Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 03.02.2003, Az.: L 5 VS 9/01

Zahlung von Berufsschadensausgleich; Berücksichtigung des kindbezogen erhöhten Ortszuschlags bei der Berechnung des Durchschnittseinkommens; Ermittlung des Vergleichseinkommens; Verfassungsmäßigkeit der unterschiedlichen Ermittlung des jetzigen Bruttoeinkommens

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
03.02.2003
Aktenzeichen
L 5 VS 9/01
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 10044
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0203.L5VS9.01.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Lüneburg - AZ: S 11 VS 9/99

Redaktioneller Leitsatz

In die Berechnung des Vergleichseinkommens muss grundsätzlich der kinderbezogene Anteil des Ortszuschlags miteingehen, es sei denn, dass das Durchschnittseinkommen nach § 3 Abs. 4 und 5 oder nach den §§ 4 bis 7 BSchAV zu ermitteln ist. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Ermittlung eines etwaigen Einkommensverlustes unter Berücksichtigung des kinderbezogenen Anteils des Ortszuschlages bestehen nicht.

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

1

I.

Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob dem Kläger ab Januar 1998 weiterhin Berufsschadensausgleich (BSA) zu zahlen ist.

2

Der am F. geborene, verheiratete Kläger arbeitete nach seiner Ausbildung zum Kfz-Mechaniker in diesem Beruf von Oktober 1975 bis Dezember 1975. Von Januar 1976 bis Dezember 1979 leistete er als Soldat Dienst bei der Bundeswehr. Mit Bescheid vom 31. Juli 1980 wurde bei ihm eine Wehrdienstbeschädigung im Sinne der Entstehung mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 80 v.H. seit 1. Januar 1980 anerkannt. Nach der Wehrdienstbeschädigung wurde er zum Bürokaufmann umgeschult. Seit Januar 1980 ist er als Angestellter bei der Standortverwaltung der Bundeswehr G. beschäftigt.

3

Mit Bescheid vom 27. November 1996 bewilligte ihm das Versorgungsamt (VA) BSA ab Oktober 1996. Nach der Verdienstbescheinigung der Standortverwaltung für Januar 1997 bis Mai 1997 bezog der Kläger Kindergeld für seine beiden Kinder (jeweils 220,00 DM (112,48 EUR)) sowie einen Kinderanteil im Ortszuschlag in Höhe von je 155,16 DM (79,33 EUR). Nachdem mit Bescheid vom 11. Juli 1997 ab Januar 1997 ein BSA in Höhe von 0,00 DM und ab Juli 1997 in Höhe von 26,00 DM (13,29 EUR) festgesetzt worden war, stellte das VA auf Grund der Verdienstauskunft des Arbeitgebers vom 5. Juni 1998 einen BSA ab Januar 1998 sowie ab Juli 1998 in Höhe von 0,00 DM fest, weil ein schädigungsbedingter Einkommensverlust nicht bestehe (Bescheid vom 30. September 1998). Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 29. Januar 1999).

4

Gegen den am 1. Februar 1999 abgesandten Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 26. Februar 1999 Klage erhoben. Er hat die Richtigkeit des Vergleichseinkommens als Kfz-Mechaniker bestätigt, die Höhe des gegenübergestellten jetzigen Einkommens jedoch gerügt. Zwar habe das VA das Kindergeld bei der Ermittlung des jetzigen Einkommens abgezogen, nicht aber den kinderbezogenen Anteil im Ortszuschlag.

5

Das Sozialgericht (SG) Lüneburg hat durch Urteil vom 29. März 2001 die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen, auf deren Einzelheiten Bezug genommen wird, hat es ausgeführt, gemäß § 10 der Berufsschadensausgleichsverordnung (BSchAV) könne bei der Vergleichsberechnung die Erhöhung des Ortszuschlages für die Ermittlung des Durchschnittseinkommens nicht außer Betracht gelassen werden, weil der Kläger die dafür erforderlichen Voraussetzungen nicht erfülle. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 8 Ausgleichsrentenverordnung (AusglV) dürfe der mit Rücksicht auf Kinder erhöhte Ortszuschlag nicht außer Betracht gelassen werden. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Regelungen beständen nicht.

6

Gegen das am 19. April 2001 zugestellte Urteil wendet sich der Kläger mit der am 15. Mai 2001 eingegangenen Berufung. Er vertieft sein bisheriges Vorbringen und vertritt die Auffassung, § 10 Abs. 1 BSchAV verstoße gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes (GG). Er macht geltend, die Regelung des § 10 Abs. 1 Satz 2 BSchAV führe zu einer Ungleichbehandlung, weil bei den Beschädigten, deren Durchschnittseinkommen nach § 3 Abs. 4 und 5 bzw. den §§ 4 bis 7 BSchAV ermittelt werde, der kindbezogen erhöhte Ortszuschlag unberücksichtigt bleibe, während er bei Beschädigten, deren Durchschnittseinkommen nach den anderen Vorschriften ermittelt werde, zu berücksichtigen sei. Beiden Beschädigtengruppen sei gemeinsam, dass ein Einkommen aus einer Tätigkeit im öffentlichen Dienst erzielt werde. Arbeiter oder kaufmännische oder technische Angestellte mit einem besonderen beruflichen Werdegang bzw. einer besonderen Ausbildung würden bevorzugt.

7

Der Kläger beantragt schriftsätzlich,

  1. 1.

    das Urteil des SG Lüneburg vom 29. März 2001 und den Bescheid vom 30. September 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Januar 1999 aufzuheben,

  2. 2.

    den Beklagten zu verpflichten, ab 1. Januar 1998 bis 31. Dezember 1998 weiterhin BSA zu zahlen.

8

Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

9

Der Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

10

Neben den Gerichtsakten beider Rechtszüge haben die den Kläger betreffenden Beschädigtenakten des VA Verden (423013), die WDB-Akten des Wehrbereichsgebührnisamts III. Düsseldorf (E-374/77) sowie die Schwerbehindertenakten des VA Verden (13-0840/8) vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.

11

II.

Der Senat entscheidet nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss, weil er einstimmig die Berufung für nicht begründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich hält.

12

Die nach § 143 SGG zulässige Berufung ist nicht begründet. Dem Kläger steht rechnerisch BSA ab 1. Januar 1998 bis 31. Dezember 1998 nicht zu, weil das für diesen Zeitraum aktuelle Einkommen höher ist als das Vergleichseinkommen und deshalb ein Einkommensverlust nicht eingetreten ist. Die angefochtenen Entscheidungen sind nicht zu beanstanden. Sie sind auch nicht wegen eines Anhörungsmangels rechtswidrig, § 24 Abs. 2 Nr. 5 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X).

13

Prüfungsmaßstab ist § 48 SGB X. Ein mit Dauerwirkung ausgestatteter Verwaltungsakt ist mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Gegenüber dem Bescheid vom 11. Juli 1997, soweit er den BSA ab Juli 1997 bemessen hat, ist eine Änderung deshalb eingetreten, weil ein Einkommensverlust des Klägers im Sinne des § 30 Abs. 3 1. Variante, Abs. 4 Satz 1 BVG für die Zeit ab 1. Januar 1998 nicht besteht: Neben der Anpassung der Versorgungsbezüge aus § 30 Abs. 1 BVG zum 1. Juli 1998 war für die Festsetzung des BSA das Bruttoeinkommen neu zu berechnen. Insoweit steht dem nach § 30 Abs. 5 BVG i.V.m. §§ 2 Nr. 1, 3 Abs. 1 Nr. 1 BSchAV zutreffend ermittelten Vergleichseinkommen in Höhe von monatlich 3.995,00 DM ein derzeitiges Einkommen nach Abzug des Kindergeldes in Höhe von 4.074,89 DM gegenüber. Dessen Ermittlung ist nicht zu beanstanden. Sie erfolgt nach § 9 Abs. 1 BSchAV. Als derzeitiges Bruttoeinkommen gelten danach (1.) alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert aus einer früheren oder gegenwärtigen unselbstständigen Tätigkeit, soweit in § 30 Abs. 11 Satz 1 und § 64 c Abs. 2 Satz 2 und 3 BVG sowie in § 10 BSchAV nichts anderes bestimmt ist. Die Voraussetzungen der §§ 30 Abs. 11, 64 c BVG liegen ersichtlich nicht vor. Gemäß § 10 BSchAV gehören zum derzeitigen Bruttoeinkommen im Sinne des § 30 Abs. 4 Satz 1 BVG nicht die in § 2 Abs. 1 AusglV genannten Einkünfte. Darunter fallen nach § 2 Abs. 1 Nr. 8 AusglV Kinderzuschüsse, Kinderzulagen, Kinderzuschläge, Kindergelder und ähnliche Leistungen, die für Kinder gezahlt werden. Eine Rückausnahme hiervon enthält Halbsatz 2 der Nr. 8. Danach müssen Beträge, um die sich u.a. Ortszuschläge mit Rücksicht auf Kinder erhöhen, in die Vergleichsberechnung eingestellt werden. Dies gilt nach § 10 Abs. 1 S. 2 BSchAV nur dann nicht, wenn das Durchschnittseinkommen nach § 3 Abs. 4 und 5 oder nach den §§ 4 bis 7 BSchAV ermittelt wird. Zu dem dort genannten Personenkreis gehört der Kläger nicht, weil sein Vergleichseinkommen als früherer Kfz-Mechaniker-Vollgeselle nach § 3 Abs. 1 BSchAV zu bestimmen ist. Dies hat der Beklagte zutreffend getan.

14

Dass bei Berücksichtigung des kinderbezogenen Anteils des Ortszuschlages als aktuelles Einkommen dem Kläger für den streitigen Zeitraum BSA zustünde, behauptet er selbst nicht. Ein Rechenfehler ist nach der nicht angegriffenen Berechnung durch den Beklagten auch nicht erkennbar. Der genannte Einkommensbestandteil kann jedoch entgegen der Auffassung des Klägers nicht unberücksichtigt bleiben. Denn es fehlt eine rechtliche Grundlage dafür, das für diesen Zeitraum aktuelle Einkommen ohne Berücksichtigung des kinderbezogenen Anteils des Ortszuschlages dem Vergleichseinkommen gegenüberzustellen. Dem stehen die anzuwendenden rechtlichen Regelungen entgegen.

15

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Ermittlung eines etwaigen Einkommensverlustes unter Berücksichtigung des kinderbezogenen Anteils des Ortszuschlages vermag der Senat ebenfalls nicht zu erkennen. Ein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot liegt nicht vor.

16

Prüfungsmaßstab ist Artikel 3 Abs. 1 GG. Es verstößt gegen dieses Grundrecht, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl. etwa BVerfG E 63, 255, 262). Diese Voraussetzung ist hier zu verneinen: Der BSA stellt ein eigenes Rechtsinstitut dar, welches in besonderem Maße abstrakt, pauschaliert und generalisiert den beruflichen Schaden auszugleichen versucht. Dem Gesetzgeber sind Einschätzungsprärogative und Gestaltungsfreiheit bei der Gewährung des sozialen Ausgleichs eingeräumt (BVerfGE 55, 261 (269 f) [BVerfG 03.12.1980 - 1 BvR 409/80][BVerfG 03.12.1980 - 1 BvR 409/80]). Dabei ist es möglich, dass in Einzelfällen negative Ergebnisse zu Stande kommen, und dass es etwa statt der getroffenen Regelung eine gerechtere Lösung gegeben hätte, ohne dass dadurch die Gültigkeit einer Regelung allgemein zu verneinen wäre (BVerfG E 74, 163 (181)).

17

Der Begründung des Klägers, hier handele es sich um einen Fall ungerechtfertigter Ungleichbehandlung, kann nicht gefolgt werden. Denn in der unterschiedlichen Ermittlung des jetzigen Bruttoeinkommens nach Maßgabe der §§ 9, 10 BSchAV liegt ein sachlicher Grund. Dieser besteht darin, dass Ausgangspunkt des BSA der "Hätte"-Beruf ist, den der Geschädigte ohne die Schädigung vermutlich weiter ausgeübt hätte. Dies wäre im Fall des Klägers die Tätigkeit des Mechaniker-Vollgesellen gewesen; dessen Entgelt beinhaltet das Element eines Orts-/Familienzuschlages nicht.

18

Das Vorbringen des Klägers trennt die Ermittlung des Vergleichseinkommens als das Einkommen, welches ohne die schädigungsbedingte Beeinträchtigung des beruflichen Werdeganges erzielt worden wäre, von derjenigen, nach der das gegenüber zu stellende Einkommen festzustellen ist. Das widerspricht dem Regelungszusammenhang. Als Mechaniker-Vollgeselle hätte der Kläger einen Ortszuschlag nicht erhalten. Es ist deshalb gerechtfertigt, das jetzige Einkommen unter Einbeziehung dieses Bestandteils festzustellen. Denn hierdurch wird gerade deutlich, dass die jetzige Tätigkeit im Vergleich zu dem "Hätte-Beruf" nicht einen schädigungsbedingten Nachteil im hier streitigen Zeitraum erbracht hat, sondern eher mit Vorteilen verbunden war. Anders ist es bei denen, deren "Hätte-Beruf" eine nach Grundsätzen des öffentlichen Dienstes besoldete oder dem gleichgestellte Tätigkeit ist. Dieser Personenkreis, dessen Vergleichseinkommen nach den §§ 3 Abs. 4 und 5, 4 bis 7 BSchAV ermittelt wird, wäre ohne die Schädigung in den Genuss des Ortszuschlags/Familienzuschlags gekommen. Dieser Gruppe ist diejenige, der der Kläger zugehört, bei der Ermittlung des Vergleichseinkommens deshalb nicht gleichzustellen.

19

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

20

Ein gesetzlicher Grund, die Revision zuzulassen, besteht nicht , § 160 Abs. 2 SGG.