Sozialgericht Stade
Beschl. v. 03.08.2009, Az.: S 34 SF 10/09 E

Berücksichtigung des hypothetischen Aufwands bei der Berechnung einer Terminsgebühr nach dem Vergütungsverzeichnis des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (VV RVG)

Bibliographie

Gericht
SG Stade
Datum
03.08.2009
Aktenzeichen
S 34 SF 10/09 E
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2009, 19088
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGSTADE:2009:0803.S34SF10.09E.0A

Tenor:

Auf die Erinnerung der Klägerin wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Sozialgerichts Stade vom 29. Dezember 2008 geändert.

Die von dem Beklagten an die Klägerin zu erstattenden Kosten werden auf 535,50 EUR festgesetzt.

Im Übrigen wird die Erinnerung zurückgewiesen.

Gründe

1

Streitig ist die Höhe der erstattungsfähigen Rechtsanwaltsgebühren. Die Klägerin macht insoweit die Festsetzung einer höheren Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG nach angenommenen Anerkenntnis ohne Termin sowie eine höhere Dokumentenpauschale nach Nr. 7000 VV RVG geltend.

2

Die zulässige Erinnerung ist teilweise begründet.

3

Zu Unrecht hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle lediglich eine Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG in Höhe von 20,- EUR festgesetzt. Die Klägerin kann eine Terminsgebühr in Höhe von 100,- EUR geltend machen.

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Eine Terminsgebühr (Nr. 3106 VV) fällt nach dem Wortlaut des Vergütungsverzeichnisses u.a. dann an, wenn das Verfahren - wie hier - nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet. Damit hat der Gesetzgeber auch bei der sogenannten "fiktiven" Terminsgebühr den Gebührenrahmen in vollem Umfang eröffnet, so dass bei der Bemessung der Gebühr wiederum auf die in den §§ 3, 14 RVG normierten Kriterien abzustellen ist.

5

Nach Gesetzeswortlaut und Zweck der Regelung über eine fiktive Terminsgebühr im VV RVG ist dabei auch der hypothetische Aufwand zu berücksichtigen, der bei Durchführung eines Termins im konkreten Verfahren voraussichtlich entstanden wäre (vgl hierzu SG Hamburg , Beschluss vom 17. Januar 2008 - S 8 AL 750/06; SG Oldenburg , Beschluss vom 29. Januar 2009 - S 10 SF 123/08, SG Lüneburg , Beschluss vom 16. März 2009 - S 12 SF 64/09 E; a.A. SG Hildesheim , Beschluss vom 21. Dezember 2007 - S 12 SF 70/07 - wonach allein auf die Bedeutung der Angelegenheit sowie die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers abzustellen ist). Nur so kommt die von der Gebührenbestimmung ausgehende Anreizfunktion für den beteiligten Rechtsanwalt zur Geltung, auf die Durchführung eines Termins bei Wahrung des vollen Gebührenanspruchs zu verzichten. Die Kammer hält danach im Falle der Annahme eines Anerkenntnisses ohne Termin im Regelfall eine (fiktive) Terminsgebühr iHv 100,- EUR für gerechtfertigt (ua Beschluss vom 17. Juni 2009 - S 34 SF 68/08; Beschluss vom 13. Mai 2009 - S 34 SF 85/08; Beschluss vom 29. Mai 2009 - S 34 SF 50/08). Die Kammer hat ihre frühere Rechtsprechung aufgegeben, wonach für eine (fiktive) Terminsgebühr lediglich die Mindestgebühr in Höhe von 20,- EUR anzusetzen war.

6

Da die Gebührenbestimmung der Rechtsanwältin um mehr als 20% von der vom Gericht für angemessen gehaltenen Gebühr abweicht, ist von einer unbilligen und damit nicht verbindlichen Gebührenbestimmung auszugehen (Gerold/Schimdt-Mayer, RVG, 18. Auflage 2008, § 14 Rn 12).

7

Die Dokumentenpauschale nach Nr. 7000 VV RVG für das Vorverfahren ist mit 20,- EUR festzusetzen. Die Kosten für Ablichtungen sind nach dieser Regelung erstattungsfähig, soweit sie zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten sind. Bei der Beurteilung, was zur Bearbeitung der Sache sachgemäß ist, ist auf die Sicht abzustellen, die ein verständiger und durchschnittlich erfahrener Rechtsanwalt haben kann, wenn er sich mit der betreffenden Leistungsakte beschäftigt und alle Eventualitäten bedenkt, die bei der dann noch erforderlichen eigenen Bearbeitung der Sache auftreten können. Dem Rechtsanwalt ist ein gewisser Ermessensspielraum zu überlassen (Gerold/Schmidt-Müller-Rabe, RVG, 18. Aufl. 2008, VV 7000 Rdn 22). Nach der ständigen Rechtsprechung der niedersächsischen Sozialgerichte (ua SG Osnabrück , Beschluss vom 13. Juni 2007 - S 1 SF 56/06; SG Hildesheim , Beschluss vom 20. Oktober 2008 - S 12 SF 28/08; SG Stade , Beschluss vom 8. Juni 2009 - S 34 SF 72/08) kann allerdings derjenige, der sich nicht der Mühe unterziehen will den Umfang der Ablichtungen bei Erhalt der Akten konkret und sachbezogen zu bestimmen, die Kosten für überflüssige Schreibauslagen nicht der Staatskasse bzw. dem Leistungsträger aufbürden. Das Gericht hält es in diesen Fällen für zulässig, unsubstantiiert geltend gemachte Kopierauslagen pauschal zu kürzen, wenn auch auf Nachfrage die Notwendigkeit der einzelnen Kopien nicht belegt wird (vgl SG Osnabrück, a.a.O.; SG Hildesheim, a.a.O.). In solchen Situationen ist es nicht Aufgabe des Gerichts, die notwendigen Fotokopien zu ermitteln und von den insgesamt geltend gemachten Fotokopien abzuziehen (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18. Oktober 2006 - 7 E 1339/05).

8

Nachdem die Klägerin die "aus der Verwaltungsakte des Beklagten gezogenen Kopien" dem Gericht vorgelegt hat, muss davon ausgegangen werden, dass mehr Kopien in Ansatz gebracht worden sind als tatsächlich gefertigt wurden. Geltend gemacht hat die Klägerin 81 Kopien, tatsächlich umfasst das Kopienkonvolut deutlich weniger Kopien. Zwar beginnt dieses mit Bl 1 und endet mit Bl 81, jedoch fehlen dazwischen zahlreiche Seiten. Offenbar hat sich die Klägerin noch nicht einmal die Mühe gemacht, die gefertigten Kopien durchzuzählen.

9

Die Notwendigkeit der gefertigten Kopien wurde von der Klägerin auch nicht substantiiert dargelegt. Insbesondere ist nicht nachvollziehbar, dass sogar Anhörungsschreiben und Bescheide kopiert wurden. Das Gericht hält es unter diesen Umständen für gerechtfertigt, insgesamt pauschal 40 Fotokopien als notwendig zu berücksichtigen.

10

Im Übrigen erweist sich die Erinnerung als unbegründet.

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Nach alledem berechnen sich die erstattungsfähigen Gebühren und Auslagen wie folgt:

Vorverfahren:
Geschäftsgebühr Nrn 2400, 2401 VV RVG120,- EUR
Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG20,- EUR
Dokumentenpauschale Nr. 7000 VV RVG20,- EUR
Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG30,40 EUR
Klageverfahren:
Verfahrensgebühr Nr. 3103 VV RVG170,- EUR
Terminsgebühr Nr. 3106 VV RVG100,- EUR
Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG20,- EUR
Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG55,10 EUR
Summe535,50 EUR
12

Die Entscheidung ist unanfechtbar, § 197 Abs. 2 SGG.