Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 06.02.2003, Az.: L 6 U 90/00

Anspruch auf Verletztenrente für eine bereits festgestellte Berufskrankheit ; Arbeitstechnische Voraussetzungen der Berufskrankheit 2109; Belastung der Halswirbelsäule bei der Ausübung des Berufes eines Krankenpflegers

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
06.02.2003
Aktenzeichen
L 6 U 90/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 21003
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0206.L6U90.00.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Oldenburg - 09.02.2000 - AZ: S 7 U 146/98

Redaktioneller Leitsatz

Die Berufskrankheit 2109 richtet sich nur an die Berufsgruppe der Fleischträger und Berufsgruppen mit vergleichbaren Belastungsprofil. Entscheidend ist dabei, dass es sich um eine Tätigkeit handelt, die mit dem überwiegenden Tragen von Lasten von 50 kg oder mehr auf beiden Schultern, mit einer statischen Belastung der cervikalen Bewegungssegmente und einer außergewöhnlichen Zwangshaltung der Halswirbelsäule einhergeht. Diese Tragebelastungen müssen der Tätigkeit außerdem das Gepräge gegeben haben, wie es bei der Arbeit eines Fleisch- oder Kohlenträgers der Fall ist.

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 9. Februar 2000 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt Verletztenrente für die bei ihr bereits als Berufskrankheit (BK) Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) anerkannten Gesundheitsstörungen im Bereich der LWS. Weiter begehrt sie, ihre Gesundheitsstörungen im Bereich der Halswirbelsäule (HWS) als BK Nr. 2109 der Anlage zur BKV (bandscheibenbedingte Erkrankung der HWS durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter) anzuerkennen und zu entschädigen.

2

Die im Januar 1950 geborene Klägerin war ab April 1965 zunächst als Krankenpflegevorschülerin und von April 1970 an als Krankenschwester beschäftigt. Seit dem 16. Dezember 1994 war sie durchgehend arbeitsunfähig erkrankt, seit dem 1. Mai 1996 bezieht sie Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Die ersten Beschwerden von Seiten der LWS traten 1976 auf. Zumindest seit Dezember 1994 kamen Beschwerden von Seiten der HWS hinzu und es sind Bandscheibenprotrusionen und -prolapse in den Segmenten C 4/5 und C 6/7 bekannt (CT-Bericht vom 19. Dezember 1994).

3

Auf den Antrag der Klägerin vom Oktober 1995, ihre Beschwerden im Bereich der LWS und HWS als Bken anzuerkennen, zog die Beklagte die umfangreichen medizinischen Unterlagen des Versorgungsamtes C. sowie der BfA bei. Danach lehnte sie mit Bescheid vom 6. Januar 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Mai 1998 die Anerkennung der BK Nr. 2109 mangels Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen ab. Nach Einholung eines Gutachtens der Prof. Dr. D. vom 24. November 1997 erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 2. April 1998 eine BK Nr. 2108 in Gestalt von ausgeprägten degenerativen Veränderungen der LWS mit Osteochondrose und Spondylarthrose im Bereich LWK 4/5 und LWK5/S1 an. Die Gewährung einer Verletztenrente lehnte sie ab, da nur geringe Funktionseinschränkungen bzw. nur leichte neurologische Ausfälle in Form einer Sensibilitätsstörung im Bereich der rechten Fußsohle bestünden. Den Widerspruch wies die Beklagte nach Einholung einer beratungsärztlichen Stellungnahme des Dr. E. vom 14. Juni 1998 mit Widerspruchsbescheid vom 23. September 1998 zurück.

4

Gegen diese Widerspruchsbescheide hat die Klägerin am 29. Mai 1998 bzw. 13. Oktober 1998 Klagen erhoben, die zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden worden sind. Die Klägerin hat einen Arztbrief des Neurologen F. vom 25. März 1999 und den Bericht des Radiologen Dr. G. vom 6. April 1998 über eine MRT-Untersuchung überreicht. Das Sozialgericht (SG) Oldenburg hat die Klage mit Urteil vom 9. Februar 2000 abgewiesen.

5

Gegen dieses ihr am 18. Februar 2000 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 6. März 2000 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, die von der LWS ausgehenden Schmerzen strahlten in die rechte Gesäßhälfte, Wade und den rechten Fuß aus. Wegen der Fußheberschwäche stolpere sie oft, auch ihre Geh- und Stehfähigkeit sei eingeschränkt. Zudem sei sie im Hinblick auf ihre beruflichen Belastungen betreffend ihrer HWS der Berufsgruppe der Fleischträger gleichzustellen. Wegen der Zunahme ihrer Beschwerden im Bereich der LWS habe sie im Laufe ihres Berufslebens die Belastungen verstärkt auf die Arme, Schultern und die HWS verlegt. Die Patienten hätten z.B. mit einem oder beiden Armen ihren Hals umschlungen und sie habe diese dann hochgeschoben, angehoben oder aufgerichtet.

6

Die Klägerin beantragt,

  1. 1.

    das Urteil des SG Oldenburg vom 9. Februar 2000 und den Bescheid der Beklagten vom 6. Januar 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Mai 1998 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 2. April 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. September 1998 abzuändern,

  2. 2.

    festzustellen, dass ihre Gesundheitsstörungen im Bereich der HWS Folge der Berufskrankheit Nr. 2109 der Anlage zur BKV sind,

  3. 3.

    die Beklagte zu verurteilen, ihr wegen beider Bken jeweils eine Verletztenrente in Höhe von 20 v.H. der Vollrente zu zahlen,

  4. 4.

    hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, ihre wegen beider Bken jeweils eine Verletztenrente in Höhe von 10 v.H. der Vollrente zu zahlen.

7

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Oldenburg vom 9. Februar 2000 zurückzuweisen.

8

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

9

Die Klägerin hat die Bescheinigung des Orthopäden H. vom 22. Dezember 1994, den Bericht des Neurochirurgen I. vom 14. August 2001 und den des Radiologen Dr. J. vom 7. August 2001 vorgelegt. Die Beklagte hat die Stellungnahme des Chirurgen Dr. K. vom 4. Juli 2000 überreicht. Der Senat hat die Befundberichte des Dr. L. vom 12. April 2000 und 11. August 2000 nebst weiterer Unterlagen, die des Orthopäden H. vom 26. April 2000 und vom 14. Juni 2001 nebst dessen Unterlagen eingeholt. Auf Antrag der Klägerin ist anschließend das Gutachten der Orthopädin M. vom 6. Dezember 2002 eingeholt worden.

10

Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

11

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten, die Gerichtsakten dieses sowie des SG Oldenburg aus dem parallelen Rentenverfahren (S 5 RA 50205/97) Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

12

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Das SG Oldenburg hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig. Bei der Klägerin besteht keine bandscheibenbedingte Erkrankung der HWS i.S.d. BK Nr. 2109 der Anlage zur BKV (s. unter 1), sie hat deshalb sowohl wegen dieser BK wie auch wegen der anerkannten BK Nr. 2108 der Anlage zur BKV keinen Anspruch auf Verletztenrente (s. unter 2).

13

1.

Bei der BK Nr. 2109 der Anlage zur BKV handelt es sich um bandscheibenbedingte Erkrankungen der HWS durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter. Die Klägerin erfüllt mit ihrer Tätigkeit als Krankenschwester bereits nicht die arbeitstechnischen Voraussetzungen dieser BK. Denn diese BK setzt nach ihrem eindeutigen Wortlaut das Tragen schwerer Lasten auf der Schulter voraus. Nach dem Willen der Verordnungsgeberin richtet sich diese BK nur an die Berufsgruppe der Fleischträger und Berufsgruppen mit vergleichbaren Belastungsprofil (Urteil des erkennenden Senats vom 24. Juli 2001, - L 6 U 216/00 - m.w.Nw.; Merkblatt für die ärztliche Untersuchung zu der BK Nr. 2109, BArbBl 3/1993, S. 53). Entscheidend ist dabei, dass es sich um eine Tätigkeit handelt, die mit dem überwiegenden Tragen von Lasten von 50 kg oder mehr auf beiden Schultern, mit einer statischen Belastung der cervikalen Bewegungssegmente und einer außergewöhnlichen Zwangshaltung der HWS einhergeht. Diese Tragebelastungen müssen der Tätigkeit außerdem das Gepräge gegeben haben, wie es bei der Arbeit eines Fleisch- oder Kohlenträgers der Fall ist (vgl. hierzu auch LSG NRW Urteil vom 21. Januar 1997, - L 15 U 231/95 -, in NZS 1997, S. 578). Die von der Klägerin geschilderten Belastungen der HWS durch das Anheben der Patienten kommt der mechanischen Belastung beim Tragen von einer 50 kg-Last auf beiden Schultern nicht annähernd gleich, worauf auch die Ausführungen der Orthopädin M. (Gutachten vom 6. Dezember 2002, S. 14) hinweisen. Zudem sind diese Anhebevorgänge nicht in dem für die BK Nr. 2109 erforderlichen Umfang erfolgt. Sie haben der Tätigkeit der Klägerin nicht das Gepräge gegeben, da die Arbeit einer Krankenschwester nicht überwiegend nur das Anheben der Patienten, sondern eine Vielzahl weiterer Tätigkeiten umfasst. Da die Klägerin bereits nicht die arbeitstechnischen Voraussetzungen dieser BK erfüllt, waren Ermittlungen zu der Frage, ob die medizinischen Voraussetzungen der BK Nr. 2109 bei ihr vorliegen, nicht erforderlich.

14

2. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Verletztenrente wegen der bei ihr anerkannten BK Nr. 2108. Ihre Gesundheitsstörungen im Bereich der LWS rechtfertigen keine Minderung der Erwerbsfähigkeit im rentenberechtigenden Grade. Dies ergibt sich aus den übereinstimmenden Gutachten der Prof. Dr. N. u.a. und der Ärztin des Vertrauens der Klägerin, der Orthopädin M., wie auch aus der Stellungnahme der Dres. O ... Deren Einschätzung erweist sich angesichts der nicht gravierenden Funktionseinschränkungen, die von allen Gutachtern und Ärzten übereinstimmend beschrieben werden, als nachvollziehbar und plausibel.

15

Maßgebend für die Höhe der MdE ist die tatsächlich bestehende bk-bedingte Funktionseinschränkung (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Aufl. 1998, S. 152). Zu deren Beurteilung bilden die ärztlichen Einschätzungen eine wichtige und vielfache unentbehrliche Grundlage für das Gericht. Entscheidend für die MdE-Bewertung ist das Ausmaß der Bewegungseinschränkungen, der neurologischen Ausfälle oder Wurzelreizsyndrome, nicht dagegen das Ausmaß der röntgenologischen Veränderungen. Eine starke Funktionseinschränkung besteht bei der Klägerin nach den übereinstimmenden Feststellungen der Gutachter und Sachverständigen nicht. Die LWS ist nicht dauerhaft mechanisch eingesteift, lediglich die beiden unteren Segmente der LWS weisen infolge der Schmerzen eine relative Fixierung auf. Im mittleren und oberen Drittel besteht noch eine Beweglichkeit für alltagsübliche Verrichtungen. Weiterhin haben weder die behandelnden Ärzte noch die Sachverständige M. konkrete Ausfälle einzelner Nervenwurzeln festgestellt. Insbesondere konnte keine Fußheberschwäche festgestellt werden. Die Stolperneigung der Klägerin ist vielmehr auf die wechselnde Irritation der Nervenwurzeln zurückzuführen. Diese pseudoradiculäre Irritation ist jedoch nicht als gravierend einzustufen (Gutachten der Orthopädin M. vom 6. Dezember 2002, S. 16).

16

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).