Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 26.02.2003, Az.: L 4 KR 185/00

Kostenerstattung für eine provisorische Versorgung mit Zahnersatz sowie Entgiftungsbehandlung bei Palladiumallergie; Sachleistungsprinzip in der gesetzlichen Krankenversicherung; Kostenerstattungsprinzip in der gesetzlichen Krankenversicherung; Vorgriff auf die Entscheidung der Krankenkasse im Kostenerstattungsverfahren

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
26.02.2003
Aktenzeichen
L 4 KR 185/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 20378
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0226.L4KR185.00.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Oldenburg - AZ: S 6 KR 125/99

Redaktioneller Leitsatz

Der Versicherte muss, bevor er sich eine Leistung außerhalb des kassen- bzw. vertragsärztlichen Versorgungssystems beschafft, der Krankenkasse die Prüfung ermöglichen, ob die - auf Kosten der Krankenkasse beanspruchte - Leistung überhaupt vom Sachleistungsanspruch des Versicherten umfasst ist, insbesondere ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ist (§ 12 Abs. 1 SGB V), und welche Möglichkeiten der Realisierung des Anspruchs das bereitstehende Versorgungssystem bietet.

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Kostenerstattung für provisorische Versorgung mit Zahnersatz sowie eine Entgiftungsbehandlung bei Palladiumallergie.

2

Die Klägerin ist versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten. Sie begab sich Ende 1997 in die Behandlung der Ärztin für Homöopathie Dr. C. in Karlsruhe. Die-se führte bei der Klägerin eine Entgiftungsbehandlung durch und verordnete sog. DMPS-Ampullen. In der Folgezeit verordnete der Zahnarzt Dr. D. derartige Ampullen (Gesamtkosten ca. 980,00 DM). Im Frühjahr 1998 erhielt die Klägerin von Dr. E. eine individuelle provisorische Krone und am 16. April 1998 weitergehende Teilleistungen für die Vollkrone sowie ein Kroneninterimsersatz als Langzeitprovisorium. Er berechnete hierfür Kosten in Höhe von DM 4.202,55 (Rechnung vom 23. April 1998). Mit Schreiben vom 28. April 1998, eingegangen bei der Beklagten am 4. Mai 1998, beantragte die Klägerin die Prüfung, ob eine Kostenübernahme für die Behandlung bei Dr. E. möglich sei (ca. 5.000,00 DM insgesamt). Darüber hinaus beantragte die Klägerin die Kostenübernahme der Medikamente und Spritzen zur Entgiftung (DMPS), so dass insgesamt ca. 6.000,00 DM zu erstatten seien.

3

Mit Bescheid vom 3. September 1998 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme ab. Die Kosten für provisorische Kronen seien in die Bewertung der Festzuschüsse für Kronen eingeflossen. Eine gesonderte Erstattung dieser Provisorien sei daher ausgeschlossen. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten zurück (Widerspruchsbescheid vom 12. April 1999). Ein Anspruch auf Kostenbeteiligung für provisorische Kronen bestehe nicht. Darüber hinaus dürfe der Versicherte eine Kostenerstattung für eine außervertragliche Leistung grundsätzlich nur dann in Anspruch nehmen, wenn ihm die begehrte Leistung zu Unrecht verweigert worden und er deshalb gezwungen gewesen sei, die notwendige Leistung selbst zu beschaffen. Zum Zeitpunkt des ablehnenden Bescheides vom 3. September 1998 seien die Medikamente bereits privat verordnet worden, so dass es an der erforderlichen Kausalität zwischen der Weigerung der Kasse und der selbst beschafften Maßnahme fehle.

4

Hiergegen hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht (SG) Karlsruhe erhoben. Dieses hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 4. August 1999 an das zuständige SG Oldenburg verwiesen. Mit Urteil vom 12. Juli 2000 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Klägerin keine Kostenerstattung für so genannte außervertragliche Maßnahmen begehren könne. Darüber hinaus sei die Antragstellung verspätet. Die Versicherten hätten, bevor sie sich eine Leistung außerhalb des vertraglichen Versorgungssystems beschafften, der Krankenkasse die Prüfung zu ermöglichen, ob die beabsichtigte Behandlung nicht doch im Wege der Sachleistung erbracht werden könne. An dieses Verfahren habe sich die Klägerin nicht gehalten, weshalb eine Kostenerstattung gem § 13 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) nicht möglich sei.

5

Gegen das der Klägerin am 19. Juli 2000 zugestellte Urteil hat diese Berufung eingelegt, die am Montag, dem 21. August 2000, beim Landessozialgericht Niedersachsen eingegangen ist.

6

Die Klägerin ist der Ansicht, dass bei ihr eine Kostenerstattung in Betracht kommen müsse, weil eine ausgeprägte Palladium-Allergie vorliege. Diese sei auch im Epikutan-Test nachgewiesen.

7

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 12. Juli 2000 sowie den Bescheid der Beklagten vom 3. September 1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. April 1999 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr DM 5.997,61 zu erstatten.

8

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

9

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

10

Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

11

Wegen der weiteren Einzelheiten des Rechtsstreits wird auf die Gerichts- sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

12

Der Senat konnte mit Einverständnis der Beteiligten gem. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

13

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts (SG) Oldenburg vom 12. Juli 2000 sowie der angefochtene Bescheid der Beklagten sind zutreffend. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Kostenerstattung für die Behandlung bei Dr. E. bzw. für die Entgiftungsbehandlung gem. § 13 Abs. 3 SGB V.

14

Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) erhalten die Versicherten die Leistungen der Krankenkassen grundsätzlich als Sach- und Dienstleistung. Demzufolge hat der Versicherte den für den Sachleistungsanspruch vorgesehenen Weg der Realisierung von Leistungen, nämlich die Behandlung auf Krankenschein bzw. Versicherungskarte bei zugelassenen Vertragsärzten oder zugelassenen Krankenhäusern, im Regelfall einzuhalten. Von diesem, die gesetzliche Krankenversicherung regelnden, Sachleistungsprinzip darf nach § 13 Abs. 1 SGB V zu Gunsten des Kostenerstattungsprinzips nur in den gesetzlich bestimmten Ausnahmefällen abgewichen werden.

15

Für selbst beschaffte Leistungen enthält § 13 Abs. 3 SGB V eine Ausnahmeregelung. Hiernach steht den Versicherten ein Anspruch auf Kostenerstattung zu, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat, soweit sie notwendig war, und dem Versicherten dadurch für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden sind.

16

Vorliegend hat die Beklagte Leistungen nicht zu Unrecht abgelehnt, denn die Klägerin hat sich nicht in zumutbarem Umfang um die Klärung einer Sachleistung bemüht. Es entspricht der gesetzlichen Regelung in § 13 Abs. 3 SGB V und der Rechtsprechung des Senats (in Anlehnung an die Rechtsprechung des BSG; vgl. u.a. Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 15. Januar 2003, Az: L 4 KR 244/00 m.w.N.) dass sich der Versicherte, bevor er sich eine Leistung außerhalb des kassen- bzw. vertragsärztlichen Versorgungssystems beschafft, der Krankenkasse die Prüfung ermöglichen muss, ob die - auf Kosten der Krankenkasse beanspruchte - Leistung überhaupt vom Sachleistungsanspruch des Versicherten umfasst ist, insbesondere ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ist (§ 12 Abs. 1 SGB V), und welche Möglichkeiten der Realisierung des Anspruchs das bereitstehende Versorgungssystem bietet. Der Versicherte darf der Entscheidung der Krankenkasse nicht dadurch vorgreifen, dass er erstrebte Behandlungen bei einem Nicht-Vertragsarzt oder dass er außervertragliche Leistungen durchführen lässt und die genannte Prüfung in das Verfahren der Kostenerstattung verlagert. Dies dient zugleich dem Schutz des Versicherten; es entlastet ihn von dem Risiko, dass er bei einer nicht auf dem Sachleistungsweg beschafften Leistung Kosten selbst zu tragen hat, wenn ein kostenerstattungspflichtiger Ausnahmetatbestand nicht vorliegt.

17

Die Klägerin hat die Behandlungsmaßnahmen bereits Ende 1997/Anfang 1998 begonnen und zuletzt am 8. und 16. April 1998 Leistungen des Dr. E. in Anspruch genommen. Der Antrag der Klägerin vom 28. April 1998 auf Kostenübernahme ist erst am 4. Mai 1998 bei der Beklagten eingegangen. Eine Kostenerstattung für die davor stattgefundenen Behandlungen kann deshalb bereits aus diesem Grund nicht erfolgen. Auf das Problem der Kostenerstattung für Provisorien bzw. für wissenschaftlich noch nicht erprobte Verfahren zur Entgiftung/Ausleitung kam es deshalb nicht an.

18

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

19

Ein gesetzlicher Grund, die Revision zuzulassen, liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).