Sozialgericht Stade
Urt. v. 22.04.2009, Az.: S 28 AS 213/08

Formelle und materielle Anforderungen an die Aufhebung eines Leistungsbescheids und Rückforderung bereits ausgezahlter Leistungen gem. § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X); Wesentliche Änderung der Verhältnisse durch einen Umzug und Aufnahme in ein Ausbildungsverhältnis als Grundlage für die Aufhebung und Rückforderung bereits ausgezahlter Leistungen

Bibliographie

Gericht
SG Stade
Datum
22.04.2009
Aktenzeichen
S 28 AS 213/08
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2009, 19123
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGSTADE:2009:0422.S28AS213.08.0A

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger wehrt sich gegen die Aufhebung seines Leistungsbescheids und Rückforderung bereits ausgezahlter Leistungen für den Monat August 2006.

2

Der Kläger, geboren im Jahr 1983, bezog von der Beklagten seit September 2005 laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Zuletzt bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 9. Juni 2006 Leistungen für den Zeitraum 1. Juli 2006 bis 31. Dezember 2006 iHv 688,27 EUR monatlich. Mit Schreiben vom 20. August 2006 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er seit dem 1. August 2006 eine Lehre zum Außenhandelskaufmann in F. begonnen habe.

3

Die Beklagte hob daraufhin mit Bescheid vom 23. August 2006 den Bewilligungsbescheid vom 9. Juni 2006 mit Wirkung ab 1. August 2006 auf Grundlage des § 48 SGB X und § 7 Abs. 5 SGB II auf. Am gleichen Tage erließ die Beklagte einen Erstattungsbescheid, mit dem sie die bereits ausgezahlte Augustleistung iHv 688,27 EUR vom Kläger zurückforderte. Den Widerspruch des Klägers gegen beide Bescheide vom 23. August 2006 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 5. März 2008 als unbegründet zurück. Am 27. März 2008 hat der Kläger Klage erhoben.

4

Zur Begründung weist er darauf hin, er empfinde die Entscheidung der Beklagten als ungerecht. Er habe sich im August 2006 im Zusammenhang mit dem Umzug nach F. und dem Beginn der Ausbildung in wirtschaftlich schwieriger Lage befunden und die Augustleistung zum Überleben benötigt.

5

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die beiden Bescheide vom 23. August 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. März 2008 aufzuheben.

6

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

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Sie verweist auf ihr bisheriges Vorbringen im Widerspruchsbescheid.

8

Zum Vorbringen der Beteiligten im Übrigen und zu weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die vorliegende Verwaltungsakte der Beklagten, die auch Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 22. August 2009 waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht erhobene Klage hat keinen Erfolg.

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Die angegriffene Entscheidung der Beklagten erweist sich als rechtmäßig und beschwert den Kläger daher nicht, § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Es ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte die Leistungen ab August 2006 einstellte und die bereits ausgezahlte Leistung für August 2006 zurückfordert.

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Die angegriffenen Bescheide sind in formeller Hinsicht korrekt ergangen. Die unterbliebene Anhörung wurde durch das Widerspruchsverfahren mit heilender Wirkung nachgeholt, § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X.

12

Die Bescheide sind auch in materieller Hinsicht rechtmäßig. Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Verwaltungsakts vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist.

13

Nach Überzeugung des Gerichts sind die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X erfüllt. Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse war in zweierlei Hinsicht eingetreten. Durch den Umzug nach F. zum 1. August 2006 war die Beklagte zunächst örtlich nicht mehr für eine weitere Leistungsgewährung zuständig, § 36 Abs. 1 SGB II. Zum anderen war der Kläger durch die Aufnahme einer Ausbildung gemäß § 7 Abs. 5 SGB II grundsätzlich nicht mehr leistungsberechtigt nach dem SGB II. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass man als Auszubildender seinen Lebensunterhalt durch BAföG oder vergleichbare Leistungen oder durch Nebentätigkeiten decken kann. Dem Grunde nach förderfähige Ausbildungen sollen nicht durch Leistungen zur Existenzsicherung nach dem SGB II finanziert werden. Der Kläger handelte mit der verspäteten Bekanntgabe auch grob fahrlässig. Der darin liegende Vorwurf, gegen den sich der Kläger verwahrt, ist hinzunehmen. Es hätte dem Kläger nach Überzeugung der Kammer ins Auge springen müssen, dass es sich um eine für den Leistungsbezug nach dem SGB II relevante Information handelt, wenn er aus dem Zuständigkeitsbereich der Beklagten fortzieht und eine Berufausbildung anfängt. Nicht ohne Grund ist jeder Leistungsbezieher verpflichtet, jede relevante Änderung in den Lebensumständen dem jeweiligen Sozialleistungsträger umgehend mitzuteilen. Der Kläger hat die Aufnahme der Lehre in F. am 1. August 2006 ausweislich der in der Verwaltungsakte der Beklagten vorhandenen Unterlagen erst durch Schreiben vom 20. August 2006, eingegangen bei der Beklagten am 22. August 2006, dort mitgeteilt. Der Ausbildungsvertrag datiert jedoch bereits auf den 19. Juli 2006. Durch die pflichtgemäße umgehende Bekanntgabe des Abschlusses des Ausbildungsvertrags hätte der Kläger eine rechtzeitige Bearbeitung durch die Beklagte bewirken können, so dass es gar nicht mehr zur Auszahlung der Augustleistung gekommen wäre. Gegebenenfalls wäre bis zur ersten Auszahlung der Ausbildungsvergütung eine darlehensweise Leistungsgewährung gemäß § 23 Abs. 4 SGB II durch den zuständigen Leistungsträger zu prüfen gewesen, sofern dem nicht der generelle Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs. 5 SGB II eventuell entgegen stand.

14

Ermessensfehler sind nicht erkennbar. Der Beklagten ist in § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X ein eingeschränktes Ermessen (Soll-Ermessen) eingeräumt. Demnach kann in atypischen Fällen von der vorgesehenen Aufhebung zum Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse abgewichen werden. Es handelt sich bei den Umständen, wie sie der Kläger im Zuge des Umzugs nach F. und dem Beginn der Lehre erlebt hat, allerdings nicht um ungewöhnliche Umstände. Daran ändert auch der Vortrag des Klägers nichts, dass er die Leistungen im August 2006 noch dringend benötigte. Dies ist zwar ohne Weiteres nachvollziehbar. Der Gesetzgeber hat jedoch eindeutige Regelungen getroffen, welcher Sozialleistungs-träger wann zu welcher Leistung verpflichtet ist. Die Deckung des Lebensbedarfs im August 2006 war nicht mehr Sache der Beklagten, sondern entweder des örtlich zuständigen SGB-II-Leistungsträgers und z.B. berufsausbildungsfördernder Stellen.

15

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erstattungsforderung der überzahlten Leistungen waren in der Folge ebenfalls erfüllt. Gemäß § 50 Abs. 1 SGB X sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit der ursprüngliche bewilligende Verwaltungsakt aufgehoben worden ist. Auf ein Verschulden des Betroffenen und z.B. auf Entreicherung kommt es dabei nicht an.

16

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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Die Berufung wird auch ohne gesonderte Zulassung vorsorglich für zulässig erachtet. Die Beschwer umfasst nicht nur die Augustleistung iHv 688,27 EUR, sondern den gesamten Leistungszeitraum bis 31. Dezember 2006 gemäß Bewilligungsbescheid vom 9. Juni 2006, der vom Aufhebungsbescheid vom 23. August 2006 berührt wurde. Es konnte wegen des Nichterscheinens des Klägers zur mündlichen Verhandlung nicht abschließend geklärt werden, ob sich der Kläger nur gegen die Rückforderung der Augustleistung oder gegen die Aufhebung des gesamten verbliebenen Bewilligungszeitraums wehren wollte.