Sozialgericht Stade
Beschl. v. 03.08.2009, Az.: S 34 SF 92/08

Maßstäbe für die Beurteilung der Höhe einer Sachverständigenvergütung

Bibliographie

Gericht
SG Stade
Datum
03.08.2009
Aktenzeichen
S 34 SF 92/08
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2009, 19097
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGSTADE:2009:0803.S34SF92.08.0A

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Hinsichtlich der "erforderlichen Zeit" kommt es nicht auf die für die Gutachtenerstellung individuell aufgewandte Zeit an, sondern auf die Zeit, die ein Sachverständiger mit durchschnittlicher Befähigung und Erfahrung bei sachgemäßer Auftragserledigung mit durchschnittlicher Arbeitsintensität benötigt.

  2. 2.

    Für die einzelnen Leistungsabschnitte eines Gutachtens gibt es langjährige Erfahrungswerte und Maßstäbe, die auch von dem erkennenden Gericht im Interesse der Gleichbehandlung aller Sachverständigen zugrunde gelegt werden, wobei im Einzelfall sachlich begründete und/oder geringfügige Überschreitungen hingenommen werden.

Tenor:

Die Vergütung der Antragstellerin für ihr Sachverständigengutachten vom 26. August 2008 wird auf 1.433,27 EUR festgesetzt.

Gründe

1

I.

Die Antragstellerin erstattete in dem unter dem Aktenzeichen S 23 R 37/07 geführten Klageverfahren auf die Beweisanordnung des Sozialgerichts vom 10. Juni 2008 das angeforderte nervenärztliche Gutachten nach ambulanter Untersuchung der Klägerin vom 22. August 2008. Das Gutachten datiert vom 26. August 2008.

2

Mit Liquidation vom 26. August 2008 verlangte die Antragstellerin eine Gesamtvergütung in Höhe von 1.610,93 EUR. Dieser Betrag errechnete sich wie folgt:

3

Aktenstudium 3 Stunden Untersuchung 2,5 Stunden Ausarbeitung 8 Stunden Diktat und Korrektur 8 Stunden Gesamt 21,5 Stunden á 60,- EUR = 1.290,- EUR Schreibgebühren/Kopien 57,55 EUR Umsatzsteuer 256,03 EUR Portoauslagen 7,35 EUR Gesamt 1.610,93 EUR.

4

Die Kostenbeamtin des Sozialgerichts setzte den Erstattungsbetrag am 03. September 2008 auf 1.433,68 EUR für folgende Positionen fest:

  1. 1.

    Vergütung für Zeitaufwand Aktenstudium 3,5 Stunden Untersuchung 2,5 Stunden Ausarbeitung 8 Stunden Diktat und Korrektur 5 Stunden Gesamt 19 Stunden á 60,- EUR = 1.140,- EUR

  2. 2.

    Schreibauslagen Original des Gutachtens 41.000 Anschläge x 0,75 EUR/1000 30,75 EUR Durchschriften für die ersten 50 Seiten 25,- EUR Durchschriften/Kopien weitere 19 Seiten 2,85 EUR Gesamt 1.198,60 EUR Umsatzsteuer 227,73 EUR Portoauslagen 7,35 EUR Gesamt 1.433,68 EUR

5

Die Antragstellerin hat mit am 12. September 2008 eingegangenen Schriftsatz die richterliche Festsetzung ihrer Vergütung beantragt.

6

Die Bezirksrevisorin hält die von der Kostenbeamtin vorgenommene Kürzung des Zeitaufwandes für Diktat und Korrektur für zutreffend.

7

II.

Der Antrag ist nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 JVEG zulässig. Die Vergütung war auf 1.433,27 EUR festzusetzen.

8

1.

Unstreitig ist, dass vorliegend die Honorargruppe M2 (nach Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 JVEG) zugrunde zu legen ist.

9

2.

Der für die Erstattung des Gutachtens zu vergütende Zeitaufwand orientiert sich nach § 8 Abs. 2 JVEG an der erforderlichen Zeit einschließlich notwendiger Reise- und Wartezeiten. Dabei ist der unbestimmte Rechtsbegriff "erforderliche Zeit" auszulegen. Welche Zeit für die Ausarbeitung erforderlich ist, ist nach einem objektiven Maßstab zu bestimmen. Es kommt nicht auf die für die Gutachtenerstellung individuell aufgewandte Zeit an, sondern auf die Zeit, die ein Sachverständiger mit durchschnittlicher Befähigung und Erfahrung bei sachgemäßer Auftragserledigung mit durchschnittlicher Arbeitsintensität benötigt (LSG Niedersachsen-Bremen , Beschluss vom 21. Dezember 2006 - L 1 SF 10/05; vgl. Meyer/Höver/Bach, die Vergütung und Entschädigung von Sachverständigen, Zeugen, Dritten und von ehrenamtlichen Richtern nach dem JVEG, § 8 JVEG Rdn 8.48 mit zahlreichen Nachweisen). Plausibel ist die Heranziehung eines objektiven Maßstabes deshalb, weil andernfalls einer ungleichen Honorierung desselben Produkts Vorschub geleistet würde. Der für richtig befundene objektive Maßstab hat in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung zu der Entwicklung von Richtwerten geführt, anhand derer nach richterlicher Erfahrung Rechnungen von den zuständigen Kostenbeamten auf ihre Plausibilität hin überprüft werden sollen (vgl Widder/Gaidzik, Leistungsgerechte Vergütung nach dem JVEG in: MED SACH 2005, Seiten 127,130 m.w.N.). Zu den einzelnen Leistungsabschnitten eines Gutachtens gibt es langjährige Erfahrungswerte und Maßstäbe, die auch von dem erkennenden Gericht im Interesse der Gleichbehandlung aller Sachverständigen zugrunde gelegt werden, wobei im Einzelfall sachlich begründete und/oder geringfügige Überschreitungen hingenommen werden. Die erbrachte gutachterliche Leistung wird für die kostenrechtliche Überprüfung grundsätzlich aufgegliedert in die verschiedenen Leistungsabschnitte für Aktendurchsicht und gutachtensvorbereitende Arbeiten (a), Erhebung der Vorgeschichte und Untersuchung/Befund (b), Abfassung der Beurteilung (c) sowie Diktat und Korrektur (d) des Gutachtens.

10

a)

Für den Leistungsabschnitt "Aktendurchsicht und gutachtensvorbereitende Arbeiten" wird nach der Rechtsprechung mehrerer Landessozialgerichte (vgl insoweit Hessisches LSG, Beschluss vom 11. April 2005 - L 2/9 SF 82/04; LSG Niedersachsen-Bremen , Beschluss vom 25. Januar 2006 - Az: L 10 SF 9/05 - und Beschluss vom 31. Juli 2002 - Az: L 4 SF 6/01 - und Beschluss vom 01. Dezember 2003 - Az: L 4 SF 11/03) für die Durchsicht von 100 Aktenblättern mit allgemeinem Inhalt und für die Durchsicht von 50 Aktenblättern medizinischen Inhalts im Regelfall jeweils 1 Stunde als erforderlich angesehen. Unter Zugrundelegung dieses Maßstabes ist im vorliegenden Fall ein Zeitaufwand von 3,5 Stunden für das Aktenstudium und die Vorbereitung des Gutachtens anzusetzen.

11

b)

Die Antragstellerin hat die Klägerin 2,5 Stunden untersucht. Dies ist vorliegend unstreitig, Erforderlichkeit i.S.d. § 8 Abs. 2 JVEG ist gegeben.

12

c)

Für die Ausarbeitung des Gutachtens sind - wie von der Antragstellerin geltend gemacht - 8 Stunden erforderlich i.S.d. § 8 Abs. 2 Satz 1 JVEG. Die Richtwerte für die Ausarbeitung der Beurteilung reichen von 0,8 bis 3 (Norm)Seiten pro Stunde (vgl Länderübersicht bei Widder/Gaidzik, Leistungsgerechte Vergütung nach dem Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz, MED SACH 2005, 127, 130 m.w.N.). Die Mehrheit der Landessozialgerichte geht von einem Zeitaufwand von 1 Stunde pro Seite aus. Dem schließt sich mangels entgegenstehender Anhaltspunkte im vorliegenden Fall auch die Kammer an. Ganz überwiegend gehen die Kostensenate der Landessozialgerichte davon aus, die gedankliche Beschäftigung mit dem Fall und das Abwägen der Argumente kämen zu förderst in der Rubrik "Beurteilung und Beantwortung der Beweisfragen" als dem Kernstück des Gutachtens zum Ausdruck. Zu diesem Leistungsabschnitt werden daher Ausführungen des Sachverständigen gerechnet, die sachverständige Schlussfolgerungen in Bezug auf das Beweisthema und eine Auseinandersetzung mit den gestellten Beweisfragen enthalten (vgl Hessisches LSG, a.a.O.). Dieser Maßstab schließt allerdings nicht aus, dass im Einzelfall auch Besonderheiten Rechnung zu tragen ist, wie denjenigen einer - teilweisen - Beantwortung der Beweisfragen innerhalb der - erweiterten - Vorgeschichte/Anamneseerhebung/Untersuchung und Befundung (LSG Niedersachsen-Bremen , Beschluss vom 21. Dezember 2006 - L 1 SF 10/05). Die Schwankungsbreite in den Vorgaben der Landessozialgerichte zeigt bereits, dass pauschale Ansätze einerseits im Sinne der Vereinheitlichung und Erleichterung der Arbeit der Kostenbeamten anzustreben sind, andererseits die gedankliche Beschäftigung nicht völlig ohne Berücksichtigung individueller Abweichungen in einer bestimmten Zahl herausgegriffener Textseiten ausgedrückt werden kann (vgl. wiederum Widder/Gaidzik a.a.O. Seite 130, 131; LSG Niedersachsen-Bremen , Beschluss vom 25. Januar 2006, Az: L 10 SF 9/05).

13

Das Gutachten der Antragstellerin beläuft sich auf insgesamt 30 Seiten. Es erfolgt zunächst die Darstellung der Anamnese der Klägerin, des Untersuchungsbefundes sowie der Biografie. Hierbei handelt es sich noch nicht um die notwendige gutachterliche Auseinandersetzung mit den Beweisfragen. Eine solche findet zum Tei im Rahmen der "zusammenfassenden Beurteilung" (Seite 21-23), in erster Linie aber auf den Seiten 24 bis 31 oben statt. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass im vorliegenden Gutachten die Zeichen pro Seite unterhalb des Maßstabs der DIN 1422 liegen (1800 Zeichen je Textseite, zitiert nach Widder/Gaidzik a.a.O., Seite 129), können daher unter Einbeziehung der Seiten 21-23 des Gutachtens insgesamt 8 Stunden für die Ausarbeitung angesetzt werden.

14

d)

Für das Diktat und die Korrektur des Gutachtens sieht das Gericht 5 Stunden als erforderlich i.S.d. § 8 Abs. 2 Satz 1 JVEG an. Im Regelfall ist davon auszugehen, dass für 4 bis 6 Seiten des Gutachtens ein Zeitaufwand von 1 Stunde erforderlich ist (vgl LSG Niedersachsen-Bremen , Beschluss vom 25. Januar 2006 - Az: L 10 SF 9/05 und Beschluss vom 21. Dezember 2006 - L 1 SF 10/05). Gründe, die ausnahmsweise eine abweichende Bemessung des Zeitaufwandes rechtfertigen könnten, sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich, so dass die Kammer einen Zeitaufwand von 5 für das 30 Seiten umfassende Gutachten in Bezug auf Diktat und Korrektur für erforderlich ansieht. Ein für die Antragstellerin günstigerer Ansatz kam an dieser Stelle deshalb nicht in Betracht, weil die Zeichen pro Seite unterhalb des Maßstabs der DIN 1422 liegen (1800 Zeichen je Textseite, zitiert nach Widder/Gaidzik a.a.O., Seite 129).

15

3.

Die Schreibgebühren sowie der Aufwand für Durchschriften und Kopien können zugunsten der Antragstellerin höher als beantragt auf insgesamt 58,30 EUR festgesetzt werden.

16

4.

Die weiteren Ausführungen der Antragstellerin im Erinnerungsverfahren führen zu keinem anderen Ergebnis. Dem Gericht ist durchaus bewusst, dass die Antragstellerin und damit auch die Schreibkraft nicht in wesentlichem Umfang auf Bausteine zurückgreifen können. Auch ist dem Gericht bekannt, dass Qualität und damit auch qualitativ hochwertige medizinische Sachverständigengutachten ihren Preis haben. Dennoch muss - wie dargelegt - eine nachvollziehbare an aus langjährigen Erfahrungswerten hervorgegangenen Maßstäben orientierte Festsetzung der Kosten erfolgen. Jedem Sachverständigen bleibt es im Einzelfall darüber hinaus unbenommen darzulegen, aus welchen Gründen in diesem Fall besonderer Zeitaufwand erforderlich war. Schließlich mag darauf hingewiesen werden, dass der ganz große Anteil der Sachverständigen sich bei ihren Abrechnungen im Rahmen der hier dargestellten Maßgaben bewegt. Dies galt im Übrigen in der Vergangenheit in vielen Fällen auch für die Antragstellerin.

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Nach alledem ergibt sich folgende Festsetzung:

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Aktenstudium 3,5 Stunden Untersuchung 2,5 Stunden Ausarbeitung 8 Stunden Diktat und Korrektur 5 Stunden Gesamt 19 Stunden á 60,- EUR = 1.140,- EUR Schreibgebühren 41.000 Zeichen 30,75 EUR Durchschriften/Kopien 27,55 EUR Umsatzsteuer 227,62 EUR Porto 7,35 EUR Gesamtsumme 1.433,27 EUR

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5.

Die Entscheidung ergeht kosten- und gebührenfrei, § 4 Abs. 8 JVEG.

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Rechtsmittelbelehrung:

21

Gegen diesen Beschluss ist Beschwerde gemäß § 4 Abs. 3 JVEG zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR übersteigt.

22

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