Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 26.02.2003, Az.: L 16/12 U 40/00

Anspruch auf Zahlung einer Verletztenrente oder Gewährung von Entschädigungsleistungen; Begriff des Arbeitsunfalls; Innerer Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem zum Unfall führenden Verhalten; Kausalitätstheorie der "wesentlichen Bedingung" ; Bandscheibenvorfall aufgrund eines inneren Ereignisses; Unfallereignis lediglich bei Gelegenheit; Entschädigungsleistungen wegen einer Verschlimmerung eines bereits vorbestehenden Körperschadens

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
26.02.2003
Aktenzeichen
L 16/12 U 40/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 15659
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0226.L16.12U40.00.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Bremen - 20.07.2000 - AZ: S 18 U 120/99

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichts- bescheid des Sozialgerichts Bremen vom 20. Juli 2000 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Streitig ist die Gewährung von Entschädigungsleistungen.

2

Der am 1. Mai 1936 geborene Kläger war als Fahrer bei der Bremer Straßenbahn AG beschäftigt. - Mit Unfallanzeige vom 27. Februar 1998 teilte diese der Beklagten mit, der Kläger gebe an, er habe am 26. Oktober 1997 einen Unfall erlitten und sich dabei den Rücken und das rechte Knie verletzt. Sie fügte eine Unfallschilderung des Klägers vom 20. November 1997 bei, in der er folgendes angab: Am Sonntag, dem 26. Oktober 1997, sei er aus dienstlichen Gründen mit seinem Pkw vom Betriebshof Flughafendamm zu dem vorgegebenen Einsatzort nach Huckelriede gefahren. Gegen 10.30 Uhr sei er dort mit seinem Pkw auf dem Parkplatz angekommen und habe sein Fahrzeug abgestellt. Während des Ausstiegs, als er sich noch nicht einmal ganz aufgerichtet gehabt habe, seien ihm plötzlich unerwartet beide Beine nach vorn weggerutscht und er sei zu Boden gestürzt. Während dieses Vorganges habe er instinktiv und unbewusst seinen Körper verdreht, um eine Kopfverletzung durch die Türschwelle des Fahrzeugs zu verhindern. Nachdem er sich aufgerichtet gehabt habe, habe er Schmerzen im unteren Rückenbereich und am rechten Bein verspürt. Trotz der Schmerzen habe er diesen Vorgang nicht ernst genommen und seinen Dienst beendet. Nach Verlassen des Dienstfahrzeuges habe er jedoch sehr starke Schmerzen im rechten Knie und unteren Rückenbereich verspürt, so dass er sich veranlasst gesehen habe, sofort das Zentralkrankenhaus (ZKH) Links der Weser aufzusuchen.

3

Dr. med. I., Direktor der Chirurgischen Klinik des ZKH Links der Weser, erstellte einen Durchgangsarztbericht vom 27. Oktober 1997, in dem er die Diagnose einer Distorsion des rechten Hüftgelenks stellte und zum Hergang des Unfalls ausführte, der Kläger gebe an, beim Aussteigen aus dem Pkw habe er einen plötzlichen Schmerz im Lendenwirbelsäulenbereich verspürt. Auf Nachfrage der Beklagten mit Schreiben vom 6. November 1997, in dem sie darauf hinwies, aus der Unfallschilderung im Durchgangsarztbericht sei kein von außen auf den Körper einwirkendes schädigendes Ereignis ersichtlich, widerriefen Dr. med. I./Dr. J. mit Schreiben vom 11. November 1997 den Durchgangsarztbericht.

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Die Beklagte holte eine Krankheitsauskunft der Fachärztin für Allgemeinmedizin K. vom 11. November 1997 ein, in der sie angab, ihr sei kein Unfallhergang bekannt. Eine von ihr veranlasste Computertomographie (CT) der Lendenwirbelsäule vom 29. Oktober 1997 (Röntgengemeinschaftspraxis L., Dres. M. u.a.) habe einen lateralen Bandscheibenvorfall LWK 3/4 rechts und einen mediolateralen Vorfall LWK 5/SWK 1 links ergeben. Sie habe den Patienten zu einem Facharzt für Orthopädie geschickt, der eine stationäre Einweisung veranlasst habe.

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Der Kläger wurde vom 30. Oktober 1997 bis 15. November 1997 stationär in der Neuro-chirurgischen Klinik des ZKH Sankt-Jürgen-Straße, Bremen, behandelt. Der Entlassungsbericht vom 1. Dezember 1997 enthält die Diagnose: "Bandscheibenvorfall der Etage L3/L4 rechts" und die Angabe, der Vorfall sei am 5. November 1997 operiert worden (interlaminäre Fensterung der Etage L3/L4 rechts mit Ausräumung eines sequestrierten Bandscheibenvorfalles in typischer mikroneurochirurgischer Technik). Im Befundbericht für Anschlussheilbehandlung (AHB) der Neurochirurgischen Klinik des ZKH Sankt-Jürgen-Straße vom 7. November 1997 heißt es über den Krankheitsbeginn und -verlauf:

seit mehreren Wochen Lumboischialgien rechtsseitig mit Entwicklung einer diskreten Quadrizepsschwäche sowie einer Hypalgesie entsprechend dem Dermatom L4 rechts.

6

Die AHB wurde in der Fachklinik für Rheuma und Reha, AHB-Klinik, Bad Zwischenahn, vom 27. November 1997 bis 18. Dezember 1997 durchgeführt.

7

Mit Schreiben vom 27. November 1997 wies die Beklagte die Betriebskrankenkasse (BKK) der Bremer Straßenbahn AG darauf hin, sie könne keine Behandlungskosten übernehmen, weil die Krankheit nach dem Bericht der Fachärztin für Allgemeinmedizin K. vom 11. November 1997 und der Äußerung von Dr. med. I. vom 11. November 1997 nicht Folge eines Arbeitsunfalls sei. Der Kläger erhielt eine Kopie dieses Schreibens. Er legte am 10. Dezember 1997 Widerspruch ein, den er damit begründete, es liege ein entschädigungspflichtiger Arbeitsunfall vor, denn ihm seien beim Aussteigen aus dem Pkw die Beine plötzlich weggerutscht, weil er auf einer Bananenschale oder Obstresten ausgerutscht sei.

8

Die Beklagte holte eine Auskunft von der BKK der Bremer Straßenbahn AG vom 4. März 1998 über Mitgliedschafts- und Erkrankungszeiten des Klägers ein. Darin sind u.a. folgende Diagnosen aufgeführt:

Cervicalgie 22. März 1991 - 5. April 1991, akute Lumbalgie 17. Februar 1992 - 28. Februar 1992, C7-Syndrom links 9. Februar 1994 - 22. März 1994, Lumbalgie 19. Oktober 1995 - 9. November 1995.

9

Sie forderte ferner von dem Arzt für Orthopädie und Neurochirurgie N. Berichte vom 10. März 1998 und 27. April 1998 an. In dem Bericht vom 10. März 1998 führte dieser aus, er habe den Kläger am 30. Oktober 1997 untersucht; dieser habe vorher keine Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule gehabt. Der Unfallmechanismus habe scheinbar eine schwere Rotation mit Quetschung sowie Herausluxieren von Bandscheibenanteilen in den Wirbelkanal ausgelöst. In dem Bericht vom 27. April 1998 gab er an, während der Behandlung wegen einer Lumbalgie im Jahre 1995 habe eine mäßige Fixation ohne neurologische Störungen bei degenerativen Veränderungen LWK 3/4 und LWK 5/SWK 1 bestanden; nach konservativer Behandlung sei das Krankheitsbild rasch abgeklungen. Ferner holte die Beklagte einen weiteren Bericht von der Fachärztin für Allgemeinmedizin K. vom 7. September 1998 ein, in dem sie ausführte, der Kläger sei von ihr in der Zeit vom 17. - 28. Februar 1992 wegen akuter Rückenschmerzen behandelt worden. Er habe damals Möbel gerückt und starke Schmerzen im Lendenwirbelsäulenbereich verspürt, die bis in das linke Bein ausgestrahlt hätten. Des Weiteren zog die Beklagte ein Gutachtenheft der Landesversicherungsanstalt (LVA) Hannover bei.

10

Die Beklagte holte ein Gutachten von Privat-Dozent Dr. med. O. (Direktor des Zentrums für Chirurgie, Klinik für Neurochirurgie, im ZKH Sankt-Jürgen-Straße) vom 24. Februar 1999 ein. Er führte aus, bei dem Ereignis vom 26. Oktober 1997 habe sich der Kläger eine Distorsion der Lendenwirbelsäule zugezogen, gleichgültig ob es sich um einen Sturz auf den Rücken oder nur um eine unglückliche Bewegung beim Aussteigen aus seinem Pkw gehandelt habe. Beide Mechanismen kämen dafür ohne weiteres in Frage. Weitergehende Verletzungen hätten anlässlich der zeitnah erfolgten Untersuchungen im ZKH Links der Weser oder durch die Hausärztin am Folgetag nicht festgestellt werden können. Inwieweit die festgestellte Schmerzhaftigkeit bei der Untersuchung der rechten Hüfte im ZKH Links der Weser bereits auf die Lendenwirbelsäule selbst zurückzuführen gewesen sei, könne gutachterlich bei dem vorliegenden zeitlichen Abstand nicht mehr zweifelsfrei geklärt werden. Festzuhalten sei, dass bei allen folgenden Untersuchungen keine Auffälligkeit des Hüftgelenkes mehr gefunden worden sei, sondern die Symptomatik sich einzig und allein auf die Lendenwirbelsäule beschränkt habe. An unfallunabhängigen Erkrankungen müsse in erster Linie eine degenerative Erkrankung der Wirbelsäule genannt werden. Aufgrund der Beschwerden in den Jahren 1992 und 1995 mit Krankschreibungen und konservativen Behandlungen sei der degenerative Prozess sicher dokumentiert. Auch die nach dem 26. Oktober 1997 erfolgten Untersuchungen und Behandlungen hätten diese Einschätzung bestätigt. Sowohl in den CT als auch in den Kernspintomographien seien degenerative Veränderungen der Lendenwirbelsäule erkennbar; der Bandscheibenvorfall in Höhe LWK 3/4 stelle keinen isolierten Befund dar, sondern sei im Gesamtzusammenhang der Wirbelsäulendegeneration zu sehen. Auch der histologische Befund des bei der Operation gewonnenen Bandscheibenmaterials mit eindeutig degenerativen Veränderungen spreche dafür; eine traumatische Bandscheibenschädigung sei histologisch nicht bestätigt worden. Das Ereignis vom 26. Oktober 1997 habe sicher zu einer Verschlimmerung beigetragen, sei aber keinesfalls als Ursache anzusehen. Es handele sich aus gutachtlicher Sicht um eine Gelegenheitsursache. Der behandlungsbedürftige Bandscheibenvorfall hätte auch zu jeder anderen Zeit und bei anderer Gelegenheit auftreten können. Ein Unfallereignis wie der im Nachhinein von dem Kläger geschilderte Sturz sei dazu nicht zwingende Voraussetzung. Ein Bandscheibenvorfall könne ohne jeglichen äußeren Anlass auftreten und zu entsprechenden klinischen Beschwerden wie im vorliegenden Fall führen.

11

Mit Widerspruchsbescheid vom 28. Juni 1999 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie stützte sich im Wesentlichen auf das Gutachten von Privat-Dozent Dr. med. O. vom 24. Februar 1999. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf den Widerspruchsbescheid (Bl. 87-88 Verwaltungsakte) Bezug genommen.

12

Der Kläger hat am 16. Juli 1999 beim Sozialgericht (SG) Bremen Klage erhoben. Er hat geltend gemacht, der Sturz beim Aussteigen aus dem Pkw sei als Arbeitsunfall anzusehen und daher seien auch alle Körperschäden, die mit der erforderlichen Kausalität auf diesen Unfall zurückzuführen seien, entschädigungspflichtig. Der Bandscheibenvorfall sei in diesem Sinne kausal bedingt durch das Unfallereignis. Dies ergebe sich nicht nur aus dem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang, sondern auch aus dem physiologischen Zusammenhang zwischen der durch den Sturz bedingten Lendenwirbelsäulendistorsion und der dadurch bedingten untypischen Bewegungsbelastung der Wirbelsäule; sie habe überhaupt erst den Bandscheibenvorfall hervorgerufen. Damit sei die erforderliche Kausalität gegeben. Es könne keine Rede davon sein, dass es sich um eine Gelegenheitsursache gehandelt habe.

13

Die Beklagte hat sich auf den Inhalt des Widerspruchsbescheides berufen.

14

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG ein Gutachten von dem Facharzt für Orthopädie Dr. med. P. vom 29. März 2000 eingeholt. Er ist zu dem Ergebnis gekommen, dass dem Gutachten von Privat-Dozent Dr. med. O. zuzustimmen sei. Danach sei das Ereignis als Gelegenheitsursache für das Auftreten des Bandscheibenvorfalls anzusehen. In Einzelfällen sei in der Vergangenheit der Zusammenhang zwischen einem lumbalen Bandscheibenvorfall und einer Unfallverletzung bejaht worden. Dafür müssten folgende Kriterien erfüllt sein: Das Unfallereignis müsse schwer genug sein, um Rissbildungen in der Bandscheibe zu verursachen, es müsse auch in seiner Mechanik so abgelaufen sein, dass es die Entstehung derartiger Rissbildungen erkläre. Der Nachweis müsse geführt werden, dass sich in unmittelbarem Anschluss an den Unfall schmerzhafte Funktionsstörungen an der Lendenwirbelsäule eingestellt hätten, und zwar dadurch, dass der Verletzte seine Arbeit nach dem Unfall aufgegeben habe. Beschwerdefreiheit, zumindest Beschwerdearmut (keine Ischias- oder Lumbagoanfälle) müsse vor dem Unfall vorgelegen haben. Die klinischen Symptome müssten für einen hinteren Bandscheibenvorfall sprechen. Beispiele für ein geeignetes Unfallereignis seien: schwere Stauchung der Lendenwirbelsäule bei einem Sturz, Überschlag, Hinausschleudern aus offenem Wagen; ungewöhnliche, überraschende, daher unkoordinierte Kraftanstrengung z.B. beim Ausrutschen oder Beinahe-Sturz mit schwerer Last, so dass das Überraschungsmoment im Vordergrund stehe. Als mechanisch geeignet für die Zerreißung einer gesunden Bandscheibe könnten Bewegungen mit Scher- oder Rotationswirkung sowie Überbeugung und Überstreckung der Wirbelsäule sein wie: Einwirkung erheblicher Kräfte auf die gebeugte Wirbelsäule, die die Beugung zu verstärken trachteten; Verdrehen des Rumpfes unter gleichzeitigem Heben oder Bewegen schwerer Lasten. Im Falle des Klägers stehe zur Debatte das Ausrutschen mit beiden Füssen und das Nach-Rückwärts-Fallen unter Verdrehung des Körpers. Diese Mechanik lasse sich nicht in die genannten Kriterien einordnen. Der Sturz zu Boden beim Aussteigen aus dem Pkw führe nicht zu einer schweren Stauchung; auch die Ausweichbewegung zur Verhinderung einer Kopfverletzung sei nicht unkoordiniert geschehen, sondern reaktiv und willentlich gesteuert. Das Argument des gesicherten vorbestehenden Verschleißes sei das gewichtigste, das gegen einen Unfallzusammenhang spreche. Ergänzt werde dies dadurch, dass sich intraoperativ keinerlei Verletzungszeichen gefunden hätten und dass die feingewebliche Untersuchung des entnommenen Bandscheibengewebes ausschließlich degenerative Veränderungen aufgezeigt habe.

15

Mit Gerichtsbescheid vom 20. Juli 2000 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat sich auf die Gutachten von Privat-Dozent Dr. med. O. vom 24. Februar 1999 und von Dr. med. P. vom 29. März 2000 gestützt und sich der Auffassung angeschlossen, dass das Ereignis lediglich als Gelegenheitsursache anzusehen sei. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf den Gerichtsbescheid (Bl. 45-52 Prozessakte) Bezug genommen.

16

Der Kläger hat gegen den ihm am 28. Juli 2000 zugestellten Gerichtsbescheid am 17. August 2000 schriftlich beim Landessozialgericht (LSG) Bremen Berufung eingelegt. Er macht geltend, die Darlegungen des SG seien aus rechtlichen und medizinischen Erwägungen unzutreffend. Es sei schon zweifelhaft, ob die mehrere Jahre vor dem Unfallereignis aufgetretenen Beschwerden (im Februar 1992 und im Oktober/November 1995) rechtlich relevant seien. Nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung entfalle der Versicherungsschutz eines Verletzten nicht bereits aus dem Grund, dass Vorschädigungen vorhanden gewesen seien. Daher reiche für die Kausalität eines Unfallereignisses schon die bloße richtunggebende Verschlimmerung aus. Unter Zugrundelegung dieser Rechtslage seien die früheren Behandlungen unschädlich für den geltend gemachten Anspruch. Das Schwergewicht seines Wirbelsäulenleidens, das vor dem Unfallereignis vorgelegen habe, habe nicht im Bereich der Lendenwirbelsäule, sondern der Halswirbelsäule gelegen. Gegen einen schwerwiegenden Sturz spreche auch nicht die Tatsache, dass er zunächst seine Tätigkeit als Busfahrer aufgenommen habe. Dies habe er nur aufgrund äußersten Pflichtgefühls und unter erheblichen Schmerzen getan, die immer stärker geworden seien, so dass er - als er nach etwa einer halben Stunde das Depot erreicht habe - seine berufliche Tätigkeit aufgegeben habe. Daher müsse von einem schwerwiegenden Sturz ausgegangen werden. Er entspreche den Unfallmechanismen, die Dr. med. P. beispielhaft als geeignet für die Entstehung eines traumatischen Bandscheibenrisses genannt habe. Hierfür spreche auch der enge zeitliche Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis vom 27. Oktober 1997 und der unmittelbar danach erforderlich gewordenen Operation. Hätte er schon vor dem Unfallereignis entsprechende Beschwerden gehabt, hätte er den Beruf des Busfahrers nicht ausüben können. Alle Untersuchungsergebnisse sprächen überdies dafür, dass es sich um einen traumatischen Bandscheibenvorfall gehandelt habe, denn die klinischen Symptome sprächen für einen hinteren Bandscheibenvorfall. Unzutreffend seien daher die Ausführungen des SG, die Kausalität sei nicht nachgewiesen, weil sowohl das mögliche Ereignis (Sturz auf den Rücken) als auch nur eine unglückliche Bewegung beim Aussteigen aus dem Pkw als Anlass für die Distorsion der Lendenwirbelsäule in Frage komme. Er habe unwiderlegt von Anfang an behauptet, er sei auf den Rücken gefallen.

17

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bremen vom 20. Juli 2000 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 27. November 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juni 1999 zu verurteilen, ihm unter Anerkennung des Ereignisses vom 26. Oktober 1997 als Arbeitsunfall eine Verletztenrente in Höhe von mindestens 20 v. H. der Vollrente zu zahlen,

hilfsweise,

ihm die gesetzliche Entschädigung für diesen Unfall zu gewähren.

18

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

19

Die Beklagte hält den Gerichtsbescheid für zutreffend und verweist auf die Gutachten von Privat-Dozent Dr. med. O. und Dr. med. P ...

20

Das Gericht hat die Verwaltungsakte der Beklagten (Az. 1 97 0 5866-8) beigezogen. Diese Akte und die Prozessakte (Az. L 16/12 U 40/00, S 18 U 120/99) sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung ist statthaft (§ 143 SGG). Sie ist nicht begründet.

22

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Verletztenrente oder Gewährung von Entschädigungsleistungen aus Anlass des Ereignisses vom 26. Oktober 1997.

23

Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 26 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch - Gesetzliche Unfallversicherung - - SGB VII -) sind dann zu gewähren, wenn ein Versicherungsfall eingetreten ist. Nach § 7 Abs. 1 SGB VII sind Versicherungsfälle Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten.

24

Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Dabei ist unter einem Unfall ein von außen her auf den Menschen einwirkendes, körperlich schädigendes, plötzliches, d. h. zeitlich begrenztes Ereignis zu verstehen (vgl. Lauterbach, Unfallversicherung, Band I, 3. Auflage, Anm. 3 zu § 548, - S. 201/2 -; § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Entschädigungsleistungen sind nur zu gewähren, wenn ein innerer Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem zum Unfall führenden Verhalten besteht und zwischen diesem und dem Unfall sowie den geltend gemachten Gesundheitsstörungen ein Ursachenzusammenhang im Sinne der in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Kausalitätstheorie der "wesentlichen Bedingung" gegeben ist.

25

Nach der genannten Kausalitätslehre sind unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes nur die Bedingungen als Ursache oder Mitursache anzusehen, die nach der Auffassung des praktischen Lebens im Verhältnis zu anderen Bedingungen wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu seinem Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 27.11.1980, Az. 8a RU 12/79, in SozR 22OO § 548 Nr. 51). Zu den Beweisanforderungen ist zu beachten, dass der ursächliche Zusammenhang nicht im Sinne eines strengen Nachweises erbracht, sondern nur hinreichend wahrscheinlich sein muss. Eine solche Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn unter Berücksichtigung aller Umstände die für den Zusammenhang sprechenden Umstände so stark überwiegen, dass die Entscheidung darauf gestützt werden kann, und die dagegen sprechenden Umstände billigerweise für die Bildung und Rechtfertigung der richterlichen Überzeugung außer Betracht bleiben müssen (BSGE 22, S. 203, 209, BSGE 43, S. 110, 113).

26

Diese Grundsätze gelten auch für den Fall, dass eine Verschlimmerung eines bereits bestehenden Gesundheitsschadens geltend gemacht wird, also krankhafte Veränderungen vor dem Unfall bestanden haben. Wenn die Körperschäden, für deren Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit Entschädigung beansprucht wird, einerseits Folgen eines Leidens sind, das vor dem Unfall bestanden hat, andererseits aber dieses Leiden durch Auswirkungen des Ereignisses beeinflusst sein kann, dann ist ebenfalls zu fragen, ob diese Auswirkungen des Ereignisses wahrscheinlich eine rechtlich wesentliche Teilursache der nach dem Ereignis eingetretenen Verschlimmerung sind. Dabei ist in erster Linie von Bedeutung, ob diese Verschlimmerung auch ohne das Ereignis etwa zum gleichen Zeitpunkt eingetreten wäre oder durch ein anderes, alltäglich vorkommendes Ereignis hätte ausgelöst werden können, ob also die äußere Einwirkung, nämlich das in Rede stehende Unfallereignis, wesentliche Teilursache oder nur Gelegenheitsursache gewesen ist (vgl. Lauterbach, Unfallversicherung, Band I, 3. Auflage, Anm. 28 zu § 548 -S. 214 ff. - mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des BSG).

27

Unter Anlegung dieser Beurteilungskriterien kann nicht festgestellt werden, dass dem Kläger aufgrund des Ereignisses vom 26. Oktober 1997 eine Verletztenrente oder sonstige Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zustehen. Es lässt sich schon nicht feststellen, dass ein äußeres (ein von außen einwirkendes) Ereignis vorgelegen hat, als der Bandscheibenvorfall aufgetreten ist. Vielmehr gibt es Anhaltspunkte dafür, dass es sich ausschließlich um einen inneren Vorgang gehandelt hat, indem sich der Bandscheibenvorfall spontan manifestiert hat. So hat Dr. med. P. in seinem Gutachten vom 29. März 2000 dargelegt, in den meisten Fällen werde ein Bandscheibenvorfall spontan manifest, indem z.B. an dem schon vorgefallenen Bandscheibengewebe eine Massenverschiebung eintrete. Erklärbar wäre dadurch auch der Sturz des Klägers beim Aussteigen aus dem Pkw, denn es ist naheliegend, dass er deshalb stürzte, weil er einen spontanen Schmerz in der Lendengegend verspürte. Davon, dass kein äußeres Ereignis vorgelegen hat, sind erkennbar auch die Hausärztin des Klägers, die Allgemeinärztin K., und die erstbehandelnden Ärzte vom LKH Links der Weser, Dr. med. I. und Dr. med. J., ausgegangen. Denn die Ärztin K. hat in ihrer Krankheitsauskunft vom 11. November 1997 angegeben, ihr sei kein Unfallhergang bekannt, und Dr. med. I./ Dr. med. J. haben ihren Durchgangsarztbericht widerrufen, nachdem die Beklagte sie darauf hingewiesen hatte, aus der Unfallschilderung im Durchgangsarztbericht sei kein von außen auf den Körper einwirkendes schädigendes Ereignis ersichtlich.

28

Auch wenn angenommen wird, dass bei dem Vorfall vom 26. Oktober 1997 ein äußeres Ereignis - etwa eine unphysiologische Körperbewegung beim Aussteigen aus dem Pkw - aufgetreten ist, stehen dem Kläger keine Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu, denn der Bandscheibenvorfall ist nicht wesentlich hierdurch verursacht worden. Privatdozent Dr. med. O. und Dr. med. P. haben das Ereignis vielmehr lediglich als Gelegenheitsursache für das Auftreten des Bandscheibenvorfalls bezeichnet. Angesichts des bildlich dokumentierten Befundes, der einen vorbestehenden Verschleiß der Lendenwirbelsäule bestätigt hat, hat Dr. med. P. diese Auffassung näher begründet. Er hat ferner dargelegt, dass der Hergang des Ereignisses nicht geeignet gewesen sei, als wesentliche Ursache einen lumbalen Bandscheibenvorfall zu verursachen. Der Kläger sei beim Aussteigen aus dem Pkw mit beiden Füßen ausgerutscht und nach rückwärts gefallen unter Verdrehung des Körpers. Diese Mechanik lasse sich nicht in die Kriterien einordnen, die vorliegen müssten, damit ein Bandscheibenvorfall traumatisch bedingt sei. Es habe keine schwere Stauchung der Lendenwirbelsäule vorgelegen bei einem Sturz, Überschlag oder Hinausschleudern aus einem offenen Wagen; auch habe es sich nicht um eine ungewöhnliche, überraschende und daher unkoordinierte Kraftanstrengung gehandelt, z.B. beim Ausrutschen oder Beinahesturz mit schwerer Last, so dass das Überraschungsmoment im Vordergrund stehe. Es seien auch keine Bewegungen mit Scher- und Rotationswirkung sowie Überbeugung und Überstreckung der Wirbelsäule abgelaufen, wie eine Einwirkung erheblicher Kräfte auf die gebeugte Wirbelsäule, die die Beugung zu verstärken trachteten, oder das Verdrehen des Rumpfes unter gleichzeitigem Heben oder Bewegen schwerer Lasten. Diesen Darlegungen des Sachverständigen Dr. med. P., der auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG gehört worden ist, ist zu folgen, da sie überzeugend sind. Das Vorbringen des Klägers ist demgegenüber nicht geeignet, sie zu widerlegen. Beide Gutachter, Privatdozent Dr. med. O. und Dr. med. P., haben ausdrücklich klargestellt, dass - wie bereits erwähnt - Bandscheibenvorfälle durchaus ohne äußeren Anlass auftreten könnten; Dr. med. P. hat zudem darauf hingewiesen, die Wahrscheinlichkeit, dass der bisher offenbar stumm gebliebene Bandscheibenvorfall bei dem Kläger im untersten Lendenwirbelsäulensegment (L5/S1) sich bei banaler Gelegenheit ebenfalls manifestiere, sei nicht gering. Zudem haben beide Gutachter dargelegt, dass die intra-operativen Befunde und die feingewebliche Untersuchung des entnommenen Bandscheibengewebes ausschließlich auf degenerative Veränderungen und nicht auf Verletzungszeichen hinwiesen.

29

Entschädigungsleistungen wegen einer Verschlimmerung eines bereits vorbestehenden Körperschadens sind ebenfalls nicht zu gewähren, denn auch für eine Verschlimmerung kommt der Vorfall lediglich als Gelegenheitsursache in Betracht. Dies hat Privatdozent Dr. med. O. in seinem Gutachten betont, indem er ausgeführt hat, der behandlungsbedürftige Bandscheibenvorfall hätte auch zu jeder anderen Zeit und bei jeder anderen Gelegenheit auftreten können.

30

Entgegen der Auffassung des Klägers ist es von Bedeutung, dass er - wie aus der Auskunft der BKK der Bremer Straßenbahn AG vom 4. März 1998 und den Berichten der Ärztin K. vom 7. September 1998 sowie des Arztes N. vom 27. April 1998 hervorgeht - bereits vor dem Ereignis vom 26. Oktober 1997 an Lendenwirbelsäulenbeschwerden litt. Dadurch sind vorbestehende Erkrankungen in diesem Bereich dokumentiert.

31

Das Vorbringen des Klägers, dass ein Vorschaden den Eintritt eines Arbeitsunfalls nicht ausschließe, ist zwar richtig, jedoch muss hinzugefügt werden, dass immer zu prüfen ist, ob das Ereignis die wesentliche Ursache gewesen ist. Dies gilt auch dann, wenn geltend gemacht wird, infolge eines Arbeitsunfalls habe sich ein vorbestehendes Leiden verschlimmert. Auf diesen Gesichtspunkt weist die Beklagte zu Recht hin.

32

Nach allem war die Berufung zurückzuweisen.

33

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

34

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, und der Senat weicht nicht von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts ab.