Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 20.02.2003, Az.: L 6 U 26/02

Anspruch auf Korrektur bestandskräftiger Bescheide und auf die Zahlung von Verletztenrente; Unabhängige Prüfung der Rechtmäßigkeit der Zahlung von Verletztendauerrente und dem entziehenden Bescheid auf Gewährung vorläufiger Rente; Anspruch auf Verletztenrente wegen Hirnleistungsminderung ; Angststörungen durch berufsbedingte Verletzungen

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
20.02.2003
Aktenzeichen
L 6 U 26/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 21101
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0220.L6U26.02.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hildesheim - 04.12.2001 - AZ: S 11 U 45/00

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Der Anspruch eines Versicherten auf Zahlung von Verletztendauerrente ist unabhängig von einem die Zahlung vorläufiger Verletztenrente entziehenden Bescheid zu prüfen. Denn der einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung § 48 SGB X aufhebende Bescheid hat selbst keine Dauerwirkung.

  2. 2.

    Angststörungen sind nach gesicherten epidemiologischen Erkenntnissen in der gesamten Bevölkerung verbreitet ihr Auftreten stellt keinesfalls eine spezifische Komplikation eines schweren Schädelhirntraumas dar, denn diese Störung tritt bei Hirntraumatikern keinesfalls häufiger auf als bei Hirngesunden.

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 4. Dezember 2001 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Korrektur bestandskräftiger Bescheide der Beklagten und die Zahlung von Verletztenrente.

2

Der 1958 geborene Kläger nahm nach Absolvierung des Wehrdienstes zunächst das Studium der Rechtswissenschaften auf. Nach 3 Semestern wechselte er zum Studium der Betriebswirtschaftslehre. Während der Semesterferien im Sommer 1981 arbeitete er als Verkaufsfahrer einer Getränkegroßhandlung und Mineralwasserfabrik. Am 5. August 1981 kam der Kläger mit dem LKW aus unbekannten Gründen von der Fahrbahn ab und prallte gegen einen Straßenbaum. Auf Grund der Folgen des dabei erlittenen gedeckten Schädelhirntraumas (SHT) mit substanzieller Hirnschädigung bewilligte ihm die Beklagte vorläufige Verletztenrente ab 19. Oktober 1981 in Höhe von zunächst 20 vom Hundert (vH) der Vollrente. Grundlage des Bescheides vom 16. August 1982 war das neurologische Gutachten des Dr. C. vom 7. Juli 1982, der "trotz des unauffälligen testpsychologischen Ergebnisses" (vgl. das Zusatzgutachten der Diplompsychologin D. vom 22. Juni 1982) eine rentenberechtigende Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) voraussichtlich bis zum Ende des zweiten Jahres nach dem Unfall wegen "schlechteren Abschneidens im Studium" annahm. Des Weiteren wies Dr. E. darauf hin, dass auf Grund des günstigen Verlaufs mit einer weiteren Besserung zu rechnen sei. Im Widerspruchsverfahren erhöhte die Beklagte auf Vorschlag ihres beratenden Arztes (vgl. die gutachtliche Stellungnahme des Dr. F. vom 24. September 1982) die vorläufige Verletztenrente entsprechend den Ausführungen des Dr. C. bis zum 31. März 1982 auf 50 v.H. (Bescheid vom 20. Oktober 1982). Im Übrigen wurde der Widerspruch zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 26. November 1982). Die Zahlung von Verletztenrente auf Dauer lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 6. Juni 1983 ab und entzog die vorläufige Rente mit Ablauf des Monats Juli 1983, nachdem Frau Dr. G. im neurologischen Gutachten vom 10. Mai 1983 nur noch leichte Leistungsminderungen beschrieben und "sich entwickelnde posttraumatische Spätkomplikationen" nicht zu erkennen vermocht hatte. Die vor dem Sozialgericht (SG) Hildesheim erhobene Klage nahm der Kläger zurück, nachdem auch der vom SG ernannte Sachverständige zu dem Ergebnis gelangt war, dass die Erwerbsfähigkeit des Klägers infolge des Arbeitsunfalls vom 5. August 1981 auf Dauer nicht in rentenberechtigendem Grad, um mindestens 20 v.H. gemindert sei (nervenärztliches Gutachten des Prof. Dr. H. vom 30. Juli 1983).

3

Im Februar 1999 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass sich sein Gesundheitszustand verschlechtert habe. Die Beklagte veranlasste daraufhin das nervenärztliche Gutachten des Dr. I. mit dem psychologischen Gutachten der Frau Dr. J., die bei der Beklagten im Juni 1999 eingingen. Aus diesen Gutachten ergibt sich, dass der Kläger das Studium der Betriebswirtschaftslehre vor der Diplomprüfung aus Angst vor den Prüfungen abbrach und anschließend von 1986 bis 1989 eine Ausbildung zum Bankkaufmann absolvierte. Danach studierte er wieder. Die Diplomprüfung bestand er jedoch nicht. In den Jahren 1986 bis 1991 erschien der Kläger bei Dr. I. "gelegentlich zur ambulanten nervenärztlichen Untersuchung". Wegen eines Psychotherapieantrages stellte er sich am 24. September 1998 wieder vor. Gegenstand dieser Untersuchung waren Nervosität, Vergesslichkeit, Prüfungsängste. In den Jahren 1986 bis 1988 und von 1990 bis 1996 war der Kläger wiederholt bei Frau Dr. J. in psychotherapeutischer Behandlung. Dres. J. und I. bescheinigten dem Kläger "eine gute intellektuelle Leistungsfähigkeit, die letztlich einen reibungslosen Ausbildungsablauf erwarten ließe". Nach dem Arbeitsunfall sei es jedoch zu einer chronifizierten Störung der Persönlichkeitsmerkmale gekommen. Insbesondere bestünden eine "Angstneurose, speziell Prüfungsängste". Da ein anlagebedingtes Leiden nicht festzustellen sei, müsse der Unfall als wesentliche Ursache angesehen werden. Demgegenüber wies der die Beklagte beratende Facharzt für Nervenheilkunde Dr. Dr. K. in der Stellungnahme vom 7. Juli 1999 darauf hin, dass nach gesicherten epidemiologischen Erkenntnissen Angststörungen in der Bevölkerung verbreitet seien. Das Auftreten einer Angststörung könne "keinesfalls als Komplikation eines schweren Schädelhirntraumas" aufgefasst werden. Denn diese Störung trete bei Hirntraumatikern "keinesfalls häufiger" auf als bei hirngesunden Personen. Zeitnah zu dem Unfallgeschehen in den Jahren 1983 und 1984 seien die psychopathologischen Verhältnisse unauffällig gewesen und es seien danach 15 Jahre vergangen, bevor anderweitige Informationen aktenkundig geworden seien. Auch diese lange Latenz spreche gegen den Zusammenhang zwischen Hirntrauma und psychischer Störung. Daraufhin lehnte die Beklagte die Zahlung von Verletztenrente ab (Bescheid vom 16. Dezember 1999) und wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 2000).

4

Auf die am 27. März 2000 vor dem SG Hildesheim erhobene Klage ist das nervenärztliche Gutachten des Dr. L. vom 22. Februar 2001 eingeholt worden. Der Sachverständige hat ein organisches Psychosyndrom nach SHT diagnostiziert: Seit dem Arbeitsunfall gebe der Kläger konstant schnelle Erschöpfbarkeit, Konzentrationsstörungen, Störungen des Leistungsvermögens, Existenzängste und ein geringes Selbstgefühl an. Dabei handele es sich weitgehend um subjektive Empfindungen, die sich im Rahmen einer klinischen Begutachtung der Objektivierung entzögen. Gleichwohl zählten sie zum Symptomkatalog des organischen Psychosyndroms nach SHT. Die dadurch bedingte MdE schätzte der Sachverständige auf 25 vH: Darüber, dass es sich im vorliegenden Fall um eine leichte und nicht um eine mittelgradige oder schwere Beeinträchtigung handele, bestehe kein Dissens. Die Erfahrungswerte bei nach Schädelhirnverletzungen verbliebenen leichten Störungen gingen von einem Bereich zwischen 10 und 40 v.H. aus. Der Sachverständige empfahl die "Einstufung einer MdE von 25 % als Unfallfolge auf der Basis des derzeitigen medizinischen Erkenntnisstandes als angemessen". Die Beklagte hat dagegen die beratungsärztliche Stellungnahme des Dr. Dr. K. vom 16. März 2001 vorgelegt. Das SG hat sich der Schätzung der MdE durch Frau Dr. G. und Prof. Dr. H. sowie den Ausführungen des Dr. Dr. K. angeschlossen und die Klage durch Urteil vom 4. Dezember 2001 abgewiesen.

5

Gegen das am 21. Dezember 2001 zur Post gegebene Urteil hat der Kläger am 23. Januar 2002 Berufung eingelegt, mit der er an seiner Auffassung unter Hinweis auf die Ausführungen der Dres. L., I. und J. festhält, dass seine Erwerbsfähigkeit infolge des Arbeitsunfalls vom 5. August 1981 erheblich beeinträchtigt sei. Der Kläger beantragt sinngemäß,

  1. 1.

    das Urteil des SG Hildesheim vom 4. Dezember 2001 und den Bescheid der Beklagten vom 16. Dezember 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 2000 aufzuheben, die Bescheide der Beklagten vom 16. August 1982 und 20. Oktober 1982 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. November 1982 zu ändern und den Bescheid vom 6. Juni 1983 aufzuheben,

  2. 2.

    die Beklagte zu verurteilen, ihm vom 1. April 1982 bis 31. Juli 1983 Verletztenrente in Höhe von mindestens 30 und ab 1. August 1983 Verletztenrente in Höhe von mindestens 25 v.H. der Vollrente zu zahlen.

6

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Hildesheim vom 4. Dezember 2001 zurückzuweisen.

7

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

8

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.

9

Dem Senat haben neben den Prozessakten die Unfallakten der Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand der Beratung gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

10

Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das SG hat die zulässige Klage zu Recht abgewiesen. Die Entscheidungen der Beklagten sind rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung von Verletzten(dauer)rente. Denn seine Erwerbsfähigkeit ist infolge des Arbeitsunfalls, den er am 5. August 1981 erlitt, über den 31. Juli 1983 hinaus nicht in rentenberechtigendem Grade, d.h. um mindestens 20 v.H. gemindert (§ 581 Abs. 1 Ziff. 2 der auf den vorliegenden Sachverhalt noch anzuwendenden - vgl. Artikel 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz, § 212 Sozialgesetzbuch - SGB - VII - Reichsversicherungsordnung - RVO). Der Anspruch auf Zahlung höherer vorläufiger Verletztenrente (§ 1585 RVO) scheitert schon daran, dass die Rentenbescheide vom 16. August und 20. Oktober 1982 für die Beteiligten bindend geworden sind (§ 77 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Selbst wenn die Rente zu niedrig festgesetzt worden wäre, hätte der Kläger keinen Anspruch auf Nachzahlung. Denn § 44 Abs. 4 SGB X bestimmt, dass bei einem Verwaltungsakt, der mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen wird, Leistungen nur bis zu einem Zeitraum von 4 Jahren vor der Antragstellung (hier frühestens im Februar 1999) zu erbringen sind. Im Übrigen ergibt sich aus keinem medizinischen Befund und aus keinem Gutachten ein Grad der MdE um 30 v.H. und eine Erhöhung der vorläufigen Verletztenrente entsprechend den Ausführungen des Prof. Dr. H. um 5 auf 25 v.H. ist aus den vom SG bereits genannten Gründen (S. 6 des angefochtenen Urteils) nicht möglich.

11

Der Anspruch des Klägers auf Zahlung von Verletzten(dauer)rente ist unabhängig von dem die Zahlung vorläufiger Verletztenrente entziehenden Bescheid vom 6. Juni 1983 zu prüfen. Denn der einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung (§ 48 SGB X) aufhebende Bescheid hat selbst keine Dauerwirkung (BSG SozR 1300 § 45 Nr. 5 S. 8). Das Begehren des Klägers ist somit (direkt) nach § 581 Abs. 1 Ziff. 2 RVO zu prüfen, ohne dass es auf die Frage einer wesentlichen Verschlimmerung von Unfallfolgen ankommt.

12

Ausweislich der vorliegenden Gutachten hat das SHT nicht zu einer bleibenden wesentlichen Hirnleistungsminderung geführt, die eine rentenberechtigende MdE um 20 v.H. begründet. Dres. J. und I. haben dem Kläger "im intellektuellen Bereich gute Fähigkeiten" bescheinigt. Diese Beurteilung stimmt mit den Ergebnissen der anlässlich der Erstattung des nervenärztlichen Gutachtens vom 22. Februar 2001 (S. 23 ff.) durchgeführten testpsychologischen Untersuchung überein. Zu einer rentenberechtigenden MdE gelangen der Sachverständige Dr. L. sowie Dres. J. und I. dadurch, dass sie die beim Kläger diagnostizierte Wesensstörung, insbesondere die Angststörung, speziell Prüfungsängste und ihre Folgen berücksichtigen, die die Leistungsfähigkeit blockiere. Diese kann jedoch nicht mit der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung (UV) erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf das bei dem Arbeitsunfall am 5. August 1981 erlittene SHT zurückgeführt werden. Denn es fehlt ein erforderlicher Anknüpfungsbefund.

13

Diese Wertung stützt der erkennende Senat auf die von der Beklagten im Verwaltungsverfahren eingeholte Stellungnahme des Dr. Dr. K. vom 7. Juli 1999, die - als Urkundenbeweis (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 415 ff Zivilprozessordnung) - zu würdigen (§ 128 SGG) ist (BSG SozR Nr. 66 zu § 128 SGG). Dr. Dr. K. hat darauf aufmerksam gemacht, dass Angststörungen nach "gesicherten epidemiologischen Erkenntnissen" in der Bevölkerung verbreitet sind und dass ihr Auftreten "keinesfalls" eine "spezifische Komplikation eines schweren Schädelhirntraumas" darstellt. Denn diese Störung tritt "bei Hirntraumatikern keinesfalls häufiger auf als bei Hirngesunden". Anknüpfungsbefunde, die hier für einen wahrscheinlichen wesentlichen Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall sprechen, sind nicht vorhanden. Vielmehr spricht der in den Unfallakten gut dokumentierte Beschwerdeverlauf gegen eine wahrscheinliche Verursachung:

14

Ausweislich der Mitteilung der den Kläger therapierenden Frau Dr. J. im psychologischen Gutachten vom 5. Mai 1999 bildete sich die Angststörung in den Jahren 1986 ff. im Rahmen von Prüfungen und einer Ausbildung heraus. Ein Anknüpfungsbefund zum erlittenen SHT wäre gegeben, wenn der Kläger die Ängste auf Grund einer durch das SHT verursachten wesentlichen Leistungsminderung entwickelt hätte. Insbesondere die in den Jahren 1981 und 1983 durchgeführten computertomographischen Untersuchungen, die bei Hirnsubstanzschädigungen ein sicheres Nachweisinstrument sind (nervenärztliches Gutachten des Dr. L., S. 19), belegen jedoch einen guten Heilungsverlauf (neuroradiologischer Befundbericht des Dr. C. vom 23. Dezember 1981, neurologisches Gutachten des Dr. C. vom 7. Juli 1982). Im vor dem SG erstatteten neuroradiologischen Zusatzgutachten des Prof. Dr. M. vom 1. August 1983 werden Hinweise auf umschriebene Substanzdefekte als Kontusionsfolgen nicht mehr beschrieben. Verletzungsfolgen waren im Computertomogramm nicht mehr nachweisbar. Dr. I. hat deshalb im nervenärztlichen Gutachten (S. 13) konsequent zusammengefasst, dass die bei dem SHT aufgetretenen Hirnkontusionen und Hirnblutung "später wieder vollständig ausheilten" (vgl. auch das nervenärztliche Gutachten des Prof. Dr. H., S. 10: "keine bleibend fassbare Hirnsubstanzschädigung"). Damit stimmt überein, dass sich nach dem Unfall auch die klinischen Befunde besserten (s. im Einzelnen die Befundberichte des Arztes für Psychiatrie und Neurologie Dr. N. vom 3. November 1982, 18. März und 23. September 1983). Im Befundbericht vom 4. April 1984 hielt Dr. N. fest, dass der Kläger "im längeren Gespräch belastbar, frisch, unbekümmert" wirkte und "die ganze fast hypochondrische Ängstlichkeit vergangener Untersuchungen verschwunden" war. Der Kläger gab an, dass es ihm "recht gut gehe" und er "keinerlei Beschwerden" mehr habe. Allein "auf Grund der Schwere des Unfalles und dem doch erheblich protrahierten Verlauf" empfahl Dr. N. die Anerkennung eines "minimalen Restschadens". Die Darlegung des Dr. O. im ärztlichen Attest vom 21. März 2000, dass der Kläger in den Jahren zwischen 1982 und 1984 nicht auf seine Beschwerden hingewiesen habe, liege an einer "Verdrängung" bzw. an einem "nicht Wahrhabenwollen", überzeugt nicht. Denn die Angaben des Klägers stimmten - wie ausgeführt - sowohl mit dem apparativen wie mit dem klinischen Befund überein. Bereits im psychologischen Zusatzgutachten vom 22. Juni 1982 hielt Frau D. fest, dass bei dem Kläger "keine herausragenden Leistungsdefizite vorliegen". Dieses entspricht dem von Frau Dr. G. im neurologischen Gutachten vom 10. Mai 1983 (S. 8) mitgeteilten Befund, der auch psychisch unauffällig war.

15

Ein wahrscheinlicher Zusammenhang kann - entgegen den Ausführungen des Sachverständigen Dr. L. - nicht allein mit dem Hinweis auf medizinische Fachliteratur begründet werden, in der die Störungen, die der Sachverständige beim Kläger festgestellt hat, "zum Symptomkatalog des organischen Psychosyndroms nach SHT" zählen. Abgesehen davon, dass - wie ausgeführt - vielmehr eine Auseinandersetzung mit dem Erkrankungsverlauf des Klägers erforderlich ist, die Dr. L. nicht geführt hat, hat Dr. Dr. K. darauf hingewiesen, dass das Auftreten einer Angststörung "keinesfalls als spezifische Komplikation eines SHT" zu sehen, sondern unabhängig von Hirntraumatisierungen in der Bevölkerung verbreitet ist. Insgesamt ist das nervenärztliche Gutachten des Sachverständigen Dr. L. unschlüssig: Denn entgegen seiner Wertung ist der Gesundheitszustand des Klägers - wie ausgeführt - in den Jahren nach dem Unfall nicht unverändert gewesen und hat sich seit dem Jahr 1986 erheblich verschlechtert. Die den Kläger behandelnden Dres. J. und I. haben darauf hingewiesen, dass sich seitdem eine Persönlichkeitsstörung herausgebildet hat, die sich sowohl auf "Ängste vor Prüfungen" als auch auf "soziale Kontaktschwierigkeiten" bezieht und die sich "trotz langjähriger Therapie eher verstärkten als verbesserten" (S. 3 des psychologischen Gutachtens vom 5. Mai 1999, vgl. auch S. 14 ff. des nervenärztlichen Gutachtens des Dr. I.) und die nach Einschätzung des Dr. L. zu einem weit gehenden Rückzug ins Privatleben geführt haben (S. 37 des Gutachtens). Des Weiteren ist nicht plausibel, dass diese Störung nach der Wertung des Sachverständigen Dr. L. lediglich eine MdE um 25 v.H. bedingen soll. Denn sie stellt doch eine erhebliche Störung mit sozialen Anpassungsstörungen dar, die mit einer MdE von mindestens 50 v.H. bewertet wird (Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche UV, Kommentar, Anhang 12, MdE-Erfahrungswerte, J 003 2.3, "Psychische Folgen"). Wenn der Sachverständige gleichwohl nur eine MdE um 25 v.H. für angemessen hält, kommt darin eine Unsicherheit in der Beurteilung zum Ausdruck. Im Ergebnis räumt er damit ein, dass das bei dem Arbeitsunfall erlittene SHT wahrscheinlich für die Persönlichkeitsstörung des Klägers nicht wesentlich (mit)ursächlich ist.

16

Die Vermutung der den Kläger betreuenden Psychotherapeutin Dr. J. über einen Zusammenhang (S. 3 des Gutachtens vom 5. Mai 1999) genügt den Beweisanforderungen in der gesetzlichen UV nicht. Denn der Zusammenhang muss wahrscheinlich sein. Auch die Argumentation des Dr. I. zu dem Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall ist nicht überzeugend. Abgesehen davon, dass im Recht der gesetzlichen UV grundsätzlich nicht entscheidend ist, ob eine unfallunabhängige Verursachung nachgewiesen werden kann, sondern es erforderlich ist, den wahrscheinlichen Zusammenhang einer Gesundheitsstörung mit einem Versicherungsfall zu belegen, liegt der von Dr. I. seiner Wertung zu Grunde gelegte zeitliche Zusammenhang der Entwicklung der Störung mit dem Arbeitsunfall (S. 13 ff. des nervenärztlichen Gutachtens) - wie ausgeführt - gerade nicht vor. Schließlich führt der Hinweis der Berufung im Schriftsatz vom 9. Januar 2003 auf den Arztbrief des Dr. N. vom 11. Dezember 1981 nicht weiter. Denn entscheidend ist der danach - insbesondere durch diesen Arzt - dokumentierte günstige Heilungsverlauf. Deshalb auch drängten sich die von der Berufung unter Hinweis auf Ausführungen des Prof. Dr. H. genannten weiteren Untersuchungen nicht auf. Denn schon die im April 1982 durch die Diplompsychologin D. vorgenommene Untersuchung zeigte keine wesentlichen Leistungsdefizite mehr und Dr. N. teilte der Beklagten im Befundbericht vom 4. April 1982 einen in jeder Hinsicht wiederhergestellten Gesundheitszustand des Klägers mit. Die von Prof. Dr. H. im nervenärztlichen Gutachten vom 30. Juli 1983 erwähnte "Möglichkeit von Spätkomplikationen" in Form einer "posttraumatischen Epilepsie" war rein hypothetisch, da "zuverlässige Hinweise für solche Komplikationen" zu keinem Zeitpunkt bestanden und sich erkennbar auch nicht ergeben haben. So rechnete auch Prof. Dr. H. in seinem Gutachten (S. 13) nicht mit einem "erheblichen Dauerschaden".

17

Aus diesen Gründen muss die Berufung zurückgewiesen werden.

18

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

19

Ein gesetzlicher Grund zur Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegt nicht vor.