Sozialgericht Stade
Beschl. v. 29.04.2009, Az.: S 34 SF 4/08
Verbindlichkeit einer getroffenen Bestimmung eines Rechtsanwalts i.R.e. Ersetzung der Rechtsanwaltsgebühr durch einen Dritten; Angemessenheit einer 20% igen Erhöhung der Mittelgebühr i.S.d. § 116 Abs. 1 S 1 Nr. 1 Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO)
Bibliographie
- Gericht
- SG Stade
- Datum
- 29.04.2009
- Aktenzeichen
- S 34 SF 4/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 19125
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGSTADE:2009:0429.S34SF4.08.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Stade - 12.04.2006
Rechtsgrundlagen
- § 12 Abs. 1 BRAGO
- § 116 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BRAGO
- § 197 Abs. 2 SGG
Tenor:
Auf die Erinnerung der Beklagten wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Sozialgerichts Stade vom 12. April 2006 geändert.
Die von der Beklagten an den Kläger zu erstattenden Kosten werden auf 361,15 EUR zuzüglich Zinsen von 5% über dem Basiszinssatz seit dem 4. Februar 2005 festgesetzt.
Im Übrigen wird die Erinnerung zurückgewiesen.
Gründe
I
Streitig ist die Höhe erstattungsfähiger Rechtsanwaltskosten.
Im Klagverfahren stritten die Beteiligten um die Gewährung einer Rente wegen Erwerbs-unfähigkeit. Im Rahmen der Sachverhaltsermittlungen holte das Gericht einen Befundbericht, zwei Sachverständigengutachten von Amts wegen sowie ein weiteres Sachverständigengutachten auf Antrag des Klägers ein. Daraufhin erklärte sich die Beklagte bereit, dem Kläger nach Abgabe seines landwirtschaftlichen Betriebs eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren. Der Kläger nahm dieses Anerkenntnis zur Erledigung des Rechtsstreits an.
In dem sich anschließenden Kostenfestsetzungsverfahren setzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die von der Beklagten zu erstattenden Rechtsanwaltskosten auf 416,05 EUR fest. Er erkannte dabei u.a. eine Gebühr gemäß § 116 Abs. 1 S 1 Nr. 1 BRAGO in Höhe von 497,00 EUR an.
Hiergegen richtet sich die Erinnerung der Beklagten. Sie macht geltend, dass hier allenfalls eine Mittelgebühr in Höhe von 355,00 EUR angemessen sei. Die vom Urkundsbeamten angegebenen Gründe für die 40%ige Erhöhung der Gebühr träfen nicht zu. So handele es sich bei den Renten in der Alterssicherung der Landwirte lediglich um eine Teilsicherung, die in ihrer Bedeutung hinter der einer Rente wegen Erwerbsminderung in der gesetzlichen Rentenversicherung zurückbleibe. Daneben sei im zurückliegenden Klagverfahren eine Auseinandersetzung mit der maßgeblichen medizinischen Befundung und Diagnosestellung nicht erforderlich gewesen, weil die Gutachter eindeutig zu rechtlich relevanten Fragen Stellung bezogen hätten. Auch die Verfahrensdauer vermöge eine Überschreitung der Mittelgebühr nicht zu begründen; die Verfahrenslaufzeit von fast 3 Jahren sei wesentlich der Belastung des Sozialgerichts sowie den Liegezeiten beim zweiten und dritten Gutachter geschuldet.
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat der Erinnerung nicht abgeholfen.
II
Die zulässige Erinnerung ist teilweise begründet. Für die im Klagverfahren entstandenen Rechtsanwaltskosten des Klägers ist der Ansatz einer 20%igen Erhöhung der Mittelgebühr nach § 116 Abs. 1 S 1 Nr. 1 BRAGO gerechtfertigt; die darüber hinausgehende Festsetzung ist unangemessen.
1.
Nach § 12 Abs. 1 BRAGO bestimmt der Rechtsanwalt bei Rahmengebühren die Gebühren im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände - insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs, der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers - nach billigem Ermessen. Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, so ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Das Gericht teilt die in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung insoweit vorherrschende Ansicht, dass Unbilligkeit jedenfalls dann vorliegt, wenn die durch den Rechtsanwalt bestimmte Gebühr, die nach Ansicht des Gerichts angemessenen Gebühren um mehr als 20% übersteigt (vgl hierzu u.a. LSG Thüringen, Beschluss vom 15. Juli 2004 - L 6 B 25/04 SF).
Ausgangspunkt für die Gebührenfestsetzung ist dabei die sogenannte Mittelgebühr; d.h. die Mitte des gesetzlichen Gebührenrahmens (Hälfte von Höchst- und Mindestgebühr). Diese kann bei Verfahren von durchschnittlicher Bedeutung und durchschnittlichem Schwierigkeitsgrad angesetzt werden, in den die vom Rechtsanwalt geforderte und auch tatsächlich entwickelte Tätigkeit ebenfalls von durchschnittlichem Umfang war. So wird eine einigermaßen gleichmäßige Berechnungspraxis gewährleistet (vgl hierzu LSG Niedersachsen-Bremen , Beschluss vom 24. April 2006 - L 4 B 4/05 KR SF). Abweichungen hiervon können sich ergeben, wenn ein Tatbestandsmerkmal des § 12 BRAGO fallbezogen unter- oder überdurchschnittlich zu bewerten ist.
Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben hat der hier zuständige Urkundsbeamte die vom Prozessbevollmächtigten des Klägers ursprünglich angeforderte Gebühr nach § 116 Abs. 1 S 1 Nr. 1 BRAGO in Höhe von 600,00 EUR zu Recht als unbillig und daher für die Beklagte als nicht verbindlich angesehen. Dies gilt allerdings ebenso für die im Kostenfestsetzungsbeschluss berücksichtigte 40%ige Erhöhung der Mittelgebühr.
2.
Einziger Anhaltspunkt, der vorliegend für eine Erhöhung der Mittelgebühr nach § 116 Abs. 1 S 1 Nr. 1 BRAGO angeführt werden kann, ist die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit im zurückliegenden Klagverfahren. Dort sind insgesamt drei teils umfangreiche Sachverständigengutachten eingeholt worden, mit denen sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers auseinandersetzen musste. Aus den übrigen Umständen des Klagverfahrens - dies wendet die Beklagte zu Recht ein - lässt sich demgegenüber nichts für eine Erhöhung der Mittelgebühr herleiten. Dies gilt insbesondere für die Verfahrensdauer, die hier maßgeblich auf Anzahl und Umfang der eingeholten Sachverständigengutachten zurückzuführen ist. Auch die Bedeutung der Angelegenheit für den Kläger ist allenfalls als durchschnittlich zu bewerten, da es sich bei einer Rente wegen Erwerbsminderung nach dem Gesetz zur Alterssicherung der Landwirte lediglich um eine Zusatzversorgung handelt, der regelmäßig keine existentielle Bedeutung zukommt.
Vor diesem Hintergrund entspricht lediglich eine 20%ige Erhöhung der Mittelgebühr den hier nach § 12 Abs. 1 BRAGO maßgeblichen Kriterien. Die von der Beklagten dem Kläger zu erstattenden Rechtsanwaltsgebühren berechnen sich daher wie folgt:
Gebühr nach § 116 Abs. 1 S 1 Nr. 1 BRAGO: 426,00 EUR Auslagenpauschale gemäß § 26 S 2 BRAGO: 20,00 EUR Dokumentenpauschale gemäß § 27 BRAGO: 21,00 EUR Zwischensumme: 467,00 EUR Mehrwertsteuer gemäß § 25 Abs. 2 BRAGO: 74,72 EUR Gesamtsumme: 541,72 EUR Hiervon 2/3 gemäß Kostengrundentscheidung vom 12.04.2006: 361,15 EUR.
Die Entscheidung ist unanfechtbar ( § 197 Abs. 2 SGG).