Sozialgericht Stade
Beschl. v. 04.08.2009, Az.: S 34 SF 1/09 E

Anspruch auf Erhöhung einer Verfahrensgebühr aufgrund des Umfangs einer anwaltlichen Tätigkeit; Kriterien zur Ermitttlung der Höhe erstattungsfähiger Rechtsanwaltsgebühren

Bibliographie

Gericht
SG Stade
Datum
04.08.2009
Aktenzeichen
S 34 SF 1/09 E
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2009, 19119
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGSTADE:2009:0804.S34SF1.09E.0A

Tenor:

Auf die Erinnerung der Klägerin wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Sozialgerichts Stade vom 28. Oktober 2008 geändert. Die von der Beklagten an die Klägerin zu erstattenden Kosten werden auf 703,69 EUR festgesetzt. Im Übrigen wird die Erinnerung zurückgewiesen.

Gründe

1

Streitig ist die Höhe der erstattungsfähigen Rechtsanwaltsgebühren. Die Klägerin und Erinnerungsführerin macht insoweit die Festsetzung einer höheren Verfahrensgebühr nach Nr. 3103 VV RVG sowie einer Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG geltend.

2

Die Erinnerung ist zulässig und teilweise begründet.

3

Zu Unrecht hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle lediglich eine Verfahrensgebühr nach der Nr. 3103 VV RVG iHv 238,00 EUR festgesetzt. Zutreffend ist die Verfahrensgebühr iHv 245,00 EUR festzusetzen.

4

Nach §§ 3, 14 RVG bestimmt der Rechtsanwalt die Rahmengebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und der Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Das Haftungsrisiko ist zu berücksichtigen, § 14 Abs. 1 Satz 3 RVG. Wenn die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen ist, so ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nach § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist.

5

Ausgangspunkt bei der Bemessung der Gebühr ist die sogenannte Mittelgebühr, das heißt die Mitte des gesetzlichen Gebührenrahmens, die anzusetzen ist bei Verfahren durchschnittlicher Bedeutung, durchschnittlichen Schwierigkeitsgrades und wenn die vom Rechtsanwalt/Beistand geforderte und tatsächlich entwickelte Tätigkeit ebenfalls von durchschnittlichem Umfang war. Denn nur so wird eine einigermaßen gleichmäßige Berechnungspraxis gewährleistet. Abweichungen nach unten oder oben ergeben sich, wenn nur ein Tatbestandsmerkmal des § 14 RVG fallbezogen unter- oder überdurchschnittlich zu bewerten ist, wobei das geringere Gewicht eines Bemessungsmerkmals das überwiegende Gewicht eines anderen Merkmals kompensieren kann (Gerold/Schmidt-Mayer, RVG, 18. Auflage 2008, § 14 Rn 11).

6

Die Beteiligten sind sich vorliegend darüber einig, dass aufgrund des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit eine Erhöhung der Verfahrensgebühr ausgehend von der Mittelgebühr iHv 170,00 EUR gerechtfertigt ist. Demzufolge haben sowohl Erinnerungsführerin als auch Erinnerungsgegnerin eine Verfahrensgebühr iHv 245,00 EUR für angemessen gehalten. Dem ist nicht zu widersprechen.

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Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat zu Recht die Festsetzung einer Terminsgebühr abgelehnt. Dass vorliegend eine Terminsgebühr nicht entstanden ist, resultiert aus den folgenden Erwägungen:

8

Der Anspruch auf eine Terminsgebühr ergibt sich aus Nr. 3106 VV RVG. Danach beträgt die Terminsgebühr 20,00 EUR bis 380,00 EUR. Gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 3 zu Teil 3 VV RVG entsteht eine Terminsgebühr für die Vertretung in einem Verhandlungs-, Erörterungs- oder Beweisaufnahmetermin oder die Wahrnehmung eines von einem gerichtlich bestellten Sachverständigen anberaumten Termins oder die Mitwirkung an auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechungen ohne Beteiligung des Gerichts, wobei dies allerdings für Besprechungen (nur) mit dem Auftraggeber nicht gilt. Solche Tätigkeiten, d.h. die Vertretung in einem gerichtlichen Termin oder die Teilnahme an auf die Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechungen, hat der Erinnerungsführer bereits nach seinem Vorbringen nicht entfaltet. Die Voraussetzungen der Anmerkungen 1 bis 3 der Nr. 3106 VV-RVG liegen nicht vor, unter denen "auch" eine Terminsgebühr entsteht. Dies gilt insbesondere auch hinsichtlich der Anmerkung 3, die sich auf ein Verfahrensende nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung bezieht. Ein Anerkenntnis im Sinn der genannten Vorschrift liegt nicht vor. Denn das Klageverfahren ist am 5. Mai 2008 durch die Annahme eines schriftlichen Vergleichsvorschlags des Gerichts beendet worden.

9

Eine schriftliche Einigung kann eine Terminsgebühr nicht auslösen. Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin findet die 3. Alt von Nr. 3104 VV RVG Anm Abs. 1 Nr. 1 im Rahmen von Nr. 3106 VV RVG keine - auch nicht analoge - Anwendung (ebenso LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10. Mai 2006 - L 10 B 13/05 SB - AGS 2006, 441 [LSG Nordrhein-Westfalen 10.05.2006 - S 11 SB 13/05]; Thüringer LSG, Beschluss vom 26. November 2008 - L 6 B 130/08 SF; SG Berlin , Beschluss vom 27. Oktober 2005 - S 15 KN 23/03 - AGS 2006, 131).

10

Dabei ist auch berücksichtigt, dass das Sozialgerichtsgesetz (SGG) nach seinem ausdrücklichen Wortlaut nur drei Arten unstreitiger Verfahrenserledigungen kennt: den gerichtlichen Vergleich, § 101 Abs. 1 SGG, das angenommene Anerkenntnis, § 101 Abs. 2 SGG, und die Rücknahme, § 102 Satz 2 SGG. Nach diesen Vorschriften ist ein außergerichtlicher Vergleich nicht geeignet den Rechtsstreit zu erledigen. Typischerweise bringen die Beteiligten des Rechtsstreites in einem (nicht nur Teil-)Vergleich aber übereinstimmend zum Ausdruck, dass der Rechtsstreit mit der außergerichtlichen Einigung in vollem Umfang zum Abschluss gebracht werden soll. Ein derartiger außergerichtlicher Vergleich kann in prozessualer Hinsicht als angenommenes Teilanerkenntnis und Rücknahme der weitergehenden Klage gewertet werden.

11

Verfassungsrechtliche Bedenken sind nicht erkennbar (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 19. Dezember 2006 - 1 BvR 2091/06 - RVGreport 2007, 107). Eine andere Auslegung der Nr. 3106 VV RVG ist insbesondere nicht zur Vermeidung einer etwaigen Ungleichbehandlung von Erledigungen durch Vergleich einerseits und aufgrund Anerkenntnisses andererseits erforderlich. Denn es ist nicht so, dass der Anwalt in den von § 3 RVG erfassten Verfahren bei außerterminlicher Erledigung aufgrund Anerkenntnisses drei, bei außerterminlicher Erledigung durch Vergleich aber nur zwei Gebühren erhielte. Neben der in beiden Fällen entstehenden Verfahrensgebühr (Nr. 3100 i.V.m. Nr. 3102 oder 3103 VV RVG) steht dem Anwalt bei vergleichsweiser Verfahrensbeendigung die Einigungsgebühr (Nr. 1000 i.V.m. Nrn 1005, 1006 VV RVG) zu. Diese Gebühr ist jedoch wegen Anmerkung 1 Satz 1, 2. Halbsatz zu Nr. 1000 VV RVG bei einer Erledigung des Rechtsstreites aufgrund eines Anerkenntnisses ausgeschlossen (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen , Beschluss vom 27. November 2006 - L 10 B 8/06 R SF).

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Nach alledem berechnen sich die von der Beklagten zu erstattenden Auslagen und Gebühren wie folgt:

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Vorverfahren: Geschäftsgebühr Nr. 2400 VV RVG 240,00 EUR Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG (16%) 41,60 EUR

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Klageverfahren: Einigungsgebühr Nr. 1006 VV RVG 270,00 EUR Verfahrensgebühr Nr. 3103 VV RVG 245,00 EUR Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG (19%) 101,65 EUR

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Summe 938,25 EUR davon ¾ 703,69 EUR

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Die Entscheidung ist unanfechtbar, § 197 Abs. 2 SGG.