Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 20.02.2003, Az.: L 1 RA 276/01

Abhängigkeit der Wahlfunktion eines Kreisabgeordneten in der DDR als ehrenamtliche oder hauptamtliche Tätigkeit für die Berechnung der Rentenbezüge; Hauptamtliche Ausübung eines Berufs, hier Kreisarzt und Leiter der Abteilung Gesundheitswesen, als Indiz für eine ehrenamtliche Ausübung eines Abgeordnetenmandats; Ansprüche und Anwartschaften von Angehörigen des DDR-Zusatzversorgungssystems der Intelligenz; Berücksichtigung der rentenrechtlichen Regelungen und Beitragszahlungen in der DDR bei der Berechnung des Rentenanspruchs

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
20.02.2003
Aktenzeichen
L 1 RA 276/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 13594
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0220.L1RA276.01.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Aurich - 25.10.2001 - AZ: S 6 RA 126/97
Zusammenfassung

Das Gericht hatte darüber zu entscheiden, ob der Kläger im DDR-Zusatzversorgungssytem der Intelligenz in einer hauptamtlichen Wahlfunktion beschäftigt war. Dies war als vorgelagertes Verfahren zur Berechnung der Rentenhöhe notwendig. Nach allgemeinen Ausführungen zu Ansprüchen und Anwartschaften aus Beitragszahlungen in der DDR kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass der Kläger lediglich in ehrenamtlicher Wahlfunktion als Kreisabgeordneter tätig war. Dies ergibt sich daraus, dass er zur gleichen Zeit hauptamtlicher Kreisarzt und Leiter der Abteilung Gesundheitswesen war.

Tenor:

Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger ein Viertel seiner notwendigen außergerichtlichen Kosten auch des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten noch darum, ob und ggf. in welchem Umfang die Beklagte eine Zeit des Klägers im DDR-Zusatzversorgungssystem der Intelligenz als Beschäftigung in einer hauptamtlichen Wahlfunktion ansehen und dementsprechend die erzielten Entgelte begrenzen durfte.

2

Der 1923 geborene Kläger hat sein Berufsleben im Gebiet der ehemaligen DDR verbracht. Er war nach dem Medizinstudium von 1951 bis 1985 als Stationsarzt, Leitender Arzt einer Poliklinik, in dem hier bedeutsamen Zeitraum von April 1959 bis März 1965 als Leiter der Abteilung Gesundheits- und Sozialwesen sowie als Kreisarzt beim Rat des Kreises der Stadt H. und zuletzt bis Ende 1985 als ärztlicher Direktor am Städtischen Krankenhaus I. in J. beschäftigt. Seit Januar 1986 befindet er sich im Ruhestand.

3

Als Versorgungsträger im Sinne des § 8 Abs. 4 Nr. 1 des Gesetzes zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz und Sonderversorgungssystemen des Beitrittsgebietes (AAÜG) stellte die Beklagte in ihrem Bescheid vom 25. November 1993 die Zeit vom 1. März 1954 bis zum 31. Dezember 1985 als Zeit der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen (Anlage 1 Nr. 4 AAÜG) fest. In dem (Zugehörigkeits-)Bescheid ordnete die Beklagte den einzelnen versicherten Zeiten jeweils die nachgewiesenen Bruttoentgelte und die Begrenzungen nach den Anlagen 3 (Begrenzung auf die jeweilige Beitragsbemessungsgrenze West) bzw. 5 (Begrenzung auf das jeweilige Jahresdurchschnittseinkommen im Beitrittsgebiet) zu und differenzierte innerhalb der berücksichtigungsfähigen Entgelte weiter nach Zugehörigkeit zur DDR-Sozialversicherung bzw. den Zusatzversorgungssystemen. U.a. für die hier - noch - streitige Zeit vom 1. April 1959 bis zum 31. März 1965 begrenzte die Beklagte die tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte auf die Werte der Anlage 5. Die Berechtigung dazu ergebe sich aus dem Umstand, dass der Kläger, der auf Grund der Wahlen vom 17. September 1961 Abgeordneter des Kreistages geworden war und seit Mai 1963 zusätzlich Mitglied des Rates des Kreises war, eine hauptamtliche Wahlfunktion auf der Ebene der Kreise, Städte, Stadtbezirke bzw. Gemeinden im Staatsapparat der DDR wahrgenommen habe.

4

Im Verlaufe des Widerspruchsverfahrens stellte die Beklagte mit dem Bescheid vom 20. Mai 1997 auf Grund des AAÜG-Änderungsgesetzes vom 11. November 1996 (Bundesgesetzblatt I Seite 1674) die vom Träger der Rentenversicherung für den Leistungszeitraum ab dem 1. Januar 1997 zu berücksichtigenden Entgelte neu fest. Hinsichtlich der Zeit vom 1. April 1959 bis zum 31. März 1965 ergab sich eine nur noch eingeschränkte Begrenzung, nämlich auf die Beträge der Anlage 3 zum AAÜG (s.o., nur bis zur jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze West) - statt auf die Beträge der Anlage 5 (jeweiliges Jahresdurchschnittseinkommen im Beitrittsgebiet).

5

Nachdem die Beklagte mit ihren weiteren Bescheiden vom 9. und 10. September 1997, betreffend die Leistungszeiträume ab dem 1. Januar 1997 bzw. bis zum 31. Dezember 1996, dem Widerspruch hinsichtlich der - nicht mehr streitigen - Zeit vom 1. August 1971 bis zum 31. Dezember 1985 abgeholfen hatte, wies die Beklagte den Widerspruch im Übrigen mit dem Widerspruchsbescheid vom 29. Oktober 1997 zurück.

6

Mit seiner am 5. November 1997 beim Sozialgericht (SG) Aurich erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, weder als Abgeordneter des Kreistages noch als Mitglied des Rates eine "Wahlfunktion" im Sinne des § 6 Abs. 3 Nr. 8 AAÜG wahrgenommen zu haben. Die politischen Funktionen hätten an seiner Tätigkeit als Kreis- bzw. Amtsarzt nichts geändert. Im Rat des Kreises sei der Bereich Gesundheits- und Sozialwesen vom stellvertretenden Ratsvorsitzenden für die Bereiche Volksbildung, Gesundheits- und Sozialwesen sowie Kultur vertreten worden. Nur dieser habe als stimmberechtigtes Mitglied an den Ratssitzungen teilgenommen und habe Vorlagen einbringen können. Er sei sein - des Klägers - direkter Vorgesetzter gewesen.

7

Das SG hat mehrere Auskünfte des Landratsamtes K. zu der Tätigkeit des Klägers in den Jahren 1959 bis 1965 beigezogen. Nachdem das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit seinen Urteilen vom 28. April 1999 (Az: 1 BvL 22/95, 34/95 sowie 32/95 und 1 BvR 2105/95) u.a. die in der DDR erworbenen Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen dem Schutz des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG) unterstellt und die Begrenzung der Entgelte auf Werte der Anlage 5 zum AAÜG (Jahresdurchschnittseinkommen im Beitrittsgebiet, s.o.) auch bereits für Bezugszeiten ab dem 1. Juli 1993 für verfassungswidrig erachtet hatte, erließ die Beklagte zunächst den Vorläufigkeitsbescheid vom 13. April 2000 (zum Feststellungsbescheid vom 10 September 1997). Im Anschluss an das In-Kraft-Treten des 2. AAÜG-Änderungsgesetzes vom 27. Juli 2001 (Bundesgesetzblatt 1 Seite 1939) erging der Bescheid vom 24. August 2001, mit dem die Beklagte den Maßgaben des BVerfG Rechnung trug.

8

Das SG hat die Beklagte mit Urteil vom 25. Oktober 2001 teilweise verurteilt. Es hat die - im Anschluss an das 2. AAÜG-ÄndG und den Bescheid vom 24. August 2001 nur noch für den Bezugszeitraum vom 1. Januar 1992 (Beginn der Rentenüberleitung) bis zum 30. Juni 1993 streitige - Zeit vom 1. April 1959 bis zum 30. April 1963 als zu Unrecht dem Tatbestand einer hauptamtlichen Wahlfunktion zugeordnet angesehen. Die Wahl zum Abgeordneten des Kreistages spiele - so das SG sinngemäß - keine Rolle. Denn der Kläger habe dieses Mandat ehrenamtlich geführt. Anders verhalte es sich bezüglich der Mitgliedschaft im Rat des Kreises H. von Mai 1963 bis März 1965. Der Kläger habe insoweit eine hauptamtliche Wahlfunktion ausgefüllt, weil er in Personalunion Leiter der Abteilung des Gesundheitswesens und Ratsmitglied gewesen sei. Daraus folgend habe die Beklagte die Entgelte auf die Werte der Anlage 5 zum AAÜG (Jahresdurchschnittseinkommen im Beitrittsgebiet, s.o.) kürzen dürfen. Im Übrigen hat das SG die Klage abgewiesen und ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch darauf, von der für alle Sozialpflichtversicherten der ehemaligen DDR geltenden Beitragsbemessungsgrenze nach der Anlage 3 zu § 6 Abs. 1 Satz 1 AAÜG ausgenommen zu werden. Die vom Kläger weiterhin gegen die Rentenüberleitung geltend gemachten Bedenken könnten nicht durchgreifen. Denn das BVerfG habe mit seinen Urteilen vom 28. April 1999 die dafür grundlegende Systementscheidung für verfassungsgemäß erklärt.

9

Gegen die teilweise Verurteilung richtet sich die am 19. November 2001 eingegangene Berufung der Beklagten. Zur Begründung wiederholt sie die in den angefochtenen Bescheiden enthaltene Aussage, der Kläger sei bereits seit April 1959 Inhaber einer hauptamtlichen Wahlfunktion gewesen. In diesem Zusammenhang sei noch nicht geklärt, welchem Ratsmitglied die vom Kläger geleitete Abteilung Gesundheitswesen unterstanden habe.

10

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Aurich vom 25. Oktober 2001 aufzuheben und

11

die Klage abzuweisen.

12

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

13

Er hält das Urteil des SG für zutreffend. Seine zunächst im Umfang der Klageabweisung erhobene (Anschluss-)Berufung hat der Kläger mit seinem Schriftsatz vom 17. Februar 2003 zurückgenommen.

14

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend damit einverstanden erklärt, dass der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet.

15

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Sachvortrages der Beteiligten wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Die Akten sind Gegenstand der Beratung und Entscheidung gewesen.

Entscheidungsgründe

16

Die Berufung der Beklagten ist gemäß den §§ 143 f Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und zulässig. Nicht mehr Verfahrensgegenstand ist die zunächst auch vom Kläger eingelegte (Anschluss-)Berufung.

17

Der Senat war im Einverständnis der Beteiligten berechtigt, den Rechtsstreit durch Urteil ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, §§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1 SGG.

18

Die Berufung der Beklagten war als in der Sache unbegründet zurückzuweisen.

19

Zum Gegenstand des Rechtsstreits war voranzuschicken, dass es im vorliegenden Fall lediglich um die Feststellung von Tatbeständen gehen konnte, nicht jedoch um Zahlung einer höheren Rente. Es handelt sich um ein der Rentenfeststellung grundsätzlich vorgelagertes und der Vormerkung nach § 149 Abs. 5 Sozialgesetzbuch (SGB) VIähnliches Verfahren. Der Versorgungsträger (hier die BfA als Trägerin der Zusatz- und Sonderversorgungssysteme der ehemaligen DDR) hat als insoweit besonders sachkundige Behörde dem Rentenversicherungsträger, hier der laufend die Rente zahlenden BfA, folgende Daten zu übermitteln:

20

Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem,

  • die Höhe des aus der vom Versorgungssystem erfassten Beschäftigung oder Tätigkeit tatsächlich erzielten Arbeitsentgelts oder -einkommens,
  • die tatsächlichen Voraussetzungen dafür, ob die Anwendung einer niedrigeren als der regelmäßigen Beitragsbemessungsgrenze in Betracht kommt und
  • in den Fällen des § 8 Abs. 1 Satz 3 AAÜG die Feststellung von Arbeitsausfalltagen.

21

Es ist an dieser Stelle bereits zu betonen, dass die im vorliegenden Fall bedeutsame Feststellung zu einer niedrigeren als der regelmäßigen Beitragsbemessungsgrenze, §§ 6 und 7 AAÜG, dem Rentenversicherungsträger noch nicht die für den Rentenanspruch maßgebliche Beitragsbemessungsgrenze bzw. Höhe der versicherten Arbeitsverdienste vorschreibt, vielmehr lediglich die tatsächlichen Voraussetzungen für die Anwendung einer ggf. niedrigeren als der sonst geltenden Beitragsbemessungsgrenze betrifft (vgl. BSG-Urteil vom 20. Dezember 2001, Az: B 4 RA 6/01 R).

22

Grundlage für den Anspruch des Klägers sind die §§ 5 bis 7 AAÜG, die ein gegenüber dem SGB VI spezielles Rentenversicherungsrecht enthalten. Sie betreffen die Anwartschaften auf Zusatzversorgungsrenten, hier diejenige des Klägers als Angehöriger des Zusatzversorgungssystems der Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen (Anlage 1 Nr. 4 AAÜG). Zur Verwirklichung des Vertrages über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR vom 18. Mai 1990 (Bundesgesetzblatt II Seite 537; im folgenden: Staatsvertrag) war vereinbart worden, die bestehenden Zusatz- und Sonderversorgungssysteme zum 1. Juli 1990 zu schließen. Die erworbenen Ansprüche und Anwartschaften sollten in die gesetzliche Rentenversicherung der Bundesrepublik überführt werden, wobei die Regelungen mit dem Ziel überprüft werden sollten, ungerechtfertigte Leistungen abzuschaffen und überhöhte Leistungen abzubauen. Die DDR setzte die Festlegungen des Staatsvertrages mit dem Rentenangleichungsgesetz um (RAnglG; vom 28. Juni 1990, Gesetzblatt I Seite 495). Das RAnglG legte Grundsätze für die - nachfolgende - Überführung in die Rentenversicherung der Bundesrepublik fest und eröffnete die Möglichkeit einer Kürzung von Ansprüchen und Anwartschaften aus zusätzlichen Versorgungssystemen "nach einer Überprüfung im Einzelfall". Zu diesem Punkt hieß es dann im Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag vom 31. August 1990, Bundesgesetzblatt 1990 II Seite 889), die erworbenen Ansprüche und Anwartschaften seien bis zum 31. Dezember 1991 in die Rentenversicherung zu überführen. Bis zu diesem Zeitpunkt seien die leistungsrechtlichen Regelungen der jeweiligen Versorgungssysteme grundsätzlich weiter anzuwenden (im Falle des Klägers besteht hinsichtlich der Übergangsregelungen kein Streit; vielmehr beginnt der Leistungszeitraum, auf den sich die hier umstrittenen Feststellungen beziehen, erst am 1. Januar 1992).

23

Vor dem Hintergrund der Überführung der gesamten rentenrechtlichen Regelungen der ehemaligen DDR in das SGB VI und der Überführung der Zusatz- und Sonderversorgungssysteme schrieb der Bundesgesetzgeber in § 5 Abs. 1 AAÜG vor, dass die Zeiten der Zugehörigkeit zu den Versorgungssystemen als Pflichtbeitragszeiten zu gelten haben. Die Bewertung dieser Zeiten richtet sich - unabhängig von einer Beitragszahlung - nach den Arbeitsentgelten oder Arbeitseinkommen. Durch die Anknüpfung an die Arbeitsverdienste werden Berechtigte aus Versorgungssystemen so behandelt, als hätten sie diese Verdienste in der bundesrepublikanischen Rentenversicherung abgesichert. Sie werden damit unter Beachtung der gesetzlich vorgesehenen Begrenzungen faktisch nachversichert. Die Höhe der bei der Ermittlung der Entgeltpunkte nach dem SGB VI zu Grunde zu legenden Verdienste wird in § 6 AAÜG bestimmt.

24

Arbeitsentgelte oder -Einkommen werden nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AAÜG von vornherein nur bis zur Höhe der in der gesetzlichen Rentenversicherung geltenden Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigt. Dieses Ziel wird - technisch - dadurch erreicht, dass die für § 6 Abs. 1 Satz 1 AAÜG maßgebenden und in der Anlage 3 zum AAÜG aufgeführten Jahreshöchstverdienste so bemessen werden, dass sich nach ihrer Umrechnung auf Westniveau (Anlage 10 zum SGB VI) die in den alten Bundesländern geltende Beitragsbemessungsgrenze ergibt. Die Höchstbeträge der Anlage 3 gewährleisten, dass aus Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem höchstens so viele Entgeltpunkte folgen können, wie bei einem Verdienst an der westdeutschen Beitragsbemessungsgrenze. Auf der Grundlage des in den alten Bundesländern erzielten Durchschnittsentgelts sind das 180 v.H. des Durchschnittentgelts (oder 1,8 Entgeltpunkte).

25

Von diesem in § 6 Abs. 1 Satz 1 AAÜG geregelten Grundsatz machte das AAÜG in seiner ursprünglichen Fassung zahlreiche Ausnahmen. Es durften danach Arbeitsentgelte oder -Einkommen bei einigen Personengruppen nur bis zum jeweiligen Durchschnittsentgelt berücksichtigt werden. Der Kreis der Betroffenen wurde durch die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Versorgungssystem, also "bereichsspezifisch", oder durch die Zugehörigkeit zu bestimmten Funktionsebenen, also "funktionsspezifisch" (so auch im Falle des Klägers), oder sowohl bereichs- als auch funktionsspezifisch bestimmt (vgl. § 6 Abs. 2 bis Abs. 4 AAÜG i.d.F. des Rentenüberleitungsgesetzes -RÜG-, vom 25. Juli 1991, Bundesgesetzblatt I Seite 1606).

26

Für den - noch - im Streit stehenden und von den (Korrektur-)Bescheiden der Beklagten nicht erfassten Leistungszeitraum, also die Zeit vom 1. Januar 1992 bis zum 30. Juni 1993, kam es nicht darauf an, dass das BVerfG § 6 Abs. 2 AAÜG als mit den Art. 3 Abs. 1 und 14 Abs. 1 Grundgesetz (GG) unvereinbar festgestellt hatte (vgl. Urteile vom 28. April 1999, Az: 1 BvL 22/95 sowie 1 BvL 34/95). Die Unvereinbarerklärung hatte den Hintergrund, dass der Gesetzgeber in einer unzulässig typisierenden Weise unterstellt hatte, die Arbeitsentgelte oder -einkommen der von seiner Regelung erfassten Personen seien in der DDR durchweg überhöht gewesen. Bis zum 30. Juni 1993 - dem Monat vor Erlass des Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetzes - durften die als verfassungswidrig erkannten Vorschriften jedoch weiter angewendet werden. Das BverfG hatte dem Gesetzgeber eine angemessene Frist eingeräumt, um zusätzliche Erkenntnisse und Erfahrungen zu sammeln. Erst ab Mitte 1993 wirkte sich die Untätigkeit des Gesetzgebers zu Lasten der Versicherten aus.

27

Nach alledem war - einzig im Hinblick auf den Zeitraum vom 1. Januar 1992 bis zum 30. Juni 1993 - noch zu prüfen, ob der Kläger in der Zeit vom 1. April 1959 bis zum 30. April 1963 (bezüglich der Zeit vom 1. Mai 1963 bis zum 31. März 1965 ist das Urteil des SG rechtskräftig geworden, da der Kläger seine Anschlussberufung zurückgenommen hat) Inhaber einer hauptamtlichen Wahlfunktion auf der Ebene eines Kreises war, § 6 Abs. 3 Nr. 8 AAÜG. Das ist nicht der Fall, vielmehr hatte der Kläger zwar zeitweise eine Wahlfunktion inne, nicht jedoch eine hauptamtliche im Sinne der genannten Bestimmung. So hat es auch das SG bereits zutreffend entschieden.

28

Unter Wahlfunktion im Sinne des diesen Begriff nicht näher erläuternden AAÜG muss nach dem Wortsinn eine dienstliche Stellung verstanden werden, die auf Wahlen - und zwar nach den Zielen des AAÜG politische Wahlen - zurück geht. Politische Wahlen sind vor allem deshalb gemeint, weil es ein vorrangiges Ziel des AAÜG war, bei - durch politische Wahl eingesetzten - staatstragend tätigen Personen tatsächliche bzw. vermeintliche Vorteile abzuschöpfen. Deshalb konnte der Kläger eine Wahlfunktion frühestens mit der Wahl zum Abgeordneten des Kreistages auf Grund der Wahlen vom 17. September 1961 erwerben. Der Kläger übte jedoch als Kreisabgeordneter keine hauptamtliche Tätigkeit aus. Das wiederum ergibt sich daraus, dass er hauptamtlich weiterhin Kreisarzt (Amtsarzt) und Leiter der Abteilung Gesundheitswesen geblieben war und das Abgeordnetenmandat daneben lediglich ehrenamtlich ausgeübt hat. Das ergibt sich auch aus den Angaben des Klägers selbst. Dieser hat - u.a. im Schriftsatz vom 19. Mai 1998 - erklärt, an seiner Stellung als Kreisarzt - und als Leiter der Abteilung Gesundheits- und Sozialwesen - habe sich durch die Mitgliedschaft im Kreistag nichts geändert.

29

Bezüglich der - nicht mehr streitigen - Zeit als Ratsmitglied hat das SG richtig auf Abschnitt I Ziff. 5 des Beschlusses des Präsidiums des Ministerrates der DDR über die Zusammensetzung und Struktur der örtlichen Räte vom 11. September 1961 (Gesetzblatt der DDR II Seite 457) verwiesen. Danach waren die Vorsitzenden der Räte der Kreise, ihre Stellvertreter sowie die Sekretäre der Räte - im Gegensatz zum Kläger im Streitzeitraum - hauptamtlich tätig.

30

Nur ergänzend war anzumerken, dass die im vorliegenden Rechtsstreit von der Beklagten vertretene Auffassung, bereits Kreistagsabgeordnete füllten eine hauptamtliche Wahlfunktion aus, der von ihr selbst herausgegebenen Kurzkommentierung zum AAÜG widerspricht (Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz, Systematische Darstellung mit Gesetzestexten, S. 84, Erläuterungen 4.2 zu § 6 Abs. 3 AAÜG: "In der örtlichen Volksvertretung war der gewählte Abgeordnete zunächst im Ehrenamt. Erst durch die Wahl in den Rat des Kreises/Bezirkes trat Hauptamtlichkeit ein.").

31

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

32

Der Senat hat dabei für beide Instanzen jeweils auf den bereits vom SG hervorgehobenen Gesichtspunkt abgestellt, dass der Kläger in erster Linie den Rechtsstandpunkt verfolgt hat, bereits die Begrenzung der Arbeitsentgelte auf Beträge der jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze sei verfassungswidrig und insoweit unterlegen ist. In erster Instanz ergab sich ein nicht überwiegender, jedoch auch nicht unerheblicher Teilerfolg. In zweiter Instanz war es bis zum Zeitpunkt der Rücknahme der (Anschluss-)Berufung nicht anders. Da die Rücknahme erst unmittelbar vor dem anberaumten Termin erfolgte und der Bearbeitungsaufwand zu diesem Zeitpunkt schon entstanden war, kam nicht in Betracht, der Beklagten sämtliche Kosten des Berufungsverfahrens aufzuerlegen.