Sozialgericht Stade
Beschl. v. 03.08.2009, Az.: S 34 SF 25/09 E
Anwendung der sog. Mittelgebühr bei Verfahren durchschnittlicher Bedeutung, durchschnittlichen Schwierigkeitsgrades und durchschnittlichem Umfang
Bibliographie
- Gericht
- SG Stade
- Datum
- 03.08.2009
- Aktenzeichen
- S 34 SF 25/09 E
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 19129
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGSTADE:2009:0803.S34SF25.09E.0A
Rechtsgrundlagen
- § 3 RVG
- § 14 RVG
- Nr. 3102 VV RVG
- Nr. 7000 VV RVG
Tenor:
Auf die Erinnerung der Klägerin wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Sozialgerichts Stade vom 23. Januar 2009 geändert.
Die von der Beklagten an die Klägerin zu erstattenden Kosten werden auf 348,17 EUR zuzüglich Zinsen von 5% über dem Basiszinssatz seit dem 27. August 2008 festgesetzt.
Im Übrigen wird die Erinnerung zurückgewiesen.
Gründe
Streitig ist die Höhe der erstattungsfähigen Rechtsanwaltsgebühren. Die Klägerin macht insoweit die Festsetzung einer höheren Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG, einer höheren Einigungsgebühr nach Nr. 1006 VV RVG sowie einer höheren Dokumentenpauschale nach Nr. 7000 VV RVG geltend.
Die Erinnerung ist teilweise begründet.
Zu Unrecht hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle lediglich eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG in Höhe von 250,- EUR festgesetzt. Zutreffend kann die Klägerin eine Verfahrensgebühr in Höhe von 300,- EUR geltend machen.
Nach §§ 3, 14 RVG bestimmt der Rechtsanwalt die Rahmengebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und der Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Das Haftungsrisiko ist zu berücksichtigen, § 14 Abs. 1 Satz 3 RVG. Wenn die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen ist, so ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nach § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist.
Ausgangspunkt bei der Bemessung der Gebühr ist die sogenannte Mittelgebühr, das heißt die Mitte des gesetzlichen Gebührenrahmens, die anzusetzen ist bei Verfahren durchschnittlicher Bedeutung, durchschnittlichen Schwierigkeitsgrades und wenn die vom Rechtsanwalt/Beistand geforderte und tatsächlich entwickelte Tätigkeit ebenfalls von durchschnittlichem Umfang war. Denn nur so wird eine einigermaßen gleichmäßige Berechnungspraxis gewährleistet. Abweichungen nach unten oder oben ergeben sich, wenn nur ein Tatbestandsmerkmal des § 14 RVG fallbezogen unter- oder überdurchschnittlich zu bewerten ist, wobei das geringere Gewicht eines Bemessungsmerkmals das überwiegende Gewicht eines anderen Merkmals kompensieren kann (Gerold/Schmidt-Mayer, RVG, 18. Auflage 2008, § 14 Rn 11).
In den sozialgerichtlichen Verfahren, die die Bewilligung von Rente wegen Erwerbsminderung dem Grunde nach betreffen, können in der Regel abhängig von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles Rahmengebühren i.S. von § 14 RVG beginnend ab der Mittelgebühr bis - im Einzelfall - zur Höchstgebühr gerechtfertigt sein und damit dem billigem Ermessen entsprechen. Dabei kann regelmäßig davon ausgegangen werden, dass die Bedeutung des Rechtsstreits für den Fall, dass die Bewilligung von Rente wegen Erwerbsminderung dem Grunde nach streitig ist, als überdurchschnittlich einzustufen ist. Darüber hinaus ist hier zu berücksichtigen, dass der Rechtsanwalt glaubhaft dargelegt hat, dass der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit zumindest leicht überdurchschnittlich gewesen ist. Nach alledem hält es das Gericht für gerechtfertigt, vorliegend eine Verfahrensgebühr, die ausgehend von der Mittelgebühr um 20% erhöht wird, anzusetzen. Gerechtfertigt ist danach eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VVRVG in Höhe von 300,00 EUR. Da die Gebührenbestimmung des Rechtsanwalts um mehr als 20% von der vom Gericht als angemessen gehaltenen Gebühr abweicht, ist von einer unbilligen und damit nicht verbindlichen Gebührenbestimmung auszugehen (Gerold/Schmidt-Mayer, a.a.O., Rn 12).
Hinsichtlich des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit ist nicht ersichtlich, dass dieser wesentlich über den in einem durchschnittlichen sozialgerichtlichen Verfahren zu erwartenden Umfang einer anwaltlichen Tätigkeit hinaus geht. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat im Wesentlichen eine Klagebegründung (Schriftsatz vom 04. Oktober 2007) sowie eine etwa einseitige Stellungnahme zum eingeholten Gerichtsgutachten (Schriftsatz vom 07. August 2008) gefertigt. Darüber hinaus wurden drei Kurzschriftsätze übersandt. Die Tatsache, dass im Verfahren ein medizinisches Gutachten zu lesen und zu würdigen war, führt alleine noch nicht zu einer Überdurchschnittlichkeit der anwaltlichen Tätigkeit. Denn in einem sozialgerichtlichen Verfahren entspricht es dem Regelfall, dass zumindest ein medizinisches Gutachten im Verfahren eingeholt wird und von den Beteiligten zu lesen und zu würdigen ist. Mangels weiterer Anhaltspunkte kann vorliegend daher allenfalls ein ganz leicht überdurchschnittlicher Umfang der anwaltlichen Tätigkeit gesehen werden. Die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit ist dagegen vorliegend für ein sozialgerichtliches Verfahren als durchschnittlich anzusehen. Anhaltspunkte dafür, dass die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Klägerin wesentlich vom Durchschnitt abweichen, sind nicht erkennbar. Nach alledem hält das Gericht es für vertretbar, dass als Verfahrensgebühr eine um 20% erhöhte Mittelgebühr geltend gemacht wird.
Zutreffend hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle eine Einigungsgebühr nach Nr. 1006 VV RVG in Höhe von 228,- EUR festgesetzt. Auch insoweit ist eine Erhöhung der Mittelgebühr um 20% zu rechtfertigen. Im Übrigen wird auf die Ausführungen zur Verfahrensgebühr Bezug genommen. Da die Gebührenbestimmung des Rechtsanwalts um mehr als 20% von der vom Gericht für angemessen gehaltenen Gebühr abweicht, ist von einer unbilligen und damit nicht verbindlichen Gebührenbestimmung auszugehen (Gerold/Schmidt-Mayer, a.a.O., Rn 12).
Als Dokumentenpauschale nach Nr. 7000 VV RVG kann die Klägerin einen Betrag von 37,15 EUR geltend machen.
Die Kosten für Ablichtungen sind nach dieser Regelung erstattungsfähig, soweit sie zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten sind. Bei der Beurteilung, was zur Bearbeitung der Sache sachgemäß ist, ist auf die Sicht abzustellen, die ein verständiger und durchschnittlich erfahrener Rechtsanwalt haben kann, wenn er sich mit der betreffenden Leistungsakte beschäftigt und alle Eventualitäten bedenkt, die bei der dann noch erforderlichen eigenen Bearbeitung der Sache auftreten können. Dem Rechtsanwalt ist ein gewisser Ermessensspielraum zu überlassen (Gerold/Schmidt-Müller-Rabe, RVG, 18. Aufl. 2008, VV 7000 Rdn 22). Nach der ständigen Rechtsprechung der niedersächsischen Sozialgerichte (ua SG Osnabrück , Beschluss vom 13. Juni 2007 - S 1 SF 56/06; SG Hildesheim , Beschluss vom 20. Oktober 2008 - S 12 SF 28/08; SG Stade , Beschluss vom 8. Juni 2009 - S 34 SF 72/08) kann allerdings derjenige, der sich nicht der Mühe unterziehen will den Umfang der Ablichtungen bei Erhalt der Akten konkret und sachbezogen zu bestimmen, die Kosten für überflüssige Schreibauslagen nicht der Staatskasse bzw. dem Leistungsträger aufbürden. Das Gericht hält es in diesen Fällen für zulässig, unsubstantiiert geltend gemachte Kopierauslagen pauschal zu kürzen, wenn auch auf Nachfrage die Notwendigkeit der einzelnen Kopien nicht belegt wird (vgl SG Osnabrück, a.a.O.; SG Hildesheim, a.a.O.). In solchen Situationen ist es nicht Aufgabe des Gerichts, die notwendigen Fotokopien zu ermitteln und von den insgesamt geltend gemachten Fotokopien abzuziehen (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18. Oktober 2006 - 7 E 1339/05).
Anhand des Inhalts der Leistungsakte und der dem Gericht per Fax vom Prozessbevollmächtigten vorgelegten Kopien wird deutlich, dass Ablichtungen praktisch des gesamten Inhalts der Akte gefertigt worden sind, ohne eine Prüfung der Notwendigkeit vorzunehmen. Die Notwendigkeit der gefertigten Kopien wurde von der Klägerin insoweit nicht substantiiert dargelegt. Das Gericht hält es unter diesen Umständen für gerechtfertigt, pauschal 50% der geltend gemachten Fotokopien als notwendig zu berücksichtigen.
Nach alledem berechnen sich die erstattungsfähigen Gebühren und Auslagen wie folgt:
Verfahrengebühr Nr. 3102 VV RVG 300,- EUR Einigungsgebühr Nr. 1006 VV RVG 228,- EUR Dokumentenpauschale Nr. 7000 VV RVG 37,15 EUR Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG 20,- EUR Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG 111,18 EUR Gesamtsumme 696,33 EUR davon 1/2 348,17 EUR