Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 04.02.2003, Az.: L 5 V 34/00
Höhe einer Beschädigtenrente nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG); Beschäftigung als Berufssoldat (Flugzeuginstandsetzungsmeister) bei der Bundeswehr; Anerkennung einer "Hochton-Innenohrschwerhörigkeit beiderseits"; Verschlechterung des Hörleidens in der Folgezeit; Voraussetzungen einer wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen; Nachweis einer wehrdienstbedingten Verschlimmerung; Anwendbarkeit der Berufskrankheiten-Verordung (BKV) im Soldatenversorgungsrecht
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 04.02.2003
- Aktenzeichen
- L 5 V 34/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 10083
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0204.L5V34.00.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Oldenburg - AZ: S 16 V 189/97
Rechtsgrundlagen
- § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X
- § 85 Abs. 1 SVG
- § 30 Abs. 1 BVG
- § 31 BVG
Redaktioneller Leitsatz
Der versorgungsrechtlich geschützte Bereich nach dem SVG bei unfallunabhängigen Krankheiten wird nach dem Vorbild des Berufskrankheitenrechts bestimmt. Daher sind die Grundsätze heranzuziehen, die bei der Entschädigung von Berufskrankheiten in der gesetzlichen Unfallversicherung angewandt werden.
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Wege eines Neufeststellungsverfahrens über die Frage, ob dem Kläger wegen eines Hörleidens Beschädigtenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 60 v.H. nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) seit April 1996 zu zahlen ist.
Der im Jahre 1935 geborene Kläger war von 1956 bis Ende September 1988 Berufssoldat bei der Bundeswehr. Während dieser Zeit arbeitete er überwiegend als Flugzeuginstandsetzungsmeister. Hierbei war er einer erheblichen, potenziell gehörschädigenden Lärmexposition ausgesetzt. Das Versorgungsamt (VA) erkannte mit Bescheid vom 9. Juni 1993 eine "Hochton-Innenohrschwerhörigkeit beiderseits" als Folge einer Wehrdienstbeschädigung an. Eine rentenberechtigende MdE iHv mindestens 25 v.H. wurde nicht festgestellt. Nachdem sich der Hörschaden verschlechtert hatte, stellte der Kläger im April 1996 einen Verschlimmerungsantrag. Dieser wurde mit Bescheid des VA Oldenburg vom 28. Oktober 1996 auf Grund des ohrenfachärztlichen Gutachtens des Dr. I. vom 26. August 1996 abgelehnt. Der Gutachter führte die massive Hörverschlechterung auf eine degenerative Innenohrerkrankung zurück. Einen wehrdienstbezogenen Zusammenhang schloss er auch deshalb aus, weil die durch die Tonaudiogramme aus den Jahren 1993 und 1995 (Dres. J.) und aus dem Jahre 1996 belegte Hörverschlechterung erst weit nach Aufgabe der potenziell hörschädigenden Tätigkeit aufgetreten sei. Der hiergegen gerichtete Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14. Mai 1997). Der Beklagte verwies auf die versorgungs-ärztliche Stellungnahme der Dr. K. vom 9. April 1997, wonach die Auswertung der vorgenannten Tonaudiogramme eine wehrdienstbedingte Verschlechterung des Hörleidens nicht wahrscheinlich mache.
Der Kläger hat am 27. Mai 1997 bei dem Sozialgericht (SG) Oldenburg Klage erhoben. Das Hörleiden sei Folge der jahrelangen erheblichen berufsbedingten Lärmexposition. Eine wesentliche Zunahme der Hörbeschwerden sei bereits Mitte 1990 eingetreten. Dies habe der HNO-Facharzt Dr. L. im Mai 1991 diagnostiziert. Das SG hat u.a. den Befundbericht des HNO-Arztes Dr. L. vom 16. März 1998 und das ohrenfachärztliche Gutachten des Dr. M. vom 27. März 1999 eingeholt. Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG Oldenburg die Klage mit Gerichtsbescheid vom 13. Juni 2000 abgewiesen. Im Ergebnis hat es sich den Gutachtern und der versorgungsärztlichen Stellungnahme der Dr. K. angeschlossen. Es fehle an einem wahrscheinlichen Kausalzusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit und der Verschlechterung des Hörleidens. Es entspreche gefestigter medizinischer Lehrmeinung, dass eine Lärmschwerhörigkeit nach Aufgabe der Lärm-exposition nicht fortschreiten könne. Spätestens seit 1991 zeigten die Tonaudiogramme eine deutliche Hörverschlechterung, die ein typisches Krankheitsbild im Sinne einer Lärmschwerhörigkeit nicht mehr auswiesen. Vielmehr sei eine ausgeprägte anlagebedingte Ohrerkrankung (Otosklerose) die wahrscheinliche Ursache der gravierenden Hörverschlechterung.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger am 24. Juli 2000 Berufung eingelegt. Er bestreitet, dass die Tonaudiogramme einen für eine Lärmschwerhörigkeit untypischen Verlauf auswiesen. Im Übrigen sei die medizinische Lehrmeinung überholt, wonach eine Lärmschwerhörigkeit nach dem Ende der Lärmexposition nicht mehr fortschreite. Neuere Forschungsergebnisse des Prof. Dr. N. könnten belegen, dass eine Lärmschwerhörigkeit nach Aufgabe der Lärmexposition nicht immer zum Stillstand komme. Dies sei bei der hier vorliegenden langjährigen erheblichen Lärmexposition auch wahrscheinlich.
Der Kläger beantragt,
- 1.
den Gerichtsbescheid vom 13. Juni 2000 und den Bescheid vom 28. Oktober 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 1997 aufzuheben,
- 2.
den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger ab April 1996 eine Beschädigtenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in Höhe von 60 v.H. zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die Entscheidung des SG Oldenburg für zutreffend und beruft sich auf die Stellungnahme der Dr. K. vom 21. Februar 2001.
Die Beigeladene schließt sich den Ausführungen des Beklagten an und beantragt ebenfalls,
die Berufung zurückzuweisen.
Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die beigezogenen Akten des Beklagten (Az.:179240 und 07-0976-0) und auf die Gerichtsakte beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung ist nicht begründet.
Eine wehrdienstbedingte Verschlimmerung der mit Bescheid des VA Oldenburg vom 23. Juni 1993 als Wehrdienstbeschädigung anerkannten "Hochton-Innenohrschwerhörigkeit beiderseits" lässt sich nicht feststellen, sodass dem Kläger auch weiterhin eine Beschädigtenrente nicht zusteht. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 28. Oktober 1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 1997 ist rechtmäßig. Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 13. Juni 2000 zu Recht abgewiesen.
Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (§ 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - SGB X - in Verbindung mit § 85 Abs. 1 SVG und §§ 30 Abs. 1 und 31 BVG). Eine relevante Änderung, die im Vergleich zum Bescheid des VA Oldenburg vom 23. Juni 1993 zu einer rentenberechtigenden MdE führen könnte, lässt sich hier nicht feststellen. Der Kläger macht eine Verschlimmerung seines Hörleidens infolge von Lärmexpositionen auf Grund der bis 1988 ausgeübten Tätigkeit als Flugzeuginstandsetzungsmeister bei der Bundeswehr geltend. Der versorgungsrechtlich geschützte Bereich nach dem SVG bei unfallunabhängigen Krankheiten wird nach dem Vorbild des Berufskrankheitenrechts bestimmt (vgl. BSG, Beschluss vom 11. Oktober 1994, 9 BV 55/94, HVBG-Info 1995, 970). Daher sind die Grundsätze heranzuziehen, die bei der Entschädigung von Berufskrankheiten in der gesetzlichen Unfallversicherung angewandt werden (vgl. BSGE 73, 190 = SozR 3-3200 § 81 Nr. 9).
Die Bundesregierung ist ermächtigt, durch Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch die versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 9 Abs. 1 Satz 2 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches - SGB VII -). Auf dieser Grundlage ist die Berufskrankheiten-Verordung (BKV) vom 31. Oktober 1997 (BGBl.. I, 2623) ergangen. In der Anlage zur BKV ist unter Ziffer 2301 die "Lärmschwerhörigkeit" als Berufskrankheit geregelt. Die Beurteilung einer beruflichen Lärmschwerhörigkeit, des ursächlichen Zusammenhanges und des Verlustes des Gehörs bestimmen sich nach dem so genannten "Königsteiner Merkblatt", 4. Auflage 1995 (abgedruckt bei Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheitenverordnung (BEKV), Loseblattkommentar, Berlin, Stand August 2002). Hierbei handelt es sich um allgemeine Erfahrungssätze, auf Grund derer die Begutachtung einer berufsbedingten Lärmschwerhörigkeit zu erfolgen hat. Diese Grundsätze entsprechen den derzeitigen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft auf ohrenfachärztlichem Gebiet (vgl. zuletzt BSG, SozR 3-2200 § 581 Nr. 8; LSG Niedersachsen, Urteil vom 30. Oktober 1996, L 6 U 44/96, HVBG-Info 1997, 1396). Aus Gründen der Gleichbehandlung sind sie anzuwenden.
Dr. I. und der gerichtliche Sachverständige Dr. M. haben in ihren ohrenfachärztlichen Gutachten vom 26. August 1996 und vom 27. März 1999 unter Berücksichtigung der diesen Gutachten zu Grunde liegenden Tonaudiogramme und unter Beachtung des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft einen hinreichend wahrscheinlichen Zusammenhang zwischen der Wehrdiensttätigkeit und der Verschlimmerung des Hörleidens zutreffend verneint. Diese Einschätzung entspricht den Vorgaben des Königsteiner Merkblatts. Auch danach ist ein Zusammenhang nicht hinreichend wahrscheinlich. Es fehlt sowohl an einem typischen Erkrankungsbild für eine fortschreitende Lärmschwerhörigkeit als auch an einem typischen zeitlichen Verlauf der Verschlimmerung einer solchen Erkrankung. Nach den anerkannten Erfahrungssätzen spricht für die Annahme einer berufsbedingten Lärmschwerhörigkeit eine reine Innenohrschwerhörigkeit mit Betonung des Hörverlustes in den hohen Frequenzen (vgl. Nr. 4.1. des Königsteiner Merkblattes). Ein solches Bild weist die Erkrankung des Klägers allenfalls zu einem gewissen Anteil bis zum Jahre 1991 auf. Zutreffend hat der Beklagte die "Hochton-Innenohrschwerhörigkeit" deshalb im Bescheid vom 9. Juni 1993 auch mit einer MdE um 10 v.H. bewertet. Die ab 1993 erstellten Audiogramme belegen, dass der Kläger rechtsseitig an einer an Taubheit grenzenden, linksseitig an einer Taubheit entsprechenden Schwerhörigkeit leidet. Sie zeigen eine Schallleitungsschwerhörigkeit, auf Grund derer Schallenergie auf dem Weg vom Trommelfell zum Innenohr verloren geht und eine Schallempfindungsschwerhörigkeit, die hauptsächlich im Innenohr angesiedelt ist. Diese Befunde sind eindeutig von einer Lärmschwerhörigkeit abzugrenzen; sie sind zudem für eine fortschreitende berufsbedingte Lärmschwerhörigkeit untypisch. Dies zeigt sich sowohl an dem Ausmaß der vorliegenden Schwerhörigkeit als auch an den ausgeprägten Hördefiziten im mittleren und tiefen Frequenzbereich. Eine Schallleitungsstörung in den tieferen Frequenzen ist nicht mit einer chronischen Lärmeinwirkung vereinbar (vgl. Mehrtens/Schönberger/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, Berlin 1998, S. 390).
Auch der zeitliche Verlauf der Verschlimmerung des Hörleidens spricht gegen einen wehrdienstbezogenen Zusammenhang. Der gravierende Hörverlust ist 1996 und 1997, also erst ca. 8 Jahre nach Aufgabe der Lärmexposition bei der Bundeswehr eingetreten. Die Verschlimmerung der Schwerhörigkeit nach Beenden einer beruflichen Lärmexposition spricht regelmäßig für eine schicksalsmäßige Erkrankung. Deshalb sind Hörverschlechterungen, die sich zeitlich nach Aufgabe der gehörschädigenden Tätigkeit einstellen, versicherungsrechtlich unbeachtlich und haben keinen Einfluss auf die MdE (vgl. Königsteiner Merkblatt Nr. 4.1 und Nr. 4.3.4; Mehrtens/Schönberger/Valentin, a.a.O., S. 389). Entgegen der Auffassung des Klägers kommt es daher auch nicht darauf an, ob und inwieweit einzelne Gutachter - wie etwa der namentlich benannte Prof. Dr. H. G. O. - hierzu eine andere medizinische Meinung vertreten. Die oben aufgezeigte medizinische Lehrmeinung auf ohrenfachärztlichem Gebiet wird dadurch derzeit nicht in Frage gestellt.
Schließlich ist es entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht zu beanstanden, dass der gerichtliche Sachverständige Dr. M. von einer eindeutigen medizinischen Diagnose der schicksalsmäßigen Ohrenerkrankung - die das Hörleiden des Klägers maßgeblich bestimmt und die nur durch einen Mittelohreingriff aufzuklären ist - abgesehen hat. Für die Beurteilung des wehrdienstbedingten Kausalzusammenhanges kommt es darauf nicht an. Hierfür ist vielmehr maßgeblich, dass nach den dargelegten allgemeinen Erfahrungssätzen und der auf dieser Grundlage erhobenen medizinischen Befunde ein für eine fortschreitende Lärmschwerhörigkeit untypisches Erkrankungsbild und ein untypischer zeitlicher Verlauf bei dem Kläger vorliegen. Deshalb spricht mehr gegen als für einen hinreichend wahrscheinlichen wehrdienstbedingten Zusammenhang.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Ein gesetzlicher Grund, die Revision zuzulassen, besteht nicht, § 160 Abs. 2 SGG.