaufende Erkrankung mit zugelassenen Methoden überhaupt nicht behandelbar gewesen sei, nicht vergleichbar.

10

Das Gericht hat eine Auskunft des G-BA vom 19. Juli 2007 eingeholt. Danach liegt diesem ein Antrag zur Prüfung der Methode der Kapselendoskopie bei Erkrankungen des Dünndarms vor. In seiner Sitzung am 17. Januar 2008 hat der G-BA den Beschluss gefasst, den Antrag zur Bewertung der Kapselendoskopie bei Erkrankungen des Dünndarms anzunehmen und ein Beratungsverfahren einzuleiten. Ferner hat das Gericht eine Auskunft der Kassenärztlichen Bundesvereinigung vom 17. September 2007 eingeholt. Danach ist die Kapselendoskopie keine vertragsärztliche Leistung und nicht im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen (EBM) gelistet.

11

Der Kammer haben die Prozessakte und die Verwaltungsakte der Beklagten vorgelegen. Die Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angegriffenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Kostenübernahme für die am 1. April 2004 ambulant durchgeführte Kapselendoskopie.

13

Nachdem der Kläger die Leistung in Anspruch genommen und bezahlt hat, ist die Klage auf Kostenerstattung gerichtet. Nach § 2 Abs. 2 S 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) i.d.F. vom 19. Juni 2001 erhalten die Versicherten die Leistungen der Krankenversicherung als Sach- und Dienstleistungen, soweit dieses oder das Neunte Buch (SGB IX) nichts Abweichendes vorsehen. Nach § 13 Abs. 1 SGB V i.d.F. vom 14. November 2003 darf die Krankenkasse anstelle der Sach- oder Dienstleistung (§ 2 Abs. 2 SGB V) Kosten nur erstatten, soweit es dieses oder das SGB IX vorsieht. § 13 Abs. 3 S 1 SGB V bestimmt: "Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war." Der in Betracht kommende Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (st Rspr des Bundessozialgerichts (BSG), vgl. z.B. Urteil vom 21. Februar 2006 - B 1 KR 29/04 R und Urteil vom 14. Dezember 2006 - B 1 KR 8/06 R jeweils m.w.N.).

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Bei der Kapselendoskopie handelt es sich nicht um eine unaufschiebbare Leistung. Eine Leistung ist im Sinne von § 13 Abs. 3 S 1 Alt 1 SGB V unaufschiebbar, wenn sie im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Ausführung so dringlich war, dass aus medizinischer Sicht ein zeitlicher Aufschub nicht in Betracht kommt oder mit einer zunächst nicht eilbedürftigen Behandlung so lange gewartet wurde, bis Dringlichkeit eingetreten ist (Kingreen in Becker/Kingreen SGB V § 13 Rn 25 m.w.N.). Dafür ergeben sich vorliegend weder aus dem Akteninhalt noch aus dem Vortrag des Klägers Anhaltspunkte. Die rezidivierenden kolikartigen Bauchschmerzen traten bei dem Kläger bereits seit mehreren Jahren auf. Im Zeitpunkt der Untersuchung durch Prof. Dr. I. am 23. März 2004 bestand nach dessen Feststellungen Beschwerdefreiheit.

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Die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 S 1 Alt 2 SGB V liegen auch nicht vor. Ein auf die Verweigerung der Sachleistung gestützter Erstattungsanspruch scheidet nach der ständigen Rechtsprechung des BSG aus, wenn sich der Versicherte die Leistung besorgt hat, ohne die Krankenkasse einzuschalten und ihre Entscheidung abzuwarten. § 13 Abs. 3 SGB V gewährt einen Erstattungsanspruch für den Ausnahmefall, dass eine von der Krankenkasse geschuldete notwendige Behandlung in Folge eines Mangels im Leistungssystem der Krankenversicherung als Dienst- oder Sachleistung nicht oder nicht in der gebotenen Zeit zur Verfügung gestellt werden kann. Nach dem Wortlaut und Zweck der Vorschrift muss zwischen dem die Haftung der Krankenkasse begründenden Umstand (rechtswidrige Ablehnung) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) ein Ursachenzusammenhang bestehen. Daran fehlt es, wenn die Kasse vor Inanspruchnahme der Behandlung mit dem Leistungsbegehren gar nicht befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre (BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 - B 1 KR 8/06 R m.w.N.; siehe auch Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen , Beschluss vom 1. Dezember 2008 - L 4 KR 305/08 ER). Eine vorherige Entscheidung der Krankenkasse ist selbst dann nicht entbehrlich, wenn die Ablehnung des Leistungsbegehrens von vornherein feststeht (BSG, Beschluss vom 21. Februar 2008 - B 1 KR 123/07 B).

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Vorliegend fehlt es an einem Kausalzusammenhang zwischen der Leistungsablehnung und der Entstehung der Kostenlast, weil der Kläger den so genannten Beschaffungsweg nicht eingehalten hat. Dafür ist Voraussetzung, dass der Versicherte vor Inanspruchnahme der Leistung die Entscheidung der Krankenkasse einholt und dieser damit die Möglichkeit gibt, über ihre Leistungspflicht zu entscheiden. Der Kläger besorgte sich die begehrte Leistung, ohne die Entscheidung der Beklagten abzuwarten. Er beantragte am 29. März 2004 die Kostenübernahme für eine Kapselendoskopie. Diese wurde am 1. April 2004 (planmäßig) bei ihm durchgeführt. Zu diesem Zeitpunkt lag noch keine wirksame Entscheidung der Beklagten über den Leistungsantrag vor. Weder aus dem Akteninhalt noch aus dem Vortrag der Beteiligten ergeben sich Anhaltspunkte für eine (fern-) mündliche Bekanntgabe der Leistungsablehnung vor Durchführung der Kapselendoskopie. Zwar lehnte die Beklagte den Antrag noch mit schriftlichem Bescheid vom 1. April 2004 ab. Die Leistungsablehnung wurde aber erst nach Durchführung der Kapselendoskopie, d.h. nach Inanspruchnahme der Leistung, wirksam. Ein Verwaltungsakt wird nicht schon bei seinem Erlass, sondern erst mit ordnungsgemäßer Bekanntgabe existent. Dies folgt aus § 39 Abs. 1 S 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X), wonach ein Verwaltungsakt gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam wird, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Ein schriftlicher Verwaltungsakt gilt nach § 37 Abs. 2 S 1 SGB X bei der Übermittlung durch die Post im Inland am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Auch unter Berücksichtigung, dass ein einfacher Brief den Empfänger regelmäßig vor Ablauf des Drei-Tages-Zeitraums erreicht, ist es unmöglich, dass der schriftliche Bescheid vom 1. April 2004 dem Kläger bereits am selben Tag und vor Durchführung der Kapselendoskopie zuging.

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Da der Beschaffungsweg nicht eingehalten worden ist, bedarf es keiner Entscheidung, ob die Beklagte die Kostenübernahme der Kapselendoskopie zu Unrecht abgelehnt hat. Daher ist nur ergänzend und im Hinblick auf die Ausführungen des Klägers zur Begründung des Klagebegehrens auszuführen, dass dieses nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens nicht der Fall ist. Denn diese Untersuchungsmethode entspricht nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse (§ 2 Abs. 1 S 3 SGB V i.V.m. § 12 Abs. 1 SGB V) und ist daher von der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen. Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern (§ 27 Abs. 1 S 1 SGB V). Die Krankenbehandlung umfasst u.a. die ärztliche Behandlung (§ 27 Abs. 1 S 2 Nr. 1 SGB V). Die ärztliche Behandlung umfasst die Tätigkeit des Arztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist (§ 28 Abs. 1 S 1 SGB V). Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten (§ 12 Abs. 1 S 1 SGB V). Der G-BA beschließt die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten (§ 92 Abs. 1 S 1 Halbs 1 SGB V). Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dürfen in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der G-BA in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen abgegeben hat u.a. über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit - auch im Vergleich zu bereits zu Lasten der Krankenkassen erbrachte Methoden - nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung (so genannter Erlaubnisvorbehalt). Der Gemeinsame Bundesausschuss überprüft die zu Lasten der Krankenkassen erbrachten vertragsärztlichen Leistungen daraufhin, ob sie den Kriterien nach § 135 Abs. 1 S 1 Nr. 1 SGB V entsprechen (§ 135 Abs. 1 S 2 SGB V). Falls die Überprüfung ergibt, dass diese Kriterien nicht erfüllt werden, dürfen die Leistungen nicht mehr als vertragsärztliche Leistungen zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden (§ 135 Abs. 1 S 3 SGB V). Bei der Kapselendoskopie handelt es sich um eine neue Untersuchungsmethode. Als "neue" Untersuchungs- und Behandlungsmethoden gelten Leistungen, die noch nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistungen im EBM enthalten sind oder die als ärztliche Leistung im EBM enthalten sind, deren Indikation aber wesentliche Änderungen oder Erweiterungen erfahren (§ 2 Abs. 1 BUB-Richtlinien i.d.F. vom 1. Dezember 2003). Nach dieser Begriffsbestimmung ist die Kapselendoskopie neu (vgl Auskunft der Kassenärztlichen Bundesvereinigung vom 17. September 2007). Die Methode gehört nicht zu den gemäß § 135 Abs. 1 SGB V anerkannten ärztlichen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden. Unerheblich ist, dass der G-BA am 17. Januar 2008 den Beschluss gefasst hat, den Antrag zur Bewertung der Kapselendoskopie bei Erkrankungen des Dünndarms anzunehmen und ein Beratungsverfahren einzuleiten. Denn nach der Intention des Gesetzes sollen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden solange von der Abrechnung zu Lasten der Krankenkassen ausgeschlossen bleiben, bis der Bundesausschuss sie als zweckmäßig anerkennt. Erweist sich eine zunächst abgelehnte Methode aufgrund späterer Erkenntnisse oder Erfahrungen doch als sinnvoll, so ist dem für zukünftige Behandlungsfälle durch eine Empfehlung Rechnung zu tragen; für bereits abgeschlossene Behandlungen kann sich dadurch am Abrechnungsverbot nichts ändern (BSG, Beschluss vom 8. Februar 2000 - B 1 KR 18/99 B). Den Richtlinien des Bundesausschusses kommt rechtliche Bedeutung erst ab ihrer Bekanntmachung im Bundesanzeiger zu (BSG, Urteil vom 19. Februar 2002 - B 1 KR 16/00 R).

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Eine andere Beurteilung ergibt sich schließlich auch nicht unter Berücksichtigung der Entscheidung des BVerfG vom 6. Dezember 2005 - 1 BvR 347/98. Das BVerfG hat entschieden, dass ein an einer lebensbedrohlichen und in der Regel tödlichen Krankheit leidender Versicherter, für dessen Erkrankung keine dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung zur Verfügung steht, nicht von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode ausgeschlossen werden darf, falls eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Verlauf der Krankheit besteht. Diese Rechtsprechung ist auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Der Kläger leidet nicht an einer lebensbedrohlichen und in der Regel tödlichen Krankheit. Im Zeitpunkt der Durchführung der Kapselendoskopie stand mit der explorativen Laparotomie eine dem medizinischen Standard entsprechende Untersuchungsmethode zur Verfügung.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.