Sozialgericht Stade
Beschl. v. 03.08.2009, Az.: S 34 SF 88/08

Bestimmung des Umfangs der in Ansatz zu bringenden Verfahrensgebühr für das sozialgerichtliche Eilverfahren

Bibliographie

Gericht
SG Stade
Datum
03.08.2009
Aktenzeichen
S 34 SF 88/08
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2009, 19117
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGSTADE:2009:0803.S34SF88.08.0A

Tenor:

Die Erinnerung gegen den Vergütungsfestsetzungsbeschluss des Sozialgerichts Stade vom 2. Juli 2008 wird zurückgewiesen.

Gründe

1

Streitig ist die Höhe der aus der Landeskasse als Prozesskostenhilfe zu erstattenden Rechtsanwaltsgebühren.

2

Die zulässige Erinnerung ist unbegründet.

3

Zu Recht hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle für das erstinstanzliche Eilverfahren die Verfahrensgebühr nach Nr. 3103 des Vergütungsverzeichnisses (VV) zu § 3 Abs. 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) anstelle der beantragten Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV in Ansatz gebracht.

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Durch den geringeren Gebührenrahmen nach Nr. 3103 VV RVG gegenüber Nr. 3102 VV RVG wird dem Umstand Rechnung getragen, dass der Rechtsanwalt durch seine Tätigkeit im Verwaltungsverfahren oder im Vorverfahren mit der Materie bereits vertraut ist und deshalb die Vorbereitung des Gerichtsverfahrens für ihn weniger arbeitsaufwendig ist als für einen Rechtsanwalt, der erstmals mit der Materie befasst wird. Dies ergibt sich insbesondere aus der Begründung des Gesetzentwurfes zu Nr. 3103 (BT-Drucks 15/1971, Seite 212). Der niedrigere Gebührenrahmen der Nr. 3103 VV RVG ist auch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gerechtfertigt. Die Tätigkeit des Rechtsanwalts in sozialgerichtlichen Eilverfahren wird regelmäßig dadurch erleichtert, dass er in derselben Sache bereits im Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren tätig geworden ist. Zwar gilt im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ein anderer Maßstab als im Hauptsacheverfahren. So genügt zum Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG, dass der Antragsteller das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes glaubhaft macht. Der Vortrag des Rechtsanwalts zur Begründung des Anordnungsanspruchs ist aber inhaltlich regelmäßig deckungsgleich mit der Widerspruchsbegründung. In beiden Fällen sind die Voraussetzungen für das Vorliegen des materiellrechtlichen Anspruchs vorzutragen. Lediglich hinsichtlich der Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes im Verhältnis zum Widerspruchsverfahren ein weiterer eigenständiger Vortrag notwendig. Aus den genannten Gründen ist es gerechtfertigt, sowohl im Klagverfahren als auch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren von einem einheitlich reduzierten Gebührenrahmen auszugehen (ebenso u.a. SG Hannover , Beschluss vom 1. Dezember 2008 - S 34 SF 177/08; LSG Niedersachsen-Bremen , Beschluss vom 25. August 2006 - L 8 B 31/05 SO; LSG Bayern, Beschluss vom 18. Januar 2007 - L 15 B 224/06 AS KO; SG Aurich , Beschluss vom 9. Mai 2006 - S 25 SF 20/05 AS; SG Stade , Beschluss vom 11. Juni 2009 - S 34 SF 97/08).

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Das Gericht vermag sich dagegen der Auffassung, dass sich der Gebührentatbestand der Nr. 3103 VV RVG nur auf solche Verwaltungs- bzw. Widerspruchsverfahren beziehe, die einem Hauptsacheverfahren vorgelagert sind, nicht aber auf das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes anwendbar sei, nicht anzuschließen (so aber SG Hildesheim , Beschluss vom 26. Mai 2009, S 12 SF 18/09 E). Wie im Hauptsacheverfahren setzt auch die einstweilige Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG die fristgerechte Einlegung eines Widerspruchs gegen den ablehnenden Bescheid voraus, da es hier anderenfalls regelmäßig am Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Letztlich "profitiert" der Rechtsanwalt regelmäßig sowohl im Klageverfahren als auch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes von seiner Tätigkeit im Verwaltungsverfahren (vgl SG Aurich , Beschluss vom 09. Mai 2006, S 25 SF 20/05 AS), so dass die Zugrundelegung der verringerten Gebühr für beide Verfahrensarten gerechtfertigt ist.

6

Der Gebührenrahmen für die Verfahrensgebühr für den ersten Rechtszug beträgt vorliegend nach Nr. 3103 VV RVG unter Berücksichtigung der Erhöhung für jede weitere Person um 30% (Nr. 1008 VV RVG) 32,00 bis 512,00 EUR. Die Mittelgebühr hieraus beträgt 272,00 EUR. Zutreffend hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle vorliegend eine Verfahrensgebühr in Höhe einer 3/4 Gebühr mit 204,00 EUR festgesetzt.

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Nach §§ 3, 14 RVG bestimmt der Rechtsanwalt die Rahmengebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und der Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Das Haftungsrisiko ist zu berücksichtigen, § 14 Abs. 1 Satz 3 RVG. Wenn die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen ist, so ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nach § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist.

8

Ausgangspunkt bei der Bemessung der Gebühr ist die sogenannte Mittelgebühr, das heißt die Mitte des gesetzlichen Gebührenrahmens, die anzusetzen ist bei Verfahren durchschnittlicher Bedeutung, durchschnittlichen Schwierigkeitsgrades und wenn die vom Rechtsanwalt/Beistand geforderte und tatsächlich entwickelte Tätigkeit ebenfalls von durchschnittlichem Umfang war. Denn nur so wird eine einigermaßen gleichmäßige Berechnungspraxis gewährleistet. Abweichungen nach unten oder oben ergeben sich, wenn nur ein Tatbestandsmerkmal des § 14 RVG fallbezogen unter- oder überdurchschnittlich zu bewerten ist, wobei das geringere Gewicht eines Bemessungsmerkmals das überwiegende Gewicht eines anderen Merkmals kompensieren kann (Gerold/Schmidt-Mayer, RVG, 18. Auflage 2008, § 14 Rn 11).

9

Vorliegend ist der Urkundsbeamte der Gebührenbemessung des Rechtsanwalts richtigerweise nicht gefolgt, da nach den Kriterien des § 14 RVG eine Qualifikation der Angelegenheit als überdurchschnittlich nicht zu rechtfertigen ist. Die vom Rechtsanwalt getroffene Bestimmung der Gebühren ist unbillig i.S. von § 14 RVG.

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Die Bedeutung des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens für die Antragsteller wird von der Kammer als überdurchschnittlich eingestuft, da es für die Antragsteller um die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II und damit um die Gewährung von existenzsichernden Leistungen ging. Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit erweist sich dagegen als deutlich unterdurchschnittlich. Der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller hat lediglich einen Schriftsatz, die Antragsbegründung vom 7. November 2007 gefertigt. Dieser Schriftsatz ist im Übrigen weitgehend deckungsgleich mit dem Widerspruch vom 6. November 2007. Der Antragsgegner hat daraufhin binnen weniger Tage mitgeteilt, dass die Leistungsgewährung wieder aufgenommen werde. Die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit kann als durchschnittlich bezeichnet werden. Die - in diesem Zusammenhang allerdings keine entscheidende Rolle spielenden - Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Antragsteller sind ebenso wie die Verfahrensdauer unterdurchschnittlich.

11

Bei einer Gesamtbetrachtung aller Kriterien des § 14 RVG ist demzufolge die Entscheidung des Urkundsbeamten, dass lediglich der Ansatz der 3/4-Gebühr als Verfahrensgebühr gerechtfertigt ist, nicht zu beanstanden. Da die Gebührenbestimmung des Rechtsanwalts mit mehr als 20% von der vom Gericht für angemessen gehaltenen Gebühr abweicht, ist von einer unbilligen und damit nicht verbindlichen Gebührenbestimmung auszugehen (Gerold/Schmidt-Mayer a.a.O. Rn 12).

12

Zutreffend hat der Urkundsbeamte entgegen dem Antrag des Erinnerungsführers eine Terminsgebühr nicht festgesetzt. Eine Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG ist vorliegend nicht erstattungsfähig, da nicht angefallen. Grundvoraussetzung für die Entstehung einer solchen Gebühr ist nämlich, dass für das entsprechende Rechtsschutzverfahren überhaupt eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist. Die hier in Rede stehende Terminsgebühr wird auch und gerade deshalb gewährt, um eine mündliche Verhandlung vermeiden zu helfen. Da jedoch einstweilige Rechtsschutzverfahren nach § 124 Abs. 3 i.V.m. § 86b Abs. 4 SGG gerade keiner notwendigen mündlichen Verhandlungen unterliegen, kann eine Terminsgebühr schon dem Grunde nach nicht entstehen (vgl ebenso SG Lüneburg , Beschluss vom 10. Mai 2007 - S 25 SF 23/07; SG Stade , Beschluss vom 5. September 2008 - S 34 SF 54/08).

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Nach alledem bestimmen sich die von der Landeskasse zu erstattenden Gebühren wie folgt:

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Verfahrensgebühr Nr. 3103 VV RVG 204,00 EUR Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR Zwischensumme 224,00 EUR Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG 42,56 EUR Gesamtbetrag 266,56 EUR.

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Die Entscheidung ist endgültig, § 178 Satz 1 SGG.