Sozialgericht Stade
v. 17.07.2009, Az.: S 17 AS 22/09

Pflicht eines Rechtsträgers zur Erstattung von Kosten der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung gegen einen Verwaltungsakt bei erfolgreichem Widerspruch durch den Adressaten; Vorliegen einer unbilligen Gebühr eines Rechtsanwaltes bei nicht nur unerheblichem Abweichen von der nach Auffassung der Behörde und später des Gerichtes billigen Gebühr

Bibliographie

Gericht
SG Stade
Datum
17.07.2009
Aktenzeichen
S 17 AS 22/09
Entscheidungsform
Gerichtsbescheid
Referenz
WKRS 2009, 20592
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGSTADE:2009:0717.S17AS22.09.0A

Tenor:

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 20. Oktober 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Dezember 2008 verpflichtet, der Klägerin einen Betrag iHv 99,96 EUR - unter Anrechnung des ggf. bereits ausgezahlten Erstattungsbetrags für dasselbe Widerspruchsverfahren - an Aufwendungen zu erstatten.

Die Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Höhe der Kostenfestsetzung der Beklagten gemäß § 63 SGB X nach erfolgreichem Widerspruch.

2

Die Klägerin beauftragte im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens bei der Beklagten einen Rechtsanwalt mit der Vertretung ihrer Interessen. Der Widerspruch hatte Erfolg. Mit Schreiben vom 30. April 2008 teilte die Beklagte mit, dass der angegriffene Bescheid aufgehoben wurde. Zugleich teilte die Beklagte mit, dass die Zuziehung des Bevollmächtigten als notwendig erachtet werde. Die im Widerspruchsverfahren entstandenen notwendigen Aufwendungen könnten auf Antrag erstattet werden.

3

Der Bevollmächtigte der Klägerin stellte am 18. September 2008 einen Kostenfestsetzungsantrag und begehrte die Erstattung eines Gesamtbetrags iHv 99,96 EUR. Dieser setzt sich zusammen aus einer Gebühr gemäß §§ 2 Abs. 2, 13 RVG i.V.m. Nr. 2400 VV RVG (Geschäftsgebühr), der Pauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG iHv 14,00 EUR zzgl Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 VV RVG iHv 15,96 EUR.

4

Mit Bescheid vom 20. Oktober 2008 anerkannte die Beklagte die Kosten nur iHv 64,26 EUR und lehnte den Kostenantrag im Übrigen ab. Zur Begründung teilte sie mit, sie hielte eine Geschäftsgebühr iHv 40,00 EUR anstellte der beantragten 70,00 EUR für angemessen. Weitere Ausführungen erfolgten diesbezüglich nicht. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 9. Dezember 2008 als unbegründet zurück. Wiederum wurde nur mitgeteilt, dass eine Geschäftsgebühr von 40,00 EUR für angemessen gehalten würde. Der Widerspruchsbescheid enthält ein Satzrudiment, dem keine Aussage entnommen werden kann. Erläuterungen der Ermessensentscheidung erfolgten nicht. Am 9. Januar 2009 hat die Klägerin Klage erhoben.

5

Sie trägt vor, aus dem Bescheid und dem Widerspruchsbescheid gehe nicht hervor, warum die Festsetzung der beantragten Geschäftsgebühr iHv 70,00 EUR unbillig und eine Festsetzung iHv 40,00 EUR angemessen sei.

6

Die Klägerin beantragt,

den Kostenfestsetzungsbescheid der Beklagten vom 20. Oktober 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 9. Dezember 2008 wird abgeändert. Die der Klägerin in dem Widerspruchsverfahren mit dem verkürzten Geschäftszeichen der Beklagten W 7456/06 entstandenen notwendigen Aufwendungen werden in Höhe von 99,96 EUR festgesetzt und die Beklagte verurteilt, den noch offenen Differenzbetrag in Höhe von 35,70 EUR zu bezahlen.

7

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Sie verweist auf den Inhalt der Leistungsakte und die Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid.

9

Zum Vorbringen der Beteiligten im Übrigen und zu weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die vorliegende Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

10

Das Gericht hat die Beteiligten zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid gemäß § 105 SGG angehört und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

Entscheidungsgründe

11

Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid gemäß § 105 Abs. 1 SGG entscheiden, da der Sachverhalt geklärt war und die Sache keine Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufwies.

12

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Klage hat Erfolg.

13

Die angegriffene Entscheidung der Beklagten erweist sich als rechtswidrig und beschwert insoweit die Klägerin, § 54 Abs. 2 SGG. Die Klägerin hat Anspruch auf Erstattung der Aufwendungen im Widerspruchsverfahren in Höhe von 99,96 EUR anstelle der bisher von der Beklagten gewährten 64,26 EUR. Der Beklagten ist kein Ermessen hinsichtlich der konkreten Höhe der Rechtsanwaltsgebühren eingeräumt, da diese nicht unbillig sind.

14

Gemäß § 62 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zu zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich ist.

15

Die Gebühren eines Rechtsanwalts bei Rahmengebühren werden gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers vom Rechtsanwalt (Rechtsbeistand) nach billigem Ermessen bestimmt. Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG ist, wenn die Gebühr von einem Dritten zu erstatten ist, die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist.

16

I.

Die vom Rechtsanwalt der Klägerin in Ansatz gebrachte Geschäftsgebühr gemäß §§ 2 Abs. 2, 13 RVG i.V.m. Nr. 2400 VV RVG iHv 70,00 EUR ist nicht unbillig. Unbillig ist eine Gebühr dann, wenn sie nicht nur unerheblich von der nach Auffassung der Behörde und später des Gerichts billigen Gebühr abweicht, und zwar nicht erst bei einer Abweichung um mindestens 20 vH. (vgl Krasney in: Kasseler Kommentar, SGB X, § 63 Rn 27 m.w.N.). Dies ist hier nicht der Fall.

17

Ausgangspunkt für den Kostenansatz ist in durchschnittlichen Verfahren, die sich nicht durch Besonderheiten von anderen Verfahren unterscheiden, stets die Mittelgebühr. Der Gebührenrahmen der Geschäftsgebühr bewegt sich gemäß Nr. 2400 VV RVG zwischen 40,00 EUR und 520,00 EUR. Die Mittelgebühr beträgt damit 240,00 EUR. Durch eine Bestimmung dieser Gebühr auf lediglich 70,00 EUR hat der Rechtsanwalt der Klägerin im konkreten Einzelfall berücksichtigt, dass der Umfang seines Tätigwerdens gering und die Angelegenheit für die Klägerin von unterdurchschnittlicher Bedeutung war. Er ist damit bereits erheblich von der Mittelgebühr nach unten abgewichen und hat den Umständen des Einzelfalls nach dem Dafürhalten des Gerichts in jeder Hinsicht Rechnung getragen. Das Gericht kann nicht erkennen, dass und aus welchen Gründen der gewählte Ansatz überzogen oder ungerechtfertigt sein könnte. Es ist kein sachlicher Grund ersichtlich, warum wie nach Auffassung der Beklagten gerade 40,00 EUR angemessen sein könnten und nicht z.B. 55,00 EUR oder 80,00 EUR. Die Bestimmung der Geschäftsgebühr durch den Rechtsanwalt der Klägerin bewegt sich im vertretbaren Rahmen und nicht als überzogen angesehen werden.

18

Entsprechend dem Kostenfestsetzungsantrag vom 18. September 2008 hat die Klägerin Anspruch auf Erstattung von Aufwendungen iHv 99,96 EUR, bestehend aus der Geschäftsgebühr Nr. 2400 VV RVG iHv 70,00 EUR und der Pauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG iHv 14,00 EUR zzgl der anzusetzenden Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 RVG.

19

Der Beklagten ist kein Verwaltungsermessen eingeräumt, denn mangels Unbilligkeit ist die Bestimmung der Gebühren durch den Rechtsanwalt der Klägerin gemäß § 14 Abs. 1 RVG für die Beklagte verbindlich (vgl BSG, Urteil vom 22. März 1984 - 11 RA 16/83 -; Roos in: v. Wulffen, SGB X, § 63 Rn 43).

20

II.

Der angegriffene Bescheid der Beklagten ist zudem wegen eines nicht geheilten Formfehlers, nämlich einer mangelnder Begründung, rechtswidrig.

21

Gemäß § 35 Abs. 1 SGB X ist ein schriftlicher Verwaltungsakt mit einer Begründung zu versehen. Nach Satz 3 muss die Begründung von Ermessensentscheidungen die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist.

22

Der angegriffene Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheids genügt diesen Vorgaben nicht. Es geht nicht aus ihm hervor, warum die Beklagte den Gebührenansatz des Rechtsanwalts für unbillig hält, sodass auch offen bleibt, aus welchem Grund die Beklagten überhaupt eine eigene Bestimmung der Gebühr vornimmt bzw. nach eigener Auffassung vornehmen darf. Die eigene Bestimmung nach billigem Ermessen lässt im Weiteren nicht erkennen, warum aus Sicht der Beklagten die Geschäftsgebühr iHv 40,00 EUR angemessen sein könnte und iHv 70,00 EUR gerade nicht. Die Beklagte hat damit das Ermessen, das ihr gar nicht eingeräumt war, noch nicht einmal pflichtgemäß ausgeübt, sondern ermessens-fehlerhaft in Gestalt eines Ermessensnichtgebrauchs. Ein solcher Ermessensnichtgebrauch liegt vor, wenn eine Behörde ihr Ermessen nicht ausgeübt oder dies im Bescheid nicht zum Ausdruck gebracht hat. Die Behörde muss im Bescheid die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen sie sich bei ihrer Ermessensentscheidung hat leiten lassen (vgl Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9 Aufl. 2008, § 54 Rn 27ff). Weder der Bescheid vom 20. Oktober 2008 noch der Widerspruchsbescheid vom 9. Dezember 2008 lassen jedoch erkennen, dass die Beklagte ihr (nicht vorhandenes) Ermessen hinsichtlich der Bestimmung der anzusetzenden Geschäftsgebühr ordnungsgemäß ausgeübt hat und welche sachlichen Gründe für die konkrete Entscheidung ausschlaggebend waren. Selbst im Rahmen der Klageerwiderung hat die Beklagte keine Gründe für ihre Entscheidung dargestellt. Eine wenigstens formale Heilung dieses Formfehlers gemäß § 41 Abs. 1 SGB X ist damit nicht erfolgt.

23

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.