Sozialgericht Stade
Beschl. v. 03.08.2009, Az.: S 34 SF 109/08
Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriff "erforderliche Zeit" in § 8 Abs. 2 Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG)
Bibliographie
- Gericht
- SG Stade
- Datum
- 03.08.2009
- Aktenzeichen
- S 34 SF 109/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 19082
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGSTADE:2009:0803.S34SF109.08.0A
Rechtsgrundlage
- § 8 Abs. 2 JVEG
Tenor:
Der Vergütung der Antragstellerin für Ihr Sachverständigengutachten vom 08. November 2008 wird auf 721,90 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin erstattete in dem unter dem Aktenzeichen S 5 R 282/08 geführten Klageverfahren auf die Beweisanordnung des Sozialgerichts vom 23. September 2008 das angeforderte nervenärztliche Gutachten nach ambulanter Untersuchung der Klägerin vom 06. November 2008. Das Gutachten datiert vom 08. November 2008.
Mit Liquidation vom 08. November 2008 verlangte die Antragstellerin eine Gesamtvergütung in Höhe von 864,70 EUR. Dieser Betrag errechnete sich wie folgt:
Aktenstudium 1 Stunde Untersuchung 2 Stunden Ausarbeitung 4 Stunden Diktat und Korrektur 5 Stunden Gesamt 12 Stunden á 60,- EUR = 720,- EUR Mehrwertsteuer 136,80 EUR Porto 7,90 EUR Gesamt 864,70 EUR.
Die Kostenbeamtin des Sozialgerichts setzte den Erstattungsbetrag am 18. November 2008 auf 721,90 EUR für folgende Positionen fest:
Aktenstudium 1 Stunde Untersuchung 2 Stunden Ausarbeitung 3 Stunden Diktat und Korrektur 4 Stunden Gesamt 10 Stunden á 60,- EUR = 600,- EUR Mehrwertsteuer 114,- EUR Porto 7,90 EUR Gesamt 721,90 EUR
Die Antragstellerin hat mit am 01. Dezember 2008 eingegangenem Schriftsatz die richterliche Festsetzung ihrer Vergütung beantragt.
Die Bezirksrevisorin hält die von der Kostenbeamtin vorgenommene Kürzung des Zeitaufwandes für Ausarbeitung, Diktat und Korrektur für zutreffend.
II.
Der Antrag ist nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 JVEG zulässig. Die Vergütung war auf 721,90 EUR festzusetzen. Das Gericht folgt insoweit der Festsetzung durch die Urkundsbeamtin in jeder Hinsicht.
Im Einzelnen:
1.
Unstreitig ist, dass vorliegend die Honorargruppe M2 (nach Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 JVEG) zugrunde zu legen ist.
2.
Der für die Erstattung des Gutachtens zu vergütende Zeitaufwand orientiert sich nach § 8 Abs. 2 JVEG an der erforderlichen Zeit einschließlich notwendiger Reise- und Wartezeiten. Dabei ist der unbestimmte Rechtsbegriff "erforderliche Zeit" auszulegen. Welche Zeit für die Ausarbeitung erforderlich ist, ist nach einem objektiven Maßstab zu bestimmen. Es kommt nicht auf die für die Gutachtenerstellung individuell aufgewandte Zeit an, sondern auf die Zeit, die ein Sachverständiger mit durchschnittlicher Befähigung und Erfahrung bei sachgemäßer Auftragserledigung mit durchschnittlicher Arbeitsintensität benötigt (LSG Niedersachsen-Bremen , Beschluss vom 21. Dezember 2006 - L 1 SF 10/05; vgl. Meyer/Höver/Bach, die Vergütung und Entschädigung von Sachverständigen, Zeugen, Dritten und von ehrenamtlichen Richtern nach dem JVEG, § 8 JVEG Rdn 8.48 mit zahlreichen Nachweisen). Plausibel ist die Heranziehung eines objektiven Maßstabes deshalb, weil andernfalls einer ungleichen Honorierung desselben Produkts Vorschub geleistet würde. Der für richtig befundene objektive Maßstab hat in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung zu der Entwicklung von Richtwerten geführt, anhand derer nach richterlicher Erfahrung Rechnungen von den zuständigen Kostenbeamten auf ihre Plausibilität hin überprüft werden sollen (vgl Widder/Gaidzik, Leistungsgerechte Vergütung nach dem JVEG in: MED SACH 2005, Seiten 127,130 m.w.N.). Zu den einzelnen Leistungsabschnitten eines Gutachtens gibt es langjährige Erfahrungswerte und Maßstäbe, die auch von dem erkennenden Gericht im Interesse der Gleichbehandlung aller Sachverständigen zugrunde gelegt werden, wobei im Einzelfall sachlich begründete und/oder geringfügige Überschreitungen hingenommen werden. Die erbrachte gutachterliche Leistung wird für die kostenrechtliche Überprüfung grundsätzlich aufgegliedert in die verschiedenen Leistungsabschnitte für Aktendurchsicht und gutachtensvorbereitende Arbeiten (a), Erhebung der Vorgeschichte und Untersuchung/Befund (b), Abfassung der Beurteilung (c) sowie Diktat und Korrektur (d) des Gutachtens.
a)
Unstreitig war für das Aktenstudium 1 Stunde erforderlich.
b)
Die Antragsteller hat die Klägerin 2 Stunden untersucht. Dies ist vorliegend unstreitig, Erforderlichkeit i.S.d. § 8 Abs. 2 JVEG ist gegeben.
c)
Für die Ausarbeitung des Gutachtens sind 3 Stunden erforderlich i.S.d. § 8 Abs. 2 Satz 1 JVEG. Die Richtwerte für die Ausarbeitung der Beurteilung reichen von 0,8 bis 3 (Norm)Seiten pro Stunde (vgl Länderübersicht bei Widder/Gaidzik, Leistungsgerechte Vergütung nach dem Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz, MED SACH 2005, 127, 130 m.w.N.). Die Mehrheit der Landessozialgerichte geht von einem Zeitaufwand von 1 Stunde pro Seite aus. Dem schließt sich mangels entgegenstehender Anhaltspunkte im vorliegenden Fall auch die Kammer an. Ganz überwiegend gehen die Kostensenate der Landessozialgerichte davon aus, die gedankliche Beschäftigung mit dem Fall und das Abwägen der Argumente kämen zu förderst in der Rubrik "Beurteilung und Beantwortung der Beweisfragen" als dem Kernstück des Gutachtens zum Ausdruck. Zu diesem Leistungsabschnitt werden daher Ausführungen des Sachverständigen gerechnet, die sach-verständige Schlussfolgerungen in Bezug auf das Beweisthema und eine Auseinandersetzung mit den gestellten Beweisfragen enthalten (vgl Hessisches LSG, a.a.O.). Dieser Maßstab schließt allerdings nicht aus, dass im Einzelfall auch Besonderheiten Rechnung zu tragen ist, wie denjenigen einer - teilweisen - Beantwortung der Beweisfragen innerhalb der - erweiterten - Vorgeschichte/Anamneseerhebung/Untersuchung und Befundung (LSG Niedersachsen-Bremen , Beschluss vom 21. Dezember 2006 - L 1 SF 10/05). Die Schwankungsbreite in den Vorgaben der Landessozialgerichte zeigt bereits, dass pauschale Ansätze einerseits im Sinne der Vereinheitlichung und Erleichterung der Arbeit der Kostenbeamten anzustreben sind, andererseits die gedankliche Beschäftigung nicht völlig ohne Berücksichtigung individueller Abweichungen in einer bestimmten Zahl herausgegriffener Textseiten ausdrückt werden kann (vgl. wiederum Widder/Gaidzik a.a.O. Seite 130, 131; LSG Niedersachsen-Bremen , Beschluss vom 25. Januar 2006, Az: L 10 SF 9/05).
Das Gutachten der Antragstellerin beläuft sich auf insgesamt 22 Seiten. Auf den Seiten 2-18 erfolgt die Darstellung der Anamnese der Klägerin, des Untersuchungsbefundes sowie der Biografie. Hierbei handelt es sich noch nicht um die notwendige gutachterliche Auseinandersetzung mit den Beweisfragen. Eine solche findet zum Teil im Rahmen der "Zusammenfassenden Beurteilung" (Seite 19 Mitte bis Seite 20 Mitte), vor allem auf den Seiten 20 Mitte bis 23 oben Seiten statt. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass im vorliegenden Gutachten die Zeichen pro Seite unterhalb des Maßstabs der DIN 1422 liegen (1800 Zeichen je Textseite, zitiert nach Widder/Gaidzik a.a.O., Seite 129), können daher auch unter teilweise Einbeziehung der Seiten 19-20 des Gutachtens insgesamt nur 3 Stunden für die Ausarbeitung angesetzt werden.
d)
Für das Diktat und die Korrektur des Gutachtens sieht das Gericht 4 Stunden als erforderlich i.S.d. § 8 Abs. 2 Satz 1 JVEG an. Im Regelfall ist davon auszugehen, dass für 4 bis 6 Seiten des Gutachtens ein Zeitaufwand von 1 Stunde erforderlich ist (vgl LSG Niedersachsen-Bremen , Beschluss vom 25. Januar 2006 - Az: L 10 SF 9/05 und Beschluss vom 21. Dezember 2006 - L 1 SF 10/05). Gründe, die ausnahmsweise eine abweichende Bemessung des Zeitaufwandes rechtfertigen könnten, sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich, so dass die Kammer einen Zeitaufwand von 4 für das 22 Seiten umfassende Gutachten in Bezug auf Diktat und Korrektur für erforderlich ansieht. Ein für die Antragstellerin günstigerer Ansatz kam an dieser Stelle deshalb nicht in Betracht, weil die Zeichen pro Seite unterhalb des Maßstabs der DIN 1422 liegen (1800 Zeichen je Textseite, zitiert nach Widder/Gaidzik a.a.O., Seite 129).
3.
Die Entscheidung ergeht kosten- und gebührenfrei, § 4 Abs. 8 JVEG.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss ist Beschwerde gemäß § 4 Abs. 3 JVEG zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR übersteigt.
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