Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 27.08.2003, Az.: L 1 RA 228/01

Anspruch auf Erstattung für im Verlaufe einer seemännischen Beschäftigung gezahlte Beiträge; Verfassungsrechtlicher Schutz für rentenversicherungsrechtliche Positionen; Eigentumsgarantie an sozialversicherungsrechtlichen Anwartschaften; Übermäßige Belastung durch Auferlegung von Geldleistungspflichten ; Zusätzliche Absicherung durch das seemännische Überbrückungsgeld

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
27.08.2003
Aktenzeichen
L 1 RA 228/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 20023
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0827.L1RA228.01.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Aurich - AZ: S 2 RI 22/01

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Rentenversicherungsrechtliche Positionen wie Ansprüche auf Versichertenrenten aus der gesetzlichen Rentenversicherung sichern die wirtschaftliche Existenz und unterfallen so dem Schutz der Verfassung. Die Rentenanwartschaften sind den Versicherten privatnützig zugeordnet und helfen entscheidend, einen Freiheitsraum in vermögensrechtlicher Hinsicht wahrzunehmen und das Leben eigenverantwortlich zu gestalten.

  2. 2.

    Die konkrete Reichweite des Schutzes durch die Eigentumsgarantie ergibt sich stets erst aus der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums, die nach Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG Sache des Gesetzgebers ist. Für dessen Gestaltungsfreiheit sind Eigenart und Funktion des Eigentumsobjekts von maßgeblicher Bedeutung. Dies führt zu einer Stufung des Schutzes.

  3. 3.

    Dem Gesetzgeber sind enge Grenzen gezogen, soweit es um die Funktion des Eigentums als Element der Sicherung der persönlichen Freiheit des Einzelnen geht. Dagegen ist der Gesetzgeber zur Inhalts- und Schrankenbestimmung um so mehr befugt, als das Eigentumsobjekt in einem sozialen Bezug und in einer sozialen Funktion steht. An die Rechtfertigung eines Eingriffs sind um so höhere Anforderungen zu stellen, als die Anwartschaft durch eigene Leistung erwirtschaftet worden.

  4. 4.

    Das Fehlen einer Erstattungspflicht ist nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit der vorausgehenden Beitragspflicht zu sehen. Der Schutzbereich des Eigentumsgrundrechts des Art. 14 GG ist beeinträchtigt, wenn sich bei der Auferlegung von Geldleistungspflichten eine übermäßige Belastung ergibt. Die Belastung muss einer erdrosselnden Wirkung gleich kommen. Das Fehlen der Erstattung im Falle nicht auszunutzender Leistungen muss sich als so grob unwirtschaftlich darstellen, so dass vernünftigerweise ein anderes Versicherungssystem gewählt würde.

  5. 5.

    Die zusätzliche Absicherung durch das seemännische Überbrückungsgeld ist regelmäßig nur bis zum Erreichen der Altersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung gerechtfertigt, wenn ein erhebliches Mindestmaß an Beiträgen erwirtschaftet wurde und zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls eine Nähe zur seemännischen Versicherungspflicht bestand.

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Erstattung aller für den Kläger im Verlaufe seiner seemännischen Beschäftigungen an die Beklagte entrichteten Beiträge, hilfsweise verlangt der Kläger, die Beiträge in ein gleichwertiges Versorgungswerk zu übertragen. Der Kläger hält die Satzungsbestimmungen der Beklagten für verfassungswidrig.

2

Der im Oktober 1950 geborene Kläger war seit 1966, unterbrochen vor allem durch Zeiten der Arbeitslosigkeit, in der Seeschifffahrt beschäftigt. Das letzte seemännische Beschäftigungsverhältnis endete im April 1999. Seit August 1999 arbeitet der Kläger als Angestellter des öffentlichen Dienstes beim Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft und Küstenschutz. Beiträge werden seit dem nicht mehr zu der - lediglich Überbrückungsgelder gewährenden - Beklagten entrichtet, vielmehr nur noch zur gesetzlichen Rentenversicherung der Angestellten, also der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA).

3

Im November 1999 richtete der Kläger eine Anfrage an die Beklagte, ob die für ihn entrichteten Beiträge erstattet werden könnten. Es sei nicht daran zu denken, dass er jemals noch Überbrückungsgeld (bzw. Überbrückungsgeld auf Zeit) werde in Anspruch nehmen können. Die Beklagte ermittelte daraufhin aus dem für den Kläger gespeicherten Versicherungsverlauf 179 Kalendermonate mit versicherungspflichtigen Seefahrtszeiten, wobei die Wartezeit als gemeinsame Leistungsvoraussetzung für das Überbrückungsgeld auf Zeit (§ 10 Satzung der Beklagten; im Folgenden nur: Satzung) und für das Überbrückungsgeld (§ 11 Satzung) mit 240 Kalendermonaten erfüllt sei, § 9 Abs. 2 Satzung. Die weitere Voraussetzung für das Überbrückungsgeld auf Zeit (für längstens 3 Jahre an Versicherte nach Vollendung des 40. Lebensjahres zu zahlen), nämlich 60 Kalendermonate nach Vollendung des 35. Lebensjahres, sei mit 120 Kalendermonaten erfüllt. Für das Überbrückungsgeld, die ohne zeitliche Begrenzung ab dem vollendeten 55. Lebensjahr (seit 1999 Anhebung auf das vollendete 57. Lebensjahr) mögliche Leistung, sei die Bedingung einer überwiegenden versicherungspflichtigen Beschäftigung während der letzten 216 Kalendermonate mit 91 Kalendermonaten nicht erfüllt. Für einen unterstellten Versicherungsfall am 31. Oktober 2007 (Vollendung des 57. Lebensjahres) seien nach der Prüfung der Beklagten noch 61 Kalendermonate für die Wartezeit und 18 Kalendermonate für die "überwiegende seemännische Beschäftigung" zu erfüllen.

4

Unter dem 24. März 2000 beschied die Beklagte den Kläger dahin, Beiträge, die für die seemännischen Beschäftigungszeiten entrichtet worden seien (Beginn der Beitragspflicht mit Errichtung der Seemannskasse 1974; Beitragspflicht zunächst bis Ende 1987 nur der Unternehmer im so genannten Umlageverfahren, § 18 der Satzung; seit 1988 erstmals Beteiligung der Arbeitnehmer wegen Erhöhung des Umlagesatzes auf über 7 v.H.; in den Jahren 1998 bis 2000 Beitragssatz jeweils 8 v.H., dabei Arbeitgeberanteil 5 v.H. und Arbeitnehmeranteil 3 v.H.), könnten nicht erstattet werden. Es fehle dafür an einer Rechtsgrundlage. Der Kläger erhob Widerspruch und machte zur Begründung geltend, die Lage auf dem Arbeitsmarkt für Seeleute mache es äußerst unwahrscheinlich, überhaupt jemals die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für den Bezug eines Überbrückungsgeldes zu erfüllen. In seinem Fall sei es allein einem glücklichen Umstand zuzuschreiben, dass von März 1995 bis April 1999 Beiträge auf Grund ausgeübter versicherungspflichtiger Beschäftigungen hätten abgeführt werden können. Während er zuvor nur jeweils vorübergehend unter deutscher und ausländischer Flagge habe arbeiten können, wobei letzteres mitunter unzumutbar gewesen sei, habe er zufällig eine längerfristige Arbeit in einem Nassbaggereibetrieb gefunden.

5

Die Beklagte wies den Widerspruch mit dem Widerspruchsbescheid vom 26. Januar 2001 zurück. Sie stellte darauf ab, die in Betracht zu ziehende Vorschrift des § 26 Abs. 2 Sozialgesetzbuch (SGB) IV greife nicht durch. Denn danach sei es lediglich möglich, zu Unrecht entrichtete Beiträge dann erstattet zu bekommen, wenn keine Leistungen erbracht oder zugesichert wurden. Erstattungsberechtigter sei dann derjenige, der die Beiträge getragen habe, § 26 Abs. 3 SGB IV. Hier aber habe während sämtlicher Beschäftigungszeiten Beitragspflicht bestanden, so dass die Beiträge zu Recht abgeführt worden seien.

6

Dagegen hat der Kläger am 28. Februar 2001 Klage zum Sozialgericht (SG) Aurich erhoben. Er hat ergänzend für das (Dauer-)Überbrückungsgeld hervorgehoben, die satzungsmäßigen Anforderungen seien - wiederum vor dem Hintergrund der angespannten Arbeitsmarktlage - praktisch von niemandem zu erfüllen. Man könne die Situation mit derjenigen vergleichen, die bestünde, wenn die Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung auf 120 Jahre angehoben würde.

7

Das SG hat die Klage durch das Urteil vom 17. Juli 2001 abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es bestätigt, dass die Beiträge für die seemännischen Beschäftigungszeiten zu Recht abgeführt worden seien. Das in § 20 Abs. 5 der Satzung vorgesehene Recht, Beitragsbefreiung zu erlangen, habe für den Kläger nicht bestanden. Es sei neben weiteren Voraussetzungen nur dann einschlägig, wenn Versicherungszeiten erst nach Vollendung des 45. Lebensjahres erworben, bzw. zuvor lediglich nicht auf die Wartezeit anrechenbare Seefahrtszeiten zurückgelegt wurden.

8

Im Sinne des § 26 Abs. 2 SGB IV "zu Unrecht" seien die Beiträge während der Seefahrtszeiten auch nicht deshalb erhoben worden, weil die Voraussetzungen für einen späteren Leistungsbezug von niemandem oder nur von einem unverhältnismäßig kleinen Kreis von Versicherten erfüllt werden könnten. Zu berücksichtigen sei dabei, dass die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt primär dafür sorge, dass eine immer geringere Anzahl an Beitragszahlern die durchaus (noch) zahlreich zu leistenden Überbrückungsgelder finanzieren müsse. Eine Erstattungsvorschrift wie § 210 SGB VI für das Recht der gesetzlichen Rentenversicherung sei von Verfassungs wegen nicht zu fordern. Für die vom Kläger hilfsweise begehrte Übertragung der entrichteten Beiträge auf ein berufsständisches Versorgungswerk, ggf. die jetzt für den Kläger zuständige VBL, fehle es ebenfalls an einer Rechtsgrundlage. Das Urteil wurde dem Kläger am 1. August 2001 zugestellt.

9

Dagegen richtet sich die am 31. August 2001 eingegangene Berufung. Zu deren Begründung trägt er vor, die Satzung der Beklagten habe ihr maßgebliches Ziel, nämlich der vorzeitigen Abwanderung von Seeleuten in Landberufe entgegen zu wirken, nicht erreicht und werde dies auch in Zukunft nicht tun. Entsprechend den Verwaltungsberichten der Beklagten habe sich das Bordpersonal der deutschen Seeschifffahrt von Ende 1985 bis Ende 2000 nahezu halbiert, wobei die zwischenzeitlich hinzugekommenen Beschäftigten aus den neuen Bundesländern einbezogen seien. Noch dramatischer zurückgegangen sei die Zahl der unter deutscher Flagge fahrenden Seeschiffe. Im Übrigen werde das Interesse der Mehrheit der Pflichtversicherten in immer stärkerem Maße zu Lasten einiger weniger Anspruchsberechtigter beeinträchtigt. Abzulesen sei dies sinnfällig an der Zahl der während der letzten Kalenderjahre tatsächlich erbrachten Überbrückungsgelder (1994 1506, zuletzt 2000 2293;zuletzt Rückgang der Neuanträge von 818 im Jahre 1998 auf 533 im Jahre 2000).

10

Der Kläger beantragt,

  1. 1.

    das Urteil des Sozialgerichts Aurich vom 17. Juli 2001 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. März 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Januar 2001 aufzuheben,

  2. 2.

    die Beklagte zu verurteilen, die für ihn während seiner seemännischen Beschäftigungen entrichteten Beiträge (Arbeitnehmeranteile) zu erstatten und hilfsweise, 3. die Beiträge in ein gleichwertiges Versorgungswerk zu übertragen.

11

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

12

Die Beklagte hält die Entscheidung des SG für zutreffend.

13

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Verwaltungsakte der Beklagten sowie den Inhalt der vom Kläger überreichten Anlagen zum Schriftsatz vom 11. August 2003 (vor allem Verwaltungsberichte der See-Berufsgenossenschaft) verwiesen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung, Beratung und Entscheidung des Senats gewesen.

Entscheidungsgründe

14

Die gemäß den §§ 143 f Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 24. März 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Januar 2001 erweist sich nicht als rechtswidrig. Das SG hat zutreffend entschieden, dass dem Kläger weder ein Anspruch auf Erstattung der für ihn entrichteten Beiträge zusteht noch der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Übertragung der Beiträge in ein gleichwertiges Versorgungswerk.Das SG hat in seinem Urteil die in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen, insbesondere § 26 Abs. 2 SGB IV, zutreffend geprüft und hat die vom Kläger reklamierte Verfassungswidrigkeit der Satzung der Beklagten zutreffend verneint. Ob etwaige diesbezügliche Bedenken überhaupt zu der Rechtsfolge einer Beitragserstattungspflicht oder Übertragung der Beiträge führen könnten, brauchte demnach nicht mehr erörtert zu werden. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug.

15

Ergänzend weist der Senat auf folgendes hin: Bei der im Vordergrund stehenden Prüfung, ob die vom Kläger als unvollständig bemängelte Satzung der Beklagten gegen die Eigentumsgarantie des Art. 14 Grundgesetz (GG) verstößt, war zunächst die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts heranzuziehen, wonach rentenversicherungsrechtliche Positionen wie Ansprüche auf Versichertenrenten aus der gesetzlichen Rentenversicherung die wirtschaftliche Existenz sichern, an die Stelle privater Vorsorge und Sicherung getreten sind und so dem Schutz der Verfassung unterfallen. Die Rentenanwartschaften sind den Versicherten privatnützig zugeordnet und helfen entscheidend, einen Freiheitsraum in vermögensrechtlicher Hinsicht wahrzunehmen und das Leben eigenverantwortlich zu gestalten (vgl. BVerfGE 50, 290, 339; BVerfG NJW 1980, S. 692 [BVerfG 28.02.1980 - 1 BvL 17/77]/693). Ob die Anwartschaften auf Überbrückungsgelder aus der Kasse der Beklagten den Rentenanwartschaften gleich zu achten und in derselben Weise dem Grundrechtsschutz zu unterstellen sind, mag im Hinblick auf den beschränkten Anwendungsbereich der Überbrückungsgelder fraglich sein. Der Senat unterstellt dies jedoch für die weiteren Erörterungen zu Gunsten des Klägers. Die konkrete Reichweite des Schutzes durch die Eigentumsgarantie ergibt sich stets erst aus der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums, die nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG Sache des Gesetzgebers ist. Für dessen Gestaltungsfreiheit sind Eigenart und Funktion des Eigentumsobjekts von maßgeblicher Bedeutung. Dies führt zu einer Stufung des Schutzes. Dem Gesetzgeber sind enge Grenzen gezogen, soweit es um die Funktion des Eigentums als Element der Sicherung der persönlichen Freiheit des Einzelnen geht. Dagegen ist der Gesetzgeber zur Inhalts- und Schrankenbestimmung um so mehr befugt, als das Eigentumsobjekt in einem sozialen Bezug und in einer sozialen Funktion steht. An die Rechtfertigung eines Eingriffs sind um so höhere Anforderungen zu stellen, als die Anwartschaft durch eigene Leistung erwirtschaftet worden ist (BVerfGE 53, 257 [BVerfG 28.02.1980 - 1 BvL 17/77], 292/293). Letztlich geht es darum, dass die Eigentumsbindung verhältnismäßig sein muss (BVerfGE 50, 290, 339 ff.).

16

Das Fehlen einer die Beitragserstattung vorsehenden Vorschrift in der Satzung der Beklagten, deren rechtliche Überprüfung dem Senat obliegt, begegnet nicht nur allgemein, sondern insbesondere im speziellen Fall des Klägers keinen Bedenken. Vorauszuschicken ist dabei, dass eine Gesamtbetrachtung der Belastungssituation der Beitragspflichtigen erfolgen muss. Das Fehlen der Erstattungspflicht ist insofern nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit der vorausgehenden Beitragspflicht zu sehen. Der Schutzbereich des Eigentumsgrundrechts des Art. 14 GG ist beeinträchtigt, wenn sich bei der Auferlegung von Geldleistungspflichten eine übermäßige Belastung ergibt. Die Belastung müsste einer erdrosselnden Wirkung gleich kommen. Das Fehlen der Erstattung im Falle nicht auszunutzender Leistungen müsste sich als so grob unwirtschaftlich darstellen, dass vernünftigerweise ein anderes Versicherungssystem gewählt würde (vgl. dazu Jarass/Pieroth, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 14 GG RdNr. 15; BVerfGE 93, 121, 138 [BVerfG 22.06.1995 - 2 BvL 37/91]) [BVerfG 22.06.1995 - 2 BvL 37/91].

17

Im Falle der Übertragung von Rentenanwartschaften im Wege des Versorgungsausgleichs hat sich das BVerfG bereits zu Konstellationen geäußert, in denen die Anwartschaften beim - erwerbenden - Ausgleichsberechtigten später nicht zu angemessenen Leistungen führten. Letzteres wurde vom BVerfG dann angenommen, wenn - wegen vorherigen Versterbens - nicht wenigstens eine Rentenlaufzeit von 2 Jahren erreicht wird. Der Gesetzgeber hat daraufhin das Gesetz zur Regelung von Härten im Versorgungsausgleich (VAHRG) erlassen (vom 21. Februar 1983, Bundesgesetzblatt I, Seite 105). Das BVerfG hatte für den Fall des Versorgungsausgleichs nicht nur ein Mindestmaß an Leistungen aus den erwirtschafteten - und übertragenen - Anwartschaften gefordert, sondern darüber hinaus bemängelt, dass bei nur kurzer Rentenlaufzeit oder vollständigem Wegfall einer Rentenleistung allein der Rentenversicherungsträger von der Übertragung profitiere, ohne dass sich dafür ein sachlicher Grund finden lasse (vgl. BVerfG NJW 1980, 692, 695 [BVerfG 28.02.1980 - 1 BvL 17/77]) [BVerfG 28.02.1980 - 1 BvL 17/77]. In dem Umfang, in dem der Gesetzgeber dabei verfassungsrechtliche Vorgaben aus Art. 14 Abs. 1 GG zu beachten hatte, ist seine Regelungsbefugnis hier jedoch nicht eingeschränkt. Denn während es im Falle des Versorgungsausgleichs darum ging, ein durch die Ehe begründetes - und wirtschaftlich unter den Vorzeichen von Leistung und Gegenleistung stehendes - Privatrechtsverhältnis abzuwickeln, geht es im Falle der Satzung der Beklagten um eine öffentlich-rechtliche und vom Gedanken des Solidarausgleichs geprägte Regelung. Bei einem Sozialversicherungssystem wie der gesetzlichen Rentenversicherung des SGB VI und wie hier der in vielen Punkten an diese gesetzliche Rentenversicherung angelehnten Versicherung der Beklagten (vgl. dazu Lauterbach, Kommentar zur gesetzlichen Unfallversicherung, § 891 a RVO Anm. 1 und 2) spielt das privatrechtliche Element einer Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung eine nur untergeordnete Rolle. Die Grenze des verfassungsrechtlich zulässigen Eingriffs ist erst bei Verletzung des so genannten Übermaßverbotes erreicht.

18

Von einem derart weit gehenden Ungleichgewicht zwischen Beitrag und zu realisierender Leistung aus dem Versicherungssystem kann im konkreten Fall des Klägers schon deshalb nicht die Rede sein, weil er die Voraussetzungen für den Bezug sowohl des Überbrückungsgeldes auf Zeit als auch des zeitlich nicht begrenzten Überbrückungsgeldes noch erfüllen kann. Die Beklagte hat dies - wie im Tatbestand zitiert - im Einzelnen aufgezeigt. Es kommt nicht darauf an, dass der Kläger davon ausgeht, zu keinem späteren Zeitpunkt mehr in eine seemännische Beschäftigung einzutreten. Selbst wenn in diesem Zusammenhang in Rechnung gestellt wird, dass zumindest das (Dauer-)Überbrückungsgeld wie ein Altersruhegeld ausgestaltet worden ist und insofern eine Rendite erwartet werden könnte (Kapital- statt Risikoversicherung), ergibt sich keine übermäßige bzw. unverhältnismäßige Belastung. Der Kläger hat nämlich nur in geringem Umfang selbst zur satzungsgemäßen Absicherung seitens der Beklagten beigetragen. Erst seit 1988 ist er überhaupt mit eigenen Beitragsanteilen, auf die es allein ankommt (so überzeugend LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22. Oktober 2001, Az: L 3 RA 38/99 unter Bezugnahme auf Merten, NZS 1998, Seite 545 f.), belastet worden. Der auf den Kläger als Arbeitnehmer entfallende Beitragsanteil von maximal 3 % (auf Entgelte bis zur Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung) liegt erheblich unter demjenigen, der in den entsprechenden Jahren in der gesetzlichen Rentenversicherung galt.

19

Aber auch schon grundsätzlich und selbst, wenn der Kläger keine Möglichkeit mehr hätte, die Voraussetzungen für den Bezug der Leistungen der Beklagten noch zu erfüllen, greifen Bedenken gegen das Fehlen einer Beitragserstattung nicht durch. Denn wenn insoweit - wie auch hier beim Kläger - rentenversicherungspflichtige Tätigkeiten im Vordergrund gestanden haben, ist allein das Alterssicherungssystem des SGB VI einschlägig. Wie wiederum der Fall des Klägers zeigt, ist die zusätzliche Absicherung durch das seemännische (Dauer-)Überbrückungsgeld - von Bedeutung regelmäßig nur bis zum Erreichen der Altersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung - erst dann gerechtfertigt, wenn ein erhebliches Mindestmaß an Beiträgen erwirtschaftet wurde und zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls eine Nähe zur seemännischen Versicherungspflicht bestand (vgl. zum Charakter des zeitlich nicht beschränkten Überbrückungsgeldes als vorzeitiges Altersruhegeld BSG-Urteil vom 9. November 1983, Az: 7 RAR 58/82).

20

Die aufgezeigte Abweichung des Systems der Überbrückungsleistungen der Beklagten vom Alterssicherungssystem des SGB VI - sowohl hinsichtlich des Beitragsaufkommens als auch hinsichtlich der gewährten Leistungen - ist geeignet, eine § 210 SGB VI entsprechende und selbst dort als Ausnahmetatbestand zu begreifende Erstattungsregelung als in der Satzung der Beklagten entbehrlich anzusehen.

21

Der Kläger kann im übrigen nicht mit Argumenten gehört werden, nach denen die Satzung der Beklagten das Ziel verfehlt habe, einer Abwanderung von Seeleuten in Landberufe entgegen zu wirken. Diese Argumentation geht schon deshalb fehl, weil das Dauer-Überbrückungsgeld die Erschwernisse der Seefahrt anerkennen und mit einem vorzeitigen Altersruhegeld belohnen will und das auf Zeit gezahlte Überbrückungsgeld gerade nicht dem Ausscheiden aus der Seefahrt entgegen wirken, sondern das Ausscheiden erleichtern und die Eingliederung in eine Beschäftigung an Land ermöglichen soll.