Sozialgericht Stade
Beschl. v. 21.01.2009, Az.: S 17 AS 795/08 ER
Berücksichtigung von dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder bei Nichtvollendung des 25. Lebensjahres bezüglich der Berechnung der Grundsicherungsleistungen einer Bedarfsgemeinschaft; Erstattung der Kosten von Unterkunft und Heizung in Form einer Geldleistung für den Hilfebedürftigen bei vereinbarter direkter Zahlung an den Vermieter
Bibliographie
- Gericht
- SG Stade
- Datum
- 21.01.2009
- Aktenzeichen
- S 17 AS 795/08 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 15226
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGSTADE:2009:0121.S17AS795.08ER.0A
Rechtsgrundlagen
- § 7 Abs. 2 SGB II
- § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II
- § 11 Abs. 1 SGB II
- § 22 Abs. 4 SGB II
- § 86b Abs. 2 S. 1 SGG
Tenor:
Die Antragsgegnerin wird im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung ab dem 01.01.2009 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in gesetzlicher Höhe, auf der Basis des Bewilligungs-Bescheides vom 21.10.2008 zu gewähren. Die Auszahlung des bewilligten Betrages hat mit der Maßgabe zu erfolgen, dass Kosten der Unterkunft in Höhe von 290 Euro direkt an den Vermieter gezahlt werden, 15 Euro an die Regionaldirektion Niedersachsen-Bremen zur Tilgung eines Darlehens sowie der Rest an die Antragstellerin ausgekehrt wird. Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
Gründe
Die Antragstellerin bezieht mit ihrer Tochter C. (- 07.02.1998) Grundsicherungsleistungen (GSL), zuletzt auf der Grundlage des Bewilligungsbescheides vom 21.10.2008. Die Antragstellerin bewohnt eine Wohnung in D ... Bereits zum Einzug in diese Wohnung ergaben sich Probleme hinsichtlich der Mängelfreiheit dieser Wohnung, vgl. Bl. 46 dVA. In einem Aktenvermerk wurde vereinbart: "[ Daher habe ich [Sachbearbeiter der Antragsgegnerin] mit der Frau A. vereinbart, die Miete jeweils im Nachhinein an Herrn E. [Vermieter] zu überweisen [ ]". Dieser Aktenvermerk ist vom Sachbearbeiter und der Antragstellerin unterzeichnet mit Datum vom 22.05.2008.
Bereits am 15.05.2008 wurde ein Kontoauszug vorgelegt, aus dem ersichtlich ist, dass für die Tochter der Antragstellerin Unterhaltszahlungen auf ein Schweizer Konto iHv 979 Schweizer Franken eingingen (Bl. 45 dVA). Die Verfügbarkeit dieses Betrages in Deutschland wurde weiter geprüft, so dass zunächst GSL für die Antragstellerin und deren Tochter bewilligt wurden (vgl. Bl. 40 ff dVA).
Mit den Bescheiden vom 11.09.2008 (Bl. 114 dVA) sowie 21.10.2008 wurde der Unterhalt iHv umgerechnet 601,45 Euro auf den Kindesbedarf (211 + 290 Euro = 501 Euro) angerechnet. Eine Umlegung des überschiessenden Bedarfes auf die Antragstellerin erfolgte auf Grund der Herkunft des Unterhaltes nicht; die Folge war jedoch, dass die Tochter der Antragstellerin aus der Bedarfsgemeinschaft herausfiel, § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II.
Das Gericht hatte zur Klärung des Begehrens der Antragstellerin zu einem Erörterungstermin geladen; auf das entsprechende Protokoll wird Bezug genommen. Hierbei hatte sich im Rahmen einer recht schwierigen Erörterung ergeben, dass die Antragstellerin den Unterhalt der Tochter nicht bei der Berechnung der Grundsicherungsleistungen berücksichtigt wissen wollte. Zudem wurden wiederum (vgl. Bl. 46 dVA) erhebliche Mängel an der gegenwärtigen Wohnung vorgebracht. Der Vorsitzende hatte sich bemüht, den Unterschied zwischen dem zivilrechtlichen Mietvertrag und der sozialrechtlichen Kosten der Unterkunft (KdU)-Erstattung zu erläutern, insbesondere vor dem Hintergrund etwaiger Mietminderungen. Auch ein möglicher Umzug nach F. wurde erörtert, wobei sich der Vorsitzende bereiterklärte bei der möglichen Vermieterin anzufragen, ob diese Wohnung noch verfügbar sei. Diese erklärte, dass eine Übergabe der Wohnung bereits für Ende Januar geplant sei. Vor diesem Hintergrund hatte der Vorsitzende die Parteien in dem übersandten Vermerk vom 13.01.2009 auf das Erfordernis der Kündigung der alten Wohnung hingewiesen (Bl. 17 dVA).
Dem Gericht war es im Erörterungstermin trotz wiederholter Nachfrage (Bl. 12 R GA) nicht gelungen, eine klare Aussage in Bezug auf die Gestattung der Direktüberweisung der vollen Miete an den Vermieter zu erhalten.
Vor diesem Hintergrund ist der zulässige Antrag aus dem sich aus dem Tenor ergebenen Teil begründet.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 der Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen.
Vor dem Hintergrund des Amtsermittlungsgrundsatzes sind Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund gegeben.
In der gebotenen summarischen Prüfung begegnet es keinen Bedenken, dass die Tochter der Antragstellerin nicht in der Bedarfsgemeinschaft der Antragstellerin berücksichtigt ist. Gem § 7 Abs. 2 SGB II erhalten auch Personen GSL, die mit erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Gem § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II gilt dies nicht für die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder, wenn diese das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können. So liegt der Sachverhalt im Fall der Tochter der Antragstellerin. Diese kann ihren Bedarf iHv 501 Euro aus dem Unterhalt des Herrn G. sicherstellen. Dass es sich hierbei um Unterhalt handelt, der aus der Schweiz gezahlt wird, ist insoweit unerheblich, da § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II lediglich allgemein von "Einkommen" i.S.d. § 11 SGB II spricht. Eine Anrechnung des überschiessenden Differenzbetrages erfolgt nicht, so dass die Antragstellerin hierdurch nicht belastet ist.
Jedoch sind der Antragstellerin mehr als 88 Euro auszuzahlen. Dieser Auszahlbetrag resultiert offensichtlich auf der Annahme, dass die Antragsgegnerin die gesamte Miete iHv 580 Euro (vgl. Bl. 47 dVA) an den Vermieter auskehren könne. Ausgehend von den für die Antragstellerin bewilligten 393,00 Euro (RL) + 290,00 Euro (KdU) = 683 Euro werden 15 Euro für die Tilgung eines Darlehens an die Regionaldirektion direkt abgeführt. Zudem wird die gesamte Miete iHv 580 Euro an den Vermieter gezahlt, so dass für die Antragstellerin lediglich ein Betrag iHv 88 Euro zur Auszahlung kommt. Diese Vorgehensweise dürfte sich im Hauptsacheverfahren aus folgenden Gründen als rechtswidrig herausstellen. Gem § 22 Abs. 4 SGB II erhält der Hilfebedürftige die Kosten der Unterkunft und Heizung grundsätzlich in Form einer Geldleistung. Hierdurch wird ihm die Gestaltung einer eigenständigen Lebensführung ermöglicht und es wird dem Sozialdatenschutz Rechnung getragen, in dem Dritte nicht von der Tatsache des Leistungsbezuges erfahren. Ist eine zweckentsprechende Verwendung der dem Hilfebedürftigen gewährten Kosten der Unterkunft und Heizung jedoch nicht sichergestellt, so sollen diese vom kommunalen Träger direkt an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte, z.B. ein Energieversorgungsunternehmen, gezahlt werden. Die Regelung bezieht sich nur auf die Unterkunfts- und Heizkosten, vgl. Piepenstock in: jurisPK-SGB II, 2. Aufl. 2007, § 22 Rn 130. Die Entscheidung über die Direktauszahlung ist als Eingriff in das Verfügungsrecht des Hilfebedürftigen über die ihm gewährten Leistungen ein Verwaltungsakt. Vor dem Hintergrund des Bewilligungs-Bescheides vom 21.10.2008 ist zu berücksichtigen, dass von der Antragsgegnerin nur noch 290 Euro KdU bewilligt wurden, dies nur noch an die Antragstellerin, nachdem deren Tochter wie dargelegt aus der Bedarfsgemeinschaft ausgeschieden war. Wenn somit KdU direkt abgeführt werden, dann kann dies nur der Betrag iHv 290 Euro sein.
Zwar bedarf es für die Direktüberweisung grds eines Verwaltungsaktes, der in der Bescheidlage so nicht zu erkennen ist. Jedoch wird die Direktüberweisung auch im Einvernehmen mit dem Leistungsempfänger erfolgen können, wenn dieses Einvernehmen schriftlich dokumentiert ist. Dieses Einverständnis kann aus dem unterschriebenen Aktenvermerk vom 22.05.2008 herausgelesen werden. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass dieses Einverständnis damals noch auf der Grundlage des Bewilligungsbescheides vom 09.05.2008 abgegeben wurde. Hier wurden KdU iHv 580 Euro bewilligt, diese sollten direkt abgeführt werden, was offensichtlich kein Problem darstellt. Mit den Folgebescheiden hatte sich die Situation dergestalt geändert, dass nicht mehr 580 Euro KdU bewilligt wurden, sondern nur noch der auf die Antragstellerin entfallende Anteil. Wenn weiterhin die gesamte Miete abgeführt wurde, so bedeutete dies nunmehr, dass auch Teile der Regelleistung an den Vermieter abgeführt wurden. Hierfür bietet § 22 Abs. 4 SGB II keine Ermächtigung. Offensichtlich hatte die Antragstellerin zu dieser geänderten Sachlage auch nicht ihr Einverständnis gegeben, zumindest war sie auch nicht ausreichend belehrt worden.
Im Übrigen wird vorsorglich in Bezug auf die zukünftige Bestimmung der Angemessenheit der KdU (Bl. 160 dVA) auf die Rechtsprechung der Kammer in Bezug auf die Bedarfsberechnung von Alleinerziehenden hingewiesen (S 17 AS 282/07).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.