Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 26.02.2003, Az.: L 4 KR 7/01
Kostenerstattung für stationäre medizinische Rehabilitationsleistungen; Voraussetzungen des gesetzlichen Kostenerstattungsanspruches; Umfang der Leistungen der medizinischen Rehabilitation; Medizinische Notwendigkeit stationärer Rehabilitationsmaßnahmen
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 26.02.2003
- Aktenzeichen
- L 4 KR 7/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 20198
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0226.L4KR7.01.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Lüneburg - 14.12.2000 - AZ: S 16 KR 141/99
Rechtsgrundlagen
- § 13 Abs. 3 SGB V
- § 40 SGB V
Redaktioneller Leitsatz
Dem Versicherten sind Kosten zu erstatten, wenn sie dadurch entstanden sind, dass die Krankenkasse die unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder die Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. Zwischen dem die Haftung begründenden Umstand und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) muss somit ein Kausalzusammenhang bestehen, ohne den die Bedingung für eine Ausnahme vom Sachleistungsgrundsatz nicht erfüllt ist.
Ein soziales Bedürfnis (Stärkung der Familienbindung bei einer schwerwiegenden Krebserkrankung eines Kindes) indiziert keine medizinische Notwendigkeit für einer stationäre Rehabilitationsmaßnahme bei der gesamten Familie.
Tenor:
Das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 14. Dezember 2000 wird aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Rechtsstreit betrifft die Kostenerstattung für stationäre medizinische Rehabilitationsleistungen in der Zeit vom 23. Juni bis 21. Juli 1999.
Der 1956 geborene Kläger ist mit seiner Familie (Ehefrau Petra, geboren 1964, Kind Jannine, geboren 1991, Kind Sara, geboren 1993, Kind Tarek, geboren 1996) bei der Beklagten krankenversichert. Die Tochter Sara erkrankte im Dezember 1996 an einer akuten lymphatischen Leukämie, die mit zweimaliger Knochenmarksspende durch den Bruder sowie mit Chemo- und Strahlentherapie behandelt wurde. Es kam jeweils zu Rezidiven. Am 19. September 2000 verstarb Sara.
Mit Bescheid vom 25. Februar 1998 bewilligte die Beklagte für den Kläger und seine ganze Familie eine Kurmaßnahme in der Syltklinik Wenningstedt für die Dauer von vier Wochen, die die Familie im Juli 1998 absolvierte. Im November 1998 beantragte die Ehefrau des Klägers eine erneute Kurmaßnahme der ganzen Familie für den Sommer 1999 unter Vorlage einer Bescheinigung des Psychosozialen Dienstes der Abteilung für pädiatrische Hämatologie und Onkologie der Universitäts-Kinderklinik Eppendorf vom 4. November 1998. In der Bescheinigung ist ausgeführt, dass die Krebsbehandlung der Tochter Sara mit ihren Risiken und Nebenwirkungen nicht nur für die Patientin eine extreme Belastung mit sich bringe, sondern auch für die Eltern und Geschwisterkinder. Die häufigen Trennungen der Familie wegen der erforderlichen Krankenhausaufenthalte habe eine zerrüttende Wirkung auf die ganze Familie. Mit Bescheid vom 11. Januar 1999 bewilligte die Beklagte die beantragte Maßnahme für die Ehefrau des Klägers, die Tochter Sara und den Sohn Tarek, während sie die Leistung für den Kläger und die Tochter Jannine ablehnte. Gegen diesen Bescheid erhob die Ehefrau des Klägers für diesen und ihre Tochter am 29. Januar 1999 Widerspruch.
Nach Vorlage verschiedener ärztlicher Atteste und Auswertung von Stellungnahmen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Niedersachsen (MDKN) lehnte die Beklagte die begehrte Leistung mit Bescheiden vom 2. März und 9. Juni 1999 erneut ab, gegen die wiederum Widerspruch eingelegt wurde. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 5. August 1999 mit der Begründung zurück, für den Kläger und seine Tochter Jannine sei eine auf ihre Personen bezogene medizinische Notwendigkeit der beantragten Maßnahme unter Berücksichtigung der vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen nicht gegeben. Auch die Voraussetzungen für eine Teilnahme an der Maßnahme der anderen Familienmitglieder als Begleitpersonen seien nicht gegeben. Der Kläger und die Tochter Jannine haben die Kurmaßnahme in der Zeit vom 23. Juni bis 21. Juli 1999 zusammen mit der übrigen Familie durchgeführt. Die Kosten für den Kläger und seine Tochter Jannine in Höhe von 7.820,40 DM wurden von dem Härtefonds der Deutschen Krebshilfe in Höhe von 5.000.- DM und von der Eltern-Selbsthilfegruppe Hamburg in Höhe von 2.820,40 DM getragen.
Gegen den am 16. August 1999 zugestellten Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 9. September 1999 Klage erhoben und geltend gemacht, dass zahlreiche ärztliche Stellungnahmen die medizinische Notwendigkeit der Kurmaßnahme auch für ihn und seine Tochter Jannine belegten.
Ein Jahr später - in der Zeit vom 1. bis 25. Juli 2000 - absolvierte die ganze Familie erneut, und zwar auf Kosten der Beklagten, eine weitere stationäre Reha-Maßnahme in der Syltklinik Wenningstedt.
Das Sozialgericht (SG) Lüneburg hat der Klage durch Urteil vom 14. Dezember 2000 stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, dass die Beklagte gegenüber dem Kläger und seiner Tochter Jannine zur Leistungsgewährung unter dem Gesichtspunkt einer Vorsorgekur bzw. als Begleitpersonen für die übrigen Familienmitglieder verpflichtet sei.
Die Beklagte hat gegen dieses am 11. Januar 2001 zugestellte Urteil am 15. Januar 2001 Berufung eingelegt und geltend gemacht, dass zu Gunsten des Klägers und seiner Tochter die notwendige medizinische Indikation für eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme nicht gegeben gewesen sei. Eine Kur sei allenfalls aus sozialen Gründen sinnvoll gewesen. Das SG habe im Übrigen zu Unrecht angenommen, dass eine Ermessensreduzierung auf Null gegeben sei. Sie - die Beklagte - habe dem Kläger im Übrigen zu keinem Zeitpunkt eine Zusicherung für die beantragte Leistung gegeben. Der Gewährung von Vorsorgeleistungen stehe schließlich entgegen, dass offenbar nicht alle Leistungsmöglichkeiten am Wohnort ausgeschöpft worden seien.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des SG Lüneburg vom 14. Dezember 2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für rechtmäßig und verweist darauf, dass soziale Fragen von der Art, wie sie in seinem Falle relevant seien, auch medizinische Relevanz entfalteten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt des beigezogenen Verwaltungsvorganges der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß § 143 und § 144 Abs. 1 Ziffer 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt worden, mithin zulässig.
Sie erweist sich auch als begründet.
Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers, das auf die Erstattung der Kosten für die stationäre Reha-Maßnahme für ihn und seine Tochter Jannine in der Sylt-Klinik Wenningstedt in der Zeit vom 23. Juni bis 21. Juli 1999 gerichtet ist, ist § 13 Abs. 3 SGB V. Diese Vorschrift lautet wie folgt:
Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) sind dem Versicherten Kosten zu erstatten, wenn sie dadurch entstanden sind, dass die Krankenkasse (KK) die unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (Voraussetzung 1) oder die Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (Voraussetzung 2). Zwischen dem die Haftung begründenden Umstand und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) muss somit ein Kausalzusammenhang bestehen, ohne den die Bedingung für eine Ausnahme vom Sachleistungsgrundsatz nicht erfüllt sei (BSG in SozR 3-2500 § 13 SGB V Nr. 15, Seite 74).
Der Senat gelangt zu dem Ergebnis, dass die Beklagte die vom Kläger beanspruchte Leistung nicht zu Unrecht abgelehnt hat.
Die Gewährung von Leistungen der medizinischen Rehabilitation richtet sich nach § 40 SGB V. Darin heißt es, dass die Krankenkasse aus medizinischen Gründen erforderliche Maßnahmen in Form einer stationären Behandlung mit Unterkunft und Verpflegung in einer Rehabilitationseinrichtung erbringen kann, wenn bei Versicherten eine ambulante Krankenbehandlung einschließlich ambulanter Rehabilitationsmaßnahmen oder eine ambulante Rehabilitationskur nicht ausreichen, um die in § 27 Abs. 1 und § 11 Abs. 2 SGB V beschriebenen Ziele zu erreichen (Abs. 1 und 2). Stationäre Rehabilitationsmaßnahmen sollen für längstens drei Wochen erbracht werden, es sei denn, eine Verlängerung der Leistung ist aus gesundheitlichen Gründen dringend erforderlich (Abs. 3 Satz 2). Sie können nicht vor Ablauf von 4 Jahren nach Durchführung solcher oder ähnlicher Leistungen erbracht werden, deren Kosten auf Grund öffentlich-rechtlicher Vorschriften getragen oder bezuschusst worden sind, es sei denn, eine vorzeitige Leistung ist aus gesundheitlichen Gründen dringend erforderlich (Abs. 3 Satz 4).
Die Beklagte hat die Gewährung einer weiteren stationären Rehabilitationsmaßnahme für den Kläger und seine Tochter Jannine im Sommer 1999 abgelehnt, weil keine medizinische Notwendigkeit hierfür bestehe. Der Senat stimmt dem zu. Die Entscheidung der Beklagten ist rechtmäßig. auf Grund der vorliegenden medizinischen Unterlagen hat der Senat die Überzeugung gewonnen, dass im Sommer 1999 für den Kläger und die Tochter Jannine keine medizinische Notwendigkeit zur Durchführung einer stationären Rehabilitationsmaßnahme bestand.
So hat insbesondere Dr. C. in seiner Bescheinigung vom 19. Januar 1999 in Bezug auf den Kläger dargetan, dass dieser durch die schwere Erkrankung seiner Tochter Sara psychisch schwer belastet sei. Der Kuraufenthalt der gesamten Familie im Juni/Juli 1998 habe für ihn eine echte Erholung dargestellt und zu einer Stabilisierung seiner physischen und psychischen Verfassung geführt. Es sei aus diesem Grunde erforderlich, diese Kur nochmals im gesamten Familienverband durchzuführen. Eine isolierte Behandlung von Mutter und Kindern würde zu einer Entfremdung bzw. familiären Konflikten (Ausgrenzung von wichtigen Bezugspersonen für die erkrankte Tochter) führen. Ergänzend hat Dr. C. in einem weiteren Attest vom 4. Mai 1999 ausgeführt, dass bei dem Kläger diverse psychosomatische Leiden bestünden, zum Beispiel Magen-Darm-Störungen, Wirbelsäulenbeschwerden und Schlafstörungen. In Bezug auf die Tochter Jannine hat der Kinderarzt und Diplompsychologe Dr. D. in seinem Attest vom 18. Januar 1999 erläutert, dass diese durch die Erkrankung der Schwester extrem belastet sei. Sie befinde sich bereits in einer intensiven spieltherapeutischen Betreuung. Eine alleinige Kurmaßnahme für die Mutter und die beiden Geschwister sei abzulehnen, weil dadurch die angespannte Situation weiter gefördert werde und die Problematik der Sonderstellung von Sara und die familiäre Trennung aktualisiert würden. Durch eine erneute gemeinsame Kur werde der Familie eine weit gehende Wiederherstellung der Normalität im Familiengefüge ermöglicht. Der Senat hält es für überzeugend, wenn Dr. E. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung in Niedersachsen (MDKN) in ihrer Stellungnahme vom 20. Mai 1999 ausführt, dass hieraus keine eigenen medizinischen Indikationen für eine Wiederholungskur ersichtlich werden, sondern lediglich soziale Bedürfnisse. Sicherlich ist die Stärkung der Familienbindung gerade in Fällen der vorliegenden Art, in denen ein Familienmitglied schwer erkrankt ist, eine wichtige Aufgabe. Sie obliegt jedoch nicht der gesetzlichen Krankenversicherung.
Die mangelnde medizinische Notwendigkeit einer stationären Rehabilitation im Sommer 1999 für den Kläger und die Tochter Jannine wird durch den Kurentlassungsbericht der Syltklinik vom 12. April 2001 bestätigt. Aus diesem Bericht ergibt sich, dass beim Kläger keine spezifischen Kurmaßnahmen durchgeführt worden sind. Wesentliche medizinische Probleme sind bei ihm während der gesamten Zeit nicht aufgetreten. Der Kläger hat sich - so der Entlassungsbericht - sehr wohl gefühlt und subjektiv wie objektiv von der Entlastungssituation profitiert. In Bezug auf die Tochter Jannine heißt es im Entlassungsbericht vom 12. April 2001 ebenfalls, dass wesentliche medizinische Probleme nicht aufgetreten sind und sie sich sehr gut in die Gruppe der Gleichaltrigen integriert hat. So hat sie mit großem Spaß am therapeutischen Reiten teilgenommen. Auch das autogene Training hat ihr gut gefallen. Sie hat - so der Bericht - von den Freiräumen und Grenzen profitiert, ohne dass dies durch die herausragende Position der erkrankten Sara überlagert worden ist.
Da sich somit auch aus dem Entlassungsbericht vom 12. April 2001 keine Anhaltspunkte für eine medizinische Notwendigkeit einer stationären Rehabilitationsmaßnahme für den Kläger und seine Tochter Jannine im Sommer 1999 entnehmen lassen, sind die Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 und 2 SGB V nicht gegeben. Ein Kostenerstattungsanspruch gemäß § 13 Abs. 3 SGB V besteht nicht.
Das Urteil des SG ist daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Es hat keine Veranlassung bestanden, die Revision zuzulassen.