Sozialgericht Stade
Urt. v. 31.08.2009, Az.: S 13 EG 10/08

Neuberechnung des Elterngeldes unter Verschiebung des Bemessungszeitraums sowie der Berücksichtigung steuerfreier Übergangsleistungen und Übergangsgeld bei der Bildung des Durchschnittseinkommens

Bibliographie

Gericht
SG Stade
Datum
31.08.2009
Aktenzeichen
S 13 EG 10/08
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2009, 36334
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGSTADE:2009:0831.S13EG10.08.0A

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt eine Neuberechnung ihres Elterngeldes unter Verschiebung des Bemessungszeitraums sowie der Berücksichtigung steuerfreier Übergangsleistungen und Übergangsgeld bei der Bildung des Durchschnittseinkommens.

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Die Klägerin ist gelernte Altenpflegerin. Aus gesundheitlichen Gründen erfolgte im Rahmen einer von der Berufsgenossenschaft gewährten Leistung zur Teilhabe eine Umschulung der Klägerin zur Pflegedienstleitung vom 2. Januar 2006 bis 16. November 2007. Während der Umschulung bezog die Klägerin Übergangsgeld iHv 942,90 EUR monatlich und im letzten Monat anteilig 507,52 EUR. Zugleich erhielt sie von Dezember 2006 bis November 2007 Übergangsleistungen nach § 3 Abs. 2 der BerufskrankheitenVO iHv 389,72 EUR monatlich. Ab 1. Dezember 2007 bis einschließlich März 2008 arbeitete die Klägerin bis zum Beginn der Mutterschutzfrist Anfang April 2008 als Pflegedienstleitung unter erzielte ein Einkommen iHv 2.460,00 EUR brutto im Monat.

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Am 17. Mai 2008 brachte die Klägerin ihre Tochter G. zur Welt. In diesem Zusammenhang bezog sie vom 6. April 2008 bis zum 13. Juli 2008 Mutterschaftsgeld und einen Zuschuss vom Arbeitgeber. Am 18. Juni 2008 beantragte die Klägerin beim Beklagten die Gewährung von Elterngeld für die ersten zwölf Lebensmonate des Kindes. Mit Bescheid vom 3. Juli 2008 bewilligte der Beklagte der Klägerin Elterngeld iHv 44,85 EUR für den zweiten Lebensmonat und anschließend monatlich 448,53 EUR. Der Leistungshöhe lag ein angenommenes durchschnittliches Erwerbseinkommen vor der Geburt iHv 483,33 EUR im Zeitraum April 2007 bis einschließlich März 2008 zugrunde, wobei nur das Erwerbseinkommen von Dezember 2007 bis März 2008 Berücksichtigung gefunden hatte. Der Monat April 2008 blieb bei der Berechnung wegen des Bezugs von Mutterschaftsgeld außer Betracht. Mit ihrem Widerspruch begehrte die Klägerin eine Berücksichtigung auch der steuerfreien Übergangsleistungen bei Berechnung des maßgeblichen Durchschnittseinkommens oder sonst die Zugrundelegung des Gehalts als Altenpflegerin im Jahr 2005, d.h. vor Beginn der Umschulung im Januar 2006. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 25. August 2008 als unbegründet zurück. Am 25. September 2009 hat die Klägerin Klage erhoben.

4

Zur Begründung trägt die Klägerin vor, sie haben während der Umschulung auch praktisch gearbeitet und nach Funktion und Umfang die Tätigkeit einer Pflegedienstleitung ausgeübt. Für die Krankheit, die die Umschulung notwendig machte, könne sie nichts. Das Übergangsgeld und die Übergangsleistungen müssten daher als Einkommen berücksichtigt werden. Es verstoße außerdem gegenArt 3 Abs. 1 GG, dass der Monat April 2008 bei der Bestimmung des Zwölfmonatszeitraums übersprungen würde, da dies den Einkommensdurchschnitt verringere und sich z.B. bei Beamtinnen eine Verschiebung in die Vergangenheit nicht ergebe.

5

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 3. Juli 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. August 2008 und des Änderungsbescheides vom 6. April 2009 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin für Juni 2008 87,76 EUR Elterngeld und ab Juli 2008 monatlich 877,61 EUR Elterngeld zu gewähren, hilfsweise, den Beklagten zu verurteilen, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

6

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

7

Er verweist im Wesentlichen auf sein bisheriges Vorbringen im Widerspruchsbescheid.

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Zum Vorbringen der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte des Beklagten, die auch Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 31. August 2009 waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Klage hat keinen Erfolg.

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Die Berechnung des Elterngeldes durch den Beklagten unter Verschiebung des Bemessungszeitraums um einen Monat in die Vergangenheit und ohne Berücksichtigung des Einkommens aus Übergangsgeld und Übergangsleistungen erweist sich als rechtmäßig und beschwert die Klägerin daher nicht, § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf höheres Elterngeld.

11

Gemäß § 2 Abs. 1 BEEG wird Elterngeld in Höher von 67 Prozent des in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat der Geburt durchschnittlich erzielten monatlichen Einkommens aus Erwerbstätigkeit bis zu einem Höchstbetrag von 1.800,00 EUR monatlich für volle Monate gezahlt, in denen die berechtigte Person kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt. Als Einkommen aus Erwerbstätigkeit ist die Summe der positiven Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb, selbständiger Arbeit und nichtselbständiger Arbeit im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 4 des Einkommenssteuergesetzes nach Maßgabe der Absätze 7 bis 9 zu berücksichtigen. Gemäß § 2 Abs. 7 Satz 5 BEEG bleiben Kalendermonate, in denen die berechtigte Person vor der Geburt des Kindes ohne Berücksichtigung einer Verlängerung des Auszahlungszeitraums nach § 6 Satz 2 Elterngeld für ein älteres Kind bezogen hat, bei der Bestimmung der zwölf für die Einkommensermittlung vor der Geburt des Kindes zu Grunde zulegenden Kalendermonate unberücksichtigt. Nach Satz 6 gilt das Gleiche für Kalendermonate, in denen die berechtigte Person Mutterschaftsgeld nach derReichsversicherungsordnung oder dem Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte bezogen hat oder in denen während der Schwangerschaft wegen einer maßgeblich auf die Schwangerschaft zurückzuführenden Erkrankung Einkommen aus Erwerbstätigkeit ganz oder teilweise weggefallen ist.

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Nach diesen gesetzlichen Maßgaben sind die Berechnung und damit auch die Bewilligung des Elterngeldes durch den Beklagten der Höhe nach nicht zu beanstanden. Die gesetzliche Regelung ein klar und eindeutig und lässt keinen Raum weder für die Verschiebung des Bemessungszeitraums (a) noch für eine Einbeziehung steuerfreier Einkommensanteile oder Leistungen bei der Berechnung des Durchschnittseinkommens (b). Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen nicht (c).

13

a.)

Es ist rechtlich korrekt, dass der Beklagte bei der Bestimmung des maßgeblichen Bemessungszeitraums den Monat April 2008 wegen des Bezugs von Mutterschaftsgeld unberücksichtigt gelassen und den gesamten Zwölfmonatszeitraum um einen Monat in die Vergangenheit verschoben hat. Dies entspricht dem Wortlaut des Gesetzes. Die redaktionelle Fassung des Satzes 6 in § 2 Abs. 7 BEEG macht deutlich, dass dieser sich unmittelbar auf den vorangehenden Satz 5 bezieht ("unberücksichtigt bleiben auch "). In Satz 5 wird geregelt, dass bestimmte Monate "bei der Bestimmung der zwölf für die Einkommensermittlung vor der Geburt des Kindes zugrunde zu legenden Kalendermonate" unberücksichtigt bleiben sollen. Es geht damit gerade um die Bestimmung der entscheidenden zwölf Kalendermonate d.h. des Bemessungszeitraums selbst. Es heißt ausdrücklich nicht, dass bestimmte Monate innerhalb des Zwölfmonatszeitraums ausgeklammert werden sollen, sondern um die Bestimmung des Zwölfmonatszeitraums selbst. Die Aussage des Satz 6 ist damit, dass Kalendermonate des Bezugs von Mutterschaftsgeld ebenfalls bei der Bestimmung des Zwölfmonatszeitraums unberücksichtigt bleiben. Die Norm kann nicht dahingehend ausgelegt werden, dass stattdessen aus nur elf Monaten der Bemessungszeitraum gebildet werden sollte, auch wenn dies im Einzelfall unter Umständen zu einem höheren Durchschnittseinkommen und damit einem höheren Elterngeldanspruch führt. Eine andersartige als im Gesetz vorgesehene Bestimmung des Bemessungszeitraums ist vom Gesetzgeber nicht gewollt. Das Elterngeld ist gerade nicht als Leistung eines allgemeinen sozialen Ausgleichs konzipiert (vgl z.B. auch Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 30. Januar 2009 - L 13 EG 48/08 -; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 4. September 2008 - L 12 EG 5/08 -).

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b.)

Eine Berücksichtigung des Übergangsgeldes sowie der Übergangsleistungen gemäß BerufskrankheitenVO kommt nicht in Betracht. Es handelt sich um steuerfreie Einnahmen im Sinne des § 3 Nr. 1a EStG. Die Einnahmen zählen daher nicht zum zu versteuernden Einkommen im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 4 EStG, auf die in § 2 Abs. 1 BEEG ausdrücklich verwiesen wird. Nicht zu versteuernde Einkünfte zählen gerade nicht zum zu versteuernden Einkommen. Der § 2 Abs. 1 EStG ist aus systematischen Gründen nicht dahingehend zu verstehen, dass zunächst einmal alle erdenklichen Einkünfte als zu versteuerndes Einkommen anzusehen wären und im Weiteren einzelne Einnahmen wieder ausgeklammert würden. Die Unterscheidung in steuerfreie Einnahmen und zu versteuernde Einkünfte liegt dem Einkommens-steuerrecht von vornherein zugrunde. Die Folge des Verweises in § 2 Abs. 1 BEEG ist aus rechtlicher Sicht eindeutig, der Wortlaut lässt keine andere Auslegung zu.

15

Im Zusammenhang mit dem BEEG sind in der Rechtsprechung verschiedene steuerfreie Einnahmen bereits Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen geworden, z.B. in Bezug auf Nacht- und Feiertagszuschläge i.S. des § 3 b EStG (vgl Sozialgericht Stade, Urteil vom 15. Dezember 2008 - S 13 EG 4/07 -), Altersvorsorgebeiträge, Schichtzulagen (z.B. Sozialgericht Darmstadt, Urteil vom 14. Oktober 2008 - S 6 EG 6/08 -) und Lohnersatzleistungen (z.B. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 30. Januar 2009 - L 13 EG 48/08 -). Zuletzt hat z.B. auch das Bundessozialgericht bestätigt, dass steuerfreie Beiträge eines Arbeitgebers zu einer Pensionskasse i.S. des § 3 Nr. 63 EStG im Rahmen des § 2 Abs. 1 EStG unberücksichtigt bleiben und daher auch nicht zum Einkommen i.S. des BEEG rechnen, weil § 2 Abs. 1 Satz 2 BEEG zur Bestimmung des für die Bemessung des Elterngeldes maßgeblichen Einkommens aus Erwerbstätigkeit auf die Summe der positiven Einkünfte u.a. aus nichtselbständiger Arbeit i.S. des § 2 Abs. 1 Nr. 4 EStG verweist (BSG, Urteil vom 25. Juni 2009 - B 10 EG 9/08 R -; vgl. Terminsbericht Nr. 31/09 vom 29. Juni 2009). Über die Lesart des § 2 Abs. 1 BEEG besteht demnach in der Rechtsprechung überwiegend Einigkeit.

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Das Gericht sieht sich an den klaren und eindeutigen Wortlaut des Gesetzes gebunden. Dem Vorbringen der Klägerin, dass sie praktisch während der Umschulung wie eine Pflegedienstleitung gearbeitet habe und das Übergangsgeld insoweit Entgeltcharakter habe bzw. faktisch einem Erwerbseinkommen gleichzusetzen und daher bei der Berechnung des Durchschnittseinkommens zu berücksichtigen sei, kann aus rechtlichen Gründen nicht gefolgt werden. Der Klägerin ist dennoch zuzugeben, dass die Anknüpfung des Elterngeldes an das zu versteuernde Einkommen nach dem Willen des Gesetzgebers in der Praxis im Einzelfall zu Benachteiligungen führen kann, nämlich bei Personen, deren zur Deckung des allgemeinen Lebensunterhalts zu Verfügung stehenden Mittel teilweise oder ausschließlich aus steuerfreien Einnahmen bestehen, z.B. Schicht- und Nachtzulagen. Ein sachlicher Zwang, bei der Ermittlung des Durchschnittseinkommens gemäß § 2 Abs. 1 BEEG nur auf zu versteuernde Einkünfte abzustellen und nicht auch auf andere im Zusammenhang mit beruflicher Tätigkeit stehenden Zuflüsse, ist nicht unmittelbar erkennbar. Eine andere Ausgestaltung des Elterngeldes wären technisch denkbar. Diesbezüglich eine mögliche Neuausrichtung oder Gesetzesänderung herbeizuführen, ist jedoch eine politische Angelegenheit und nicht Sache des Gerichts. Das Gericht kann aufgrund der Bindung an Recht und Gesetz gemäß Art 19 Abs. 4 GG nicht allein aus abweichenden inhaltlichen Erwägungen sehenden Auges eine vom Gesetzgeber vorgegebene Regelung außer Acht lassen oder eine dem Gesetz nicht entsprechende Handhabung verfolgen, solange das Gesetz keinen Raum für eine entsprechende Auslegung lässt.

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c.)

Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Berechnungsvorschriften ergeben sich aus Sicht des erkennenden Gerichts im Übrigen nicht. Der Gesetzgeber hat sich im Rahmen seines gesetzgeberischen Gestaltungsermessens für die bestehende Regelung entschieden. Grundrechtsverletzungen, insbesondere gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung aus Art 3 GG, kann das Gericht nicht erkennen. Der Schutzbereich des Art 3 Abs. 1 GG ist eröffnet, wenn wesentlich Gleiches un-gleich behandelt wird. Es besteht kein Anspruch der Klägerin als Angestellte auf Gleichbehandlung z.B. mit Beamtinnen, die anstelle von Mutterschaftsgeld während der Mutterschutzfrist das bisherige Gehalt weiterbeziehen und bei denen der Bemessungszeitraum daher nicht nach hinten verschoben wird, denn es handelt sich um eine andere Erwerbsform. Die Vergleichsgruppe im Sinne des Art 3 Abs. 1 GG sind im Falle der Klägerin nicht Beamtinnen, sondern Angestellte, die sich im Bemessungszeitraum ebenfalls in Umschulungen befanden und keine zu versteuernden Einnahmen erzielen konnten. Gerade durch die Verschiebung des Bemessungszeitraums gemäß § 2 Abs. 7 Satz 6 BEEG wird eigentlich eine mögliche Benachteiligung von Angestellten vermieden, da ansonsten der Monat des Mutterschaftsgeldbezug vor Geburt sich im Durchschnitt einkommensmindernd auswirken würde. Im Falle der Klägerin besteht der Sonderfall darin, dass aufgrund der Umschulung ausnahmsweise im maßgeblichen Bemessungszeitraum ein geringeres bzw. gar kein zu versteuerndes Einkommen bezogen wurde als im Monat des Mutterschaftsgeldbezugs, so dass sich die Regelung nachteilig auswirkt. Dies macht sie jedoch nicht verfassungswidrig (vgl zur Verfassungsmäßigkeit des § 2 Abs. 7 BEEG ausführlich Bundessozialgericht, Urteil vom 19. Februar 2009 - B 10 EG 2/08 R -).

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.