Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 10.02.2003, Az.: L 3/9 U 412/01
Gewährung einer Verletztenrente aufgrund Arbeitsunfalls; Wahrscheinlichkeit der Ursachenzusammenhanges zwischen Unfall und Beschwerden
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 10.02.2003
- Aktenzeichen
- L 3/9 U 412/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 25016
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0210.L3.9U412.01.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Oldenburg - AZ: S 7 U 271/00
Rechtsgrundlage
- § 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die D. geborene Klägerin begehrt die Gewährung einer Verletztenrente aufgrund eines am 31. Juli 1992 erlittenen Arbeitsunfalls.
Die als Altenpflegerin tätige Kläger litt ausweislich einer von ihrem Hausarzt Dr.E. am 30. Januar 1989 ausgestellten Bescheinigung bereits damals an einem "Wurzelreizbild entsprechend der BWS und LWS Region", so dass sie "auf Grund der med. Daten" nicht schwer heben und tragen sollte.
Das Begehren der Klägerin auf Anerkennung der LWS-Beschwerden als Berufskrankheit nach Ziffer 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung ist rechtskräftig abgelehnt worden (vgl. das Verfahren vor dem SG Oldenburg und dem Landessozialgericht Niedersachsen S 7a U 70257/96 - L 6 U 128/98 -).
Am Unfalltage wollte die Klägerin eine bettlägerige Patientin zum Kopfende des Bettes hoch setzen. Da die erwartete Mithilfe der Patientin unterblieb, hob sie diese an, um sie zum Kopfende des Bettes zu schieben. Dabei verspürte die Klägerin akute heftige Schmerzen im Rücken.
Gestützt insbesondere auf ein von ihr eingeholtes Gutachten des Unfallchirurgen Priv.Doz. Dr. F. vom 12. Oktober 1999 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 07. März 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16. Oktober 2000 die Gewährung einer Verletztenrente mit der Begründung ab, dass sich nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ein Kausalzusammenhang zwischen dem Unfallereignis vom 31. Juli 1992 und gesundheitlichen Beeinträchtigungen insbesondere im Bereich der Lendenwirbelsäule auch über den 20. August 1992 hinaus feststellen lasse. Die Klägerin habe bei dem Unfall nur eine Zerrung der Rückenmuskulatur erlitten, diese unfallbedingten Beeinträchtigung habe nach all-gemeiner ärztlicher Erfahrung nur im Zeitraum bis zum 20. August 1992 eine Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit hervorgerufen.
Zur Begründung der am 07. November 2000 erhobenen Klage hat die Klägerin eine nur unzureichende medizinische Aufklärung des Sachverhalts gerügt und hervorgehoben, dass die der Gewährung einer Verletztenrente zugrunde liegende unfallbedingte MdE anhand der individuellen Erwerbsfähigkeit vor dem Unfall zu bemessen sei. Mit Gerichtsbescheid vom 04. Oktober 2001, der Klägerin zugestellt am 11. Oktober 2001, hat das Sozialgericht Oldenburg die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es dargelegt, dass auch nach seiner Einschätzung die Klägerin bei dem Unfall am 31. Juli 1992 nur vorübergehende zerrungsbedingte Wirbelsäulenbeschwerden erlitten habe, die spätestens am 20. August 1992 abgeklungen gewesen seien. Bandscheibenerkrankungen seien als Volkskrankheit anzusehen, wohingegen traumatische isolierte Bandscheibenverletzungen nur durch außerordentliche Ereignisse hervorgerufen werden könnten; ein solches Ereignis sei im vorliegenden Fall nicht erkennbar.
Zur Begründung der am 08. November 2001 eingelegten Berufung macht die Klägerin geltend, dass die unfallbedingte Minderung der - individuellen vor dem Unfall bestehenden - Erwerbsfähigkeit mindestens 20 v.H. ausmache.
Sie beantragt sinngemäß,
- 1.
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Oldenburg vom 04. Oktober 2001 und den Bescheid der Beklagten vom 07. März 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16. Oktober 2000 aufzuheben,
- 2.
die Beklagte zur Gewährung einer Verletztenrente aufgrund des Unfallereignisses vom 31. Juli 1992 zu verurteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt den angefochtenen Gerichtsbescheid.
Der Senat hat einen Befundbericht von Dr. E. vom 09. April 2002 und Behandlungsunterlagen des Radiologen Dr. G. beigezogen. Er hat ferner auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG ein weiteres Gutachten des Orthopäden Dr. H. vom 12. November 2002 eingeholt, auf dessen Inhalt verwiesen wird.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung, über die der Senat mit dem von beiden Beteiligten erklärten Einverständnis durch seinen Berichterstatter als Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung entscheidet (vgl. den Schriftsatz der Klägerin vom 16. Januar 2003 und den Schriftsatz der Beklagten vom 17. Dezember 2002), hat keinen Erfolg. Die Klägerin kann aufgrund des Arbeitsunfalls vom 31. Juli 1992 keine Verletztenrente von der Beklagten beanspruchen. Der Anspruch der Klägerin richtet sich noch nach den Vorschriften der RVO, weil er sich auf einen Arbeitsunfall bezieht, der vor dem Inkrafttreten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) am 1. Januar 1997 eingetreten ist (Art 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes, § 212 SGB VII).
Nach § 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO wird, so lange infolge des Arbeitsunfalles die Erwerbsfähigkeit des Verletzten um wenigstens ein Fünftel gemindert ist, als Verletztenrente der Teil der Vollrente gewährt, der dem Grade der MdE entspricht (Teilrente). Insoweit ist die individuelle Erwerbsfähigkeit vor dem Unfall mit ihrer durch den Unfall bedingten Minderung zu vergleichen. Weiter ist vorauszusetzen, dass die zu entschädigende Minderung der Erwerbsfähigkeit über die 13. Woche nach dem Arbeitsunfall hinaus andauert (§ 580 Abs. 1 RVO).
Voraussetzung für eine Einbeziehung von nach dem Unfall festzustellenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen bei der Bemessung der unfallbedingten MdE für den Entschädigungsanspruch ist dabei, dass der ursächliche Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dieser Gesundheitsstörung gegeben ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG reicht für die Bejahung der Haftungsbegründenden und der haftungsausfüllenden Kausalität die hinreichende Wahrscheinlichkeit aus. Hierunter ist eine Wahrscheinlichkeit zu verstehen, nach der bei vernünftiger Abwägung alle Umstände den für den Zusammenhang sprechenden Umständen ein deutliches Übergewicht zukommt, so dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann (BSG, Urt. v. 1. Februar 1996 - 2 RU 10/95 - HVBG-INFO 1996, 1407-1410).
Im vorliegenden Fall vermag der Senat ebenso wenig wie die Beklagte mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit festzustellen, dass das Unfallereignis vom 31. Juli 1992 über die 13. Woche hinaus, d.h. auch noch im Zeitraum ab Ende Oktober 1992, überhaupt noch gesundheitliche Beeinträchtigung hervorgerufen hat. Vielmehr sind die Folgen der durch den Unfall hervorgerufenen Zerrung der Rückenmuskulatur bereits im August 1992 und damit schon nach wenigen Wochen folgenlos ausgeheilt. Soweit die Klägerin auch in der Folgezeit - ebenso wie bereits vor dem Unfall - an Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule gelitten hat und auch weiterhin leidet, lässt sich auch mit nur hinreichender Wahrscheinlichkeit kein Kausalzusammenhang mit dem Unfallereignis feststellen. Damit scheidet ein Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente aus.
Die vorliegende Beurteilung ergibt sich zur Überzeugung des Senates aus dem bereits im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten von Dr. F ... Dieser hat im einzelnen dargelegt, dass insbesondere die anlässlich einer computertomographischen Untersuchung der LWS am 13. August 1992 festgestellten Veränderungen in Form eines mediolateralen intraforaminären sequestrierten Bandscheibenvorfalls im Segment L4/L5 links, einer leichten Protrusion der Bandscheibe im Segment L3/L4 sowie einer leichten Höhenminderung des Bandscheibenraumes im Segment L5/S1 nicht auf das Unfallereignis zurückzuführen seien. Weder der Unfallmechanismus noch der zeitliche Ablauf der in Folgezeit getroffenen Diagnosen neurologischer Störungen spreche für einen solchen Kausalzusammenhang. Auch im übrigen vermochte Dr. F. bezogen auf den Zeitraum ab September 1992 keine fortwirkenden Unfallfolgen festzustellen.
Die im Berufungsverfahren durchgeführte weitere Beweisaufnahme gibt keinen Anlass zu einer anderweitigen Beurteilung. Der auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG gehörte Sachverständige Dr. H. hat vielmehr in seinem Gutachten ausgeführt, dass kein Zusammenhang zwischen dem von ihm diagnostizierten lumbalen Schmerz-Syndrom bei beginnenden degenerativen Veränderungen der LWS und dem Unfallereignis vom 31. Juli 1992 mit Wahrscheinlichkeit festzustellen sei; ein solcher sei weder im Sinne der Hervorrufung noch im Sinne einer Verschlimmerung anzunehmen. Aus seiner Sicht seien die lumbalen Beschwerden der Klägerin und ihre leichte Peroneus- und Quadizepsschwäche des linken Beines auf eine seit Jahren bestehende - unfallunabhängige - Polyneuropathie und damit auf innere Ursachen zurückzuführen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG; Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben.