Sozialgericht Stade
Urt. v. 18.12.2008, Az.: S 19 SO 9/07
Begrenzung eines Kostenbeitrags nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) auf die ersparten Kosten für den Lebensunterhalt
Bibliographie
- Gericht
- SG Stade
- Datum
- 18.12.2008
- Aktenzeichen
- S 19 SO 9/07
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 33992
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGSTADE:2008:1218.S19SO9.07.0A
Rechtsgrundlage
- §§ 85 ff. SGB XII
Fundstellen
- ZfF 2009, 232-233
- info also 2010, 47
Tenor:
Der Bescheid des Beklagten vom 8. Juni 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Januar 2007 wird aufgehoben.
Der Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid, mit welchem ihr gegenüber ein Kostenbeitrag für die stationäre Unterbringung ihres Sohnes festgesetzt worden ist.
Der am 16. März 1990 geborene Sohn der Klägerin leidet unter einer Intelligenzminderung mit deutlicher Verhaltensstörung sowie unter einem Klinefelter-Syndrom. Ab 30. September 2005 wurde er im Gutshof G. stationär betreut. Die hierdurch entstehenden Kosten wurden vom Beklagten in der sachlichen Zuständigkeit des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe, dem Land Niedersachsen, als Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung aus Mitteln der Eingliederungshilfe übernommen.
Mit Bescheid vom 8. Juni 2006 setzte der Beklagte einen von der Klägerin ab 1. Juli 2006 zu leistenden Kostenbeitrag iHv 276,00 EUR monatlich fest. Zur Begründung führte er aus, der Sohn werde seit 30. September 2005 zu Lasten der Sozialhilfe im Gutshof G. stationär betreut. Hierfür sei ein Kostenbeitrag in Höhe der häuslichen Ersparnis zu leisten. Die häusliche Ersparnis betrage 100% des maßgebenden Regelsatzes der Sozialhilfe. Für ihr Kind betrage der maßgebende Regelsatz der Sozialhilfe zurzeit 276,00 EUR.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin durch Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 21. Juni 2006 Widerspruch ein, welchen der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 5. Januar 2007 zurückwies.
Hiergegen richtet sich die am 22. Januar 2007 eingereichte Klage. Die Klägerin trägt vor, entgegen den Angaben im Widerspruchsbescheid sei ihr Sohn nicht bis zum 3. August 2006, sondern nur bis zum 26. Juli 2006 in der Einrichtung Gutshof G. stationär betreut worden. Vom 27. Juli bis 3. August 2006 sei er im Niedersächsischen Landeskrankenhaus Lüneburg gewesen. Dementsprechend wäre ein Kostenbeitrag allenfalls für die Zeit vom 1. Juli 2006 bis 21. Juli 2006 zu zahlen. Im Übrigen könne sie wegen fehlenden Einkommens keinen Kostenbeitrag zahlen. Im Monat Juli 2006 habe sie lediglich Kindergeld sowie Einkommen aus einem Mini-Job iHv 27,50 EUR erhalten. Der Kostenbeitrag sei vom Vater des Kindes anzufordern.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 8. Juni 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Januar 2007 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Nach seiner Auffassung entspricht der geforderte Kostenbeitrag pauschal mindestens der Mittel, welche durch die externe Unterbringung eines Kindes im Haushalt einspart werden. Da sich ihr Sohn nicht zu Hause aufgehalten habe, sondern in der Einrichtung untergebracht gewesen sei, sei die Klägerin auch entlastet gewesen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die Leistungsakte des Beklagten, welche das Gericht beigezogen hat, verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides ist rechtwidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Der Beklagte ist nicht berechtigt, einen Kostenbeitrag iHv 276,00 EUR monatlich von der Klägerin für die stationäre Betreuung ihres Kindes im Gutshof G. ab 1. Juli 2006 zu erheben.
Entgegen der vom Beklagten vertretenen Rechtsauffassung ergibt sich die Verpflichtung zur Entrichtung eines Kostenbeitrags nicht aus § 92 Abs. 2 Sozialgesetzbuch 12. Buch (SGB XII) i.V.m. den landesrechtlichen Vorgaben, den Niedersächsischen Ausführungsbestimmungen zum SGB XII (Nds. AB SGB XII). Dies ergibt sich bereits aus § 19 Abs. 3 SGB XII. Danach wird vom zuständigen Träger der Sozialhilfe Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach dem 6. Kapitel des SGB XII geleistet, soweit den Leistungs-berechtigten, ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern und, wenn sie minderjährig und unverheiratet sind, auch ihren Eltern oder einem Elternteil die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des 11. Kapitels dieses Buches nicht zuzumuten ist. Ob und ggf. in welcher Höhe ein Kostenbeitrag zugemutet werden kann, bestimmt sich demzufolge nicht ausschließlich nach einer häuslichen Ersparnis, sondern vielmehr danach, ob unter Anwendung der Vorschriften §§ 85 ff SGB XII über den Einsatz des Einkommens die Aufbringung von Mitteln für die Unterbringung verlangt werden kann. Nach § 92 Abs. 2 S 1 Nr. 2, S 4 SGB XII ist bei Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung den in § 19 Abs. 3 SGB XII genannten Personen die Aufbringung der Mittel nur für die Kosten des Lebensunterhalts zuzumuten; die Kosten des in einer Einrichtung erbrachten Lebensunterhalts sind nur in Höhe der für den häuslichen Lebensunterhalt ersparten Aufwendungen anzusetzen. Die Vorschrift § 92 Abs. 2 SGB XII schafft insoweit aber keine Sonderregelung, die völlig außerhalb der all-gemeinen Einkommensgrenze steht (vgl insbesondere Schellhorn-Schellhorn, SGB XII, Kommentar 17. Aufl. § 92 Rdz 34 m.w.N., LPK-SGB XII, 8. Aufl. § 19 Rdz 42). Die Regelung soll nur verhindern, dass durch eine Unterbringung in einer der vom Gesetz genannten Einrichtungen wirtschaftliche Vorteile entstehen. Zu diesem Zweck wird der zu entrichtende Kostenbeitrag auf die ersparten Kosten für den Lebensunterhalt begrenzt (LPK-SGB XII, a.a.O. § 92 Rz 6 - Überschrift). Eine Heranziehung auch nur in Höhe der für den häuslichen Lebensunterhalt ersparten Aufwendungen ist hingegen nicht möglich, wenn dadurch der Lebensunterhalt der Personen, die von dem verbleibenden Einkommen und Vermögen existieren müssen, gefährdet würde.
Bei der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen, wie sie dem Sohn der Klägerin durch den Bescheid vom 7. Oktober 2005 bewilligt worden ist, kommt demzufolge die Aufbringung der Mittel aus dem eigenen Einkommen bei einem Elternteil nur in Betracht, wenn dies nach den Vorschriften des 11. Kapitels im Einzelfall zuzumuten ist. Diesen Anforderungen wird die Beitragsfestsetzung in dem angefochtenen Bescheid in keiner Weise gerecht. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Klägerin sind bei Festsetzung des Kostenbeitrags nicht überprüft worden. Weder ist von dem Beklagten die Einkommensgrenze gem § 85 Abs. 1 SGB XII ermittelt worden noch ist anschließend von ihm geprüft worden, ob und inwieweit ihr der Einsatz des Einkommens über der Einkommensgrenze gem § 87 SGB XII bzw. ggf. unter der Einkommensgrenze gem § 88 SGB XII zugemutet werden kann. Zudem ist vom Beklagten auch kein Ermessen ausgeübt worden, obwohl dies bei der Prüfung, ob gem §§ 87, 88 SGB XII Einkommen einzusetzen ist, zwingend erforderlich gewesen wäre. Vorliegend wurde ohne Prüfung der Einkommensverhältnisse und ohne Ausübung von Ermessen der Kostenbeitrag entsprechend den Konkretisierungen der häuslichen Ersparnis durch die aufgrund § 92 Abs. 2 S 5 SGB XII ergangenen landesrechtlichen Ausführungsbestimmungen pauschal festgesetzt.
Schon aus diesen Gründen ist der angefochtene Bescheid aufzuheben, da eine unterbliebene Ermessensausübung im Verwaltungsverfahren nicht durch eine Ermessensausübung des Gerichts ersetzt werden kann. Zudem ist in diesem Zusammenhang offen-sichtlich, dass angesichts der Einkommensverhältnisse der Klägerin, die im Monat Juli 2006 neben dem an sie gezahlten Kindergeld iHv 154,00 EUR über eigenes Einkommen nur iHv 27,50 EUR verfügte, es zumindest naheliegend gewesen wäre, von der Erhebung eines Kostenbeitrags gänzlich abzusehen.
Des weiteren ist der Bescheid aber auch rechtswidrig, weil ab 1. Juli 2006 ein Kostenbeitrag festgesetzt wird, obwohl der Sohn der Klägerin zumindest ab 3. August 2006 nicht mehr in der Einrichtung Gutshof G. stationär betreut wurde. Der angefochtene Bescheid regelt die Erhebung eines Kostenbeitrags nicht nur für den Zeitraum der stationären Betreuung in dieser Einrichtung, sondern ab 1. Juli 2006 für einen unbestimmten Zeitraum. Zwar wird in der Begründung des Bescheids angegeben, dass eine Betreuung in dieser Einrichtung seit 30. September 2005 stattfindet; gleichwohl ist weder festgelegt, dass der Kostenbeitrag nur für die Zeit der Betreuung in dieser Einrichtung erhoben wird noch unter welchen Bedingungen die Erhebung des Kostenbeitrages wieder entfällt. Damit wird die Klägerin zur Entrichtung eines Kostenbeitrags auch für Zeiträume verpflichtet, in denen eine stationäre Betreuung bereits nicht mehr stattfindet. Zudem ist eine Aufhebung des Bescheides weder vorgetragen noch aus der Akte ersichtlich, obwohl seit spätestens 3. August 2006 eine Betreuung dort nicht mehr stattfindet. Eine Aufhebung des angefochtenen Bescheides ergibt sich auch nicht aus dem Leistungsbescheid vom 12. Januar 2007, mit welchem für die stationäre Betreuung in dem heilpädagogischen Kinderheim Sonnentau ein Kostenbeitrag ab 1. Dezember 2006 auf monatlich 276,00 EUR festgesetzt worden ist. Mit diesem Bescheid vom 12. Januar 2007 wird zwar erneut ein Kostenbeitrag festgesetzt, ohne dass aber der Bescheid vom 8. Juni 2006 aufgehoben wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.