Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 20.02.2003, Az.: L 6 U 124/02
Anerkennung von Gesundheitsstörungen im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) als Berufskrankheit (BK)
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 20.02.2003
- Aktenzeichen
- L 6 U 124/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 19984
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0220.L6U124.02.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Oldenburg - AZ: S 7 U 152/01
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Oldenburg vom 13. Februar 2002 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Anerkennung von Gesundheitsstörungen im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) als Berufskrankheit (BK) Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) und Entscheidungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung.
Der 1942 geborene Kläger war nach der Ausbildung zum Maurer (1957 bis 1960) - unterbrochen durch eine 8-jährige Tätigkeit als Zeitsoldat - bis 1994 in diesem Beruf tätig. 1973 traten erstmals Rückenbeschwerden auf. Bei den 1992 und 1994 durchgeführten Computertomographien der unteren LWS wurden ein Bandscheibenvorfall im Segment L5/S1 und eine geringe mediale Diskusprotrusion im Segment L3/4 festgestellt (Bericht Dr. C. vom 16. März 1994). Während der stationären Behandlung im Christlichen Krankenhaus Quakenbrück vom 23. Juni bis 30. Juni 1997 wurden kernspintomographisch im Segment L4/5 ein flacher linkslateraler intraforaminaler Bandscheibenvorfall als Grenzbefund sowie ein zipfelförmiger medialer Bandscheibenvorfall im Segment L5/S1 diagnostiziert (Bericht Dr. D. vom 17. Juli 1997). Eine Operation erfolgte nicht. Seit dem 16. Februar 1994 bezog der Kläger Rente wegen Berufsunfähigkeit, seit dem 1. März 1998 erhält er Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Am 8. Dezember 1997 stellte der Kläger bei der Beklagten den Antrag auf Anerkennung der BK.
Die Beklagte zog medizinische Unterlagen bei und holte die beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. E. vom 3. Januar 2000 ein. Die Gutachterin verneinte eine BK 2108 mit der Begründung, es bestehe nur eine monosegmentale Degeneration im Segment L5/S1 ohne relevante altersüberschreitende belastungsadaptive Phänomene. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 24. Januar 2000 einen Entschädigungsanspruch ab. Im Widerspruchsverfahren reichte der Kläger die Stellungnahme von Dr. F. vom 3. Juli 2000 ein. Nach Einholung der weiteren Stellungnahme von Dr. E. vom 4. Dezember 2000 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 25. April 2001 zurück.
Die dagegen gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) Oldenburg mit Gerichtsbescheid vom 13. Februar 2002 abgewiesen. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, beim Kläger liege das erforderliche belastungskonforme Schadensbild nicht vor. Es bestehe nur ein leichter monosegmentaler Schaden im Segment L5/S1. Dieser Schaden entspreche der typischen Volkskrankheit.
Gegen diesen am 19. Februar 2002 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 14. März 2002 Berufung eingelegt, mit der er sein Begehren weiter verfolgt.
Der Kläger beantragt,
- 1.
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Oldenburg vom 13. Februar 2002 und den Bescheid der Beklagten vom 24. Januar 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. April 2001 aufzuheben,
- 2.
festzustellen, dass die LWS-Beschwerden des Klägers Folgen einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung sind,
- 3.
die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Entschädigungsleistungen, insbesondere eine Verletztenrente in Höhe von mindestens 20 v.H. der Vollrente zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Oldenburg vom 13. Februar 2002 zurückzuweisen.
Die Beklagte hält den Gerichtsbescheid des SG und ihre Bescheide für zutreffend.
Im vorbereitenden Verfahren ist dem Kläger auszugsweise der Aufsatz von F. Schröter, Begutachtung bei Berufskrankheiten, Der Orthopäde 2001, übersandt worden. Auf seinen Antrag ist gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten von Dr. G. vom 11. November 2002 eingeholt worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts, des Vorbringens der Beteiligten und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Prozessakte Bezug genommen. Der Entscheidungsfindung haben die Verwaltungs-akuten der Beklagten zu Grunde gelegen.
Entscheidungsgründe
Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig, sie ist jedoch unbegründet. Denn das SG und die Beklagte haben zu Recht einen Anspruch des Klägers auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung verneint. Auch der Senat vermag nicht festzustellen, dass beim Kläger eine BK Nr. 2108 der Anlage zur BKV vorliegt.
Der Senat musste nicht aufklären, ob die berufliche Tätigkeit des Klägers als Maurer geeignet war, bandscheibenbedingte LWS-Schäden zu verursachen. Auch wenn das Vorliegen der sog. arbeitstechnischen Voraussetzungen unterstellt wird, kann eine BK Nr. 2108 nicht anerkannt werden, weil aus medizinischer Sicht hinreichende Gründe gegen eine berufliche (Mit)Verursachung einer bandscheibenbedingten Erkrankung vorliegen und damit allein aus diesem Grund ein Anspruch auf Anerkennung der BK verneint werden muss (vgl. Urteil des Senats vom 6. April 2000 L 6 U 163/99 ZVW). Beim Kläger bestand zwar nach den Feststellungen von Dr. G. zumindest zum Zeitpunkt der Aufgabe der belastenden Tätigkeit im Jahre 1994 eine "bandscheibenbedingte Erkrankung" im Sinne der BK Nr. 2108 der Anlage zur BKV. Nach Auswertung der vorliegenden medizinischen Unterlagen lässt sich aber nicht wahrscheinlich machen, dass die Erkrankung des Klägers durch seine berufliche Tätigkeit wesentlich (mit)verursacht worden ist.
Allein das Vorliegen einer Krankheit der BK-Liste sowie einer beruflichen Exposition, die geeignet ist, diese Krankheit zu verursachen, begründen keinen Anscheinsbeweis und damit auch nicht die Wahrscheinlichkeit der beruflichen Verursachung, denn es gibt keinen gesicherten Erfahrungssatz, dass bei Vorliegen der sog. arbeitstechnischen Voraussetzungen die bandscheibenbedingte Erkrankung beruflich verursacht ist (BSG, Urteil vom 18. November 1997 - 2 RU 48/96 - , SGb 1999, 39). Der Grund dafür liegt darin, dass bandscheibenbedingte Erkrankungen auf einem Bündel von Ursachen ("multifaktorielles Geschehen") beruhen. Aus der Vielfalt der Verursachungsmöglichkeiten folgt, dass sich ein ursächlicher Zusammenhang zwischen bandscheibenbedingter Erkrankung und beruflicher Belastung nur anhand zusätzlicher Merkmale begründen lässt, die der Senat den Ausführungen in dem dem Kläger bekannten Aufsatz des Dr. Schröter entnommen hat (vgl. Urteil vom 20. Juli 2000 - L 6 U 342/99 ZVW).
Entscheidend ist danach, dass dem Lebensalter vorauseilende Osteochondrosen (sklerotische Verdichtungen an den Deck- und Grundplatten der Wirbelkörper und im Bereich der Zwischenwirbelräume) bevorzugt an der unteren LWS und Spondylosen (knöcherne Ausziehungen an den Deck- und Tragplatten) insbesondere an den oberen LWS-Segmenten auftreten. Diese Veränderungen signalisieren, dass eine körperliche Belastung die Grenze der individuellen Belastbarkeit an den Bewegungssegmenten überschritten hat und erlauben somit einen Rückschluss auf die berufliche Verursachung einer bandscheibenbedingten Erkrankung. Dr. E. hat überzeugend darauf aufmerksam gemacht, dass im vorliegenden Fall solche altersüberschreitenden belastungsadaptiven Reaktionen fehlen. Ihre Wertung stimmt überein mit der Beschreibung der röntgenologischen Befunde durch den auf Antrag des Klägers gehörten Sachverständigen Dr. G ... Auch nach dessen Feststellungen kann eine "Linksverschiebung", d.h. ein gegenüber der übrigen Bevölkerung früher auftretender Bandscheibenverschleiß im vorliegenden Fall ausgeschlossen werden. Denn danach liegt nur in Höhe des Segments L5/S1 eine röntgenologisch erkennbare initiale degenerative Veränderung vor. Auch computertomographisch und kernspintomographisch ist nur in diesem Segment eine Bandscheibenveränderung nachgewiesen worden. Die zusätzlich im Segment L4/5 kernspintomographisch erkennbare Bandscheibenprotrusion gewinnt nach der überzeugenden Beurteilung durch Dr. G. im Hinblick auf die unauffälligen radiologischen Untersuchungsergebnisse keine Bedeutung und muss als alterskorrigierte Norm angesehen werden.
Eine für den Kläger günstigere Beurteilung ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der Bescheinigungen von Dr. F. vom 25. August 1999 und 3. Juli 2000. Dieser hat dem Kläger zwar am 25. August 1999 attestiert, dass dessen Erkrankungen auf die berufliche Tätigkeit als Maurer zurückzuführen seien. Die Bescheinigung enthält jedoch keine Begründung, die die Auffassung des Arztes stützen könnte. In seiner Stellungnahme vom 3. Juli 2000 gibt Dr. F. im Wesentlichen die auch von Dr. G. und Dr. E. berücksichtigten ärztlichen Untersuchungsergebnisse wieder. Soweit Dr. F. bemängelt, dass bei der Zusammenhangsbeurteilung nicht die beim Kläger bestehenden Cox- und Gonarthrosen und die Epicondylitis berücksichtigt worden sind, verkennt er, dass eine Entschädigung wegen einer BK 2108 ausschließlich wegen bandscheibenbedingter Erkrankungen der LWS erfolgen kann.