Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 06.02.2003, Az.: L 6 U 438/01

Anspruch auf Zahlung einer Verletztenrente bei Prellung der Wirbelsäule länger als zwei Monate nach Arbeitsunfall; Vorliegen der notwendigen Wahrscheinlichkeit des Zusammenhangs einer Deckplattenstörung der Wirbelsäule mit dem Arbeitsunfall

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
06.02.2003
Aktenzeichen
L 6 U 438/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 10151
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0206.L6U438.01.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Stade - AZ: S 11 U 248/00

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stade vom 19. Oktober 2001 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen

Tatbestand

1

Der 1931 geborene Kläger erlitt am 5. Juni 1999 eine Prellung der Wirbelsäule, als er zwischen zwei Pferden eingeklemmt wurde. Eine knöcherne Verletzung wurde ausgeschlossen (Durchgangsarztbericht des Dr. B. vom 8. Juni 1999, vgl. auch die ärztliche Unfallmeldung und den Krankheitsbericht des Dr. C. vom 7. und 28. Juli 1999). Nachdem Dr. B. im Durchgangsarztbericht Arbeitsunfähigkeit bis zum 29. Juni 1999 attestiert hatte, bewilligte die Beklagte dem Kläger bis zu diesem Zeitpunkt Verletztengeld (Bescheid vom 30. November 1999). Den Widerspruch begründete der Kläger mit der Empfehlung des Orthopäden Dr. D., "bis zur Abschlussuntersuchung am 3. August 1999 eine Schonfrist" einzuhalten. Des Weiteren sei er auch zu diesem Zeitpunkt nicht schmerzfrei gewesen (Schriftsatz vom 6. Januar 2000). Nachdem Dr. D. bestätigt hatte, dass der Kläger bis zur Beendigung der Behandlung am 3. August 1999 arbeitsunfähig war, bewilligte die Beklagte dem Kläger über den 29. Juni 1999 hinaus bis zum 3. August 1999 Verletztengeld (Bescheid vom 19. Juni 2000). Im Übrigen wies sie den - auf Zahlung von Verletztenrente gerichteten (Schriftsatz vom 18. Mai 2000) - Widerspruch nach Einholung der beratungsärztlichen Stellungnahmen vom 26. Oktober und 12. November 2000 zurück (Widerspruchsbescheid vom 22. November 2000 und der die Verletztenrente deklaratorisch ablehnende Bescheid vom 20. Dezember 2000).Die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Stade nach Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid vom 19. Oktober 2001 zurückgewiesen.Gegen den ihm am 24. Oktober 2001 zugestellten Gerichtsbescheid wendet sich der Kläger mit der am 22. November 2001 eingelegten Berufung. Er hält an seiner Auffassung fest, durch den Arbeitsunfall vom 5. Juni 1999 einen bleibenden Schaden davongetragen zu haben und hat ergänzend ausgeführt, dass er bei diesem Unfall nicht nur eine Prellung der Wirbelsäule erlitten habe. Vielmehr sei anlässlich eines Arbeitsunfalls im Jahr 2002 eine Fraktur des Lendenwirbelkörpers I diagnostiziert worden, die vom Arbeitsunfall im Jahr 1999 herrühre.

2

Der Kläger beantragt,

  1. 1.

    den Gerichtsbescheid des SG Stade vom 19. Oktober 2001 aufzuheben,
    die Bescheide der Beklagten vom 30. November 1999 und 19. Juni 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. November 2000 zu ändern und
    den Bescheid vom 20. Dezember 2000 aufzuheben,

  2. 2.

    die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 4. August 1999 Verletztenrente in Höhe von mindestens 20 vom Hundert der Vollrente zu zahlen.

3

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG Stade vom 19. Oktober 2001 zurückzuweisen.

4

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.Dem Senat haben neben den Prozessakten die Unfallakten der Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

5

Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das SG hat die zulässige Klage zu Recht abgewiesen. Denn die Entscheidung der Beklagten ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung von Verletztenrente (§ 56 Sozialgesetzbuch VII). Denn der Arbeitsunfall, den der Kläger am 5. Juni 1999 erlitt, hat jedenfalls über den 3. August 1999 hinaus keine Folgen hinterlassen. Entgegen der Auffassung des Klägers, die er in der mündlichen Verhandlung darlegte, ist allein dieser Unfall Gegenstand des Rechtsstreits. Es ist von Rechts wegen nicht möglich, alle Unfälle, die der Kläger in seinem Arbeitsleben erlitt, zusammenfassend darauf zu prüfen, ob sie sich insgesamt auf seine Erwerbsfähigkeit auswirkten. Vielmehr ist jeder Unfall gesondert zu prüfen.Bei dem Unfall am 5. Juni 1999 erlitt der Kläger nach den medizinischen Beurteilungen der im Verwaltungsverfahren gehörten Ärzte lediglich eine Prellung der Wirbelsäule, die erfahrungsgemäß folgenlos ausheilt und eine Entschädigungspflicht der Beklagten jedenfalls über den 3. August 1999 hinaus deshalb nicht zu begründen vermag. Eine knöcherne Verletzung ist unmittelbar nach dem Unfall ausgeschlossen worden.Entgegen dem Vortrag des Klägers im Berufungsverfahren haben die medizinischen Ermittlungen zu dem Arbeitsunfall, den der Kläger am 22. Juni 2002 erlitt, nicht mit der erforderlichen Sicherheit eine Fraktur des LWK I ergeben. Dieses hat bereits die Beklagte zutreffend in den Ausführungen des Bescheides vom 25. Oktober 2002 zu dem Arbeitsunfall vom 22. Juni 2002 dargelegt. Zwar hat Dr. D. in dem H-Arzt-Bericht vom 24. Juni 2002 einen solchen Verdacht geäußert. Die computertomografischen Untersuchung des thorako-lumbalen Übergangs am 2. Juli 2002 zeigte jedoch lediglich eine "Deckplattenimpression von wenigen mm ohne wesentliche Sklerosierung" (Arztbrief der Dres. E. vom 3. Juli 2002). Nach der beratungsärztlichen Stellungnahme der Dres. F. vom 7. August 2002 gibt es Deckplattenstörungen in allen Abschnitten der Wirbelsäule. Bereits im Jahr 1997 wurde bei dem Kläger eine linkskonvexe kurzbogige Skoliose am thorako-lumbalen Übergang festgestellt, die die Deckplattenimpression erklärt. Ein Zusammenhang der Deckplattenstörung mit dem Arbeitsunfall vom 5. Juni 1999 ist auch deshalb nicht wahrscheinlich und eine Fraktur ist nach der Beurteilung des Dr. B. allenfalls möglich (Befundbericht vom 8. September 2002). Das genügt jedoch nicht den Beweisanforderungen der gesetzlichen Unfallversicherung (UV).Doch selbst wenn zu Gunsten des Klägers davon ausgegangen wird, dass er bei dem Arbeitsunfall am 5. Juni 1999 wahrscheinlich eine Fraktur des LWK I erlitten hat, ist kein für ihn günstiges Ergebnis die Folge. Denn Dr. B. hat in dem Befundbericht vom 8. September 2002 darauf hingewiesen, dass der LWK I nur geringfügig komprimiert mit eingesenkter Deckplatte knöchern fest strukturiert ist. Deshalb kann eine Fraktur die vom Kläger angegebenen Beschwerden nicht verursachen und die Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht mindern. Dieses Ergebnis stimmt mit den - auch vom erkennenden Senat zu beachtenden (BSG SozR 2200 § 581 Nr. 27, S. 91) - allgemeinen Bewertungsgrundsätzen der gesetzlichen UV überein. Danach führt ein knöchern konsolidierter, stabiler Wirbelkörperbruch nicht zu einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (s. z.B. Schönberger/Mehrtens/ Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheiten, 6. Aufl. 1998, S. 500). Auf welcher anderen, unfallunabhängigen Ursache die Beschwerden beruhen, ist im Recht der gesetzlichen UV grundsätzlich unerheblich. Allerdings hat Dr. B. (a.a.O.) plausibel darauf hingewiesen, dass das Beschwerdebild des Klägers wahrscheinlich wesentlich durch einen unfallunabhängig bestehenden Morbus Parkinson bestimmt wird.