Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 20.02.2003, Az.: L 6 U 179/01
Ansprüche auf Verletztenrente und Hinterbliebenenleistungen; Anerkennung einer Berufskrankheit wegen beruflicher Dieselemissionen; Erfordernis gesicherter medizinischer Erkenntnisse
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 20.02.2003
- Aktenzeichen
- L 6 U 179/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 21100
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0220.L6U179.01.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Oldenburg - 04.05.2001 - AZ: S 7 U 309/99
Rechtsgrundlagen
- § 551 Abs. 2 RVO
- § 589 Abs. 2 RVO
- § 212 SGB VII
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Es gibt keine gesicherten medizinischen Erkenntnisse, dass Dieselmotoremissionen beim Menschen Lungenkrebs hervorrufen. Im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung lassen sich daher dahingehende Anspruchsforderungen nicht geltend machen.
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 4. April 2001 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin macht als Rechtsnachfolgerin ihres Ehemannes Ansprüche auf Verletztenrente geltend und begehrt Hinterbliebenenleistungen. Streitig ist, ob die Lungenfibrose ihres im Juni 1942 geborenen und am 2. Oktober 1995 verstorbenen Ehemannes D., dem Versicherten, Folge einer Berufskrankheit (BK) Nr. 4101 (Quarzstaublungenerkrankung (Silikose)) war oder diese wegen einer beruflichen Dieselemission wie eine BK nach § 551 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) zu entschädigen ist.
Der Versicherte war als Arbeiter in einem Mechanikerbetrieb (April 1957 bis April 1960), Bauarbeiter (Mai 1960 bis September 1961) als Soldat auf Zeit (Oktober 1961 bis September 1965 und erneut von Mai 1967 bis Mai 1972), Kraftfahrer in einem Fuhrunternehmen (Oktober 1965 bis April 1967), und danach als Kraftfahrer bei der Firma E., einem Bauunternehmen und von Mai 1976 bis 9. November 1993 bei der Firma F., einem Abbruchunternehmen, tätig. Seit dem 10. November 1993 war er durchgehend arbeitsunfähig.
Wegen zunehmender Belastungsatemnot suchte er 1989 erstmals den Lungenarzt Dr. G. auf. Dieser äußerte den Verdacht auf eine idiopathische, d.h. ohne erkennbare Ursache entstandene Lungenfibrose. Die im September 1989 durchgeführte Bronchoskopie ergab nur sehr spärlich erkennbare Staubablagerungen, deren ätiologische Zuordnung nicht möglich war. Auch eine durchgeführte Differenzialzytologie während eines stationären Heilverfahrens im November/Dezember 1993 in H. sprach für eine idiopathische Lungenfibrose. Den lang-jährigen Nikotinabusus (20 - 30 Zigaretten pro Tag) stellte der Versicherte im Oktober 1993 ein (Berichte des Dr. G. vom 29. September 1989, 5. April 1994, Bericht des Dr. I. vom 11. April 1994; Entlassungsbericht der Klinik H. vom 4. Januar 1994; Bronchoskopiebericht des J. vom 25. September 1989 nebst histo- und cytopathologischer Begutachtung vom 27. September 1989). Im August 1995 wurde der Versicherte ins J. überwiesen, wo er am 2. Oktober 1995 an einer chronischen, abszedierenden Pneumonie und Pleuraerguss links sowie einem Lungenkrebs verstarb (Berichte des J. vom 5. Oktober 1995 nebst histo- und cytopathologischer Begutachtung vom 2. und 4. Oktober 1995). Der immunhistochemische Befund entsprach einem primären Lungenkarzinom (cytopathologische Begutachtung vom 4. Oktober 1995).
Im Februar 1994 hatte der Versicherte die Anerkennung seiner Lungenfibrose als BK beantragt. Er sei während des Be- und Entladens auf der Baustelle bei der Bedienung des LKW den Auspuffgasen des laufenden Motors ausgesetzt gewesen. Im Mai 1994 erstatteten Dr. I. und die Firma F. eine BK-Anzeige. Die Arbeitgeberin gab am 8. Juli 1994 an, der Versicherte sei den Abgasen von Dieselmotoren, aber keinen silikogenen Stäuben ausgesetzt gewesen. Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Tiefbau-BG teilte der Beklagten mit, dass der Versicherte bei der Firma E. vereinzelt Arbeiten ausgeführt habe, die mit dem Verfahren von Bauschutt aus Abbrucharbeiten verbunden gewesen seien. Eine Emission von Quarz- und Asbestfeinstäuben könne mit sehr großer Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Außerdem sei eine außergewöhnlich hohe Belastung durch Dieselemissionen zu verneinen (Stellungnahmen vom 19. Dezember 1995, 28. November 1996, 30. Juni 1997 (Prof. Dr. K.) und 8. Juli 1997). Der TAD der Beklagten ermittelte, dass der Versicherte bei der Firma F. überwiegend Tiefbaustellen mit Material und Maschinen ver- bzw. entsorgt habe und maximal 2 Stunden pro Tag im Freien Dieselemissionen beim Be- und Entladen ausgesetzt gewesen sei (Stellungnahme vom 16. Januar 1997). Die Beklagte zog eine Auskunft der Firma E. vom 22. August 1995, die medizinischen Unterlagen der Dres L. und des J. sowie das Obduktionsprotokoll des Prof. Dr. M. vom 9. Oktober 1995 bei und veranlasste die fachpathologische Begutachtung des Lungengewebes durch Prof. Dr. N., Berufsgenossenschaftliche Krankenanstalten O., vom 12. April 1996. Die Gutachter fanden keine Pleuraplaques, weniger als 10 Asbestkörper pro ccbm Lungengewebe und schlossen deshalb die BKen Nrn. 4103 und 4104 aus. Das Fibrosierungsmuster der Lunge sei nicht asbestassoziiert, sondern entspräche dem Residualzustand einer weit fortgeschrittenen idiopathischen Lungenfibrose. Nachdem die von der staatlichen Gewerbeärztin Dr. P. empfohlenen Ermittlungen zur Asbestbelastung durchgeführt wurden (Stellungnahmen vom 29. Juli 1995 und 25. März 1997), lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 26. September 1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Mai 1998 die Anerkennung einer BK Nr. 4103 und 4104 sowie die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen ab.
Im August 1998 leitete die Beklagte die Ermittlungen wegen der geltend gemachten Belastungen durch Quarzstaub und Diesel ein. Sie zog zunächst die Unterlagen aus dem Verfahren über die asbestbedingten BKen bei. Danach holte sie eine Stellungnahme der staatlichen Gewerbeärztin Dr. P. vom 10. August 1997 ein. Diese verneinte nach Auswertung der medizinischen Unterlagen eine Silikose. Zudem sei durch den TAD keine relevante Quarzstaubbelastung ermittelt worden.
Mit Bescheid vom 17. Juni 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Mai 2000 lehnte die Beklagte ab, die Lungenerkrankung des Versicherten wie eine BK nach § 551 Abs. 2 RVO anzuerkennen und zu entschädigen und der Klägerin Hinterbliebenenleistungen zu gewähren. Der Versicherte sei während seiner beruflichen Tätigkeit als LKW-Fahrer in Abbruchunternehmen keiner erheblichen Emission durch Dieselmotoren ausgesetzt gewesen. Mit Bescheid vom 8. September 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. November 1999 lehnte sie weiterhin die Anerkennung einer BK Nr. 4101 der Anlage zur BKV, die Zahlung von Verletztenrente und Hinterbliebenenleistungen ab.
Gegen beide Widerspruchsbescheide hat die Klägerin Klage erhoben, die vom SG Oldenburg zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden worden sind. Die Klägerin hat vorgetragen, bereits 1989 sei der Verdacht auf eine Silikose bei ihrem Ehemann geäußert worden. Ihr Ehemann habe häufig beim Be- und Entladen des LKW mithelfen müssen, wobei es sich häufig um Abbruch-Baustellen gehandelt habe. Ihr Mann sei ständig dem dabei anfallenden Baustaub und verschiedensten Giftstoffen wie Quarz und Diesel ausgesetzt gewesen. Schutzkleidung habe er nicht getragen. Das Sozialgericht (SG) Oldenburg hat mit Urteil vom 4. April 2001 die Klage abgewiesen. Zweifel an einer beruflichen Verursachung der Lungenerkrankung des Versicherten ergäben sich durch die Diagnose einer idiopathischen Lungenfibrose durch mehrere Ärzte des Versicherten wie auch angesichts seines langjährigen hohen Nikotinkonsums.
Gegen das ihr am 6. April 2001 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 3. Mai 2001 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, der Umfang der Dieselmotoremission könne durch die Vernehmung mehrerer Arbeitskollegen ihres Mannes als Zeugen bestätigt werden.
Die Klägerin beantragt,
- 1.
das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 4. April 2001 und den Bescheid der Beklagten vom 8. September 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. November 1999 sowie außerdem den Bescheid der Beklagten vom 17. Juni 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Mai 2000 aufzuheben,
- 2.
festzustellen, dass die Lungenerkrankung des verstorbenen Ehemannes der Klägerin Folge einer Berufskrankheit Nr. 4101 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung ist oder wie eine Berufskrankheit nach § 551 Abs. 2 RVO anzuerkennen ist,
- 3.
die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes wegen der Berufskrankheit Leistungen zu gewähren,
- 4.
die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Hinterbliebenenleistungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Oldenburg vom 4. April 2001 zurückzuweisen.
Sie weist darauf hin, dass es keine gesicherten medizinischen Erkenntnisse für einen Kausalzusammenhang zwischen Lungenkrebs und Dieselmotorenemissionen gäbe. Zudem habe der Versicherte bereits nicht zu einer Berufsgruppe gehört, die typischerweise durch die Inhalation von Dieselemissionen einem erheblich erhöhten Lungenkrebsrisiko ausgesetzt sei.
Auf Antrag der Klägerin ist das Gutachten des Prof. Dr. Q., Chefarzt des Pathologischen Instituts des Landkreises Hannover am R. vom 29. November 2002 erstattet worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten und die Gerichtsakte dieses sowie des Parallelverfahrens L 6 U 399/99 der Klägerin Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig. Sie ist aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung und Entschädigung einer BK Nr. 4101 bei ihrem Ehemann. Sie hat auch keinen Anspruch darauf, dass die Lungenerkrankung ihres verstorbenen Ehemannes wie eine BK nach § 551 Abs. 2 RVO entschädigt wird. Letztlich hat sie deshalb auch keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente nach den auf diesen Sachverhalt noch anwendbaren §§ 589 Abs. 2, 551 RVO (vgl Art 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz, § 212 SGB VII). Die Lungenerkrankung des verstorbenen Ehemannes der Klägerin ist nicht Folge einer BK Nr. 4101 und auch nicht wie eine BK nach § 551 Abs. 2 RVO zu entschädigen. Der Versicherte ist auch nicht an einer dieser BKen verstorben.
Es lässt sich nicht feststellen, dass der Versicherte an einer BK Nr. 4101 erkrankt und verstorben ist. Diese Berufskrankheit setzt eine Quarzstaublungenerkrankung, d.h. eine Silikose, voraus. Diese Gesundheitsstörung ist bei dem Versicherten weder von den behandelnden Ärzten noch den Gutachtern diagnostiziert worden. Hierauf hatte bereits die staatliche Gewerbeärztin Dr. P. in ihrer Stellungnahme vom 29. Juli 1996 zutreffend hingewiesen. Ihre Einschätzung ist von Prof. Dr. Q., dem Arzt des Vertrauens der Klägerin, bestätigt worden. Dass im S. im September 1989 wegen der klinischen Befunde der Verdacht auf eine Silikose geäußert wurde, ändert nichts an dieser Beurteilung. Hierbei handelt es sich lediglich um eine Vermutung, die sich durch die späteren röntgenologischen Untersuchungen nicht bestätigt hat.
Die fortgeschrittene Lungenfibrose und der Lungenkrebs des Versicherten sind aber auch nicht wie eine BK nach § 551 Abs. 2 RVO zu entschädigen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Versicherte als LKW-Fahrer in einem Abbruchunternehmen überhaupt in erheblichem Maße Dieselemissionen ausgesetzt gewesen ist, woran auf Grund der Ermittlungen des TAD der Tiefbau-BG erhebliche Zweifel bestehen. Eine Vernehmung der von der Klägerin angebotenen Zeugen ist jedoch nicht erforderlich. Denn es gibt keine gesicherten medizinischen Erkenntnisse, dass Dieselmotoremissionen beim Menschen Lungenkrebs hervorrufen. Prof. Dr. Q. hat den Erkenntnisstand ausführlich und in sich widerspruchsfrei dargelegt und darauf hingewiesen, dass die bisherigen epidemiologischen Studien widersprüchliche Ergebnisse erbrachten. Bei diesen Studien sei allein deutlich geworden, dass ein langjähriger Nikotinkonsum das Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken, deutlich erhöhe.
Da bei dem Versicherten keine BK Nr. 4101 festzustellen war und seine Gesund-heitsstörungen auch nicht wie eine BK nach § 551 Abs. 2 RVO zu entschädigen ist, sind der Klägerin auch keine Hinterbliebenenleistungen nach § 589 Abs. 2 RVO zu gewähren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Es liegt kein Grund vor, die Revision zuzulassen ( § 160 Abs. 2 SGG).