Sozialgericht Stade
Beschl. v. 03.08.2009, Az.: S 34 SF 99/08
Erinnerung gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss über die Höhe erstattungsfähiger Rechtsanwaltsgebühren; Maßstab zur Berechnung einer Rechtsanwaltsgebühr; Voraussetzungen zur Entstehung einer Erledigungsgebühr in Abgrenzung zu einer Terminsgebühr
Bibliographie
- Gericht
- SG Stade
- Datum
- 03.08.2009
- Aktenzeichen
- S 34 SF 99/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 19132
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGSTADE:2009:0803.S34SF99.08.0A
Rechtsgrundlagen
- § 3 RVG
- § 14 RVG
- Nr. 1002 VV RVG
- Nr. 1005 VV RVG
- Nr. 3106 VV RVG
Tenor:
Auf die Erinnerung des Klägers wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Sozialgerichts Stade vom 21. August 2008 geändert. Die von dem Beklagten an den Kläger zu erstattenden Kosten werden auf 462,91 EUR festgesetzt. Im Übrigen wird die Erinnerung zurückgewiesen.
Gründe
Streitig ist die Höhe erstattungsfähiger Rechtsanwaltsgebühren.
Die zulässige Erinnerung ist zum Teil begründet.
Zutreffend hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG in Höhe von 250,00 EUR festgesetzt.
Nach §§ 3, 14 RVG bestimmt der Rechtsanwalt die Rahmengebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und der Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Das Haftungsrisiko ist zu berücksichtigen, § 14 Abs. 1 Satz 3 RVG. Wenn die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen ist, so ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nach § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist.
Ausgangspunkt bei der Bemessung der Gebühr ist die sogenannte Mittelgebühr, das heißt die Mitte des gesetzlichen Gebührenrahmens, die anzusetzen ist bei Verfahren durchschnittlicher Bedeutung, durchschnittlichen Schwierigkeitsgrades und wenn die vom Rechtsanwalt/Beistand geforderte und tatsächlich entwickelte Tätigkeit ebenfalls von durchschnittlichem Umfang war. Denn nur so wird eine einigermaßen gleichmäßige Berechnungspraxis gewährleistet. Abweichungen nach unten oder oben ergeben sich, wenn nur ein Tatbestandsmerkmal des § 14 RVG fallbezogen unter- oder überdurchschnittlich zu bewerten ist, wobei das geringere Gewicht eines Bemessungsmerkmals das überwiegende Gewicht eines anderen Merkmals kompensieren kann (Gerold/Schmidt-Mayer, RVG, 18. Auflage 2008, § 14 Rn 11).
Vorliegend ist die Urkundsbeamtin der Gebührenbemessung des Rechtsanwalts richtigerweise nicht gefolgt, da nach den Kriterien des § 14 RVG nur eine die Mittelgebühr begründende Qualifikation der Angelegenheit als durchschnittlich zu rechtfertigen ist. Die vom Rechtsanwalt getroffene Bestimmung der Gebühren ist unbillig im Sinne von § 14 RVG.
Die Bedeutung des Verfahrens für den Kläger wird von der Kammer als durchschnittlich eingestuft. Eine andere Sichtweise würde dazu führen, dass nahezu jedes Verfahren im Schwerbehindertenrecht als für den jeweiligen Kläger überdurchschnittlich bedeutsam einzustufen wäre. Dagegen ist der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit im vorliegenden Verfahren eindeutig als unterdurchschnittlich einzustufen. Erforderlich war lediglich die Erstellung der Klagebegründung. Auch die durchzuarbeitenden medizinischen Unterlagen nahmen keineswegs einen überdurchschnittlichen Umfang an, wie sich aus der Verwaltungsakte ergibt. Anhaltspunkte dafür, dass die Schwierigkeit der Rechtssache als überdurchschnittlich einzustufen ist, sind nicht ersichtlich.
Bei einer Gesamtbetrachtung aller Kriterien des § 14 RVG ist demzufolge die Entscheidung der Urkundsbeamtin, dass lediglich eine Verfahrensgebühr in Höhe der Mittelgebühr gerechtfertigt ist, nicht zu beanstanden. Obwohl die Gebührenbestimmung des Rechtsanwaltes nicht um mehr als 20% von der vom Gericht für angemessen gehaltenen Gebühr abweicht, ist insoweit dennoch von einer unbilligen und damit nicht verbindlichen Gebührenbestimmung auszugehen. Zwar werden im Allgemeinen Abweichungen bis zu 20% von der vom Gericht bzw. dem Beklagten für angemessen gehaltenen Gebühren noch als verbindlich und nicht unbillig im Sinne des RVG angesehen. Diese Auffassung entspricht durchaus auch der Rechtsprechung der Kammer. Jedoch liegt eine vom Gericht zu tolerierende Gebührenbestimmung durch den Rechtsanwalt nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG nur dann vor, wenn sie aufgrund der Umstände des Einzelfalles i.V.m. den Bemessungskriterien getroffen worden ist. Liegt eine solche Ermessensentscheidung nicht vor, ist die von dem Rechtsanwalt vorgenommene Gebührenbestimmung unbillig und damit nicht verbindlich, auch wenn die geltend gemachten Gebühren die Toleranzgrenze von 20% nicht übersteigen (Gerold/Schmidt-Mayer, RVG, 18. Auflage 2008, § 14 Rdnr 12; OLG Düsseldorf, Anwaltsblatt 1998, 538). Ansonsten würde eine routinemäßig vorgenommene Erhöhung der Mittelgebühr um bis zu 20% grundsätzlich als billig iSv § 14 RVG akzeptiert werden müssen. Vorliegend ist nicht ersichtlich, dass der Rechtsanwalt aufgrund einer getroffenen Ermessensentscheidung dazu gelangt ist, dass abweichend von der Mittelgebühr hier eine Verfahrensgebühr in Höhe von 290,00 EUR gerechtfertigt ist.
Zutreffend hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle eine Erledigungsgebühr nach Nr. 1002, 1005 VV RVG nicht festgesetzt. Eine solche Gebühr entsteht bei einer Einigung oder Erledigung sozialrechtlicher Angelegenheiten, in denen im gerichtlichen Verfahren Beitragsrahmengebühren entstehen. Nach der Rechtsprechung des BSG setzt die Gebühr dabei eine qualifizierte anwaltliche Mitwirkung bei der Erledigung der Rechtssache voraus (vgl hierzu BSG, Urteil vom 7. November 2006 - B 1 KR 13/06 R). Gemeint ist damit, dass der Rechtsanwalt in einer Weise tätig wird, die über die allgemeine Wahrnehmung verfahrensmäßiger bzw. rechtlicher Interessen für seinen Mandanten hinausgeht und damit erst eine Entstehung neben den in anderen Teilen bestimmten Gebühren rechtfertigt. Vorliegend hat der Rechtsanwalt des Klägers lediglich Klage erhoben und diese mit Schriftsatz vom 23. Oktober 2007 begründet. Darüber hinaus hat er das von dem Beklagten abgegebene Anerkenntnis mit Schreiben vom 15. Januar 2008 angenommen. Eine gesonderte qualifizierte anwaltliche Mitwirkung an der Erledigung des Verfahrens, die über die Klageerhebung hinausgeht, ist damit weder ersichtlich noch vorgetragen.
Entstanden ist dagegen eine Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG.
Eine Terminsgebühr (Nr. 3106 VV) fällt nach dem Wortlaut des Vergütungsverzeichnisses auch dann an, wenn das Verfahren - wie hier - nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet. Damit hat der Gesetzgeber auch bei der so genannten "fiktiven" Terminsgebühr den Gebührenrahmen in vollem Umfang eröffnet, so dass bei der Bemessung der Gebühr wiederum auf die in den §§ 3, 14 RVG normierten Kriterien abzustellen ist.
Nach Gesetzeswortlaut und Zweck der Regelung über eine fiktive Terminsgebühr im VV RVG ist dabei auch der hypothetische Aufwand zu berücksichtigen, der bei Durchführung eines Termins im konkreten Verfahren voraussichtlich entstanden wäre (vgl hierzu SG Hamburg , Beschluss vom 17. Januar 2008 - S 8 AL 750/06; SG Oldenburg , Beschluss vom 29. Januar 2009 - S 10 SF 123/08, SG Lüneburg , Beschluss vom 16. März 2009 - S 12 SF 64/09 E; a.A. SG Hildesheim , Beschluss vom 21. Dezember 2007 - S 12 SF 70/07 - wonach allein auf die Bedeutung der Angelegenheit sowie die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers abzustellen ist). Nur so kommt die von der Gebührenbestimmung ausgehende Anreizfunktion für den beteiligten Rechtsanwalt zur Geltung, auf die Durchführung eines Termins bei Wahrung des vollen Gebührenanspruchs zu verzichten. Die Kammer hält danach im Falle der Annahme eines Anerkenntnisses ohne Termin im Regelfall eine (fiktive) Terminsgebühr iHv 100,- EUR für gerechtfertigt (ua Beschluss vom 17. Juni 2009 - S 34 SF 68/08; Beschluss vom 13. Mai 2009 - S 34 SF 85/08; Beschluss vom 29. Mai 2009 - S 34 SF 50/08). Die Kammer hat ihre frühere Rechtsprechung aufgegeben, wonach für eine (fiktive) Terminsgebühr lediglich die Mindestgebühr in Höhe von 20,- EUR anzusetzen war.
Die Dokumentenpauschale nach Nr. 7000 VV RVG ist von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle zutreffend mit 19,- EUR festgesetzt worden. Die Kosten für Ablichtungen sind nach dieser Regelung erstattungsfähig, soweit sie zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten sind. Bei der Beurteilung, was zur Bearbeitung der Sache sachgemäß ist, ist auf die Sicht abzustellen, die ein verständiger und durchschnittlich erfahrener Rechtsanwalt haben kann, wenn er sich mit der betreffenden Leistungsakte beschäftigt und alle Eventualitäten bedenkt, die bei der dann noch erforderlichen eigenen Bearbeitung der Sache auftreten können. Dem Rechtsanwalt ist ein gewisser Ermessensspielraum zu überlassen. Nach der ständigen Rechtsprechung der niedersächsischen Sozialgerichte (ua SG Osnabrück , Beschluss vom 13. Juni 2007 - S 1 SF 56/06; SG Hildesheim , Beschluss vom 20. Oktober 2008 - S 12 SF 28/08) kann allerdings derjenige, der sich nicht der Mühe unterziehen will den Umfang der Ablichtungen bei Erhalt der Akten konkret und sachbezogen zu bestimmen, die Kosten für überflüssige Schreibauslagen nicht der Staatskasse bzw. dem Leistungsträger aufbürden. Anhand des Inhalts der Leistungsakte wird deutlich, dass der Erinnerungsführer offensichtlich Ablichtungen des gesamten Inhalts der Akte gefertigt hat, ohne eine Prüfung der Notwendigkeit vorzunehmen. Die Feststellung der Urkundsbeamtin, dass lediglich 38 Fotokopien als notwendig zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung/Verteidigung i.S. von § 193 Abs. 2 SGG anzusehen und damit erstattungsfähig sind, ist danach nicht zu beanstanden.
Nach alledem berechnen sich die erstattungsfähigen Gebühren und Auslagen wie folgt:
Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG 250,00 EUR Terminsgebühr Nr. 3106 VV RVG 100,00 EUR Dokumentenpauschale Nr. 7000 VV RVG 19,00 EUR Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG 73,91 EUR Summe 462,91 EUR
Die Entscheidung ist unanfechtbar, § 197 Abs. 2 SGG.