Sozialgericht Stade
Beschl. v. 13.05.2009, Az.: S 34 SF 85/08
Ansetzen der sog. Mittelgebühr in Verfahren von durchschnittlicher Bedeutung und durchschnittlichem Schwierigkeitsgrad
Bibliographie
- Gericht
- SG Stade
- Datum
- 13.05.2009
- Aktenzeichen
- S 34 SF 85/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 19121
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGSTADE:2009:0513.S34SF85.08.0A
Rechtsgrundlagen
- § 3 RVG
- § 14 RVG
Tenor:
Der Vergütungsfestsetzungsbeschluss des Sozialgerichts Stade vom 2. Juli 2008 wird geändert.
Die dem beigeordneten Rechtsanwalt A. im Rahmen der Prozesskostenhilfe aus der Landeskasse zu gewährenden Gebühren und Auslagen werden auf 336,84 EUR festgesetzt.
Gründe
I
Streitig ist die Höhe der aus der Landeskasse als Prozesskostenhilfe zu erstattenden Rechtsanwaltsgebühren.
Im zugrundeliegenden Klagverfahren begehrte die Klägerin die Zahlung von Erziehungsgeld für ihren am 28. Oktober 2005 geborenen Sohn. Nach der Beiordnung des Erinnerungsführers durch einen Beschluss des Sozialgerichts Stade erklärte sich die Beklagte bereit, ein entsprechendes Erziehungsgeld zu gewähren; die Klägerin nahm das Anerkenntnis zur Erledigung des Rechtsstreits an.
Mit Vergütungsfestsetzungsbeschluss vom 2. Juli 2008 setzte der zuständige Urkundsbeamte die dem beigeordneten Rechtsanwalt aus der Landeskasse zu gewährende Vergütung auf 249,90 EUR abzüglich eines gezahlten Vorschusses in Höhe 48,72 EUR fest. Er erkannte dabei eine Verfahrensgebühr nach der Nr. 3103 des Vergütungsverzeichnisses zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (VV RVG) in Höhe der Mittelgebühr und eine Terminsgebühr nach der Nr. 3106 VV RVG in Höhe der Mindestgebühr an.
Hiergegen richtet sich die Erinnerung des Erinnerungsführers. Er ist der Auffassung, dass für die Verfahrensgebühr der Ansatz einer Mittelgebühr nicht ausreichend sei. Das zurückliegende Klagverfahren sei umfangreich und - insbesondere im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Problematik - rechtlich schwierig gewesen. Verdeutlicht werde dies dadurch, dass das erkennende Gericht seine Auffassung über die Erfolgsaussichten der Klage im Laufe des Verfahrens geändert habe. Auch der Ansatz des Urkundsbeamten für die Terminsgebühr sei verfehlt. Dies ergebe sich schon daraus, dass bei Wertgebühren in vergleichbaren Fällen ohne Abzug der 1,2-fache Satz als Terminsgebühr anfalle. Eine Differenzierung zwischen Wertgebühren und Betragsrahmengebühren sei aber nicht gerechtfertigt.
Der Urkundsbeamte hat der Erinnerung nicht abgeholfen.
II
Die Erinnerung ist zulässig und begründet.
Dem leicht überdurchschnittlichen Schwierigkeitsgrad des zurückliegenden Klagverfahrens ist der zuständige Urkundsbeamte bei seiner Vergütungsfestsetzung nicht in vollem Umfang gerecht geworden.
1.
Nach den §§ 3, 14 RVG bestimmt bei Rahmengebühren der Rechtsanwalt die Gebühren im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände - vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers - nach billigem Ermessen. Zu berücksichtigen ist weiter das Haftungsrisiko; § 14 Abs. 1 S 3 RVG. Ist dabei die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, so ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nach § 14 Abs. 1 S 4 RVG nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. In diesem Zusammenhang teilt das Gericht die in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung vorherrschende Ansicht, dass eine Unbilligkeit vorliegt, wenn die durch den Rechtsanwalt bestimmte Gebühr die nach Auffassung des Gerichts angemessene Gebühr um mehr als 20% übersteigt (vgl hierzu u.a. LSG Thüringen, Beschluss vom 15. Juni 2004 - L 6 B 25/04 SF).
Ausgangspunkt für die Gebührenfestsetzung ist die sogenannte Mittelgebühr; d.h. die Mitte des gesetzlichen Gebührensrahmens (Hälfte von Höchst- und Mindestgebühr). Diese kann bei Verfahren von durchschnittlicher Bedeutung und durchschnittlichem Schwierigkeitsgrad angesetzt werden, in denen die vom Rechtsanwalt geforderte und auch tatsächlich entwickelte Tätigkeit ebenfalls von durchschnittlichem Umfang war. So wird eine einigermaßen gleichmäßige Berechnungspraxis gewährleistet (vgl hierzu LSG Niedersachsen-Bremen , Beschluss vom 24. April 2006 - L 4 B 4/05 KR SF). Abweichungen hiervon können sich ergeben, wenn ein Tatbestandsmerkmal der §§ 3, 14 RVG fallbezogen unter- oder überdurchschnittlich zu bewerten ist.
2.
Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben ist für die Vergütung des beigeordneten Rechtsanwalts der Ansatz einer Verfahrensgebühr nach der Nr. 3103 VV RVG in Höhe von 204,00 EUR gerechtfertigt.
So zeigt eine Durchsicht der Verfahrensakte, dass sich der beigeordnete Rechtsanwalt bei der Begründung der eingereichten Klage nicht auf die Wiedergabe und Auslegung gesetzlicher Bestimmungen beschränken konnte. Vielmehr musste er die jüngere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie einen Gesetzesentwurf zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss neben einer geänderten Dienstanweisung zum Familienlastenausgleich berücksichtigen und umfassend rechtlich würdigen. Zu Recht weist der Erinnerungsführer in diesem Zusammenhang darauf hin, dass auch die unterschiedlichen gerichtlichen Hinweise hinsichtlich der Erfolgsaussichten der Klage den hohen Schwierigkeitsgrad des Verfahrens verdeutlichen. Anhaltspunkte dafür, dass die übrigen Bemessungskriterien der §§ 3, 14 RVG als unterdurchschnittlich zu bewerten sind und den Ansatz einer um 20% über der Mittelgebühr liegenden Verfahrensgebühr kompensieren, sind weder er-sichtlich noch vorgetragen. Insgesamt ist hier daher von einem überdurchschnittlich schwierigen Verfahren vor der Sozialgerichtsbarkeit und einem entsprechend zu erhöhenden Vergütungsanspruch des beigeordneten Rechtsanwalts auszugehen.
3.
Weiter ist unter Berücksichtigung der dargelegten Maßgaben der Ansatz einer Terminsgebühr nach der Nr. 3106 VV RVG in Höhe von 100,00 EUR gerechtfertigt.
Eine solche Gebühr fällt nach dem Wortlaut des Vergütungsverzeichnisses u.a. dann an, wenn das Verfahren - wie hier - nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet. Damit hat der Gesetzgeber auch bei der sogenannten "fiktiven" Terminsgebühr den Gebührenrahmen in vollem Umfang eröffnet, so dass bei der Bemessung der Gebühr wiederum auf die in den §§ 3, 14 RVG normierten Kriterien abzustellen ist.
Nach Gesetzeswortlaut und -zweck der Regelung über eine fiktive Terminsgebühr im VV RVG ist dabei auch der hypothetische Aufwand zu berücksichtigen, der bei Durchführung eines Termins im konkreten Verfahren voraussichtlich entstanden wäre (vgl hierzu SG Hamburg , Beschluss vom 17.1.2008 - S 8 AL 750/06 -; SG Oldenburg , Beschluss vom 29.1.2009 - S 10 SF 123/08 -, SG Lüneburg , Beschluss vom 16.3.2009 - S 12 SF 64/09 E; a.A. SG Hildesheim , Beschluss vom 21.12.2007 - S 12 SF 70/07 - wonach allein auf die Bedeutung der Angelegenheit sowie die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers abzustellen sind). Nur so kommt die von der Gebührenbestimmung ausgehende Anreizfunktion für den beteiligten Rechtsanwalt zur Geltung, auf die Durchführung eines Termins bei Wahrung des vollen Gebührenanspruchs zu verzichten. Die Kammer gibt damit ihre bisherige Rechtsprechung auf, wonach für eine fiktive Terminsgebühr lediglich die Mindestgebühr in Höhe von 20 EUR anzusetzen ist.
Unter Berücksichtigung dessen ist für das vorliegende Erinnerungsverfahren davon auszugehen, dass Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit in einem Termin zur Protokollierung einer Annahmeerklärung bei der hier gebotenen hypothetischen Betrachtung als deutlich unterdurchschnittlich zu bemessen sind. Dies gilt selbst dann, wenn zur Vorbereitung des Termins noch eine kurze Vorbesprechung mit dem Mandanten erforderlich sein sollte. Aus Sicht der Kammer ist es daher gerechtfertigt, für einen "Annahmetermin" regelmäßig nur eine hälftige Mittelgebühr anzusetzen. Anhaltspunkte dafür, dass für das zurückliegende Klagverfahren hiervon aufgrund der übrigen Bemessungskriterien in den §§ 3, 14 RVG abgewichen werden kann, sind nicht ersichtlich.
3.
Nach alledem sind dem beigeordneten Rechtsanwalt unter Berücksichtigung des gezahlten Vorschusses als Prozesskostenhilfe aus der Landeskasse Gebühren und Auslagen in Höhe von insgesamt 336,84 EUR zu erstatten.
Die Entscheidung ist endgültig (§ 178 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz).