Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 20.02.2003, Az.: L 6 U 399/99
Ansprüche auf Verletztenrente und Hinterbliebenenleistungen; Berufskrankheit durch Asbestbelastung ; Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis am Arbeitsplatz
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 20.02.2003
- Aktenzeichen
- L 6 U 399/99
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 21102
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0220.L6U399.99.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Oldenburg - AZ: S 7 U 168/98
Rechtsgrundlagen
- § 589 RVO
- § 551 RVO
- § 212 SGB VII
Redaktioneller Leitsatz
Eine Berufskrankheit gemäß Nr. 4104 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung in der Fassung vom 31. Oktober 1997 setzt voraus, dass neben einer Lungenkrebserkrankung unter anderem auch der Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis am Arbeitsplatz von mindestens 25 Faserjahren ((25 x 10 (Fasern/cbm )x Jahre)) erbracht ist.
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 18. August 1999 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin macht als Rechtsnachfolgerin ihres Ehemannes Ansprüche auf Verletztenrente geltend und begehrt Hinterbliebenenleistungen. Streitig ist, ob ihr im Juni 1942 geborener Ehemann D., der Versicherte, am 2. Oktober 1995 an einer durch Asbest verursachten Berufskrankheit (BK) Nr. 4103 (Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder durch Asbeststaub verursachte Erkrankungen der Pleura) oder Nr. 4104 (Lungenkrebs in Verbindung mit Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder mit durch Asbeststaub verursachten Erkrankung der Pleura) verstorben ist.
Der Versicherte war als Arbeiter in einem Mechanikerbetrieb (April 1957 bis April 1960), Bauarbeiter (Mai 1960 bis September 1961) als Soldat auf Zeit (Oktober 1961 bis September 1965 und erneut von Mai 1967 bis Mai 1972), Kraftfahrer in einem Fuhrunternehmen (Oktober 1965 bis April 1967), und danach als Kraftfahrer bei der Firma E., einem Bauunternehmen und von Mai 1976 bis 9. November 1993 bei der Firma F., einem Abbruchunternehmen, tätig. Seit dem 10. November 1993 war er durchgehend arbeitsunfähig.
Wegen zunehmender Belastungsatemnot suchte er 1989 erstmals den Lungenarzt Dr. G. auf. Dieser äußerte den Verdacht auf eine idiopathische, d.h. ohne erkennbare Ursache entstandene Lungenfibrose. Die im September 1989 durchgeführte Bronchoskopie ergab nur sehr spärlich erkennbare Staubablagerungen, deren ätiologische Zuordnung nicht möglich war. Auch eine durchgeführte Differenzialzytologie während eines stationären Heilverfahrens im November/Dezember 1993 in H. sprach für eine idiopathische Lungenfibrose. Den lang-jährigen Nikotinabusus (20 - 30 Zigaretten pro Tag) stellte der Versicherte im Oktober 1993 ein (Berichte des Dr. G. vom 29. September 1989, 5. April 1994, Bericht des Dr. I. vom 11. April 1994; Entlassungsbericht der Klinik H. vom 4. Januar 1994; Bronchoskopiebericht des J. vom 25. September 1989 nebst histo- und cytopathologischer Begutachtung vom 27. September 1989). Im August 1995 wurde der Versicherte ins J. überwiesen, wo er am 2. Oktober 1995 an einer chronischen, abszedierenden Pneumonie und Pleuraerguss links sowie einem Lungenkrebs verstarb (Berichte des J. vom 5. Oktober 1995 nebst histo- und cytopathologischer Begutachtung vom 2. und 4. Oktober 1995). Der immunhistochemische Befund entsprach einem primären Lungenkarzinom (cytopathologische Begutachtung vom 4. Oktober 1995).
Im Februar 1994 hatte der Versicherte die Anerkennung seiner Lungenfibrose als BK beantragt. Er sei während des Be- und Entladens auf der Baustelle bei der Bedienung des LKW den Auspuffgasen des laufenden Motors ausgesetzt gewesen. Im Mai 1994 erstatteten Dr. I. und die Firma F. eine BK-Anzeige. Die Arbeitgeberin gab am 8. Juli 1994 an, der Versicherte sei den Abgasen von Dieselmotoren, aber keinen silikogenen Stäuben ausgesetzt gewesen.
Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Tiefbau-BG teilte der Beklagten mit, dass der Versicherte bei der Firma E. vereinzelt Arbeiten ausgeführt habe, die mit dem Verfahren von Bauschutt aus Abbrucharbeiten verbunden gewesen seien. Eine Emission von Quarz- und Asbestfeinstäuben könne mit sehr großer Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. LKW-Fahrer seien nur für den Fall manueller Abbrucharbeiten von asbesthaltigen Materialien als asbestgefährdet einzustufen. Außerdem sei eine außergewöhnlich hohe Belastung durch Dieselemissionen zu verneinen (Stellungnahmen vom 19. Dezember 1995, 28. November 1996, 30. Juni 1997 (Prof. Dr. K.) und 8. Juli 1997). Der TAD der Beklagten ermittelte, dass der Versicherte bei der Firma F. überwiegend Tiefbaustellen mit Material und Maschinen ver- bzw. entsorgt habe und maximal 2 Stunden pro Tag im Freien Dieselemissionen beim Be- und Entladen ausgesetzt gewesen sei (Stellungnahme vom 16. Januar 1997). Die Beklagte zog eine Auskunft der Firma E. vom 22. August 1995, die medizinischen Unterlagen der Dres. L. und des J. sowie das Obduktionsprotokoll des Prof. Dr. M. vom 9. Oktober 1995 bei und veranlasste die fachpathologische Begutachtung des Lungengewebes durch Prof. Dr. N. und PD Dr. O., Berufsgenossenschaftliche Krankenanstalten P., vom 12. April 1996. Die Gutachter fanden keine Pleuraplaques, weniger als 10 Asbestkörper pro ccbm Lungengewebe und schlossen deshalb die BKen Nrn. 4103 und 4104 aus. Das Fibrosierungsmuster der Lunge sei nicht asbestassoziiert, sondern entspräche dem Residualzustand einer weit fortgeschrittenen idiopathischen Lungenfibrose. Nachdem die von der staatlichen Gewerbeärztin Dr. Q. empfohlenen Ermittlungen zur Asbestbelastung durchgeführt wurden (Stellungnahmen vom 29. Juli 1995 und 25. März 1997), lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 26. September 1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Mai 1998 die Anerkennung einer BK Nr. 4103 und 4104 sowie die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen ab.
Hiergegen hat die Klägerin am 24. Juni 1998 Klage erhoben. Sie hat vorgetragen, ihr Ehemann habe häufig beim Be- und Entladen des LKW mithelfen müssen, wobei es sich häufig um Abbruch-Baustellen gehandelt habe. Ihr Mann sei ständig dem dabei anfallenden Baustaub und verschiedensten Giftstoffen wie Asbest und Diesel ausgesetzt gewesen. Sie legte eine Auskunft der Firma E. vom 16. Juli 1998 vor. Das Sozialgericht (SG) Oldenburg hat mit Urteil vom 18. August 1999 die Klage abgewiesen. Zweifel an einer beruflichen Verursachung der Lungenerkrankung des Versicherten ergäben sich durch die Diagnose einer idiopathischen Lungenfibrose durch mehrere Ärzte des Versicherten wie auch angesichts seines lang-jährigen hohen Nikotinkonsums.
Gegen das ihr am 14. September 1999 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 12. Oktober 1999 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, der Stellungnahme des TAD vom 16. September 1994 sei zu entnehmen, dass ihr Mann vor allem bei der Firma F. gesundheitsgefährdenden Arbeitsstoffen ausgesetzt gewesen sei.
Die Klägerin beantragt,
- 1.
das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 18. August 1999 und den Bescheid der Beklagten vom 26. September 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Mai 1998 aufzuheben,
- 2.
festzustellen, dass die Lungenerkrankung des verstorbenen Ehemannes der Klägerin Folge einer Berufskrankheit der Nr. 4103 oder Nr. 4104 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung ist,
- 3.
die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes wegen der Berufskrankheit Leistungen zu gewähren,
- 4.
die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Hinterbliebenenleistungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Oldenburg vom 18. August 1999 zurückzuweisen.
Sie sieht sich durch das Ergebnis der Gutachten des Prof. Dr. N. und des Prof. Dr. R. in ihrer Auffassung bestätigt.
Der Senat hat eine Auskunft des Prof. Dr. S. vom 13. Dezember 2000 und das fachpathologische Gutachten des Prof. Dr. N. vom 19. März 2001 über eine rasterelektronenmikroskopische Faseranalytik eingeholt. Auf Antrag der Klägerin ist anschließend das Gutachten des Prof. Dr. R., Chefarzt des Pathologischen Instituts des Landkreises Hannover am T. vom 29. November 2002 erstattet worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte dieses sowie des Parallelverfahrens L 6 U 179/01 der Klägerin Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig. Sie ist aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung und Entschädigung einer BK Nr. 4103 oder Nr. 4104 bei ihrem Ehemann. Deshalb hat sie auch keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente nach den auf diesen Sachverhalt noch anwendbaren §§ 589 Abs. 2, 551 Reichsversicherungsordnung (RVO, vgl. Art. 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz, § 212 SGB VII). Der verstorbene Ehemann der Klägerin ist nicht an einer BK Nr. 4103 oder Nr. 4104 der Anlage zur BKV erkrankt gewesen und auch nicht an einer dieser BKen verstorben.
Nach § 589 Abs. 2 RVO sind Hinterbliebenenleistungen zu gewähren, wenn die Erwerbsfähigkeit des Versicherten durch die Folgen einer BK um 50 oder mehr vom Hundert gemindert war und der Tod mit der BK in einem ursächlichen Zusammenhang steht. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme lässt sich nicht feststellen, dass der Versicherte an einer BK Nr. 4103 oder Nr. 4104 - nur diese BKen sind Gegenstand dieses Verfahrens - erkrankt und verstorben ist.
Bei der BK Nr. 4103 handelt es sich um eine Asbeststaublungenerkrankung oder eine durch Asbeststaub verursachte Erkrankung der Pleura (Brustfell). Diese Gesundheitsstörungen lagen bei dem Versicherten nach den übereinstimmenden ärztlichen Einschätzungen der Prof. Dr. N. und Prof. Dr. R. nicht vor. Zwar bestand bei dem Versicherten ein primärer Lungenkrebs und eine weit fortgeschrittene Lungenfibrose. Es lässt sich aber nicht feststellen, dass diese Gesundheitsstörungen durch Asbest verursacht worden sind. Die für den Nachweis einer Pleuraerkrankung erforderlichen Pleuraplaques waren bei dem Versicherten nicht festzustellen (Gutachten Prof. Dr. N. vom 12. April 1996 und vom 19. März 2001; Gutachten des Prof. Dr. R.). Weiterhin ist beim Versicherten keine Minimalasbestose festgestellt worden. So hat die im April 1996 durch Prof. Dr. N. durchgeführte Lungenstaubanalyse des Lungengewebes des Versicherten nicht die erforderliche Anzahl von Asbestkörper pro ccbm Lungengewebe gezeigt. In vier unterschiedlichen Gewebsproben wurden jeweils weniger als 10 Asbestkörper pro ccbm Lungengewebe nachgewiesen (Gutachten Prof. Dr. U. vom 12. April 1996, S. 5). Dieses Untersuchungsergebnis belegte keine vergleichsweise vermehrte Asbestbelastung der Lungen des Versicherten (Gutachten Prof. Dr. U. vom 12. April 1996, S. 7). Zudem fehlte es auch an dem für die Minimalasbestose typischen Fibrosierungsmuster (Stellungnahme des Prof. Dr. S. vom 13. Dezember 2000). Auch die im Berufungsverfahren veranlasste rasterelektronenmikroskopische Faseranalytik - die eine genauere Untersuchung als die zuvor erfolgte Lungenstaubanalyse ermöglicht - hatte kein für die Klägerin günstiges Ergebnis zur Folge. Zwar wurde hierbei eine Faserkonzentration ermittelt, die um den Faktor 3 - 4 höher liegt als die Konzentrationen, die in den Lungen beruflich nicht asbestexponierter Personen zu finden ist. Entscheidend aber ist, dass bei dem Versicherten keine Minimalasbestose besteht. Denn die typischen, für eine beruflich bedingte Asbestexposition sprechenden besonderen Asbestfasern, die Amphibolasbesten, sind in nur sehr geringem Anteil vorhanden (Gutachten des Prof. Dr. N. vom 19. März 2001, S. 5). Der Anteil dieser Amphibolasbestfasern überwiegt aber bei den beruflich Asbest exponierten Versicherten, bei denen eine Minimalasbestose besteht, deutlich (Gutachten des Prof. Dr. N. vom 19. März 2001, S. 6). Auch Prof. Dr. R., der Arzt des Vertrauens der Klägerin, hat das Ergebnis der Untersuchungen und die Schlussfolgerungen des Prof. Dr. N. bestätigt.
Die BK Nr. 4104 der Anlage zur BKV in der Fassung vom 31. Oktober 1997 setzt voraus, dass neben einer Lungenkrebserkrankung - an der der Versicherte hier unstreitig litt - nach der hier allein in Betracht zu ziehenden dritten Alternative der Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis am Arbeitsplatz von mindestens 25 Faserjahren ((25 x 10 (Fasern/cbm )x Jahre)) erbracht ist. Einer Asbeststaubbelastung in diesem Umfang aber war der Versicherte in seinem Berufsleben nicht ausgesetzt. Der TAD der Tiefbau-BG hat eine Asbestbelastung von allenfalls einem Faserjahr errechnet. Dies Ermittlungsergebnis ist angesichts des Berufsbildes des Versicherten auch plausibel und nachvollziehbar. Denn der Versicherte war vornehmlich als LKW-Fahrer beschäftigt und hat keine manuellen Abbrucharbeiten durchgeführt. Er war daher einer deutlich geringeren Asbestbelastung ausgesetzt als die Arbeitnehmer, die die Abbrucharbeiten regelmäßig und ständig direkt ausgeführt haben und bei denen in der Regel ebenfalls keine hohe Asbestbelastung festgestellt werden konnte (Stellungnahme des TAD vom 30. Juni 1997). Die weiteren Alternativen der BK Nr. 4104 (eine Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder eine durch Asbeststaub verursachte Erkrankung der Pleura) lagen beim Versicherten nicht vor. Insoweit wird auf das zur BK Nr. 4103 gesagte verwiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Es liegt kein Grund vor, die Revision zuzulassen ( § 160 Abs. 2 SGG).