Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 26.02.2003, Az.: L 16 KR 21/99
Mindestbeschwerdewert einer Berufung gegen Urteile des Sozialgerichts; Auslegung des Antrags nach dem tatsächlichen Begehren; Übernahme der Kosten für die Beschaffung einer Lateral-Trainingsanlage; Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen; Durch eine zentrale Fehlhörigkeit bedingte Rechtschreibschwäche als Krankheit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung; Medizinische Rehabilitation als alleinige Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung; Kein Anspruch auf darüber hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation; Schwierigkeiten im schulischen Bereich durch eine Legasthenie
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 26.02.2003
- Aktenzeichen
- L 16 KR 21/99
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 15546
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0226.L16KR21.99.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Bremen - 10.09.1999 - AZ: S 7 KR 53/98
Rechtsgrundlagen
- § 143 i.V.m. § 144 Abs. 1 Nr. 1 in der hier maßgebenden Fassung des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. Januar 1993
- § 123 SGG
- § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 10. September 1999 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte die Kosten für die Beschaffung einer Lateral-Trainingsanlage für die Behandlung des bei ihr familienversicherten Sohns der Klägerin zu übernehmen hat.
Die Klägerin legte bei der Beklagten die Bescheinigung des Kinderarztes I. vom 28. Februar 1997 vor, in der dieser ausführte, bei ihrem im November 1986 geborenen Kind Fabian liege trotz eines einwandfreien peripheren Hörvermögens eine zentrale Fehlhörigkeit vor. Zur Verbesserung der Symptomatik des Kindes sei ein regelmäßiges Training mit dem Audio-Video-Trainer AVT-7000 sowie dem Brain-Boy erforderlich. Hierdurch könne der erforderliche Zeitraum zur Aufarbeitung der vorhandenen Defizite erheblich verkürzt werden. Beigefügt war ein an den Kinderarzt gerichtetes Schreiben der Firma J.-Kommunikationsberatung vom 14. Februar 1997, in der der Berater J. nach einer bei Fabian durchgeführten Testung der zentralen Hörverarbeitung ebenfalls die Empfehlung aussprach, zum Aufbau des zentralen Hörvermögens ein regelmäßiges tägliches häusliches Training unter Benutzung des Audio-Video-Trainers AVT-7000 mit entsprechendem Zubehör und zusätzlich des sogenannten Brain-Boys durchzuführen. Weiterhin lag der Bescheinigung u.a. ein Bericht der Kinderärztin Frau Dr. K., Institut für Kinder-Neurologie und -Epileptologie des DRK-Krankenhauses Am Bürgerpark, vom 15. Oktober 1996 bei. Diese ging hierin davon aus, dass bei Fabian eine minimale rechtsbetonte cerebrale Bewegungsstörung vorliege sowie der Verdacht auf eine auditiv betonte Lese- und Rechtschreibeschwäche bestehe. Zur Vorgeschichte führte sie u.a. aus, die Vorstellung von Fabian sei u.a. auf Empfehlung des Vereins für Legasthenie erfolgt, an den sich die Eltern im Zusammenhang mit aufgetretenen schulischen Problemen gewandt hätten. Fabian habe bereits in den ersten Schuljahren heilpädagogische Förderung erfahren. Er besuche jetzt die 4. Klasse der Grundschule. Die schulischen Leistungen im Rechnen und Sport sowie im Werken seien sehr gut. Probleme bestünden im Schreiben, eine Besserung sei im Lesen eingetreten. Dem ebenfalls dem Antrag beigefügten weiteren Bericht der Kinderärztin Frau Dr. K. vom 13. Februar 1997 ist zu entnehmen, dass Fabian zwischenzeitlich einer weiteren neuropsychologischen Diagnostik unterzogen worden war. Frau Dr. K. ging diagnostisch von einer auditiv-akzentuierten Rechtschreibschwäche, einer altersentsprechenden visuellen Teilleistung, einer altersentsprechenden verbalen und nonverbalen Intelligenz sowie einer minimalen rechtsbetonten cerebralen Bewegungsstörung aus. Zur Förderung des Sohns der Klägerin schlug sie u.a. Übungen in auditiver Diskrimination vor.
Auf Anfrage der Beklagten führte die Ärztin Dr. L. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) im Lande Bremen in ihrer Stellungnahme vom 26. Juni 1997 aus, die medizinisch relevanten Defizite könnten in ausreichendem und notwendigem Maße durch die üblichen Therapieformen (z.B. Logopädie, Ergotherapie) behandelt werden. Darüber hinausgehende Förderungen bei schulischen Schwierigkeiten oblägen den Krankenkassen nicht. Die beantragten Geräte stellten keine Hilfsmittel im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) dar.
Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 8. Juli 1997 den Antrag der Klägerin ab. Zur Begründung bezog sie sich auf die gutachterliche Stellungnahme des MDK.
Hiergegen legte die Klägerin am 21. Juli 1997 Widerspruch ein. Nach den Feststellungen des Kinderarztes I. sei zur Besserung der Symptomatik ein regelmäßiges Training mit dem Audio-Video-Trainer AVT-7000 sowie dem Brain-Boy erforderlich. Durch eine Therapie unter Verwendung dieser Geräte könne der Zeitraum zur Aufarbeitung der bei ihrem Sohn vorhandenen Defizite erheblich verkürzt werden. Ihre Anschaffung stelle eindeutig eine medizinisch notwendige und sinnvolle Alternative zur sonst erforderlichen logopädischen Behandlung dar. Ihr seien darüber hinaus eine Reihe von Fällen bekannt, in denen andere Krankenkassen die Kosten für den Audio-Video-Trainer sowie den Brain-Boy übernommen hätten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 9. April 1998 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Die Legasthenie sei eine Schwäche im Lernen des Lesens und/oder der Rechtschreibung, die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) keine Krankheit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung darstelle. Sie, die Beklagte, übernehme im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften die zur medizinischen Behandlung von Fabian erforderlichen Leistungen. Die beantragten Geräte, die ausschließlich der Behandlung der Lese- und Rechtschreibschwäche dienen sollten, fielen jedoch nicht in den Bereich der GKV. Schwierigkeiten im schulischen Bereich gehörten zum Aufgabengebiet des schulpsychologischen Dienstes und ggf. des Sozialhilfeträgers.
Die hiergegen von der Klägerin am 6. Mai 1998 erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Bremen mit Urteil vom 10. September 1999 abgewiesen und die Berufung nicht zugelassen. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, bei der bei dem Sohn der Klägerin festgestellten Schreib-Lese-Schwäche handele es sich nicht um eine Krankheit im Sinne der GKV. Zur Behandlung der weiter festgestellten minimalen rechtsbetonten cerebralen Bewegungsstörung sei die Benutzung des Audio-Video-Trainers AVT-7000 und des Brain-Boys nicht geeignet. Der Kinderarzt I. nehme in seiner fachärztlichen Bescheinigung Bezug auf den Bericht der J.-Kommunikationsberatung vom 14. Februar 1997. Der Berater J. habe in einem Test bei dem Sohn der Klägerin eine zentrale Fehlhörigkeit bei einwandfrei peripherem Hörvermögen festgestellt. Diese Feststellung sei außerhalb des vertragsärztlichen Systems erfolgt und könne keine Grundlage für die Indikation einer medizinischen Behandlung sein. Im Übrigen seien die Geräte keine Hilfsmittel im Sinne der GKV. Sie dienten nicht zum Ausgleich einer Behinderung, wie dies z.B. beim Schreib-Lesegerät für Blinde der Fall sei. Auch wenn andere Krankenkassen, wie die Klägerin vortrage, die Kosten für die hier streitigen Geräte übernommen hätten, könne sie daraus für sich keinen Anspruch gegen die Beklagte herleiten, denn eine Gleichbehandlung im Unrecht könne sie nicht verlangen. Da der Wert des Beschwerdegegenstandes DM 1.000,00 nicht übersteige, sei die Berufung grundsätzlich nicht zulässig. Die Voraussetzungen für eine Berufungszulassung lägen nicht vor, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung habe und das Urteil nicht von einer anderen Entscheidung der in § 144 Abs. 2 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) genannten Gerichte abweiche.
Gegen das ihr am 5. Oktober 1999 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 14. Oktober 1999 Berufung eingelegt. Zur Zulässigkeit des Rechtsmittels trägt sie vor, entgegen der Auffassung des SG sei davon auszugehen, dass die Kosten für einen Audio-Video-Trainer AVT-7000 und einen Brain-Boy mit mehr als DM 1.000,00 zu veranschlagen seien. Dieser Mindestbeschwerdewert werde jedenfalls durch die Einbeziehung des notwendigen technischen Zubehörs und Therapiematerials erreicht, da sich die Geräte nur so sinnvoll einsetzen ließen. Nach einem Angebot der Firma M. GmbH vom 28. Februar 2000 ergebe sich für die Anlage ein Gesamtpreis von DM 1.992,80. Zur Begründetheit der Berufung macht die Klägerin geltend, es gehe in diesem Verfahren nicht um die Therapie einer Rechtschreibschwäche. Ziel des Einsatzes des Audio-Video-Trainers und des Brain-Boys mit jeweiligem Zubehör sei es vielmehr, die bei ihrem Sohn Fabian bestehenden Koordinationsschwierigkeiten der Hirnhälften zu bessern. Die Rechtschreibschwäche sei nur eine Ausdrucksform dieser Koordinationsproblematik. Ihr Sohn sei darüber hinaus insoweit behindert, als er Sprache völlig gleichförmig verstehe. Er könne weder die Betonung einzelner Wörter erkennen, noch vermöge er zwischen lauter und leiser Sprache zu unterscheiden. Er könne z.B. nicht hören, ob Leute zu ihm freundlich oder nicht freundlich seien.
Die Klägerin beantragt,
- 1.
das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 10. September 1999 sowie den Bescheid der Beklagten vom 8. Juli 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. April 1998 aufzuheben,
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin die Kosten für die Beschaffung einer Lateral- Trainingsanlage zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Ergänzend bezieht sie sich auf das sozialmedizinische Gutachten der MDK-Ärztin Frau Dr. N. vom 8. Juli 2002.
In ihrer Stellungnahme hat die Gutachterin ausgeführt, sowohl die neuropsychologische als auch die HNO-ärztliche Diagnostik hätten eine zentrale auditive Wahrnehmungsstörung ergeben, die sich primär in einer auditiv akzentuierten Rechtschreibschwäche äußere. Darüber hinaus seien den Befunden keine weiteren Einschränkungen im Alltags- oder Sozialleben zu entnehmen. Die Vorstellung im Kinderkrankenhaus Am Bürgerpark sei primär zur Beratung wegen der schulischen Probleme erfolgt. Diesbezüglich seien Förderungsvorschläge unterbreitet worden mit Schreiben und Lesen durch Arbeiten mit Textverarbeitung, um die Motivation des Sohnes der Klägerin hierfür zu erhöhen. Dies sei auch unter dem Aspekt der anstehenden Fremdsprache als neues Unterrichtsfach geschehen. Die beantragten Geräte dienten damit primär schulischen Zwecken und fielen nicht in den Leistungskatalog der GKV. Zur Verbesserung einer auditiven Diskrimination könnte als Therapieunterstützung eine zehnmalige logopädische Behandlung mit Einweisung der Eltern für ein selbständiges Übungsprogramm empfohlen werden. Bezüglich der minimalen rechtsbetonten cerebralen Bewegungsstörung seien von Frau Dr. K. keine wesentlichen funktionellen Einbußen festgestellt worden. Sofern es hier zwischenzeitlich zu einer Verschlechterung gekommen sein sollte, käme eine Ergotherapie mit Erlernen eines eigenständigen Übungsprogramms in Frage.
Dem Senat haben außer der Gerichtsakte die Verwaltungsunterlagen der Beklagten vorgelegen. Alle Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Sachvortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozess- und Beiakten ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß § 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Der im angefochtenen Urteil des SG zum Ausdruck gekommenen Auffassung, dass das Rechtsmittel von Gesetzes wegen aufgrund einer Unterschreitung des Mindestbeschwerdewertes unzulässig sei, vermag der Senat nicht zu folgen. Gemäß §§ 143 i.V.m. § 144 Abs. 1 Nr. 1 in der hier maßgebenden Fassung des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. Januar 1993 (BGBl. I, S. 50) findet gegen die Urteile der Sozialgerichte die Berufung an das Landessozialgericht statt, sofern der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, DM 1.000,00 übersteigt. Dies ist im hier zu beurteilenden Verfahren der Fall. Zwar hat die Klägerin nach der Sitzungsniederschrift des SG vom 10. September 1999 nur beantragt, die Beklagte unter Aufhebung der entgegenstehenden Verwaltungsentscheidungen zu verurteilen, ihr einen Audio-Video-Trainer AVT-7000 und einen Brain-Boy zu gewähren. Der Senat übersieht nicht, dass der Kaufpreis für den genannten Audio-Video-Trainer nach dem von der Klägerin im Verwaltungsverfahren vorgelegten Bestellformular bei DM 595,00 und für den Brain-Boy je nach Ausführung bei DM 140,00 bis DM 150,00 lag, so dass bei Berücksichtigung allein des Wortlautes des Antrags der Mindestbeschwerdewert nicht erreicht wird. Die Orientierung am Wortlaut wird indessen dem tatsächlichen Begehren der Klägerin nicht gerecht. Gemäß § 123 SGG entscheidet das Gericht über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Bei verbleibenden Zweifeln hat das Gericht das tatsächliche Begehren durch Auslegung zu ermitteln. Dem steht im vorliegenden Fall nicht entgegen, dass bei einer Vertretung durch einen qualifizierten Prozessbevollmächtigten, wie auch in diesem Fall, in der Regel anzunehmen ist, dass der Antrag das Gewollte richtig wiedergibt (vgl. Meyer-Ladewig: SGG, 7. Aufl. 2002, § 123 Rdnr. 3). Im hier zu beurteilenden Fall war die Aktenlage sowohl für die Beklagte als auch für die Prozessbevollmächtigten der Klägerin unüber-sichtlich. Die Klägerin selbst hat im Verwaltungsverfahren ihr Begehren nicht in einem Antragsformular oder einem gesonderten Schreiben ausdrücklich dargelegt. Vielmehr hat sie verschiedene Arztberichte, eine Bescheinigung des behandelnden Kinderarztes I. vom 28. Februar 1997 sowie ein an diesen gerichtetes Schreiben des Kommunikationsberaters J. vom 14. Februar 1997 mit begleitendem Bestellformular bei der Beklagten eingereicht. In dem Bescheid vom 8. Juli 1997, mit dem sie die Kostenübernahme für den begehrten Audio-Video-Trainer sowie den Brain-Boy abgelehnt hat, hat die Beklagte ausdrücklich an die Therapieempfehlung des genannten Kinderarztes angeknüpft, in der dieser nur die genannten beiden Geräte ausdrücklich erwähnt hatte. Indessen ergibt sich bei genauer Betrachtung des Schreibens des Kommunikationsberaters J. und des beigefügten Bestellformulars, dass die Beschaffung allein der beiden genannten Geräte für die Durchführung des empfohlenen Hörtrainings nicht ausreichend war. So hat der Kommunikationsberater J. in seinem Schreiben vom 14. Februar 1997 auf das Zubehör für den Audio-Video-Trainer AVT-7000 verwiesen. Des Weiteren ist auf dem Bestellformular, das u.a. Stückzahlvorschläge enthält, durch Fettdruck kenntlich gemacht worden, welche Bestandteile für die Trainingsanlage in der Regel erforderlich sind. Hierzu zählen allein von der technischen Ausstattung neben dem Audio-Video-Trainer und dem Brain-Boy auch ein CD-Spieler für DM 298,00, zwei Stereo-Kopfhörer á DM 79,00 sowie eine Spezialbrille im Wert von DM 228,00. Daneben wird gemäß Bestellformular die Anschaffung verschiedener CD und Textbücher für erforderlich gehalten. Allein durch die technische Ausrüstung aber wird schon ein Gesamtkaufpreis von DM 1.000,00 überschritten. Da die für den Sohn der Klägerin angestrebte Therapie hiernach sinnvoll nur nach Beschaffung einer kompletten Lateral-Trainingsanlage durchgeführt werden könnte, ist davon auszugehen, dass sich ihr Kostenerstattungsbegehren auch auf eine solche bezieht.
Allerdings hat die Berufung der Klägerin in der Sache keinen Erfolg. Ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für die begehrte Lateral-Trainingsanlage besteht nicht.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage, wie sie im vorliegenden Fall erhoben ist, ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. Meyer-Ladewig a.a.O., § 54 Rdnr. 34). Maßgebliche Rechtsgrundlage ist hier § 33 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuches Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) i.d.F. des Gesetzes vom 19. Juni 2001 (BGBl. I, 1046). Danach haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind.
Die Voraussetzungen dieser Norm liegen im hier zu beurteilenden Fall nicht vor. Nach den Berichten der Ärztin für Kinderneurologie und -epileptologie Frau Dr. K. vom 15. Oktober 1996 und 13. Februar 1997 besteht bei dem familienversicherten Sohn der Klägerin eine auditiv-akzentuierte Rechtschreibschwäche bei altersentsprechender visueller Teilleistung und ebenfalls altersentsprechender verbaler und nonverbaler Intelligenz. Daneben liegt noch eine minimale rechtsbetonte cerebrale Bewegungsstörung vor.
Ob im vorliegenden Fall die Hilfsmittelversorgung schon mit der Begründung abgelehnt werden kann, die Legasthenie stelle keine Krankheit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung dar (vgl. in diesem Sinne BSG SozR 2200 § 182 RVO Nr. 47, 48), ist zweifelhaft. Insbesondere die Kinderneurologin Frau Dr. K. und der behandelnde Kinderarzt I. (vgl. den bereits genannten Bericht vom 13. Februar 1997 und die Bescheinigung vom 28. Februar 1997) gehen davon aus, dass die bei dem Sohn der Klägerin vorliegende Rechtschreibschwäche durch eine zentrale Fehlhörigkeit bedingt ist, der sie erkennbar Krankheitswert beimessen. Die Diagnose einer zentralen auditiven Wahrnehmungsstörung hat im weiteren Verlauf des Verfahrens auch der vom Sohn der Klägerin konsultierte HNO-Arzt Dr. O. bestätigt (vgl. Stellungnahme vom 19. Februar 2001). Letztlich kann diese Frage allerdings dahinstehen, da es hierauf für die Beurteilung des vorliegenden Rechtsstreits nicht entscheidend ankommt.
Ebenso ist nicht streitentscheidend, ob es sich bei der von der Klägerin beantragten Lateral-Trainingsanlage um ein Hilfsmittel im Sinne des § 33 SGB V handelt. Dies hat das SG in der angefochtenen Entscheidung unter Hinweis auf die frühere BSG-Rechtsprechung (SozR 3-2500 § 33 Nr.16) verneint. Nach der zwischenzeitlich ergangenen Entscheidung des BSG vom 28. Juni 2001 - B 3 KR 3/00 R - (SozR 3-2500 § 33 Nr. 41) dürfte diese Frage möglicherweise anders zu beantworten sein. Das BSG hat a.a.O. wegen der bereits seit langem bestehenden Abgrenzungsschwierigkeiten von Heil- gegenüber Hilfsmitteln eine Neubestimmung vorgenommen. Während die Rechtsprechung früher der Auffassung war, ein Gegenstand sei nur dann ein Hilfsmittel, wenn er den Ausgleich der körperlichen Behinderung selbst bezwecke, also unmittelbar gegen die Behinderung gerichtet sei (vgl. auch BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 15), sieht sie in Anlehnung an § 31 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches Siebtes Buch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) nunmehr alle ärztlich verordneten Sachen, die den Erfolg der Heilbehandlung sichern oder die Folgen von Gesundheitsschäden mildern oder ausgleichen können, als Hilfsmittel an. Damit können auch technische Geräte, die der Durchführung einer Therapie (z.B. eines Trainings) dienen, Hilfsmittel sein. Dies dürfte demgemäß auch für die fragliche Lateral-Trainingsanlage gelten.
Jedoch scheitert hier der Anspruch der Klägerin maßgeblich daran, dass eine Versorgung ihres Sohnes mit einer Lateral-Trainingsanlage nicht Aufgabe der GKV ist. Auch wenn § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V als weiteren Zweck eines von dieser zu leistenden Hilfsmittels den Ausgleich einer Behinderung aufführt, bedeutet dies nicht, dass nicht nur die Behinderung selbst, sondern auch ihre sämtlichen direkten und indirekten Folgen auszugleichen wären; denn damit würde der Bereich der medizinischen Rehabilitation verlassen. Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung ist nach dem SGB V, ebenso wie nach dem Recht der früheren Reichsversicherungsordnung, allein die medizinische Rehabilitation, also die Wiederherstellung der Gesundheit einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolges. Dies bedeutet, dass die Körperfunktionen soweit wie möglich wiederhergestellt werden, um ein selbständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Zwar zählt zu den von der Krankenversicherung zu erbringenden Leistungen auch die Erfüllung weiterer Grundbedürfnisse, insbesondere die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums. Soweit hiervon auch das Erlernen eines lebensnotwendigen Grundwissens mit umfasst ist, geht es jedoch stets nur um die Ermöglichung der Teilnahme an einer entsprechenden Ausbildung, nicht dagegen um ihre erfolgreiche Absolvierung. Eine darüber hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation, die ebenfalls die Versorgung mit einem Hilfsmittel umfassen kann, ist hingegen Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme (vgl. hierzu BSG SozR 3-2500 § 33 Nrn. 22, 29). Dies gilt auch für den vorliegenden Fall.
Zutreffend sind bereits die Beklagte und das SG davon ausgegangen, dass die Beschaffung der Lateral-Trainingsanlage wesentlich allein dazu dienen soll, die bei dem Sohn der Klägerin bestehende Rechtschreibschwäche zu bessern. Zwar hat sie im Verlauf des Berufungsverfahrens im Erörterungstermin vom 19. Januar 2001 ausgeführt, die bei ihrem Sohn bestehenden Koordinationsschwierigkeiten der Hirnhälften bedingten nicht nur die Rechtschreibschwäche, sondern führten darüber hinaus auch dazu, dass er Sprache völlig gleichförmig verstehe, d. h. weder die Betonung einzelner Wörter zu erkennen noch zwischen lauter und leiser Sprache zu unterscheiden vermöge. Jedoch geht der Senat in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der MDK-Ärztin Frau Dr. P. vom 8. Juli 2002 davon aus, dass den ärztlichen Befunden außer der Rechtschreibschwäche keine weiteren Einschränkungen im Alltags- oder Sozialleben zu entnehmen sind. Zu Recht hat die Gutachterin darauf hingewiesen, dass die Vorstellung bei der Kinderneurologin Frau Dr. K. auf Empfehlung des Vereins für Legasthenie allein wegen der schulischen Schwierigkeiten des Kindes erfolgt ist (vgl. Bericht vom 15. Oktober 1996). Auch die nach eingehender Untersuchung des Sohns der Klägerin gemachten Förderungsvorschläge beziehen sich auf deren Beseitigung, d. h. insbesondere auf die Besserung der Legasthenie. Demgemäß ist davon auszugehen, dass diese die allein wesentliche Folge der gestörten Koordination der beiden Hirnhälften ist. Schwierigkeiten im schulischen Bereich durch eine Legasthenie sind jedoch, wie die Beklagte bereits in ihrem Widerspruchsbescheid vom 9. April 1998 ausgeführt hat, durch den schulpsycho-logischen Dienst und darüber hinaus ggf. im Wege der Hilfe zur Erziehung (§ 27 Sozialgesetzbuch Achtes Buch - Kinder- und Jugendhilfe - - SGB VIII -) durch den Träger der Jugendhilfe zu beheben.
Nach alledem hat die Berufung der Klägerin keinen Erfolg.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Es hat kein Anlass bestanden, die Revision zuzulassen.