Sozialgericht Stade
Urt. v. 29.09.2009, Az.: S 4 R 60/06

Ohne Glaubhaftmachung des Abzugs des auf eine versicherungspflichtige Beschäftigung entfallenden Beitragsanteils vom Arbeitsentgelt kann diese Zeit rentenversicherungsrechtlich nicht anerkannt werden; Rentenversicherungsrechtliche Anerkennung eines Zeitraums bei fehlender Glaubhaftmachung des Abzugs des auf eine versicherungspflichtige Beschäftigung entfallenden Beitragsanteils vom Arbeitsentgelt

Bibliographie

Gericht
SG Stade
Datum
29.09.2009
Aktenzeichen
S 4 R 60/06
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2009, 38777
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGSTADE:2009:0929.S4R60.06.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
LSG Niedersachsen-Bremen - AZ: L 2 R 581/09

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die rentenversicherungsrechtliche Anerkennung eines Zeitraums von 34 Monaten zwischen April 1964 und Januar 1967 als Beitragszeit.

2

Die Klägerin, geboren im Jahre 1940, war seit Anfang der 1970er Jahre als Lehrerin in Niedersachsen tätig. Seit September 2000 ist sie im Ruhestand und erhält Versorgungsbezüge vom Land Niedersachsen. Vor Aufnahme des Lehramtsstudiums Ende 1966 arbeitete die Klägerin nach entsprechender Ausbildung als Steuersachbearbeiterin im Steuerbüro Dr. G., heute PKF G. OHG, in H ...

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Im Februar 2005 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung einer Altersrente ab dem 1. April 2005. Im sich zunächst anschließenden Kontenklärungsverfahren blieb der Zeitraum vom 1. April 1964 bis zum 31. Januar 1967 offen. Dies ist der Zeitraum, in dem die Klägerin nach ihren Angaben als Sachbearbeiterin im Steuerbüro Dr. G. in H. arbeitete. Gehaltsnachweise aus dem betreffenden Zeitraum konnte die Klägerin nicht beibringen, ebenso auch keine Versicherungskarte und kein Arbeitszeugnis. Auch die eigenen Ermittlungen der Beklagten führten zu keinen weitergehenden Erkenntnissen. An Unterlagen aus der damaligen Zeit konnten lediglich der Ausbildungsabschluss vom 31. März 1963 (Gehilfenbrief), ein Zeugnis über die Lehramtsprüfung nach dem Lehramtsstudium ab April 1967 und ein Nachweis über die Bewerbung und das Vorstellungsgespräch der Klägerin beim damaligen Arbeitgeber herbeigezogen werden. In zwei Schreiben vom November und Dezember 2005 teilte der Rechtsnachfolger des damaligen Arbeitgebers, die heutige PKF G. OHG, mit, dass die Tätigkeit der Klägerin noch in Erinnerung sei, aber auch dort keine Nachweise mehr vorhanden seien. Die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge könne aber unterstellt werden. Der Durchschnittsverdienst einer Kollegin in einer der Klägerin vergleichbaren Position habe 1964 753,88 DM und 1965 648,92 DM betragen.

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Mit Bescheid vom 20. September 2005 lehnte die Beklagte die begehrte Altersrente ab, weil die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren nicht erfüllt sei. Anzurechnen seien lediglich 49 Monate während der Ausbildung vom März 1960 bis März 1964. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos und wurde von der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 10. Januar 2006 zurückgewiesen. Zur Begründung teilte die Beklagte mit, die streitige Beitragszeit zwischen April 1964 und Januar 1967 sei weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht, auch nicht der Abzug des Arbeitnehmeranteils vom Lohn, wie die Fiktion des § 203 SGB VI verlange. Am 7. Februar 2006 hat die Klägerin Klage erhoben.

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Zur Begründung trägt sie sinngemäß vor, sie sei im fraglichen Zeitraum regulär bei dem Arbeitgeber Dr. G. in H. beschäftigt gewesen. Dies gehe aus den eingereichten Unterlagen hervor und könne auch durch damalige Arbeitskolleginnen bezeugt werden.

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Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 20. September 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Januar 2006 zu verurteilen, den Zeitraum vom 1. April 1964 bis 31. Januar 1967 als Beitragszeit anzuerkennen und der Klägerin antragsgemäß eine Altersrente in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.

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Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

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Sie verweist im Wesentlichen auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid.

9

Zum Vorbringen der Beteiligten im Übrigen und zu weiteren Einzelheiten des Sachver-halts wird auf die Gerichtsakte und die vorliegende Verwaltungsakte der Beklagten, die auch Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 29. September 2009 waren, sowie auf die Sitzungsniederschrift der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

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Das Gericht hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts Beweis erhoben durch die Vernehmung der Zeuginnen Frau I. und Frau Dr. G ... Bezüglich der Einzelheiten der Zeugenvernehmung wird auf die Sitzungsniederschrift vom 29. September 2009 verwiesen. Zu Einzelheiten des Beweisergebnisses wird im Übrigen auf die diesbezüglichen Ausführungen in den Entscheidungsgründen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.

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Die angegriffene Ablehnung der begehrten Altersrente durch die Beklagte erweist sich als rechtmäßig und beschwert die Klägerin daher nicht, § 54 Abs. 2 SGG. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer Altersrente, da die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Zu Recht hat die Beklagte die Anerkennung des Zeit-raums April 1964 bis Januar 1967 als Beitragszeiten abgelehnt.

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Gemäß § 35 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Regelaltersrente, wenn sie die Regelaltersgrenze erreicht und die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB VI beträgt die allgemeine Wartezeit fünf Jahre. Auf die allgemeine Wartezeit werden gemäß § 51 Abs. 1 SGB VI Kalendermonate mit Beitragszeiten angerechnet. Gemäß § 55 Abs. 1 SGB VI sind Beitragszeiten Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Nach Satz 2 sind Pflichtbeitragszeiten auch Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten.

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Gemäß § 286 Abs. 6 SGB VI in Verbindung mit § 203 Abs. 2 SGB VI können Zeiten vor dem 1. Januar 1973 auch ohne Eintragung in die damals übliche Versicherungskarte als Beitragszeiten anerkannt werden, wenn der Versicherte glaubhaft macht, dass der auf eine damalige versicherungspflichtige Beschäftigung entfallende Beitragsanteil vom Arbeitsentgelt abgezogen worden ist. In einem solchen Falle gilt der Beitrag als gezahlt.

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Nach diesen Maßgaben kommt eine Anerkennung des Zeitraums vom April 1964 bis zum Januar 1967 als Beitragszeiten nicht in Betracht, weil die Klägerin den Abzug des auf ihren Arbeitslohn entfallenden Beitragsanteils nicht glaubhaft machen konnte. Das Gericht ist im Ergebnis der Beweisaufnahme und unter Berücksichtigung des Vorbringens der Klägerin überzeugt, dass die Klägerin tatsächlich im fraglichen Zeitraum als Sachbearbeiterin beim Steuerbüro Dr. G. in H. beschäftigt war. Der insofern erbrachte Nachweis des Arbeitsverhältnisses reicht jedoch nicht aus, um auf die ordnungsgemäße Abführung des auf den Arbeitnehmer entfallenden Beitragsanteils vom Arbeitslohn rückschließen zu können. Im Einzelnen:

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I.

Die Klägerin war vom April 1964 bis mindestens Ende des Jahres 1966 bei dem Steuerberaterbüro Dr. G. in H. als Steuersachbearbeiterin beschäftigt. Die Zeugin I., bei der sich keinerlei Anhaltspunkte für Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit ergeben haben, hat durch ihre Aussage bestätigt, dass sie die Klägerin aufgrund der Tätigkeit der Klägerin im Steuerbüro Dr. G. kennen gelernt hat. Diese Aussage ist glaubhaft, weil die Zeugin zum einen aufgrund ihrer eigenen langjährigen Tätigkeit beim betreffenden Arbeitgeber vom August 1952 bis zum November 1999 zum einen die tatsächliche Möglichkeit hatte, die Klägerin als Arbeitskollegin kennen zu lernen. Zum anderen spricht für die Richtigkeit ihrer Aussage, dass sie konkrete Details aus der gemeinsamen Zeit beim Arbeitgeber benennen konnte, die üblicherweise nur Arbeitskollegen möglich sind und den Sachverhalt plausibel machten. So hat die Zeugin I. bestätigt, mit der Klägerin in einem Büro gesessen zu haben. Vor allem aber konnte die Zeugin ein Urteil über die Tätigkeit der Klägerin abgeben, in dem sie darauf hinwies, dass die Klägerin seinerzeit an die Stelle einer sehr gut eingearbeiteten Kraft getreten war und nach der eigenen Wahrnehmung und dem persönlichen Eindruck der Zeugin eine sehr gute Arbeit geleistet habe. Auch die Aussage der Zeugin Frau Dr. G., an deren Glaubwürdigkeit ebenfalls keine Zweifel begründet sind, kann als Bestätigung herangezogen werden. Zwar konnte die Zeugin Dr. G. aus ihrer Erinnerung kaum konkrete Angaben in Bezug auf die Klägerin machen, da sie im beruflichen Alltag offenbar nicht unmittelbar mit der Klägerin zu tun hatte. Zwar war sie nach ihren Angaben für die Lohnbuchhaltung auch der Klägerin zu-ständig, konnte sich jedoch aufgrund des langen Zeitverlaufs nicht konkret an die Angelegenheiten der Klägerin erinnern. Sie teilte jedoch glaubhaft mit, sich an den Namen der Klägerin noch zu erinnern, die seinerzeit unter ihrem Geburtsnamen Maas bei dem Arbeitgeber beschäftigt war. Die Klägerin hatte erst 1972 geheiratet und ihren heutigen Namen angenommen.

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II.

Die Voraussetzungen für eine Fiktion mit der Beitragszahlung gemäß §§ 286 Abs. 6, 203 Abs. 2 SGB VI und damit für eine mögliche Anerkennung des betreffenden Zeitraums als Beitragszeit sind jedoch dennoch nicht erfüllt. Die Klägerin konnte nicht glaubhaft machen, dass von ihrem Arbeitslohn der entsprechende Beitragsanteil zur Rentenversicherung abgeführt wurde. Auch durch die Aussagen der beiden Zeuginnen konnte die Beitragsabführung als solche nicht als überwiegend wahrscheinlich festgestellt werden. Die Zeugin I. konnte zu den Lohnangelegenheiten der Klägerin keine Angaben machen. Die Zeugin Dr. G. konnte ebenfalls keine konkreten Angaben zu Lohnzahlung machen. Beide Zeuginnen haben jedoch übereinstimmend mitgeteilt, dass die Lohnbuchhaltung seinerzeit seitens des Finanzamts niemals beanstandet wurde. Obwohl das seinerzeitige Beschäftigungsverhältnis der Klägerin aus Sicht des Gerichts als erwiesen anzusehen ist, besteht kein Anknüpfungspunkt an die tatsächliche Lohnzahlung und die Abführung des Beitragsanteils der Klägerin als Arbeitnehmerin. Zwar kann nach allgemeiner Lebenserfahrung einerseits und ohne Zweifel unterstellt werden, dass die Klägerin nicht ohne Entlohnung bei dem Arbeitgeber tätig war. Die Vermutung, dass Arbeitslohn ausgezahlt wurde, ist jedoch nicht als Anknüpfung für die tatsächlich erfolgte Beitragsabführung geeignet. Die Annahme, von einem vermutlich gezahlten Arbeitsentgelt seien die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge abgeführt worden, wäre eine doppelte Spekulation. Der Sachverhalt lässt keinen ausreichend gesicherten tatsächlichen Zahlungsvorgang in Bezug auf den Arbeitslohn erkennen, an den die Fiktion der Beitragsabführung anknüpfen könnte. Auch der Hinweis der Klägerin auf seinerzeit offenbar bestehenden Krankenversicherungsschutz lässt nicht den Schluss zu, dass auch die Rentenversicherungsbeiträge abgeführt wurden. Nach den hier einschlägigen gesetzlichen Vorgaben in den §§ 286 Abs. 6, 203 Abs. 2 SGB VI reicht es für die Beitragsfiktion gerade nicht aus, nur das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses glaubhaft zu machen bzw. nachzuweisen. Vielmehr muss ausdrücklich glaubhaft gemacht werden, dass ein Abzug des auf den Arbeitnehmer entfallenden Beitragsanteils vom Arbeitsentgelt erfolgt ist. Im vorliegenden Falle ist jedoch noch nicht einmal die Lohnzahlung selbst in irgendeiner Form nachgewiesen oder glaubhaft gemacht. Es ist insoweit ein strenger Maßstab anzulegen, denn der Gesetzgeber knüpft die Beitragsfiktion gerade auch an den Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen an. Denn ohne Weiteres ist denkbar, dass ein Arbeitgeber einem Beschäftigten Gehalt auszahlt, ohne die gesetzlichen Abzüge vorzunehmen. Die reine Gehaltszahlung, selbst wenn sie nachgewiesen wäre, ist deshalb für sich genommen noch nicht aussagekräftig, solange nicht tatsächliche Hinweise dafür bestehen, dass ein Abzug des Arbeitnehmeranteils der Rentenversicherungsbeiträge mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erfolgt ist. Solche liegen hier gerade nicht vor.

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Die Beklagte hat in der Folge die betroffene Zeit zu Recht nicht als Beitragszeit berücksichtigt. Die nachgewiesenen Beitragszeiten umfassen nur 49 Monate und erreichen damit die gesetzlich erforderlichen 60 Monate (5 Jahre) nicht.

19

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.