Sozialgericht Stade
Beschl. v. 30.06.2009, Az.: S 28 AS 219/09 ER
Einstweiliger Rechtsschutz in einem Verfahren um eine Übernahme von Tilgungsleistungen als Aufwendungen für Unterkunft und Heizung gem. § 22 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II)
Bibliographie
- Gericht
- SG Stade
- Datum
- 30.06.2009
- Aktenzeichen
- S 28 AS 219/09 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 20376
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGSTADE:2009:0630.S28AS219.09ER.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- LSG Niedersachsen-Bremen - AZ: L 13 AS 230/09 B ER
Rechtsgrundlage
- § 22 Abs. 1 SGB II
Tenor:
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig und unter Vorbehalt der Rückforderung - rückwirkend ab Januar 2009 bis längstens zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens S 28 AS 183/09 - über die bisher gewährten und ausgezahlten Leistungen hinaus weitere Leistungen iHv von 203,19 EUR monatlich als Kosten für die Unterkunft zu gewähren.
Im Übrigen wird der Eilantrag abgelehnt.
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die Hälfte der außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die (vorläufige) Verpflichtung des Antragsgegners zur Übernahme höherer Aufwendungen als Kosten der Unterkunft (im Weiteren: KdU) gemäß § 22 Abs. 1 SGB II.
Der Antragsteller bezieht seit 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom Antragsgegner. Zuletzt bewilligte der Antragsgegner mit Bescheid vom 19. Dezember 2008 der Antragsgegner dem Antragsteller Leistungen für den Zeitraum Oktober 2008 bis einschließlich März 2009. Den Fortzahlungsantrag ab April 2009 hat der Antragsteller zwischenzeitlich gestellt.
Der Antragsteller bewohnt ein das Erdgeschoss (86 qm) eines Eigenheimes. Die Obergeschosswohnung ist seit Dezember 2008 fremdvermietet. Im Rahmen eines Darlehensvertrags des Antragstellers mit seinen Eltern vom 20. Februar 2001, ergänzt durch Vereinbarung vom 23. Dezember 2008, ist den Eltern zur Sicherung der Darlehensrückzahlungsansprüche ein nunmehr eingetragenes Dauerwohnrecht und Verfügungsrecht über die Wohnung im Obergeschoss eingeräumt. Die Eltern nehmen das eingeräumte Verfügungsrecht nicht wahr und erhalten dafür vom Antragsteller eine monatliche Nutzungsentschädigung iHv 230,00 EUR. Die Mieteinnahmen iHv 435,00 EUR monatlich fließen dem Antragsteller und nicht den Eltern zu und werden vom Antragsgegner als Abzugsposten bei den KdU angerechnet. Seit Dezember 2007 leistet der Antragsteller keine Tilgungszahlungen für das gewährte Familiendarlehen an seine Eltern, jedoch monatlich 136,07 EUR Zinsen.
Der Antragsgegner geht für 2009 von Nebenkosten iHv 96,58 EUR aus (Bl 861 VwA). Nach der Aufstellung des Antragstellers ergeben die gleichen Positionen monatlich 103,38 EUR. Die Differenz von 6,80 EUR ergibt sich offenbar in erster Linie aus den Kosten für den Wasserverband (Wasser/Kanalgebühren) und Müllgebühren. Der Antragsgegner hat für Wasser 5,00 EUR und Müllgebühren 10,60 EUR eingerechnet, der Antragsteller 11,00 EUR für Wasser und 11,40 EUR für Müllgebühren. Nachgewiesen sind die vom Antragsteller angegebenen Müllgebühren (vgl Bl 916 VwA), über die höheren Wasserkosten liegt kein Nachweis vor. Als weitere Kosten der Unterkunft berücksichtigt der Antragsgegner bisher die Zinslasten für das Familiendarlehen iHv 136,07 EUR und für ein LBS-Darlehen 5045XXXX-01 iHv 188,54 EUR monatlich. Für ein zweites LBS-Darlehen 5045XXXX-02 muss der Antragsteller Zinsen iHv 104,39 EUR sowie Tilgungsleistungen iHv 202,39 EUR monatlich aufbringen. Nach Mitteilung der LBS vom 21. Januar 2009 war eine Umstellung des zweiten Vertrags auf reine Zinszahlung nicht mehr möglich. Nach dortiger Auskunft konnte aber das Verhältnis von Zins und Tilgung auf dem genannten Stand eingefroren werden.
Im Bewilligungsbescheid wurden für Oktober 2008 und November 2008 Aufwendungen für die Unterkunft auf Grundlage einer Hauslastenberechnung iHv 322,62 EUR aufgenommen zzgl Heizkosten iHv 65,36 EUR, d.h. insgesamt 387,98 EUR. Für Dezember 2008 wurden unter Anrechnung der Mieteinnahmen Leistungen für die Unterkunft iHv 90,50 EUR zzgl Heizkosten und ab 1. Januar 2009 iHv 86,59 EUR zzgl Heizkosten eingerechnet.
Der Antragsteller legte am 20. Januar 2009 Widerspruch unter anderem gegen den Bescheid vom 19. Dezember 2008 ein. Diesen Widerspruch betreffend Oktober 2008 bis März 2009 wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 9. Februar 2009 als unbegründet zurück. Am 13. März 2009 hat der Antragsteller Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 9. Februar 2009 und die ihm zugrunde liegenden Bescheide erhoben, die am Sozialgericht Stade unter dem Aktenzeichen - S 28 AS 183/09 - geführt wird.
Am selben Tage stellte der Antragsteller den Eilantrag, um im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes eine Übernahme höherer Kosten für die Unterkunft ab Januar 2009 zu erreichen.
Der Antragsteller teilt mit, nach seiner Auffassung müsse die Nutzungsentschädigung für das Wohnrecht, die er monatlich an seine Eltern zahle, als KdU berücksichtigt werden, weil erst dadurch die Vermietung der Wohnung im Obergeschoss und damit auch seine Mieteinnahme von 435,00 EUR ermöglicht werde. Es müsse außerdem eine Instandhaltungspauschale iHv 10% der Jahresrohmiete berücksichtigt werden. Zuletzt müsse auch die Tilgung für das LBS-Darlehen 50452786-02 iHv 202,39 EUR als KdU übernommen werden, da er diese Kosten nicht vermeiden könne. Die Tilgungsleistungen würden derzeit von seinen Eltern auf Darlehensbasis erbracht.
Der Antragsteller beantragt wörtlich,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller vorläufig rückständige Tilgungsleistungen im Rahmen der Unterkunftskosten bei Wohneigentum zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt,
den Eilantrag abzulehnen.
Zum Vorbringen der Beteiligten im Übrigen und zu weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die vorliegenden Verwaltungsakten des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag an in dem im Tenor dargestellten Umfang Erfolg.
Nach § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das Gericht der Hauptsache ist das Gericht des ersten Rechtszuges. Voraussetzung für den Erlass der hier begehrten Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG ist neben einer besonderen Eilbedürftigkeit der Regelung (Anordnungsgrund) das Bestehen eines Anspruchs auf die begehrte Regelung (Anordnungsanspruch). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 3 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
I.1.)
Der Antragsteller konnte einen Anordnungsanspruch glaubhaft machen, soweit es um die Übernahme der Tilgungsleistungen iHv 202,39 EUR für das LBS-Darlehen 5045XXXX-02 als Kosten der Unterkunft geht.
Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe erbracht, soweit sie angemessen sein. Eine Übernahme von Tilgungsleistungen kommt grundsätzlich nicht in Betracht, weil mit staatlichen Unterstützungsleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts kein Vermögensaufbau ermöglicht werden soll (vgl z.B. Kalhorn in: Hauck/Noftz, SGB II, Stand August 2008, § 22 Rn 14; Lang/Link in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 22 Rn 27ff). Nach der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist allerdings abweichend von diesem Grundsatz in bestimmten Einzelfällen eine andere Handhabung denkbar. So komme jedenfalls dann, wenn der Hilfebedürftige ohne die (gegebenenfalls anteilige) Übernahme von Tilgungsraten gezwungen wäre, seine Wohnung aufzugeben, eine Übernahme der gesamten Finanzierungskosten bis zur Höhe der abstrakt angemessenen Kosten einer Mietwohnung in Betracht (vgl Bundessozialgericht , Urteil vom 18. Juni 2008 - B 14/11b AS 67/06 R -, Rn 23 ff).
Nach der hier gebotenen summarischen Prüfung sind diese Voraussetzungen erfüllt. Aus derzeitiger Sicht kann nicht ausgeschlossen werden, dass dem Antragsteller ein Verlust seiner Unterkunft droht, wenn er die Tilgungsleistungen nicht erbringt. Das darlehengebende Kreditinstitut des Antragstellers, d.h. hier die LBS, hat mit Schreiben vom 21. Januar 2009 mitgeteilt und bestätigt, dass eine monatliche Anpassung des Einzugsbetrags von 306,78 EUR, bestehend aus Zins und Tilgung, auf die reine Zinslast aus technischen Gründen nicht mehr möglich sei. Daraus ist zu folgern, dass der Antragsteller die Entrichtung des monatlichen Gesamtbetrags inklusive der Tilgungsleistung nicht vermeiden kann, wenn er verhindern will, dass das Darlehen notleidend wird. In diesem Falle bestände dann die realistische Gefahr, dass das Kreditinstitut den Darlehensvertrag kündigt und die Darlehenssumme in einer Summe vom Antragsteller einfordert. Es ist angesichts der konkreten Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Einkommens- und Vermögenssituation des Antragstellers nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass der Antragsteller kurzfristig entsprechende Geldmittel aufbringen könnte, z.B. durch Abschluss eines neuen Darlehensvertrags bei einem anderen Kreditinstitut. Sollte es daher zu einer rechtlichen Durchsetzung der Darlehensforderung der LBS kommen, ist nicht ausgeschlossen, dass eine Zwangsvollstreckung in das selbstgenutzte Hausgrundstück des Antragstellers erfolgt. Vor diesem Hintergrund kann nicht ausgeschlossen werden, dass bei Nichterbringung der Tilgungsleistungen am Ende ein Verlust der Unterkunft steht.
Zugleich wird die Grenze der abstrakt angemessenen Kosten einer Mietwohnung eingehalten. Nach Mitteilung des Antragsgegners liegt die Angemessenheitsgrenze für eine Mietwohnung, wie sie dem Antragsteller zustände, im örtlichen Bereich bei 300,00 EUR. Das Gericht hat diese Angabe im Eilverfahren nicht überprüft. Allerdings war dies auch nicht erforderlich, denn auch bei einer Erhöhung der bisher gewährten Leistungen für KdU um die Tilgungsraten für das zweite LBS-Darlehen wird diese Angemessenheitsgrenze nicht überschritten. Denn es ergeben sich unter Einbeziehung der Tilgungsleistung Gesamtkosten für das Eigenheim des Antragstellers von 727,97 EUR monatlich. Abzüglich der Mieteinnahmen iHv 435,00 EUR verbleiben 292,97 EUR.
2.)
Ebenfalls glaubhaft gemacht ist der um 0,80 EUR höhere Ansatz für Müllgebühren. Ein Nachweis über die Kosten iHv 11,40 EUR monatlich befindet sich bereits in den Verwaltungsakten des Antragsgegners. Soweit ersichtlich, wurden dennoch bisher nur 10,60 EUR bei der Hauslastenberechnung für das Jahr 2009 berücksichtigt.
Die im Tenor ausgeworfene konkrete Höhe des monatlichen Erhöhungsbetrags ergibt sich aus den zuerkannten festgeschriebenen Tilgungsleistungen für das LBS-Darlehen 5045XXXX-02 iHv 202,39 EUR sowie den nachgewiesenen höheren Kosten für die Müllentsorgung von 0,80 EUR im Monat.
3.)
Die höheren Wasserkosten wurden nicht glaubhaft gemacht, ebenso wenig, dass die Zinszahlungen an die Eltern nun 138,79 EUR und nicht mehr, wie offenbar bisher, 136,07 EUR betragen.
II. 1.)
Hinsichtlich der Tilgungsleistungen konnte der Antragsteller die notwendige Eilbedürftigkeit in noch ausreichender Weise glaubhaft machen. Es ist glaubhaft gemacht, dass die Tilgungsleistungen gegenüber der LBS erbracht werden müssen, um ein Notleiden des zweiten Darlehens und damit die Gefahr einer Kündigung des Darlehensvertrags zu vermeiden. Zwar teilte der Antragsteller mit, derzeit würden seine Eltern die Tilgungslasten tragen, allerdings würde dies nur auf Darlehensbasis erfolgen. Der Antragsteller kann auf diese freiwillige Zahlung seiner Eltern nicht verwiesen werden, weil diese ihre freiwillige Unterstützung jederzeit einstellen könnten. Außerdem ist fraglich, ob eine weitere Verschuldung bis zur Entscheidung in der Hauptsache zugemutet werden kann, wenn der Anordnungsanspruch nach der hier gebotenen summarischen Prüfung schon zu bejahen ist.
2.)
In Bezug auf die Instandhaltungspauschale und die Nutzungsentschädigung an die Eltern konnte ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht werden. Die notwendige Eilbedürftigkeit liegt insoweit nicht vor. Es ist nicht erkennbar, dass dem Antragsteller in Bezug auf die beiden genannten Positionen schwere Nachteile drohen, zu deren Abwendung eine gerichtliche Eilentscheidung unbedingt erforderlich ist. Der Antragsteller ist nicht von Wohnungslosigkeit bedroht. Ebenso besteht kein Grund für die Annahme, dass die Eltern bis zur Klärung der Frage der Nutzungsentschädigung in der Hauptsache wegen der ausstehenden Zahlungen rechtliche Schritte unternehmen werden. Auch die Frage der Instandhaltungspauschale kann und muss abschließend im Hauptsacheverfahren geklärt werden, da unmittelbar keine negativen Auswirkungen auf das bestehende Mietverhältnis zu erkennen sind, wenn zunächst weiterhin keine Instandhaltungspauschale angesetzt wird. Ob die diesbezügliche Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vom 3. März 2009 - B 4 AS 38/08 R - auf diesen Fall übertragen werden kann, wird noch weiter zu prüfen zu sein.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG und berücksichtigt den Umfang des Obsiegens und Unterliegens. Der Antragsteller hatte im Eilverfahren Erfolg hinsichtlich der Tilgungsleistungen für das zweite LBS-Darlehen, nicht jedoch bezüglich der monatlichen Nutzungsentschädigung und der Instandhaltungspauschale.