Sozialgericht Stade
Beschl. v. 29.04.2009, Az.: S 4 R 153/09 ER

Verpflichtung zur Gewährung einer stationären Rehabilitationsmaßnahme im Falle einer Unterschenkelprothese

Bibliographie

Gericht
SG Stade
Datum
29.04.2009
Aktenzeichen
S 4 R 153/09 ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2009, 19975
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGSTADE:2009:0429.S4R153.09ER.0A

Tenor:

Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes vom 8. April 2009 wird abgelehnt.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung der Antragsgegnerin zu Gewährung einer medizinischen Rehabilitation.

2

Der Kläger, geboren im Jahr 1949, ist selbständiger Mineralölwagenfahrer bzw. Heizöllieferant. Aufgrund einer nicht behandelten Diabetes-Erkrankung musste im Dezember 2008 der Unterschenkel links amputiert werden. Für Ende April steht nun die Lieferung der Unterschenkelprothese bevor. Die Krankenkasse des Antragstellers verweigert nach seinen Angaben die Übernahme der Kosten für die weitere Behandlung, weil er die Diabetes-Erkrankung nicht im Antragsformular der Versicherung angegeben hatte.

3

Am 13. Januar 2009 stellte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin einen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation - Anschlussheilbehandlung -, um durch eine Mobilisation und Prothesenanpassung wieder Erwerbsfähigkeit im alten Beruf zu erreichen. Mit Bescheid vom 14. Januar 2009 lehnte die Beklagte des Antrag mit der Begründung ab, die begehrte medizinische Rehabilitation könne nicht gewährt werden, denn die Erwerbsfähigkeit sei dadurch nicht wesentlich zu verbessern oder wiederherzustellen oder eine wesentliche Verschlechterung abzuwenden. Der Widerspruch des Antragstellers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26. März 2009 als unbegründet zurück. Am 8. April 2009 hat der Antragsteller Klage erhoben.

4

Am gleichen Tage hat er sich mit einem Eilantrag an das Gericht gewandt.

5

Der Antragsteller trägt vor, er müsse an die Prothese, deren Lieferung unmittelbar bevorstehe, professionell gewöhnt werden. Ohne professionelle Gewöhnung bestehe die Gefahr, dass sich Fehler eingewöhnen, die dann nicht mehr korrigierbar seien. Er sei ansonsten fit und wolle wieder arbeiten. Falls die Ausübung der bisherigen Tätigkeit schwierig werde, habe er aufgrund seiner guten Kundenkontakte eine Zusage der Fa. C., dort im Büro arbeiten zu können.

6

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm die begehrte Rehabilitationsmaßnahme zu gewähren und unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 14. Januar 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. März 2009 die Kosten der Maßnahme zu übernehmen.

7

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Eilantrag abzulehnen.

8

Sie verweist auf ihr Vorbringen im Widerspruchsbescheid und weist darauf hin, dass eine einstweilige Regelung zu einer unzulässigen Vorwegnahme der Hauptsache führe. Die notwendige Eilbedürftigkeit sei nicht erkennbar. Im Übrigen handele es sich um eine Ermessensleistung, über die im Hauptsacheverfahren zu befinden sei.

9

II.

Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.

10

Nach § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das Gericht der Hauptsache ist das Gericht des ersten Rechtszuges. Voraussetzung für den Erlass der hier begehrten Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG ist neben einer besonderen Eilbedürftigkeit der Regelung (Anordnungsgrund) das Bestehen eines Anspruchs auf die begehrte Regelung (Anordnungsanspruch). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 3 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).

11

1.)

Der Antragsteller konnte einen Anordnungsanspruch nicht in ausreichender Weise glaubhaft machen. Das Gericht kann nach der hier gebotenen summarischen Prüfung ohne weitergehende medizinische Ermittlungen nicht mit der notwendigen Überzeugung beurteilen, ob die Zwecke der Rehabilitation, wie sie vom Gesetz in § 10 SGB VI vorausgesetzt werden, erreicht werden können.

12

Es fragt sich zunächst schon, ob eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme im Falle einer Unterschenkelprothese überhaupt erforderlich ist und nicht auch eine fachärztliche ambulante Begleitung, d.h. konkret eine Gehschule, in der Angewöhnungsphase sachgerecht und ausreichend ist.

13

Außerdem erscheint offen, ob und inwieweit die Erwerbsfähigkeit des Antragstellers durch die Rehabilitationsmaßnahme wiederhergestellt oder verbessert werden kann. Hierbei spielt aus Sicht des Gerichts insbesondere der Zusammenhang mit der Diabetes-Erkrankung des Antragstellers eine wesentliche Rolle, denn diese Erkrankung dürfte auch nach der Amputation des linken Unterschenkels weiterhin bestehen und sich auch auf andere Köperteile auswirken. Es geht in Bezug auf die Erwerbsfähigkeit des Antragstellers damit nicht allein um die Prothese und deren fachgerechte Angewöhnung, sondern letztlich in erster Linie um die allgemeine Prognose hinsichtlich des beruflichen Leistungsvermögens vor dem Hintergrund des allgemeinen Leidensbildes des Antragstellers. Verlässliche Feststellungen kann das Gericht diesbezüglich nur durch eine Fachbegutachtung im Rahmen des bereits anhängigen Hauptsacheverfahrens erreichen.

14

2.)

Zugleich erscheint auch ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft. Die notwendige Eilbedürftigkeit, die den Erlass einer gerichtlichen Eilentscheidung rechtfertigen kann, liegt in der Regel dann vor, wenn dem Betroffenen schwerwiegende Nachteile drohen, die ihm ein Abwarten einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren unzumutbar machen und zu deren Abwehr eine einstweilige Regelung erforderlich ist. Das Gericht kann nicht erkennen, dass es dem Antragsteller unzumutbar sein könnte, das weitere Verfahren abzuwarten. Die bevorstehende Lieferung der Prothese begründet keine besondere Eile, denn die Amputation des Unterschenkels ist bereits im Dezember 2008 erfolgt. Es ist dem Antragsteller zuzumuten, noch ein paar Wochen ohne die Prothese zu leben bzw. hilfsweise zunächst eine ambulante, fachärztlich begleitete Angewöhnung (Gehschule) zu beginnen.

15

Dem Gericht ist dabei die wirtschaftliche Bedeutung der Angelegenheit für den Antragsteller durchaus bewusst. Der Geschäftsbetrieb bzw. der Erhalt der Kundenkontakte aus der bisherigen Tätigkeit erfordern eine zügige Entscheidung, um ggf. möglichst bald eine Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit zu erreichen. Zugunsten des Antragstellers soll daher im Rahmen des Hauptsacheverfahrens kurzfristig eine Begutachtung veranlasst werden, um die Frage der möglichen Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit und die weiteren Auswirkungen der Diabetes-Erkrankung abzuklären. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin geht das Gericht dabei allerdings nicht davon aus, dass allein die Versorgung mit einer Unterschenkelprothese schon zu einer dauerhaften Aufhebung des beruflichen Leistungsvermögens führt.

16

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.