Sozialgericht Stade
Beschl. v. 27.05.2009, Az.: S 21 VE 8/09 ER

Bibliographie

Gericht
SG Stade
Datum
27.05.2009
Aktenzeichen
S 21 VE 8/09 ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2009, 43666
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGSTADE:2009:0527.S21VE8.09ER.0A

Tenor:

  1. Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes vom 8. April 2009 wird abgelehnt.

  2. Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I.

Der Antragsteller begehrt die vorläufige Fortzahlung des ihm vom Antragsgegner ursprünglich gewährten Versorgungskrankengeldes über den 6. April 2009 hinaus.

2

Beim Antragsteller, geboren im Jahr 1971, beruflich zuletzt als Fruchtsafttechniker tätig, wurde erstmals ab 1. Oktober 1993 durch das Versorgungsamt D. aufgrund einer chronischen Darmerkrankung (Morbus Crohn) durch schädigende Einwirkungen iSv §§ 80, 81 SVG eine MdE gemäß § 30 Abs 1 BVG iHv 30 anerkannt. Seit dem 7. März 2007 besteht ununterbrochen Arbeitsunfähigkeit.

3

Ab dem 11. April 2007 erhielt er vom Antragsgegner laufend Versorgungskrankengeld iHv rund 1.800,00 EUR monatlich ausgehend von einem durchschnittlichen Brutto-Einkommen vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit iHv rund 2.457,00 EUR und einem Netto-Einkommen iHv rund 1.815,00 EUR monatlich (Regelentgelt 81,91 EUR/Tag).

4

Ein Antrag des Antragstellers auf Neufeststellung der anerkannten MdE aufgrund einer Verschlimmerung der Schädigungsfolgen wurde mit Bescheid des Antragsgegners vom 20. März 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Februar 2009 abgelehnt. Am 4. März 2009 hat der Antragsteller Klage beim Sozialgericht Stade erhoben, mit der er sein Ziel einer Neufeststellung der MdE weiterverfolgt. Die Klage wird unter dem Aktenzeichen - S 21 VS 3/09 - geführt.

5

Nach Anhörung durch Schreiben vom 5. März 2009 erließ der Antragsgegner am 20. März 2009 einen Bescheid über den Wegfall des Versorgungskrankengeldes gemäß §§ 16 ff Bundesversorgungsgesetz (BVG) iVm § 18a Abs 7 BVG mit Ablauf des 6. April 2009 und stellte darin unter Bezugnahme auf Gutachten des MDK Bremen vom 1. Juni 2008 und eine versorgungsärztliche Stellungnahme vom 27. Februar 2009 fest, dass beim Antragsteller ein Dauerzustand iS des § 18a Abs 7 BVG gegeben sei. Mit Schreiben vom 8. April 2009 hat der Antragsteller gegen den Bescheid förmlich Widerspruch erhoben, über den - soweit ersichtlich - bisher noch nicht entschieden wurde.

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Ebenfalls am 8 April 2009 hat er sich wegen der Einstellung des Versorgungskrankengeldes mit einem Eilantrag an das Gericht gewandt.

7

Zur Begründung trägt er vor, die Ermittlungen des Antragsgegners seien nicht ausreichend zur Feststellung eines Dauerzustandes. Es sei keine Untersuchung durch einen Facharzt (Gastroenterologe) erfolgt, sondern durch die nur sozialmedizinisch erfahrenen Ärzte des MDK. Die Krankheit Morbus Crohn könne jedoch sowohl chronisch als auch schubweise auftreten, so dass im letzteren Fall während der Remissionsphasen Arbeitsfähigkeit eintreten könne. Die Art der Erkrankung sei diesbezüglich nicht ausreichend ermittelt. Der behandelnde Arzt gehe davon aus, dass durch eine Therapie mit dem Medikament Humira eine Remissionsphase erreicht werden könne.

8

Der Antragsteller beantragt,

  1. den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller Versorgungskrankengeld über den 6. April 2009 hinaus zu gewähren.

9

Der Antragsgegner beantragt,

  1. den Eilantrag abzulehnen.

10

Er verweist sinngemäß darauf, dass die Argumente des Antragstellers, die gegen einen Dauerzustand sprechen sollen, eher spekulativer Natur seien, während die Annahme des Dauerzustandes auf den Feststellungen von Ärzten beruhe.

11

Zum Vorbringen der Beteiligten im Übrigen und zu weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die vorliegende Verwaltungsakte (BeiheftHuK) des Antragsgegners Bezug genommen.

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II. Der Antrag hat keinen Erfolg.

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Unter Berücksichtigung des Begehrens des Antragstellers, der eine Fortzahlung des Versorgungskrankengeldes über den 6. April 2009 hinaus begehrt, war über den Eilrechtsschutz hier nach den Vorschriften der § 86b Abs 1 SGG iVm § 86a Abs 2 Nr 2 SGG zu entscheiden. Denn gemäß § 86a Abs 2 Nr 2 SGG hat der Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 20. März 2009 keine aufschiebende Wirkung. Durch eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung kann das Ziel einer Fortzahlung des Versorgungskrankengeldes erreicht werden.

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Gemäß § 86 b Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Bei der Prüfung, ob die Anordnung zu erlassen ist, hat das Gericht eine Interessenabwägung zwischen den Belangen der Öffentlichkeit und denen des Antragstellers vorzunehmen. Hierbei kommt es insbesondere auf die Bedeutung und die Dringlichkeit des streitigen Anspruchs, das Gewicht der hiervon berührten öffentlichen Interessen und darauf an, ob entstehende Nachteile später wieder ausgeglichen werden können. Die Aussetzung der Vollziehung steht dabei im Ermessen des Gerichts, wobei es eine Interessenabwägung zwischen dem Interesse des Antragstellers an der Aussetzung und dem Interesse der Verwaltung am sofortigen Vollzug vorzunehmen hat. Dabei können die Erfolgsaussichten des Widerspruchs bzw. der bereits erhobenen Klage nicht unberücksichtigt bleiben. Wäre eine Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, kommt eine Aussetzung nicht in Betracht. Hat eine Klage Aussicht auf Erfolg, ist in der Regel auszusetzen.

15

Nach der gebotenen summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache und Abwägung der Interessen die Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzulehnen. Aus derzeitiger Sicht erscheint die Aufhebung der bisherigen Bewilligung durch den Bescheid vom 20. März 2009 trotz weiteren Prüfungsbedarfs im Ergebnis rechtmäßig, so dass die Erfolgsaussichten in der Hauptsache kritisch zu beurteilen sind.

16

Für eine Aussetzung der Vollziehung und damit für eine vorläufige Weiterzahlung des Versorgungskrankengeldes spricht aus Sicht des erkennenden Gerichts in erster Linie der weitere Aufklärungsbedarf hinsichtlich des medizinischen Sachverhalts. In medizinischer Hinsicht besteht nach Auffassung des Gerichts Anlass für die Durchführung einer fachärztlichen Begutachtung durch einen Internisten bzw Gastroenterologen, um die spezifischen Auswirkungen und die weitere Entwicklung der Erkrankung endgültig zu klären. Der Antragsgegner selbst teilte im Schriftsatz vom 18. Mai 2009 mit, im Rahmen der Widerspruchsprüfung noch unter Beteiligung der Krankenkasse des Antragstellers die Zulassung und Wirkung des vom Antragsteller benannten Medikaments Humira zu ermitteln. Auch solle der versorgungsärztliche Dienst noch einmal befasst werden.

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Allerdings begründet der weitere Prüfungsbedarf allein nicht, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anzuordnen, denn mit der Untersuchung durch den MDK besteht bereits ein ärztliche Prognose, die gegenüber den Einwendungen des Antragstellers fachlich belastbarer erscheint. Denn zutreffend weist der Antragsgegner darauf hin, dass die Einwendungen des Antragstellers eher spekulativ sind. Die Wirkungen des Medikaments Humira müssen als bestenfalls offen angesehen werden. Nach Kenntnis des Gerichts aus anderen Fällen, in denen Morbus Crohn eine Rolle spielte, kann durch die Medikation allenfalls eine (zeitweise) Remission erreicht werden. Eine endgültige Heilung lässt die konkrete Erkrankung ohnehin nicht zu. Und ob in einer Remissionsphase dann tatsächlich Arbeitsfähigkeit erreicht werden kann, ist ebenfalls eher fraglich. Immerhin besteht seit mehr als zwei Jahren Arbeitsunfähigkeit beim Antragsteller. Demnach haben bei schubweisem Verlauf der Krankheit zwischenzeitliche Remissionsphasen offenbar bisher nicht zu einer Wiedererlangung von Arbeitsfähigkeit geführt. Im Übrigen spricht für die Richtigkeit der Einschätzung des Antragsgegners hinsichtlich des Eintritts eines Dauerzustandes letztlich auch die Tatsache, dass der Antragsteller offenbar selbst von einer Verschlimmerung seines Schädigungsleidens ausgeht. Anders ist die Beantragung einer Neufeststellung der MdE im Oktober 2007 und die Klageerhebung im März 2009 gegen die Ablehnung der Neufeststellung nicht zu erklären.

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Ausschlaggebend und maßgeblich für die hier getroffene Entscheidung ist in erster Linie eine Folgenabwägung bezüglich einer möglichen Erstattung der im Raume stehenden Leistungen. Eine endgültige Klärung der medizinischen Fragestellung, dh der Prognose hinsichtlich des weiteren Krankheitsverlaufs, kann im ungünstigen Fall mehrere Jahre in Anspruch nehmen, zB wenn sich ein Klageverfahren an das Widerspruchsverfahren anschließt. Mit Blick auf die relative Höhe des bisher gewährten Versorgungskrankengeldes von rund 1.800,00 EUR monatlich kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine Erstattung der geleisteten Zahlungen im Falle eines Unterliegens des Antragstellers nach Abschluss des Verfahrens diesen vor große Schwierigkeiten stellt und voraussichtlich nicht möglich sein wird. Der Rückfluss der Sozialleistung erscheint in diesem Fall fraglich. Demgegenüber kann der Antragsteller seinen Lebensunterhalt auch ohne das Versorgungskrankengeld sicherstellen, nicht zuletzt durch die Beantragung existenzsichernder Leistungen. Für das Gericht ist im Übrigen nicht erkennbar, ob in der gegebenen Situation eine Grundrente beantragt wurde und in Betracht kommt. Angesichts der zu befürchtenden erheblichen Nachteile im Falle einer späteren Erstattungspflicht bei Fortzahlung des Versorgungskrankengeldes erscheint die Inanspruchnahme existenzsichernder Leistungen durch den Antragsteller diesem zumutbar und auch in seinem Sinne vorzugswürdig. Zum Schutze des Antragstellers erscheint es vorteilhafter, wenn dieser gegebenenfalls eine Nachzahlung an Versorgungskrankengeld erhält, wenn sich die Einschätzung des Antragsgegners als medizinisch unzutreffend herausstellen sollte, als dass er bei vorläufiger Weiterzahlung des Versorgungskrankengeldes unter Umständen einer erheblichen Rückzahlungsverpflichtung ausgesetzt wird.

19

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.