Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 26.02.2003, Az.: L 8 AL 336/02 ER
Arbeitnehmerüberlassung; Einzelrichter; Regelstreitwert; Streitwertkatalog; vorläufiger Rechtsschutz
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 26.02.2003
- Aktenzeichen
- L 8 AL 336/02 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 48243
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG - 05.08.2002 - AZ: S 6 AL 291/02 ER
Rechtsgrundlagen
- § 2 AÜG
- § 11 GKG
- § 13 GKG
- § 25 GKG
- § 102 S 2 SGG
- § 155 Abs 2 SGG
- § 183 SGG
- § 160 VwGO
- § 161 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Im Falle einer Klagerücknahme ist gemäß § 102 Satz 2 SGG die sich daraus ergebende Wirkung der Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache nur auf Antrag durch Beschluss auszusprechen, nicht von Amts wegen. Die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren in solchen Fällen übliche deklaratorische Entscheidung über die Einstellung folgt aus der im sozialgerichtlichen Verfahren nicht anzuwendenden Vorschrift des § 92 Abs 3 Satz 1 VwGO.
2. Die für eine Anwendung des § 155 Abs 2 Satz 1 Nr 4, 5 SGG (Entscheidung über den Streitwert und die Kosten durch den Berichterstatter) erforderliche Voraussetzung, dass die Entscheidung im vorbereitenden Verfahren ergeht, ist auch dann erfüllt, wenn eine Hauptsacheentscheidung beispielsweise nach Erledigung der Hauptsache nicht mehr ergeht.
3. Bei dem Widerruf einer Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz ist jedenfalls beim Fehlen von nachvollziehbaren Anhaltspunkten für einen konkreten Umsatzverlust der Regelstreitwert zu Grunde zu legen. Dieser Streitwert ist in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auf die Hälfte des Streitwertes der Hauptsache zu reduzieren (vgl LSG Niedersachsen Beschluss vom 14. November 1997 - L 4 Kr 88/97 eR -, NZS 1998, 352; ders Beschluss vom 27. Januar 2003 - L 8 B 158/02 AL).
4. Eine Änderung des erinstanzlichen Streitwerts in der Rechtsmittellinstanz iS von § 25 Abs 2 Satz 2 GKG setzt eine Entscheidung des SG über den Streitwert voraus. Es ist dem Rechtsmittelgericht versagt, eine unterbliebene Streitwertfestsetzung nachzuholen.
Tenor:
Antragstellerin und Antragsgegnerin tragen die Hälfte der Gerichtskosten.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Der Streitwert wird auf 2.000,-- € festgesetzt.
Gründe
Nach Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache ist durch den Berichterstatter über die Kosten zu entscheiden und der Streitwert festzusetzen.
I.
Gehören weder Kläger noch Beklagter (bzw im vorläufigen Rechtsschutzverfahren Antragsteller und Antragsgegner) zu den in § 183 Sozialgerichtsgesetz (SGG) genannten Personen (Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, Behinderte oder deren Sonderrechtsnachfolger), finden die üblicherweise für die Kosten im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Vorschriften der § 184 bis 195 SGG keine Anwendung. Gemäß § 197a SGG werden in solchen Fällen Kosten nach den Vorschriften des Gerichtskostengesetzes (GKG) erhoben. Anwendung finden weiter die §§ 154 bis 162 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Daraus folgt die Verpflichtung, von Amts wegen über die Kosten zu entscheiden, nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache während des anhängigen Beschwerdeverfahrens für erledigt erklärt haben. Außerdem ist der Streitwert festzusetzen.
Eine ausdrückliche Entscheidung über die Einstellung des Verfahrens ist im sozialgerichtlichen Verfahren von Amts wegen nicht vorgesehen (§ 202 SGG iVm § 91a Zivilprozessordnung - ZPO -). Soweit im verwaltungsgerichtlichen Verfahren in solchen Fällen üblicherweise eine deklaratorische Entscheidung über die Einstellung ergeht, folgt dies aus der für die Klagerücknahme maßgebenden Vorschrift des § 92 Abs 3 Satz 1 VwGO. Danach stellt das Gericht das Verfahren durch Beschluss ein und spricht die Rechtsfolgen der Zurücknahme aus, soweit die Klage zurückgenommen ist oder als zurückgenommen gilt. Gemäß § 102 Satz 2 SGG ist jedoch im sozialgerichtlichen Verfahren im Falle einer Klagerücknahme die sich daraus ergebende Wirkung der Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache nur auf Antrag durch Beschluss auszusprechen, nicht von Amts wegen. Ein solcher Antrag liegt hier nicht vor, einer Entscheidung bedarf es deshalb insoweit nicht.
II.
Die Entscheidung über den Streitwert und die Kosten ergeht gemäß § 155 Abs 2 Satz 1 Nr 4, 5, Abs 4 SGG durch den Berichterstatter. Die für eine Anwendung des § 155 Abs 2 SGG erforderliche Voraussetzung, dass die Entscheidung im vorbereitenden Verfahren ergeht, ist auch dann erfüllt, wenn eine Hauptsacheentscheidung – wie hier durch Erledigung der Hauptsache – nicht mehr ergeht (vgl Meyer-Ladewig, SGG Kommentar, 7. Auflage § 155 Rdnr 7).
III.
Ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt, ist in den durch § 197a SGG erfassten Fällen gemäß § 161 Abs 2 VwGO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigen Ermessen über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Kostenentscheidung umfasst sowohl die Gerichtskosten als auch die außergerichtlichen Kosten. Sie hat sich in erster Linie an den Erfolgsaussichten der Klage bzw des Antrags auszurichten. Zu beachten sind auch die Gründe für Klage bzw Antrag bzw ihre Erledigung, ggf auch der individuelle Verfahrensablauf.
III.1.
Bei der hier zu treffenden zweitinstanzlichen Kostenentscheidung ist auch über die vor dem Sozialgericht (SG) angefallenen Kosten zu entscheiden. Das gilt jedenfalls in den Fällen, in denen das Verfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt oder die Klage zurückgenommen worden ist. Durch die Erledigungserklärung ist ebenso wie bei einer Klage- oder Antragsrücknahme die erstinstanzliche Entscheidung obsolet geworden. Die Kostenentscheidung des SG im Beschluss vom 5. August 2002 existiert nicht mehr. Allenfalls im Falle einer – hier nicht vorliegenden – Rechtsmittelerledigung könnte etwas anderes geltend (vgl hierzu Kopp, VwGO Kommentar, 12. Auflage § 161 Rdnr 33).
III.2.
Unter Zugrundelegung der oben erläuterten Maßstäbe entspricht es billigem Ermessen, die Beteiligten mit jeweils der Hälfte der Gerichtskosten zu belasten und sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen zu lassen.
Zu Lasten der Antragstellerin ist zu berücksichtigen, dass bei Prüfungen durch die Antragsgegnerin eine Vielzahl unkorrekter bzw rechtswidriger Geschäftspraktiken festgestellt wurden, die Anlass für den Widerruf der Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) waren. Zwar ist die Antragsgegnerin dem entgegengetreten, nach summarischer Prüfung und unter Berücksichtigung des gesamten Vorbringens der Beteiligten im Beschlussverfahren dürften jedoch zumindest arbeitsrechtliche Verstöße vorliegen und damit ein Versagenstatbestand im Sinne von § 3 Abs 1 Nr 1 AÜG erfüllt sein. Ob in einem solchen Fall die Erlaubnis widerrufen werden kann, bleibt der Entscheidung im Hauptsacheverfahren vorbehalten. Nach summarischer Prüfung dürfte vor dem Hintergrund der früheren Verfehlungen des Geschäftsführers der Antragstellerin deren Obsiegen eher unwahrscheinlich sein.
Andererseits ist der Versagensbescheid nicht so offensichtlich rechtmäßig, dass ohne weitere Sachverhaltsaufklärungen der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch bzw Klage von vornherein keinen Erfolg haben konnte. Das SG hat sogar im erstinstanzlichen Beschluss mit lesenswerten Gründen ernsthafte Zweifel an dem angefochtenen Bescheid geäußert und dem Antrag stattgegeben. Eine abschließende Klärung erscheint hier nicht zuletzt im Hinblick auf die zwischenzeitlich eingetretene Insolvenz der Antragstellerin kaum möglich zu sein. Weitere Sachverhaltsaufklärungen erfolgen im Kostenverfahren nicht mehr. Damit sind die Erfolgsaussichten des Antrags als offen anzusehen. Auch die Gründe für den Antrag bzw seine Erledigung und der individuelle Verfahrensablauf führen nicht zu einer zwingenden einseitigen Kostenbelastung, so dass es billigem Ermessen entspricht, die Beteiligten wie im Falle des § 160 VwGO hälftig mit den Gerichtskosten zu belasten. Die eigenen Kosten sind von ihnen selber zu tragen.
IV.
Berechnungsgrundlage für die Gerichtsgebühren ist in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen weder Kläger noch Beklagte zu den von den Kosten befreiten Personen gehören, gemäß § 11 Abs 2 GKG der Wert des Streitgegenstandes. Soweit eine Entscheidung nach § 24 Satz 1 GKG (wie vorliegend) nicht ergeht oder nach § 24 Satz 2 GKG nicht bindet, setzt das Prozessgericht von Amts wegen den Wert für die zu erhebende Gebühr durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt (§ 25 Abs 2 Satz 1 GKG). Die Wertberechnung richtet sich nach § 13 GKG. Sie erfolgt nach Ermessensausübung unter Berücksichtigung der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache, wenn der bisherige Sach- und Streitstand hierfür keine genügenden Anhaltspunkte bietet (§ 13 Abs 1 GKG), jedoch nicht mehr als 2,5 Millionen Euro (§ 13 Abs 7 GKG).
Streitgegenstand war hier im erstinstanzlichen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die aufschiebende Wirkung von Widerspruch bzw Klage gegen den Bescheid, mit dem die Antragsgegnerin eine der Antragstellerin erteilte befristete Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung nach dem AÜG widerrufen hatte. Damit betrifft der Antrag keine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt iS von § 13 Abs 2 GKG. Tatsächliche Anhaltspunkte für eine Schätzung des unmittelbaren wirtschaftlichen Erfolgs liegen nicht vor. Ein nur mittelbarer wirtschaftlicher Erfolg bleibt unberücksichtigt (BSG vom 4. September 2001 - B 7 AL 6/01 R -).
Ob durch den Widerruf der ursprünglich bis zum 27. Februar 2003 erteilten Erlaubnis wegen der am 1. November 2002 eingetretenen Insolvenz der Antragstellerin überhaupt ein Umsatzverlust eintreten konnte, ist wegen der sog Abwicklungsfrist in § 2 Abs 4 Satz 4 AÜG zumindest zweifelhaft, jedenfalls ist ein solcher nicht näher belegt oder glaubhaft gemacht worden. In Ermangelung nachvollziehbarer Anhaltspunkte für eine Schätzung hat der Senat in solchen Fällen den Regelstreitwert angenommen (zuletzt Beschluss vom 27. Januar 2003 - L 8 B 158/02 AL -). Auch im vorliegenden Fall ist es sachgerecht, gemäß § 13 Abs 1 Satz 2 GKG von einem Streitwert von 4.000,0 € für das Hauptsacheverfahren auszugehen.
V.
In Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, in denen es grundsätzlich nur um vorläufige Maßnahmen geht, erreicht der Wert regelmäßig nicht denjenigen der Hauptsache, sondern bleibt im Allgemeinen erheblich unter dem Wert der Hauptsache. Der Wert des vorläufigen Verfahrens kann sich jedoch dem Wert der Hauptsache nähern, zB dann, wenn das Gericht im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes praktisch schon endgültig über die Sache entscheiden muss (Hartmann, Kostengesetze, 32. Auflage, § 20 GKG, RdNrn 2 und 3 mwN, siehe auch Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, Übersicht Nr 7, abgedruckt in Hartmann, Kostengesetze, 32. Auflage, Anhang I B nach § 13 GKG). Bei dem Widerruf einer Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz reduziert der Senat in ständiger Rechtsprechung den Streitwert auf die Hälfte (zuletzt Beschluss vom 27. Januar 2003 - L 8 B 158/02 AL -). Auch im vorliegenden Fall entspricht dies billigem Ermessen, zumal das Hauptsacheverfahren noch vor dem SG anhängig ist. Durch die Erledigung des Verfahrens im vorläufigen Rechtsschutz ist die Hauptsacheentscheidung weder ganz noch in Teilen vorweggenommen worden.
VI. Der Streitwert gilt nur für das Beschwerdeverfahren. Er kann vom LSG nicht auch für das erstinstanzliche Verfahren festgesetzt werden. Dies wird das SG, welches in dem angefochtenen Beschluss vom 5. August 2002 keine Regelung getroffen hat, nachholen.
Zwar kann das Rechtsmittelgericht von Amts wegen eine erstinstanzliche Festsetzung ändern, solange das Verfahren in der Rechtsmittelinstanz schwebt (§ 25 Abs 2 Satz 2 GKG). Eine solche Änderung setzt jedoch eine Entscheidung des SG über den Streitwert voraus, die hier gerade nicht vorliegt. Insoweit ist dieser Fall nicht mit dem vom LSG Rheinland-Pfalz am 18. Dezember 2002 entschiedenen Fall (- L 2 ER-U 18/02 -, Volltext in der JURIS Landesrechtsprechungsdatenbank) vergleichbar, weil dort das SG eine Streitwertentscheidung getroffen hatte.
VII.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§§ 25 Abs 3 Satz 2 GKG, 177 SGG).