Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 27.02.2003, Az.: L 10 RI 303/01
Rentenrechtliche Anrechnung von Zeiten, die in der früheren DDR geleistet wurden; Erbringung von Nachweisen über die beitragspflichtigen Entgelte für die Beschäftigungen in der ehemaligen DDR ; Beurteilung der Einschlägigkeit des SGB VI für die Anrechnung von Beitragszeiten; Neubewertung von Beitragszeiten wegen unzureichendem Beitragsnachweis
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 27.02.2003
- Aktenzeichen
- L 10 RI 303/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 25021
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0227.L10RI303.01.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Braunschweig - 30.08.2001 - AZ: S 5 RI 34/00
Rechtsgrundlagen
- Art. 14 Nr. 14 lit. a) RÜG
- § 15 FRG
- § 300 Abs. 1 SGB VI
- § 256c Abs. 3 SGB VI
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Braunschweig vom 30. August 2001 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um den Wert von rentenrechtlichen Zeiten, die der Kläger zwischen dem 1. August 1967 und dem 31. August 1974 in der früheren DDR zurückgelegt hat. Der Kläger begehrt, dass diese weiterhin unter Anwendung der sich aus dem Fremdrentengesetz (FRG) ergebenden Entgelte bewertet werden.
Der 1950 geborene Kläger siedelte, nachdem er in der ehemaligen DDR eine Bäckerlehre absolviert und überwiegend als Bäcker und Konditor sowie zuletzt als Gaststättenleiter einer HO-Einrichtung gearbeitet hatte, am 30. September 1974 in das Bundesgebiet über. Im Ergebnis eines in den Jahren 1979/80 durchgeführten Kontenklärungsverfahrens stellte die Beklagte mit Bescheid vom 2. April 1980 die beim Kläger bis zum 31. Dezember 1978 zu berücksichtigenden renten-rechtlichen Zeiten fest. Für die Zeiten zwischen dem 1. August 1967 und dem 31. August 1974 erfolgte die Feststellung dabei nach dem FRG. Ferner wurden in dem Bescheid die sich aus den Anlagen zum FRG für die maßgeblichen Berufstätigkeiten des Klägers ergebenden tabellarischen Entgeltwerte aufgeführt. Nach den Rechtsänderungen im Zuge der Herstellung der deutschen Einheit überprüfte die Beklagte die im Versicherungskonto enthaltenen Daten. Mit Feststellungsbescheid vom 20. August 1999, geändert mit Bescheid vom 21. September 1999, hob sie sodann den Bescheid vom 2. April 1980 auf und nahm dabei unter anderem nunmehr eine Bewertung des genannten Zeitraums nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) vor. Dabei ordnete sie die vom Kläger im genannten Zeitraum in der ehemaligen DDR ausgeübten Beschäftigungen bestimmten - zwischen den Beteiligten nicht mehr streitigen - Qualifikationsgruppen und Wirtschaftsbereichen nach den Anlagen 13, 14 und 16 zum SGB VI zu und wies die sich daraus ergebenden tabellarischen Durchschnittsverdienste in dem als Anlage 2 zu den Bescheiden beigefügten Versicherungsverlauf aus. Den vom Kläger hiergegen erhobenen Widerspruch, den er insbesondere damit begründete, dass sich die ausgewiesenen Durchschnittsverdienste gegenüber den im Bescheid vom 2. April 1980 aufgeführten Entgelten für ihn nicht nachvollziehbar vermindert hätten, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 7. Dezember 1999 zurück. Zur Begründung führte die Beklagte - soweit im vorliegenden Fall noch von Bedeutung - unter anderem aus, dass die im Feststellungsbescheid vom 2. April 1980 noch nach dem FRG bewerteten Zeiten nunmehr ausschließlich nach dem SGB VI zu bewerten seien. Da der Kläger einen Nachweis der beitragspflichtigen Entgelte für die Beschäftigungen in der ehemaligen DDR nicht erbracht habe, habe die Ermittlung der Beitragsbemessungsgrundlagen nach den einschlägigen Vorschriften des SGB VI erfolgen müssen. Eine Bewertung der Zeiten nach dem FRG komme nur noch für Beitragszeiten bis zum 31. Dezember 1949 in Betracht.
Mit seiner hiergegen bei der Beklagten erhobenen Klage, die diese an das Sozialgericht (SG) Braunschweig weitergeleitet hat, hat der Kläger unter anderem geltend gemacht, dass die in den Feststellungsbescheiden vom 20. August bzw. 21. September 1999 ausgewiesenen Entgelte fehlerhaft seien. Maßgeblich seien vielmehr die in dem Feststellungsbescheid vom 2. April 1980 ausgewiesenen höheren Entgelte. Diese beruhten auf seinem damaligen Sozialversicherungsausweis, der ihm von der Beklagten nicht zurückgesandt worden sei. Die Unmöglichkeit, seine tatsächlichen Entgelte für den streitgegenständlichen Zeitraum beweisen zu können, gehe daher zu Lasten der Beklagten.
Mit Gerichtsbescheid vom 30. August 2001 hat das SG die Klage als unbegründet abgewiesen und zur Begründung auf die Gründe des Widerspruchsbescheides Bezug genommen.
Mit seiner am 9. Oktober 2001 beim Landessozialgericht (LSG) eingegangenen Berufung gegen den ihm am 23. September 2001 zugestellten Gerichtsbescheid verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb die in dem Feststellungsbescheid vom 2. April 1980 ausgewiesenen Entgelte für den streitgegenständlichen Zeitraum bei der Neufeststellung nach dem SGB VI um ca. 30 % gekürzt worden seien.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
- 1.
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Braunschweig vom 30. August 2001 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. August 1999 in der Gestalt des Bescheides vom 21. September 1999 und des Widerspruchsbescheides vom 7. Dezember 1999 abzuändern,
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, in seinem Versicherungsverlauf für den Zeitraum vom 1. August 1967 bis 31. August 1974 die im Bescheid vom 2. April 1980 aufgeführten Entgelte vorzumerken.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Braunschweig vom 30. August 2001 zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung und die mit ihr überprüften Bescheide für zutreffend.
Der Senat hat die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten durch seinen Berichterstatter im Erörterungstermin vom 5. September 2002 erörtert. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozessakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung des Senats waren und der Entscheidungsfindung zu Grunde gelegen haben.
Entscheidungsgründe
Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist auch im Übrigen zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Der Kläger hat auch nach Auffassung des Senats keinen Anspruch auf die (weitere) Vormerkung der im Feststellungsbescheid vom 2. April 1980 aufgeführten Entgelte für den Zeitraum vom 1. August 1967 bis 31. August 1974 in seinem Versicherungskonto. Der Gerichtsbescheid des SG und die angefochtenen Bescheide der Beklagten erweisen sich als rechtmäßig.
Für das Begehren des Klägers mangelt es zunächst nicht an einem Rechtsschutzbedürfnis. Zwar wird über die Anrechung und Bewertung der im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten erst bei der Feststellung einer Leistung entschieden (§ 149 Abs. 5 Satz 3 SGB VI). Allerdings hat der Rentenversicherungsträger darauf hinzuwirken, dass die "für die Durchführung der Versicherung sowie die Feststellung und Erbringung von Leistungen einschließlich der Rentenauskunft" (§ 149 Abs. 1 Satz 2 SGB VI) erforderlichen Daten im Versicherungskonto voll-ständig und geklärt, d.h. inhaltlich zutreffend gespeichert werden (§ 149 Abs. 2 Satz 1 SGB VI). Zu den rentenrechtlich relevanten Daten gehören auch die Höhe des versicherten Entgelts (vgl. LSG Sachsen, Urt. v. 6. März 2001 - L 4 RA 263/99). Dabei macht es keinen Unterschied, ob es sich bei den vorzumerkenden Entgelten um tatsächlich erzielte oder - wie hier, siehe dazu unten - um lediglich fiktive Entgelte nach bestimmten, in den tabellarischen Anlagen zu den einschlägigen Bestimmungen (FRG/SGB VI) pauschal geregelten Sachverhalten handelt. Im letzteren Fall bedeutet die Ausweisung des Entgeltbetrages nichts weiteres als die Darstellung des sich aus der festgestellten Leistungs-/Qualifikationsgruppe und dem einschlägigen Wirtschaftsbereich ergebenden tabellarischen Ergebnisses nach den einschlägigen Bestimmungen. Sie dient - vergleichbar der Ausweisung tatsächlich erzielter Entgelte - auch dem Interesse des Versicherten an einer Überprüfbarkeit des vom Rentenversicherungsträger zu Grunde gelegten Wertes seiner Arbeitsleistung in dem betreffenden Zeitraum. War es mithin der Beklagten nicht verwehrt, die sich nach Maßgabe des jeweils geltenden Rechts ergebenden (fiktiven) Entgeltbeträge in den Feststellungsbescheiden auszuweisen, so kann auch der Kläger die entsprechende Vormerkung bzw. Überprüfung der jeweils anzusetzenden (fiktiven) Entgeltbeträge auf dem Klagewege verfolgen.
Der Kläger kann jedoch nach den durch das Rentenüberleitungsgesetz (RÜG) vom 25. Juli 1991 (BGBl.. I, 1606) erfolgten Rechtsänderungen nicht mit Erfolg geltend machen, dass in seinem Versicherungskonto für den streitgegenständlichen Zeitraum weiterhin die sich nach den Bestimmungen des FRG ergebenden (fiktiven) Entgeltbeträge vorgemerkt werden. Durch Art. 14 Nr. 14 lit. a) RÜG ist die für die bisherige Bewertung der Beitragszeiten des Klägers in der ehemaligen DDR maßgebliche Vorschrift des § 15 FRG insoweit geändert worden, dass Beitragszeiten "bei einem außerhalb des Geltungsbereichs ... (des FRG) befindlichen deutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung" - gemeint waren Beitragszeiten in der ehemaligen DDR - aus der Bewertung nach dem FRG herausgenommen wurden. Diese Änderung ist am 1. Januar 1992 in Kraft getreten (Art. 42 Abs. 1 RÜG). Die Bewertung von Beitragszeiten in der ehemaligen DDR nach dem 8. Mai 1945 richtete sich seither nach §§ 256a, 256b des zeitgleich in Kraft getretenen SGB VI in der Fassung des RÜG (Art. 1 Nrn. 71, 72 RÜG), das seit dem Zeitpunkt seines Inkrafttretens auch auf Sachverhalte Anwendung findet, die bereits vor diesem Zeitpunkt bestanden haben (§ 300 Abs. 1 SGB VI). Für nachgewiesene Beitragszeiten im Beitrittsgebiet zwischen dem 31. Dezember 1949 und dem 31. Dezember 1990, für die jedoch ein Nachweis über die Höhe der versicherten Entgelte und damit eine verlässliche Beitragsbemessungsgrundlage nicht vorliegt, bestimmt seit dem 1. Januar 1996 die durch das SGB VI-Änderungsgesetz vom 15. Dezember 1995 (BGBl.. I, 1824) neu eingefügte Bestimmung des § 256c SGB VI, dass insoweit eine Bewertung nach den Anlagen 13, 14 und 16 zum SGB VI vorzunehmen ist (§ 256c Abs. 3 SGB VI). Ein Bestandsschutz für bereits anerkannte FRG-Sachverhalte ergibt sich gem. § 259a SGB VI nur für Versicherte, die vor dem 1. Januar 1937 geboren wurden. Die Beklagte war auch verpflichtet, diese Rechtsänderungen durch eine Aufhebung des Feststellungsbescheides vom 2. April 1980 und durch eine entsprechende Neufeststellung zu vollziehen (§ 149 Abs. 5 Satz 2 SGB VI).
Der Kläger hat die von ihm zwischen dem 1. August 1967 und dem 31. August 1974 in der ehemaligen DDR tatsächlich erzielten Entgelte nicht nachweisen können. Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger der im Rahmen des Kontenklärungsverfahrens 1979/80 vorgelegte Sozialversicherungsausweis entgegen dem Abschlussvermerk der Beklagten vom 3. April 1980 nicht wieder zurückgesandt wurde, sind ebenso wenig ersichtlich, wie Anhaltspunkte dafür, dass sich daraus für den streitgegenständlichen Zeitraum höhere Entgeltbeträge ergeben hätten, als sie von der Beklagten im Feststellungsbescheid vom 2. April 1980 ausgewiesen wurden. Tatsächlich handelt es sich bei den im Feststellungsbescheid vom 2. April 1980 ausgewiesenen Entgelten auch entgegen dem früheren Vorbringen des Klägers nicht um seine wirklich erzielten Entgelte, sondern um die sich aus den seinerzeit anwendbaren Anlagen 1 bis 16 zum FRG ergebenden fiktiven Entgeltwerte. Da die Beitragsbemessungsgrundlage für die streitgegenständlichen, als Beitragszeiten vom Kläger jedoch nachgewiesenen Zeiträume mithin nicht feststeht, hatte die nach § 149 Abs. 5 Satz 2 SGB VI zwingend vorzunehmende Neubewertung mithin nach § 256c Abs. 3 SGB VI zu erfolgen. Rechtsfehler bei der dabei von der Beklagten vorgenommenen, mit Bescheid vom 21. September 1999 zutreffend korrigierten Einordnung in die Qualifikationsgruppen der Anlage 13 zum SGB VI und die Wirtschaftsbereiche der Anlagen 14 bzw. 16 zum SGB VI vermag der Senat vor dem Hintergrund der vom Kläger ausgeübten Berufstätigkeiten nicht zu erkennen. Die Bestandsschutzregelung des § 259a SGB VI kann der Kläger nicht für sich in Anspruch nehmen.
Der Senat vermag schließlich auch einen Verstoß der genannten Rechtsvorschriften gegen höherrangiges Recht nicht zu erkennen. Selbst wenn der Schutz der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz (GG) für nach dem FRG "erworbene" Rentenberechnungselemente zu unterstellen wäre (vgl. dazu Vorlagebeschluss des 4. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) v. 16. Dezember 1999 - B 4 RA 49/99 R = SozSich 2000, 289, sowie BSGE 85, 161), hätte dies den Gesetzgeber nicht an einer Neubewertung im Zuge der Rechtsänderungen zur Herstellung der deutschen Einheit gehindert. Einen unverhältnismäßigen Eingriff vermag der Senat darin nicht zu erkennen. Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) ergeben sich ebenfalls nicht. Der Kläger wird rechtlich nicht anders behandelt als andere Versicherte in vergleichbarer Situation auch. Eine Verpflichtung des Gesetzgebers, die Bestandsschutzregelung des § 259a SGB VI auch auf den Geburtsjahrgang des Klägers auszudehnen, bestand nicht. Die Bestimmung bewegt sich im Rahmen verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässiger Stichtagsbestimmung durch den Gesetzgeber (vgl. dazu zuletzt u.a. BVerfGE 101, 239 [BVerfG 23.11.1999 - 1 BvF 1/94]; 75, 78).
Die Kostenentscheidung beruht auf der Anwendung der §§ 183, 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 160 Abs. 2 SGG.