Sozialgericht Stade
Beschl. v. 26.06.2009, Az.: S 34 SF 89/08

Streit um die Höhe einer aus einer Landeskasse als Prozesskostenhilfe zu erstattenden Rechtsanwaltsgebühr

Bibliographie

Gericht
SG Stade
Datum
26.06.2009
Aktenzeichen
S 34 SF 89/08
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2009, 19976
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGSTADE:2009:0626.S34SF89.08.0A

Tenor:

Die Erinnerung gegen den Vergütungsfestsetzungsbeschluss des Sozialgerichts Stade vom 28. März 2008 wird zurückgewiesen.

Gründe

1

Streitig ist die Höhe der aus der Landeskasse als Prozesskostenhilfe zu erstattenden Rechtsanwaltsgebühren.

2

Die zulässige Erinnerung ist unbegründet.

3

Zu Recht hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle für das erstinstanzliche Eilverfahren die Verfahrensgebühr nach Nr. 3103 des Vergütungsverzeichnisses (VV) zu § 3 Abs. 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) anstelle der beantragten Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV in Ansatz gebracht.

4

Durch den geringeren Gebührenrahmen nach Nr. 3103 VV RVG gegenüber Nr. 3102 VV RVG wird dem Umstand Rechnung getragen, dass der Rechtsanwalt durch seine Tätigkeit im Verwaltungsverfahren oder im Vorverfahren mit der Materie bereits vertraut ist und deshalb die Vorbereitung des Gerichtsverfahrens für ihn weniger arbeitsaufwendig ist als für einen Rechtsanwalt, der erstmals mit der Materie befasst wird. Dies ergibt sich insbesondere aus der Begründung des Gesetzentwurfes zu Nr. 3103 (BT-Drucks 15/1971, Seite 212). Der niedrigere Gebührenrahmen der Nr. 3103 VV RVG ist auch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gerechtfertigt. Die Tätigkeit des Rechtsanwalts in sozialgerichtlichen Eilverfahren wird regelmäßig dadurch erleichtert, dass er in derselben Sache bereits im Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren tätig geworden ist. Zwar gilt im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ein anderer Maßstab als im Hauptsacheverfahren. So genügt zum Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG, dass der Antragsteller das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes glaubhaft macht. Der Vortrag des Rechtsanwalts zur Begründung des Anordnungsanspruchs ist aber inhaltlich regelmäßig deckungsgleich mit der Widerspruchsbegründung. In beiden Fällen sind die Voraussetzungen für das Vorliegen des materiell-rechtlichen Anspruchs vorzutragen. Lediglich hinsichtlich der Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes im Verhältnis zum Widerspruchsverfahren ein weiterer eigenständiger Vortrag notwendig. Aus den genannten Gründen ist es gerechtfertigt, sowohl im Klagverfahren als auch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren von einem einheitlich reduzierten Gebührenrahmen auszugehen (ebenso u.a. SG Hannover , Beschluss vom 1. Dezember 2008 - S 34 SF 177/08; LSG Niedersachsen-Bremen , Beschluss vom 25. August 2006, L 8 B 31/05 SO; LSG Bayern, Beschluss vom 18. Januar 2007 - L 15 B 224/06 AS KO; SG Aurich , Beschluss vom 09. Mai 2006, S 25 SF 20/05 AS). Dies gilt auch in dem Fall, dass Widerspruch gegen einen Verwaltungsakt und der Antrag im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zeitgleich erhoben werden, da durch die gleichzeitige Durchführung zweier Verfahren ebenfalls arbeitserleichternde Synergieeffekte entstehen (ebenso SG Hannover , Beschluss vom 2. Juli 2007 - S 34 SF 94/07; SG Aurich , Beschluss vom 18. April 2007 - S 21 SF 14/05 AS).

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Das Gericht vermag sich dagegen der Auffassung, dass sich der Gebührentatbestand der Nr. 3103 VV RVG nur auf solche Verwaltungs- bzw. Widerspruchsverfahren beziehe, die einem Hauptsacheverfahren vorgelagert sind, nicht aber auf das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes anwendbar sei, nicht anzuschließen (so aber SG Oldenburg , Beschluss vom 15. August 2005, S 47 AS 169/05 ER). Wie im Hauptsacheverfahren setzt auch die einstweilige Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG die fristgerechte Einlegung eines Widerspruchs gegen den ablehnenden Bescheid voraus, da es hier anderenfalls regelmäßig am Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Letztlich "profitiert" der Rechtsanwalt regelmäßig sowohl im Klageverfahren als auch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes von seiner Tätigkeit im Verwaltungsverfahren (vgl SG Aurich , Beschluss vom 09. Mai 2006, S 25 SF 20/05 AS), so dass die Zugrundelegung der verringerten Gebühr für beide Verfahrensarten gerechtfertigt ist.

6

Zutreffend ist die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle davon ausgegangen, dass die Verfahrensgebühr nach Nrn 3103, 1008 VV RVG in Höhe der 3/4-Mittelgebühr festzusetzen ist. Die festzusetzende Verfahrensgebühr beträgt insoweit unter Berücksichtigung des erhöhten Gebührenrahmens von 32,- EUR bis 512,- EUR und der daraus folgenden Mittelgebühr von 272,- EUR insgesamt 204,- EUR.

7

Nach §§ 3, 14 RVG bestimmt der Rechtsanwalt die Rahmengebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und der Vermögensverhältnisse des Auftragsgebers nach billigem Ermessen. Das Haftungsrisiko ist zu berücksichtigen, § 14 Abs. 1 Satz 3 RVG. Wenn die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen ist, so ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nach § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist.

8

Ausgangspunkt bei der Bemessung der Gebühr ist die sogenannte Mittelgebühr, das heißt die Mitte des gesetzlichen Gebührenrahmens, die anzusetzen ist bei Verfahren durchschnittlicher Bedeutung, durchschnittlichen Schwierigkeitsgrades und wenn die vom Rechtsanwalt/Beistand geforderte und tatsächlich entwickelte Tätigkeit ebenfalls von durchschnittlichem Umfang war. Denn nur so wird eine einigermaßen gleichmäßige Berechnungspraxis gewährleistet. Abweichungen nach unten oder oben ergeben sich, wenn nur ein Tatbestandsmerkmal des § 14 RVG fallbezogen unter- oder überdurchschnittlich zu bewerten ist, wobei das geringere Gewicht eines Bemessungsmerkmals das überwiegende Gewicht eines anderen Merkmals kompensieren kann (Gerold/Schmidt-Mayer, RVG, 18. Auflage 2008, § 14 Rn 11).

9

Vorliegend ist die Urkundsbeamtin der Gebührenbemessung des Rechtsanwalts richtiger Weise nicht gefolgt, da nach den Kriterien des § 14 RVG eine Qualifikation der Angelegenheit als durchschnittlich nicht zu rechtfertigen ist. Die vom Rechtsanwalt getroffene Bestimmung der Gebühr ist unbillig i.S. von § 14 RVG.

10

Die Bedeutung des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens für die Antragsteller wird von der Kammer als leicht überdurchschnittlich eingestuft, da es für den Antragsteller um die Gewährung von Leistungen nach § 2 AyslbLG und damit um die Gewährung existenzsichernder Leistungen ging. Allerdings muss auch berücksichtig werden, dass der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit deutlich unterdurchschnittlich war. Der Vortrag im einstweiligen Rechtsschutzverfahren beschränkte sich auf wenige Sätze; im Wesentlichen wurde auf den Widerspruch vom 21. Februar 2008 Bezug genommen. Eine fundierte Glaubhaftmachung von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund hat - anders als im Erinnerungsverfahren vorgetragen - nicht stattgefunden. Die Verfahrensdauer - an dieser Stelle von untergeordneter Bedeutung - war deutlich unterdurchschnittlich, die Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Antragsteller ebenfalls.

11

Bei einer Gesamtbetrachtung aller Kriterien des § 14 RVG ist demzufolge die Entscheidung der Urkundsbeamtin, dass lediglich der Ansatz der 3/4-Mittelgebühr als Verfahrensgebühr gerechtfertigt ist, nicht zu beanstanden. Da die Gebührensbestimmung des Rechtsanwalts mehr als 20% von der vom Gericht für angemessen gehaltenen Gebühr abweicht, ist von einer unbilligen und damit einer nicht verbindlichen Gebührenbestimmung auszugehen (Gerorld/Schmidt-Mayer, a.a.O. Rn 12).

12

Die aus der Landeskasse als Prozesskostenhilfe zu erstattenden Rechtsanwaltsgebühren bemessen sich daher wie folgt:

13

Verfahrensgebühr Nrn 3103, 1008 VV RVG 204,- EUR Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG 20,- EUR Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG (19%) 42,56 EUR Summe 266,56 EUR.

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Die Entscheidung ist endgültig, § 178 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz.