Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 27.08.2003, Az.: L 1 RA 247/02
Anspruch auf unbefristete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (TEM); Teilweise Erwerbsgminderung bei krankheitsbedingt fehlender Leistungsfähigkeit zur Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich ; Befristung für längstens drei Jahre bei Abhängigkeit der Leistungseinschränkung von der Arbeitsmarktlage und Besserungsaussicht; Differenzierung zwischen teilweiser und voller Erwerbsminderung je nach Anzahl der möglichen täglichen Arbeitszeit; Unbefristete Rente bei medizinisch bedingte Leistungseinschränkung und fehlender Besserungsaussicht des Erkrankungszustand
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 27.08.2003
- Aktenzeichen
- L 1 RA 247/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 20024
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0827.L1RA247.02.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Stade - 22.10.2002 - AZ: S 4 RA 169/00
Rechtsgrundlagen
- § 43 Abs. 1 SGB VI
- § 102 Abs. 2 SGB VI
- § 50 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB VI
- § 55 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI
- § 99 Abs. 1 S. 1 SGB VI
Redaktioneller Leitsatz
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Tenor:
- 1.
Das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 22. Oktober 2002 und der Bescheid der Beklagten vom 14. März 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. August 2000 werden geändert.
- 2.
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin a) Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung für die Zeit seit dem 1. September 2002 und b) Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. März 2003 für die Dauer von drei Jahren zu zahlen.
- 3.
Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin des Berufungsverfahrens zu erstatten. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Die im Jahre 1944 geborene Klägerin hat nach dem Besuch der Hauptschule zunächst den Beruf der Friseurin erlernt (1959-62), den sie jedoch 1966 wegen der Geburt ihrer Kinder aufgab. Nach einer Zeit der Kindererziehung (bis 1980) arbeitete sie seitdem als Verkäuferin in einer Fleischerei, zunächst vollschichtig, seit 1990 nur noch 5 Stunden an 5 Tagen (25 Stunden/Woche). Im Jahre 1992 erkrankte die Klägerin, im Jahre 1993 wurde das Beschäftigungsverhältnis beendet und sie wurde arbeitslos. Nach der späteren Pflege ihrer Schwiegermutter bis zu deren Tod Ende 1997 wurde sie in 1998 erneut arbeitsunfähig krank sowie in 1999 erneut arbeitslos. Seit Anfang 2000 bis zum 15. August 2002 arbeitete die Klägerin schließlich als Verkäuferin in einem Hofladen, und zwar erneut in reduziertem zeitlichen Umfang (5 Stunden an drei Tagen pro Woche). Seit der Geschäftsaufgabe ist sie arbeitslos gemeldet bzw. arbeitsunfähig krank.
In medizinischer Hinsicht bestehen bei der Klägerin seit Anfang der 90-er Jahre Gelenkschwellungen bei Fingerpolyarthrose, ein Raynaud-Syndrom (Gefäßerkrankung mit Gefäßkrämpfen und anfallsweisen Ischämiezuständen namentlich der Finger), ebenfalls seit Anfang der 90-er Jahre Wirbelsäulenschmerzen bei zweimaligem Bandscheibenvorfall (BSV) in 1994 und 1998, ein Schulter-Nacken-Syndrom mit Ausstrahlungsbeschwerden in das Hinterhaupt sowie Migräne- und Schwindelanfällen, Schultergelenksveränderungen sowie - nach einer Arthroskopie in 1988 -Kniegelenksschmerzen bei Arthrose. Daneben leidet sie unter einer Osteoporose, einem inkompletten Fibromyalgiesyndrom (FMS), ständigem Schmerzmittelgebrauch sowie unter einer Harninkontinenz.
Auf Grund ihrer Erkrankungen hatte die Klägerin einen ersten Antrag auf Rente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit (EU/BU) im Jahre 1996 gestellt, der von der Beklagten mit Bescheid vom 8. November 1996 mit der Begründung abgelehnt worden war, die Klägerin könne noch vollschichtig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, z.B. als Kassiererin, erwerbstätig sein. Der Bescheid war bestandskräftig geworden.
Im Oktober 1999 stellte die Klägerin den zu diesem Verfahren führenden zweiten Antrag auf Rente wegen EU/BU und begründete ihn damit, dass sich vor allem die Fingerpolyarthrose und die Wirbelsäulenbeschwerden erheblich verschlimmert hätten, weshalb eine Belastbarkeit ihrer Hände sowie des Stütz- und Bewegungsapparates nicht mehr möglich sei. Die Beklagte zog medizinische Befundunterlagen bei, darunter den Reha-Entlassungsbericht aus 1999, und holte ein orthopädisches Gutachten ein. Während die Klägerin nach dem Reha-Entlassungsbericht vom 29. September 1999 noch für uneingeschränkt vollschichtig leistungsfähig sowohl im Beruf der Fleischereiverkäuferin als auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gehalten wurde, war sie nach dem Gutachten des Orthopäden Dr. I. vom 17. Januar 2000 als Fleischereiverkäuferin nur noch halb- bis untervollschichtig einsetzbar, jedoch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch für körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten vollschichtig leistungsfähig.
Nach dem ablehnenden Bescheid vom 14. März 2000 und auf den Widerspruch der Klägerin hin holte die Beklagte ein internistisch-rheumatologisches sowie ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten ein. Darin kamen der Internist und Rheumatologe Dr. J. in seinem Gutachten vom 9. Juni 2000 und der Neurologe und Psychiater Dr. K. in seinem Gutachten vom 15. Juni 2000 zu der übereinstimmenden Einschätzung, dass die Klägerin als Fleischereiverkäuferin nur noch halb- bis untervollschichtig (Internist und Rheumatologe Dr. J.: 4 Stunden) täglich erwerbstätig sein könne. Während Dr. K. aus neurologisch-psychiatrischer Sicht daneben eine Einsetzbarkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für alle vollschichtig körperlich leichten bis mittelschweren Arbeiten für gegeben hielt, waren aus internistisch-rheumatologischer Sicht zwar ebenfalls noch vollschichtig "leichte bis mittelschwere" Arbeiten möglich, jedoch nur noch unter Ausschluss von Überkopfarbeiten und häufigem Bücken sowie Stehen über 4 Stunden, unter Vermeidung von Heben und Tragen über 4kg sowie ohne starke Beanspruchung der Hände.
Gegen den ablehnenden Widerspruchsbescheid vom 22. August 2000 hat die Klägerin am 5. September 2000 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Stade erhoben und zur Begründung vorgetragen, dass vor allem ihre jahrelangen orthopädischen Beschwerden inzwischen zu einer Chronifizierung geführt hätten, die eine regelmäßige Erwerbstätigkeit, namentlich mit ihren Händen, nicht mehr zuließen. Die Arbeit im Hofladen habe sie nur unter erheblichen Schmerzen sowie unter zeitweiser Arbeitsunfähigkeit verrichten können. Zur Glaubhaftmachung hat sie Ärztliche Bescheinigungen und Arztbriefe vorgelegt. Nach der Ärztlichen Bescheinigung des Facharztes für Allgemeinmedizin L. vom 16. Januar 2001 sei es inzwischen u.a. zu einer Ringbandstenose des rechten Daumens mit operativer Versorgung gekommen, nach der Bescheinigung des Allgemeinmediziners Dr. M. vom 17. Oktober 2002 bestehe bis auf Weiteres Arbeitsunfähigkeit. Das SG hat eine Arbeitgeberauskunft der Fleischerei N. (ohne Datum), einen Befundbericht des Facharztes für Allgemeinmedizin L. vom 26. Februar 2001 sowie ein Gutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von dem Internisten und Rheumatologen Dr. O. vom 30. April 2002 (Untersuchung der Klägerin im Juli 2001) mit ergänzender Stellungnahme (ohne Datum) eingeholt. Der behandelnde Allgemeinmediziner hat eine Verschlechterung und Chronifizierung des Beschwerdekomplexes beschrieben. Der Sachverständige Dr. O. hat - neben den bereits aktenkundigen Erkrankungen der Klägerin - eine Heberden- und Bouchard-Arthrose der Hände diagnostiziert und die Klägerin für fähig gehalten, halb- bis untervollschichtig, in der ergänzenden Stellungnahme auf Nachfrage des SG: "6 Stunden", leichte Arbeiten mit eingeschränktem Konzentrationsvermögen zu verrichten, wobei Heben und Tragen von Lasten, Zwangshaltungen, Expositionen unter Nässe, Kälte, Zugluft, Wechsel- und Nachtschicht, Zeitdruck, monotone Körperhaltungen, Akkorddruck und ungeregelte Arbeitszeiten nicht möglich seien. Auf Grund des chronisch-degenerativen Prozesses sei eine Besserung des Beschwerdekomplexes nicht zu erwarten. Eine genaue Bestimmung des Leistungsfalles zwischen 1996 und heute sei schwierig, da namentlich die Fingerpolyarthrose in Schüben verlaufe.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 22. Oktober 2002 abgewiesen und zur Begründung im einzelnen ausgeführt, dass weder eine EU/BU nach dem bis zum 31. Dezember 2000 geltenden alten Recht noch eine volle oder teilweise Erwerbsminderung (VEM/TEM) nach dem seit dem 1. Januar 2001 geltenden neuen Recht feststellbar sei. Für die Zeit bis zum 31. Dezember 2000 folge dies daraus, dass die Klägerin damals noch vollschichtig leistungsfähig und auf den Beruf der Kassiererin an Sammelkassen zu verweisen gewesen sei. Zwar sei es infolge der Progredienz des Leidens bis zur Untersuchung bei Dr. O. im Juli 2001 zu einem Herabsinken des Leistungsvermögens gekommen. Die von dem Sachverständigen festgestellte Leistungsfähigkeit von "6 Stunden" reiche jedoch nach dem seit dem 1. Januar 2001 geltenden neuen Recht nicht für eine Rente wegen TEM aus. Hinzu komme, dass die Klägerin noch bis August 2002 ohne längere Arbeitsunfähigkeitszeiten halbschichtig gearbeitet habe. Anhaltspunkte dafür, dass diese Tätigkeit auf Kosten der Gesundheit verrichtet worden sei, seien nicht erkennbar. Auch sei die Aufgabe der Beschäftigung nicht aus gesundheitlichen Gründen, sondern wegen Geschäftsaufgabe erfolgt. Nach alledem könne die Klägerin auch weiterhin 6 Stunden täglich als kaufmännische Angestellte berufstätig sein.
Gegen das am 7. November 2002 zugestellte Urteil richtet sich die am 9. Dezember 2002, einem Montag, eingelegte Berufung, mit der die Klägerin ergänzend vorträgt, dass sie die Arbeit im Hofladen ausschließlich deshalb - unter Schmerzen und bei zeitweiser Arbeitsunfähigkeit - fortgesetzt habe, um den Familienunterhalt nicht zu gefährden. Dies müsse auch während eines Rentenverfahrens zulässig sein.
Die Klägerin beantragt,
- 1.
das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 22. Oktober 2002 und den Bescheid der Beklagten vom 14. März 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. August 2000 aufzuheben,
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin a. Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. September 2002 b. Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. März 2003 für die Dauer von drei Jahren zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtenen Bescheide als zutreffend und bezieht sich zur Begründung ergänzend auf das Urteil des SG.
Der Senat hat im vorbereitenden Verfahren ein internistisch-rheumatologisches Gutachten von Amts wegen von dem Chefarzt des Evangelischen Krankenhauses Oldenburg P. vom 9. Mai 2003 eingeholt. Der Sachverständige hat im einzelnen ausgeführt, dass die Klägerin noch leichte Arbeiten im Wechsel der drei Haltungsarten, ohne Akkord, ohne Schichtdienst, ohne Maschinen- oder Fließbandarbeiten sowie ohne Arbeiten an Automaten, die das Arbeitstempo vorgeben, verrichten könne. Dabei seien Überkopfarbeiten ebenso ausgeschlossen wie besondere Handgeschicklichkeit oder besondere Feinmotorik. Zur zeitlichen Leistungsfähigkeit hat der Sachverständige ausgeführt: "Auf Grund der eindeutigen Gesundheitsstörungen und den nachweisbaren Funktionseinschränkungen können leichte körperliche Tätigkeiten mit den oben genannten Charakteristika maximal 6 Stunden am Tag regelmäßig durchgeführt werden. Eine Tätigkeit, die regelmäßig über 6 Stunden am Tag hinausgeht, wird nicht möglich sein." Dieses Leistungsvermögen bestehe seit der Rentenantragstellung im Oktober 1999. Eine Besserung des Erkrankungsbildes sei nicht zu erreichen.
Einen daraufhin vom Berichterstatter unterbreiteten Vergleichsvorschlag hat die Klägerin angenommen, die Beklagte abgelehnt und zur Begründung erklärt, dass sie nach Würdigung durch den beratungsärztlichen Dienst von einem 6-stündigen Leistungsvermögen der Klägerin ausgehe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Sie haben vorgelegen und sind Gegenstand von mündlicher Verhandlung und Entscheidung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die gem. §§ 143f. Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und zulässige Berufung der Klägerin ist begründet.
Das Urteil des SG und die Bescheide der Beklagten sind insoweit zu ändern, als die Klägerin Anspruch auf unbefristete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (TEM) ab dem 1. September 2002 sowie Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung (VEM) auf Zeit ab dem 1. März 2003 für die Dauer von drei Jahren hat. Einen weiter gehenden Berufungsantrag hat die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung - zu Recht - nicht mehr gestellt.
Nach § 43 Abs. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der seit dem 1. Januar 2001 geltenden Fassung haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie - teilweise erwerbsgemindert sind, - in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben, - vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 102 Abs. 2 SGB VI werden Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit auf Zeit geleistet. Die Befristung erfolgt für längstens drei Jahre. Sie kann wiederholt werden. Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der Arbeitsmarktlage besteht, werden unbefristet geleistet, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann.
Im vorliegenden Fall hat die Klägerin die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen einer Rente wegen TEM und VEM erfüllt. Ausweislich des aktuellen Versicherungsverlaufs vom 27. Juni 2003 hat sie unter Zugrundelegung eines Leistungsfalles vom 16. August 2002 (1. Tag nach der Beendigung der letzten Beschäftigung) gem. § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI mehr als 5 Jahre (= 60 Monate) Wartezeit belegt, nämlich 304 Monate. Auch sind in den letzten fünf Jahren vor dem Leistungsfall (15. August 1997 bis 15. August 2002) mehr als drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit geleistet worden, nämlich mehr als 40 Monate, weil gem. § 55 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI hierzu auch Zeiten der Beitragsleistung für den Bezug von Lohnersatzleistungen gem. § 3 Satz 1 Nr. 3 SGB VI (Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe) gehören. - Das Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen hat die Beklagte im Übrigen auch nicht in Abrede genommen.
Entgegen der Auffassung der Beklagten hat die Klägerin aber auch die gesundheitlichen Voraussetzungen einer Rente wegen TEM erfüllt. Denn die Klägerin ist teilweise erwerbsgemindert. Sie kann wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit nicht mehr unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Das Herabsinken unter die zeitliche Leistungsgrenze der TEM beruht dabei auf dem progredienten Verlauf der Polymorbidität der Klägerin, wie er sich im gesamten Verlauf des inzwischen mehrjährigen Rechtsstreits gezeigt hat und wie er namentlich in dem vom Senat veranlassten Gutachten des Dr. Q. im Sinne des nunmehr gegebenen Unterschreitens der maßgeblichen Leistungsgrenze festgestellt worden ist.
Ausweislich der von der Beklagten im Verwaltungsverfahren sowie vom SG im Klagverfahren eingeholten mehreren Gutachten hat die zeitliche Leistungsfähigkeit der Klägerin kontinuierlich abgenommen und sie ist zuletzt vom SG in seinem Urteil mit (noch) 6 Stunden täglich festgelegt worden. Diese Beurteilung des SG beruhte auf dem Gutachten des Internisten und Rheumatologen Dr. O ... Der Sachverständige hatte in seiner Fachdisziplin
- Heberden- und Bouchardarthrose - Osteoporose - degeneratives HWS-Syndrom (vordiagnosiziert) - degeneratives LWS-Syndrom (vordiagnostiziert)
diagnostiziert und eine nur noch "halb- bis untervollschichtige" bzw. - auf Nachfrage des SG zum neuen Recht - eine "6-stündige" Leistungsfähigkeit festgestellt, jeweils mit qualitativen Leistungseinschränkungen. Dieser Leistungseinschätzung hatte sich auch die Beklagte angeschlossen, wie sich aus ihren Schriftsätzen vom 29. Mai 2002 und vom 5. August 2002 ausdrücklich ergibt. Auch der erkennende Senat teilt diese Einschätzung und verweist zur Begründung auf die Entscheidungsgründe des Urteils des SG (Seite 6, letzter Absatz, bis Seite 8, erster Absatz). Dabei macht der Senat darauf aufmerksam, dass die Untersuchung zu dem maßgeblichen Gutachten des Dr. O. bereits im Juli 2001 stattgefunden hatte, so dass die Leistungsgrenze einer 6-stündigen Erwerbstätigkeit vom Senat auch zweifelsfrei zunächst nur bis zu diesem Zeitpunkt zu Grunde gelegt wird.
Entgegen der Einschätzung der Beklagten ist seit Juli 2001 das Leistungsvermögen der Klägerin aber weiter herabgesunken, und zwar unter 6 Stunden täglich. Dieses weitere Herabsinken beruht auf Verschlechterungen der bereits diagnostizierten Gesundheitsstörungen, auf dem Hinzutreten weiterer Erkrankungen sowie auf einer sozialmedizinisch gebotenen und von dem vom Senat beauftragten Sachverständigen auch vorgenommenen Gesamtbetrachtung der Polymorbidität der Klägerin.
Während Dr. O. im Juli 2001 zu dem im Vordergrund stehenden internistisch-rheumatologischen Leiden einer Fingerpolyarthrose noch (lediglich) eine (schlichte) Heberden- und Bouchardarthrose (mit messbaren Verlusten der groben Kraft) hatte feststellen können, musste etwa 2 Jahre später (Untersuchung im April 2003) der vom Senat beauftragte Chefarzt der Medizinischen Klinik des Evangelischen Krankenhauses, Dr. Q., in seinem Gutachten bereits eine ausgeprägte Heberden- und Bouchardarthrose aller Finger, eine Rhizarthrose bds., eine Dupuytrensche Kontraktur des vierten Fingers links, eine Flexionsstellung des dritten Fingers links sowie eine Kraftminderung befunden. Diese weiteren Einschränkungen betreffen die im Erwerbsleben zentralen Arbeitswerkzeuge der Hände. Wesentliche Verschlechterungen haben sich zudem in orthopädischer Hinsicht ergeben und zwar im gesamten Wirbelsäulenbereich. So hat nicht nur die Beweglichkeit der LWS weiter abgenommen (FBA in 4/03 nunmehr 55cm), vielmehr ist auch - erneut erstmals von Dr. Q. - eine signifikante Bewegungseinschränkung der HWS befundet worden (max. 15° bds.), und zwar in Begleitung einer atrophierten HWS-Muskulatur, die besondere Einschränkungen bei notwendiger Kopfbeweglichkeit notwendig macht. Neurologisch musste im Wirbelsäulenbereich im Oktober 2002 eine wahrscheinliche Nervenwurzelirritation bei L5/S1 neu diagnostiziert werden (radiologische und nuklearmedizinische Gemeinschaftspraxis Dr. R. pp, Arztbrief vom 4. Oktober 2002). Und schließlich wurde ebenfalls im orthopädischen Bereich und ebenfalls erstmals im Gutachten aus dem Jahre 2003 ein schmerzhaftes Abrollen der Zehen und des Fersenganges befundet.
Diese Verschlechterungen und neuen Erkrankungen sind zu dem bis dahin bereits durchgängig in allen vorliegenden Gutachten befundeten und festgestellten polymorbiden Erkrankungsbild der Klägerin hinzugetreten, das sich bei alledem weiter progredient entwickelte. So war zu der sich stetig verschlechternden Fingerpolyarthrose ein Raynaud-Syndrom (Gefäßerkrankung der Finger) sowie im Jahre 2000 eine Ringbandstenose des rechten Daumens (mit operativer Versorgung, Arztbrief der Fachärztin für Chirurgie Dr. S. vom 20. November 2000) hinzugetreten. Im Wirbelsäulenbereich hatte sich nach einem Bandscheibenvorfall (BSV) 1998 ein lumbales Pseudoradiculärsyndrom herausgebildet, im Februar 2001 war eine ISG-Blockierung hinzugetreten (Arztbrief des Facharztes für Orthopädie T. vom 6. Februar 2001). Das bestehende Schulter-Nacken-Syndrom hatte zu Ausstrahlungsbeschwerden ins Hinterhaupt mit zeitweisen Schwindelanfällen und Migräne geführt, die präklinische Osteoporose war seit 2001 labortechnisch manifest geworden (Gutachten Dr. O.). Überlagernd über diese Erkrankungen hatte sich ein inkomplettes Fibromyalgiesyndrom (FMS) entwickelt sowie ein chronisches Rückenschmerzsyndrom (namentlich befundet von Dr. O.). Die Schmerzen hatten bei der Klägerin zu einem (noch andauernden) ständigen Schmerzmittelgebrauch geführt (Reha-Entlassungsbericht, Dr. O., Dr. Q.). Bei alledem hatten alle gehörten Sachverständigen und behandelnden Ärzte übereinstimmend darauf hingewiesen, dass eine Besserung der gesundheitlichen Situation therapeutisch nicht erreichbar und dies der Klägerin auch mitgeteilt worden sei. Zusammenfassend hatten namentlich die beiden vom SG und vom erkennenden Senat beauftragten Sachverständigen jeweils ausdrücklich auf den progredienten Verlauf des gesamten Erkrankungsbildes hingewiesen.
Bei dieser Sachlage ist der Senat davon überzeugt, dass die heute 59-jährige Klägerin bei der Gesamtbetrachtung aller bestehenden Erkrankungen und Behinderungen nicht mehr in der Lage ist, regelmäßig und täglich einen Arbeitstag von mindestens 6 Stunden ohne Schaden für ihre Gesundheit und ohne unzumutbare Schmerzen zu bewältigen. Auf die dabei notwendige sozialmedizinische Gesamtbeurteilung haben sowohl Dr. O. als auch Dr. Q. in ihren Gutachten übereinstimmend hingewiesen. Dr. Q. hat ausdrücklich eine Beurteilung der Erwerbsfähigkeit "auf Grund ganzheitlicher Sichtweise" gefordert und eine "Aufgliederung in einzelne Erkrankungen (für) nicht möglich" erachtet.
Soweit der Sachverständige dabei ausführt, er halte eine tägliche Erwerbsbelastbarkeit der Klägerin von "maximal 6 Stunden" für möglich, vermag ihm der Senat auf Grund der vorstehenden Gesamtwürdigung zwar grundsätzlich, jedoch im Detail nicht zu folgen, falls der Sachverständige damit zum Ausdruck bringen wollte, die Klägerin könne noch "genau 6 Stunden" täglich arbeiten. Denn die vorstehend ausführlich beschriebene und von diesem Sachverständigen auch selbst bestätigte Progredienz des polymorbiden Erkrankungsbildes der Klägerin steht der Annahme einer seit Juli 2001 unveränderten zeitlichen Leistungsfähigkeit entgegen. Die seitdem eingetretenen Verschlechterungen und neuen Leiden sowie die gebotene sozialmedizinische Gesamtbetrachtung fordern vielmehr die Annahme eines weiteren Herbsinkens der zeitlichen Leistungsfähigkeit seit der Vor-Begutachtung im Juli 2001, bei der seinerzeit eine zeitliche Leistungsfähigkeit von noch genau 6 Stunden - von der Beklagten und dem SG übereinstimmend - angenommen worden war. - Im Übrigen steht diese Beurteilung mit der Beweisaussage des Dr. Q. auch nicht notwendig in Widerspruch. Denn wenn der Sachverständige ausgeführt hat, dass die Klägerin "maximal 6 Stunden, nicht aber mehr" arbeiten könne, so hat er damit zumindest auch zum Ausdruck gebracht, dass er jedenfalls den Schwerpunkt der Leistungsfähigkeit der Klägerin im Bereich unter 6-stündiger Arbeitszeit sieht, so wie es auch der erkennende Senat beurteilt.
Dass die Klägerin dabei selbst bereits seit 1990 nur noch unter 6 Stunden täglich erwerbstätig war (nämlich 5 Stunden) und zwar nach eigenen Angaben auch auf Grund der Schmerzen, stellt zwar keinen zwingenden Beweis dar, kann aber als Indiz die Beweiswürdigung des Senats nur stützen.
Damit liegen die Voraussetzungen der TEM bei der Klägerin vor.
Den Leistungsfall der TEM legt der Senat dabei mit dem Tag nach der Aufgabe der Beschäftigung im Hofladen zu Grunde (16. August 2002), weil dieser Zeitpunkt ungefähr in der Mitte zwischen den beiden Gutachten des Dr. O. einerseits (Untersuchung 7/2001) und des Dr. Q. andererseits (4/2003) liegt und es verbreiteter Rechtsprechung (und der Praxis von Rentenversicherungsträgern) entspricht, bei progredienten Erkrankungsverläufen und nicht anderweitig möglicher exakter Bestimmbarkeit des Leistungsfalles den Zeitpunkt des Überschreitens der EU/BU/VEM/TEM-Schwelle auf einen Zeitpunkt inmitten zweier medizinischer Befunderhebungen zu legen, von denen noch nicht die erste, so doch aber die zweite den Leistungsfall zu begründen vermochte. - Dass die Klägerin seit ihrem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben dauerhaft arbeitsunfähig geschrieben wurde (Bestätigung durch Dr. M.), sei nur ergänzend erwähnt, spricht aber auch für die Annahme eines Leistungsfalles im Sommer 2002.
Damit steht der Klägerin Rente wegen TEM unter Zugrundelegung eines Leistungsfalles am 16. August 2002 mit Wirkung ab 1. September 2002 (§ 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI) zu. Die Rente ist nicht zu befristen, da sie unabhängig von der Arbeitsmarktlage, sondern allein auf Grund der medizinisch bedingten Leistungseinschränkung begründet und der Erkrankungszustand - vorliegend ausweislich der von den Sachverständigen übereinstimmend getroffenen Feststellung - ohne Besserungsaussicht ist, § 102 Abs. 2 Satz 4 1. Halbsatz SGB VI (zur TEM auf Dauer bei 3 - 6-stündiger Leistungsfähigkeit ohne Besserungsaussicht ebenso: Verbandskommentar der Rentenversicherungsträger, Stand April 2003, § 102, Rn. 6; Mitteilungen der Landesversicherungsanstalt Oberfranken und Mittelfranken, Heft 1/2001, S. 12, 32, 33). Da die Klägerin ihr auf Teilzeitarbeit beschränktes Leistungsvermögen wegen der derzeitigen Situation auf dem Teilzeit-Arbeitsmarkt aber nicht umsetzen kann (sog. konkrete Betrachtungsweise), ist ihr neben der Rente wegen TEM auf Dauer eine arbeitsmarktabhängige Rente wegen VEM auf Zeit (§ 102 Abs. 2 Satz 4 1. Halbsatz SGB VI) zu leisten (sog. "Durchschlagen" der TEM auf VEM bei Teilzeitfähigkeit; vgl. nur: Kasseler-Kommentar-Niesel, Kommentar zum SGB, § 43 SGB VI, Rn. 30, 34, § 102 SGB VI, Rn. 11; Verbandskommentar, a.a.O., Rn. 6; Mitteilungen der LVA, a.a.O., S. 13, 31, 32, 70), die gem. § 89 Abs. 1 SGB VI für die Dauer ihrer Zahlung der Rente wegen TEM vorgeht. Der Leistungsbeginn der Rente wegen VEM auf Zeit ist der erste Tag des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der VEM, § 101 Abs. 1 SGB VI, die Befristung auf längstens drei Jahre folgt aus § 102 Abs. 2 Satz 2 SGB VI.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG und berücksichtigt, dass die Klägerin mit ihrem Berufungsantrag in vollem Umfang obsiegte.
Es hat kein gesetzlicher Grund gem. § 160 Abs. 2 SGG vorgelegen, die Revision zuzulassen.