Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 28.08.2003, Az.: L 8 AL 268/02
anteilige Berücksichtigung; Arbeitsentgelt; Arbeitsentgelt; Arbeitsentgeltanspruch; Auszahlung; Auszahlungstag; Auszahlungszeitpunkt; Bemessung; Berechnung; Berücksichtigung; Betriebsvereinbarung; einzelner Monat; Fälligkeit; Fälligkeitszeitpunkt; gute Sitten; Höhe; Insolvenzgeld; Insolvenzgeldzeitraum; Jahressonderzahlung; Monat; normative Wirkung; Sicherung; Sittenwidrigkeit; Sonderzahlung; Sonderzuwendung; Staffelung; Stichtag; tarifliche Sonderzahlung; Tarifvertrag; Verhalten; Verstoß; Vorverlegung; Weihnachtsgeld; Weihnachtsgratifikation; zeitliche Zuordnung; Zeitpunkt; Zeitraum; Zielrichtung; Zulässigkeit; Zuordnung; Zwecksetzung
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 28.08.2003
- Aktenzeichen
- L 8 AL 268/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 48414
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BSG - 18.03.2004 - AZ: B 11 AL 57/03 R
Rechtsgrundlagen
- § 183 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 3
- § 183 Abs 1 S 2 SGB 3
- § 185 Abs 1 SGB 3
- § 77 BetrVG
- § 138 Abs 1 BGB
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Durch Betriebsvereinbarung kann, soweit tarifvertraglich vorgesehen (hier: Tarifvertrag Sanitär-, Klima- und Klempnertechnik Niedersachsen), der Auszahlungstag einer Sonderzahlung festgelegt werden.
Eine solche Betriebsvereinbarung verstößt nicht gegen die guten Sitten, auch wenn mit ihr in Kenntnis einer drohenden Insolvenz die Auszahlung auf einen Tag gelegt wird, der in einen vermuteten Insolvenzgeldzeitraum fällt. Das gilt jedenfalls dann, wenn bei Abschluss der Betriebsvereinbarung noch nicht mit Sicherheit davon ausgegangen werden konnte, dass der tarifvertraglich vorgesehene Auszahlungstag außerhalb des Insolvenzgeldzeitraumes liegen würde.
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 26. April 2002 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat auch die zweitinstanzlich angefallenen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt höheres Insolvenzgeld (Insg) als das, welches ihm für die Zeit vom 1. September bis 30. November 1999 gewährt wurde. Streitig ist, ob die dem Kläger für das Jahr 1999 zustehende Jahressonderzahlung (Weihnachtsgeld) berücksichtigt werden darf.
Der ... 1938 geborene Kläger war bis zum 30. November 1999 als Monteur bei der Firma A Z GmbH, Sanitär-Heizungstechnik, in O beschäftigt gewesen. Über das Vermögen dieser Firma wurde mit Beschluss vom 1. Dezember 1999 des Amtsgerichts Osnabrück (...) das Insolvenzverfahren eröffnet, da die Firma zahlungsunfähig und überschuldet war, nachdem bereits am 7. Oktober 1999 die vorläufige Verwaltung des Vermögens der Insolvenzfirma angeordnet und ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestimmt worden war. Das Gutachten des vorläufigen Insolvenzverwalters, wonach keine Aussicht für eine Fortführung des Unternehmens bestand, stammt vom 29. November 1999 und ging am 30. November 1999 beim Amtsgericht Osnabrück als Insolvenzgericht ein.
Eine Betriebsvereinbarung über die Auszahlung der Sonderzahlung 1999 wurde am 2. November 1999 zwischen der Geschäftsleitung und dem Betriebsrat der Insolvenzfirma mit schriftlicher Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters geschlossen. Die Auszahlung der Sonderzahlung für das Jahr 1999 wurde auf den 10. November 1999 festgelegt.
Der Kläger begehrte mit Antrag vom 6. Dezember 1999 rückständiges Arbeitsentgelt für die Monate September bis November 1999. Der Insolvenzverwalter stellte am 3. Dezember 1999 eine dementsprechende Insg-Bescheinigung aus. Die Beklagte gewährte mit Bescheid vom 8. Dezember 1999 Insg in Höhe von insgesamt 9.238,35 DM. Die Jahressonderzahlung wurde nicht berücksichtigt. Der Kläger legte Widerspruch wegen der Nichtberücksichtigung der Weihnachtsgratifikation ein.
Die Beklagte ermittelte, dass für die Insolvenzfirma und deren Arbeitnehmer der Tarifvertrag über Sonderzahlungen vom 23. September 1997 des Fachverbandes Sanitär-, Heizungs-, Klima- und Klempnertechnik Niedersachsen und der Industriegewerkschaft Metall Bezirksleitungen Hannover, Küste und NRW (Tarifvertrag) anzuwenden war. Nach diesem Tarifvertrag galt, soweit eine Betriebsvereinbarung nicht abgeschlossen war, als Auszahlungstag für die Jahressonderzahlung der 1. Dezember des jeweiligen Jahres. Im Übrigen gelten ua folgende Regelungen:
"§ 2 Leistungen und deren Voraussetzungen
1. Arbeitnehmer, die jeweils am Auszahlungstag in einem Arbeitsverhältnis stehen und zu diesem Zeitpunkt dem Betrieb ununterbrochen sechs Monate angehört haben, haben je Kalenderjahr einen Anspruch auf betriebliche Sonderzahlungen. Ausgenommen sind die Arbeitnehmer, die zu diesem Zeitpunkt ihr Arbeitsverhältnis gekündigt haben.
2. Die Sonderzahlungen werden nach folgender Staffel gezahlt:
nach 6 Monaten Betriebszugehörigkeit | 20 % |
nach 12 Monaten Betriebszugehörigkeit | 30 % |
nach 24 Monaten Betriebszugehörigkeit | 40 % |
nach 36 Monaten Betriebszugehörigkeit | 50 % eines Monatsverdienstes. |
3. Diese Leistungen gelten als Einmalleistungen im Sinne der sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften.
4. Der Monatsverdienst des gewerblichen Arbeitnehmers ergibt sich aus der Multiplikation seines tariflichen Stundenlohnes und den Zuschlägen in § 7 des jeweils geltenden Manteltarifvertrages mit dem Faktor 160,5 (01.10.1997 – 31.07.1999) bzw. dem Faktor 156,5 (ab 01.08.1999).
Der Monatsverdienst des Angestellten entspricht seinem letzten monatlichen Grundgehalt ohne Zulagen, Zuschläge und Sonderzahlungen u. a. vor dem Zeitpunkt der Auszahlung.
Verdienstkürzungen, die im Berechnungszeitraum infolge Kurzarbeit, Krankheit oder ähnlicher Arbeitsversäumnisse eintreten, bleiben außer Betracht.
5. Anspruchsberechtigte Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis im Kalenderjahr kraft Gesetzes oder Vereinbarung ruht, erhalten keine Leistungen. Ruht das Arbeitsverhältnis im Kalenderjahr teilweise, erhalten sie eine anteilige Leistung.
Anspruchsberechtigte Arbeitnehmer, die wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit, wegen Erreichen der Altersgrenze oder aufgrund Kündigung zwecks Inanspruchnahme eines vorgezogenen Altersruhegeldes aus dem Beruf ausscheiden, erhalten die volle Leistung.
§ 3 Zeitpunkt
1. Der Zeitpunkt der Auszahlung wird durch Betriebsvereinbarung geregelt.
2. Falls dieser Zeitpunkt durch Betriebsvereinbarung nicht geregelt ist, gilt als Auszahlungstag im Sinne des § 2 Ziffer 1 der 1. Dezember.
In diesem Fall ist es dem Arbeitgeber unbenommen, die Erfüllung der Zahlung vorher durchzuführen.
3. Über Abschlagszahlungen können Regelungen in die Betriebsvereinbarung aufgenommen werden."
Mit Widerspruchsbescheid vom 23. Februar 2000 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Als Auszahlungstag für die Jahressonderzahlung sei nach dem Tarifvertrag der 1. Dezember anzunehmen, da nach den vorliegenden Unterlagen eine Betriebsvereinbarung über den Auszahlungstag nicht geschlossen worden sei. Bei der hier zugrunde liegenden Jahressonderzahlung handele es sich um Entgelt für in der Vergangenheit bewiesene Betriebstreue bzw einen Anreiz für künftige Betriebstreue, also nicht um eine Jahressondervergütung, die der Arbeitsleistung bestimmter Monatszeiträume zugeordnet werden könne. Jahressonderzahlungen, deren einziger Zweck die Belohnung der Betriebstreue sei, seien in voller Höhe zu berücksichtigen, wenn ihre Anspruchsvoraussetzungen im Insg-Zeitraum erfüllt worden seien. Hier umfasse der Insg-Zeitraum die Zeit vom 1. September bis 30. November 1999. Da die Sonderzahlung erst am 1. Dezember 1999 fällig geworden sei, könne die Jahressonderzahlung durch das Insg nicht ausgeglichen werden.
Der Kläger hat am 27. März 2000 Klage beim Sozialgericht (SG) erhoben. Er hat vorgetragen, dass das Weihnachtsgeld bei der Berechnung seines Insg berücksichtigt werden müsse. Es sei eine Betriebsvereinbarung über die Auszahlung der Sonderzahlung 1999 vom 2. November 1999 geschlossen worden, wonach die Auszahlung der Sonderzahlung für das Jahr 1999 auf den 10. November 1999 festgelegt worden sei. Diese Betriebsvereinbarung sei mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters geschlossen worden. Der Zahlungszeitpunkt liege daher im Insg-Zeitraum.
Das SG hat der Klage mit Urteil vom 26. April 2002 stattgegeben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger weiteres Insg unter Berücksichtigung der für das Jahr 1999 zustehenden Sonderzahlung in Höhe von 2.072,00 DM brutto zu gewähren und die Berufung zugelassen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Auszahlungsbetrag der Jahressonderzahlung für 1999 aufgrund der Betriebsvereinbarung in den Insg-Zeitraum falle. Da die Sonderzahlung hauptsächlich die Betriebstreue entlohnen solle, könne sie nicht einzelnen Monaten zugeordnet werden. Die Jahressonderzahlung müsse daher in vollem Umfang von der Beklagten übernommen werden.
Das Urteil wurde der Beklagten am 1. Juli 2002 zugestellt.
Die Beklagte hat am 24. Juli 2002 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, dass durch die hier fragliche Betriebsvereinbarung ein unzulässiger Vertrag zu Lasten Dritter abgeschlossen worden sei. Durch die Betriebsvereinbarung sei allein im Hinblick auf die Zahlung des Insg eine frühere Fälligkeit festgelegt worden. Dies ergebe sich daraus, dass in dem Insolvenzbetrieb die Arbeitsentgelte seit September 1999 nicht mehr gezahlt worden seien und der vorläufige Insolvenzverwalter im Oktober 1999 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt habe. Bei Abschluss der Betriebsvereinbarung am 2. November 1999 habe daher klar sein müssen, dass es zu einer Auszahlung der Sonderzahlung zu dem vereinbarten Zeitpunkt nicht mehr kommen könne. Die Betriebsvereinbarung habe allein dem Ziel gedient, die Fälligkeit der Jahressonderzahlung im Hinblick auf Ansprüche auf Insg anders festzusetzen. Dies führe nach § 138 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zur Nichtigkeit des sittenwidrigen Rechtsgeschäfts.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 26. April 2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene sozialgerichtliche Urteil.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und die Insg-Akten des Amtsgerichts Osnabrück Az: ... verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung waren.
Entscheidungsgründe
Die bereits aufgrund der Zulassung statthafte und auch sonst – §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) – zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet.
Das SG hat zu Recht entschieden, dass die Beklagte weiteres Insg für die tarifliche Sonderzahlung 1999 zu gewähren hat. Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Arbeitnehmer haben gemäß § 183 Abs 1 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) Anspruch auf Insg, wenn sie bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers (Insolvenzereignis) für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben.
Der Anspruch des Klägers auf die Sonderzuwendung nach dem Tarifvertrag über Sonderzahlungen, der hier auf den Arbeitgeber und den Kläger Anwendung fand, zählt ohne Zweifel zu den Ansprüchen auf Arbeitsentgelt iS der obigen Vorschrift. Es handelt sich – zumindest auch – um eine Gegenleistung des Arbeitgebers für die Arbeitsleistung, die sich der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zuordnen lässt (vgl Bundessozialgericht – BSG –, Urteil vom 2. November 2000 – B 11 AL 87/99 R – SozR 3-4100 § 141b Arbeitsförderungsgesetz – AFG – Nr 21).
Von rechtlichem Belang für die Fallentscheidung sind zwei Fragen; einmal die Frage, ob sich die Jahressonderzahlung einzelnen Monaten zuordnen lässt – dann anteilige Berücksichtigung bei der Berechnung des Insg –; und die Frage, ob durch die Betriebsvereinbarung vom 2. November 1999 der Auszahlungszeitpunkt zulässig auf den 10. November 1999 – und damit in den Insg-Zeitraum – gelegt werden durfte.
Das BSG hat sich bereits mehrfach mit der Frage befasst, ob und in welchem Umfang Jahressonderzahlungen bei der Berechnung des Insg (früher Konkursausfallgeld – Kaug –) zu berücksichtigen sind (vgl BSG, Urteil vom 7. September 1988 – 10 RAr 13/87 – SozR 4100 § 141b AFG Nr 42; Urteil vom 18. Januar 1990 – 10 RAr 10/89 – SozR 3-4100 § 141b AFG Nr 1).
Danach ist entscheidend, ob sich die Jahressonderzahlung einzelnen Monaten zuordnen lässt (dann anteilige Berücksichtigung bei der Berechnung des Insg) oder nicht. Letzteres wird von der BSG-Rechtsprechung angenommen, wenn tarifvertragliche oder arbeitsvertragliche Regelungen keine Staffelung der Sonderzahlung für den Fall vorsehen, dass ein Arbeitnehmer während des Jahres aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet. Bei der vertraglichen Regelung komme es darauf an, wie der Anspruch auf die Jahressonderzahlung im Einzelnen ausgestaltet ist. Zwar könne ein Tarifvertrag oder eine arbeitsvertragliche Regelung keine verbindliche Regelung für das Kaug bzw das Insg treffen. Arbeitsrechtlich werde jedoch festgelegt, für welche und in welcher Zeit erbrachte Leistungen des Arbeitnehmers die Sonderzahlung als Gegenleistung gedacht ist.
Lässt sich eine Zuordnung zu den einzelnen Monaten des Jahres nicht vornehmen, und wird die Sonderzahlung im Insg-Zeitraum fällig, ist sie beim Insg in voller Höhe zu berücksichtigen. Umgekehrt wirkt sich die Sonderzahlung nicht erhöhend aus, wenn bei dieser Variante der Fälligkeitszeitpunkt außerhalb des Insg-Zeitraums liegt. Lässt sich allerdings dem Tarifvertrag entnehmen, dass die Jahressonderzahlung Entgelt für die das ganze Jahr über geleistete Arbeitsleistung ist (zB wenn die Sonderzahlung bei vorzeitigem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis anteilig geleistet wird), dann ist die Sonderzahlung anteilig (für den Insg-Zeitraum von 3 Monaten also zu 3/12) bei der Festsetzung des Insg zu berücksichtigen, unabhängig davon, wann nach dem Tarifvertrag die Jahressonderzahlung fällig wurde (vgl BSG, Urteil vom 9. Dezember 1997 – 10 RAr 5/97 – Dienstblatt Rechtsprechung 4424 AFG/§ 141b).
Die tarifvertraglichen Regelungen, insbesondere § 2 Tarifvertrag über Sonderzahlungen, ergeben, dass sich die hier fragliche Jahressonderzahlung nicht anteilig den einzelnen Monaten des Jahres zuordnen lässt. Den anspruchsberechtigten Arbeitnehmern stand der Anspruch bei Erfüllung der Voraussetzungen des § 2 Nr 1 Tarifvertrag uneingeschränkt zu (ungekündigtes Arbeitsverhältnis und mindestens ununterbrochene sechsmonatige Betriebszugehörigkeit am Auszahlungstag). Die tarifliche Regelung sah grundsätzlich keine Staffelung der Sonderzahlung für den Fall vor, dass ein Arbeitnehmer während des Kalenderjahres aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden war. Auch Arbeitnehmer, die zB wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit, wegen Erreichen der Altersgrenze oder aufgrund Kündigung zwecks Inanspruchnahme eines vorgezogenen Altersruhegeldes aus dem Beruf ausschieden, hatten grundsätzlich Anspruch auf die volle Sonderzahlung, § 2 Nr 5 Satz 3 Tarifvertrag.
Als Ausnahmeregelung ist demgegenüber die Bestimmung des Tarifvertrages zu verstehen, wonach Arbeitnehmer in den Fällen des Ruhens des Arbeitsverhältnisses für begrenzte Zeit eine anteilige Sonderzahlung erhalten sollten, § 2 Nr 5 Satz 2 Tarifvertrag.
Es bleibt daher der Grundgedanke des Tarifvertrages, im Regelfall einen Anspruch auf Zahlung der Sonderleistung ohne Aufteilung nach der Dauer der Arbeitsleistung im Kalenderjahr zu begründen (vgl zum vorstehenden BSG, Urteil vom 2. November 2000 – B 11 AL 87/99 R – aaO – zum vergleichbaren Tarifvertrag zwischen dem Fachverband Sanitär- und Heizungstechnik Hessen und der Industriegewerkschaft Metall vom 13. Juni 1977; Urteil des BSG vom 30. Mai 1990 – 10 RAr 15/89 – keine anteilige Berücksichtigung der Sonderzahlung, wenn der Tarifvertrag keine Staffelung der Sonderzahlung für den Fall enthält, dass jemand während des Jahres aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet –; ebenso BSG, Urteil vom 18. Januar 1990 – 10 RAr 10/89 – SozR 3-4100 § 141b AFG Nr 1).
Dies hat zur Konsequenz, dass nach den Regelungen des hier maßgeblichen Tarifvertrages die Sonderzahlung sich nicht einzelnen Monaten zuordnen lässt. Mithin ist maßgeblich, ob der Fälligkeitstag im Insg-Zeitraum liegt. Dies ist zu bejahen.
Nach § 3 Nr 1 Tarifvertrag wird der Zeitpunkt der Auszahlung durch Betriebsvereinbarung geregelt; nach Nr 2 galt als Auszahlungstag der 1. Dezember falls keine Betriebsvereinbarung vorlag. Hier ist eine Betriebsvereinbarung vom 2. November 1999 geschlossen worden, die den Auszahlungstag auf den 10. November 1999 festlegte; also lag der Auszahlungstag, der durch die Betriebsvereinbarung bestimmt wurde, in dem Insg-Zeitraum vom 1. September bis 30. November 1999.
Der Einwand der Beklagten, es handele sich um eine sittenwidrige und damit nichtige Vereinbarung iS des § 138 BGB, greift nicht durch.
Betriebsverfassungsrechtlich ist es zulässig, dass in einem Tarifvertrag der Auszahlungstag für eine Sonderzahlung durch Betriebsvereinbarung geregelt wird (vgl dazu BAG, Urteil vom 9. Juli 1986 – 8 AZR 155/85 –; siehe auch Urteil vom 29. Januar 2002 – 1 AZR 267/01 – Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht <NZA> 2002, Seite 927).
Der Umstand, dass zum Zeitpunkt des Abschlusses der Betriebsvereinbarung bereits durch Beschluss des Amtsgerichts Osnabrück vom 7. Oktober 1999 ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestimmt worden war, ändert daran nichts. Denn der vorläufige Insolvenzverwalter hat von dem Abschluss der Betriebsvereinbarung schriftlich zustimmend Kenntnis genommen. Etwaige Mängel in der Verfügungsbefugnis des Arbeitgebers gemäß § 22 Insolvenzordnung zum Abschluss der Betriebsvereinbarung wären geheilt.
Die Zulässigkeit der Betriebsvereinbarung folgt aus § 77 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Nach § 77 Abs 2 BetrVG sind Betriebsvereinbarungen von Betriebsrat und Arbeitgeber gemeinsam zu beschließen und schriftlich niederzulegen, sie sind von beiden Seiten zu unterzeichnen. Die hier maßgebliche Betriebsvereinbarung vom 2. November 1999 genügt diesen Anforderungen. Sie wurde von der Geschäftsleitung und dem Betriebsrat der Insolvenzfirma geschlossen, schriftlich niedergelegt und von beiden Seiten unterschrieben; der vom Amtsgericht eingesetzte vorläufige Insolvenzverwalter hat dieser Betriebsvereinbarung schriftlich zugestimmt. Die Betriebsvereinbarung ist daher wirksam zustande gekommen.
Die Betriebsvereinbarung hat gemäß § 77 Abs 4 Satz 1 BetrVG unmittelbare und zwingende Wirkung. Sie wird daher als Normenvertrag bezeichnet. Ihr kommt somit normative Wirkung zu (vgl Fitting ua, Kommentar zum BetrVG, 20. Auflage 2000, § 77 Rdnrn 13, 109ff; Kreutz in Gemeinschaftskommentar zum BetrVG, 6. Auflage 1998, § 77 Rdnr 143). Aufgrund dieser normativen Wirkung der Betriebsvereinbarung gilt sie auch gegenüber der Beklagten, die sie bei der Gewährung des streitigen Insg berücksichtigen muss.
Die von der Beklagten behauptete Sittenwidrigkeit der Betriebsvereinbarung gemäß § 138 BGB kann nicht festgestellt werden.
Da die Betriebsvereinbarung eine vertragliche Regelung darstellt, findet dem Grunde nach auch § 138 BGB darauf Anwendung. Nach § 138 Abs 1 BGB ist ein Rechtsgeschäft nichtig, das gegen die Sitten verstößt.
Gegen die guten Sitten verstößt ein Rechtsgeschäft, wenn es sich nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck ergebenden Gesamtcharakter als sittenwidrig darstellt; die Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts kann sich daraus ergeben, dass sein Inhalt als solcher gesetzlich oder sittlich verboten ist; ist ein Rechtsgeschäft seinem Inhalt nach erlaubt, so kann sich die Sittenwidrigkeit aus den begleitenden Umständen ergeben, insbesondere aus dem Grund und Zweck des Geschäfts, sowie der Art seines Zustandekommens (vgl BGH, Urteil vom 29. März 1995 – IV ZR 207/94 – NJW 1995, 2284; BGHZ 107, 92; BGHZ 86, 82; Dilcher in Staudinger, Kommentar zum BGB, 12. Auflage 1980, § 138 Rdnrn 13ff; Palm in Erman, Kommentar zum BGB, 10. Auflage 2000, § 138 Rdnrn 36ff). Ausgehend von diesen Voraussetzungen lässt sich keine Sittenwidrigkeit der Betriebsvereinbarung feststellen, auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Benachteiligung eines Dritten, hier der Rechte der Insg-Kasse, § 358 SGB III, deren Mittel gemäß § 359 SGB III die Unternehmer durch eine Umlage aufbringen.
Das Rechtsgeschäft, also der Abschluss der Betriebsvereinbarung, ist für sich genommen zulässig, weil es keinen sittenwidrigen Inhalt hat. Vielmehr ist die abgeschlossene Betriebsvereinbarung nach dem Recht der Betriebsverfassung, wie es oben dargelegt wurde, ohne weiteres gemäß § 77 BetrVG zulässig.
Ebenso ergibt sich die Sittenwidrigkeit der Betriebsvereinbarung nicht aus dem Beweggrund der Handelnden oder aus der Zwecksetzung des Rechtsgeschäfts (vgl dazu Dilcher, aaO, Rdnr 15; Palm, aaO, Rdnr 41). Zwar könnte die Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts – der Betriebsvereinbarung – darin liegen, dass es in missbilligenswerter Weise private Lasten auf die Allgemeinheit abwälzt (vgl dazu Palm, aaO, Rdnr 84). Dies nimmt hier die Beklagte an, weil sie glaubt, dass durch den Abschluss der Betriebsvereinbarung die Insg-Kasse unangemessen und damit sittenwidrig benachteiligt würde. Dieser Überlegung ist nicht zu folgen. Nach den Gesamtumständen ist davon auszugehen, dass die Parteien der Betriebsvereinbarung den Auszahlungstag der Sonderzahlung vom 1. Dezember auf den 10. November 1999 zurückverlegt haben, um wegen der sich abzeichnenden und drohenden Insolvenz den Fälligkeitszeitpunkt für die Sonderzahlung innerhalb des Insg-Zeitraumes festzulegen. Die Zielrichtung der Betriebsvereinbarung war daher offensichtlich die Sonderzahlung 1999 durch das Insg zu sichern. Dieses Ziel der Betriebsvereinbarung macht sie nicht sittenwidrig.
Hierbei ist zu bedenken, dass es gerade Sinn und Zweck des in den §§ 183ff SGB III geregelten Insg ist, wegen einer Insolvenz rückständige Arbeitsentgeltansprüche, zu denen auch die hier fragliche Sonderzahlung gehört, zugunsten der nachteilig betroffenen Arbeitnehmer zu sichern.
Hier ist das Insolvenzverfahren durch den Antrag der Innungskrankenkasse Niedersachsen vom 5. Oktober 1999 (Eingang beim Amtsgericht am 6. Oktober 1999) auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen die Insolvenzfirma eingeleitet worden (die Beklagte geht irrtümlich davon aus, dass der Insolvenzverwalter das Verfahren zu diesem Zeitpunkt eingeleitet hat). Aufgrund des Antrages der Innungskrankenkasse ist mit Beschluss vom 7. Oktober 1999 das "vorläufige Insolvenzverfahren" eingeleitet worden (Amtsgericht Osnabrück – 38 IN 39/99 –). Der Abschluss der Betriebsvereinbarung rührt vom 2. November 1999 her. Zu diesem Zeitpunkt war keineswegs absehbar, dass der Betrieb der Insolvenzfirma dauerhaft nicht fortgeführt werden würde und die Zahlung der rückständigen Gehälter einschließlich der Sonderzahlung ausgeschlossen wäre. Ebenso stand zu diesem Zeitpunkt keineswegs fest, dass das Amtsgericht das Insolvenzverfahren am 1. Dezember 1999 eröffnen würde, wonach der im Tarifvertrag geregelte Fälligkeitszeitpunkt der Sonderzahlung zum 1. Dezember 1999 (um einen Tag) außerhalb des Insg-Zeitraumes (die drei Monate bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens) liegen würde. Denn das Gutachten des vorläufigen Insolvenzverwalters, zu dessen Erstattung er durch das Insolvenzgericht aufgefordert worden war, und mit dem die Vermögenslosigkeit der Insolvenzfirma festgestellt wurde, stammt erst vom 29. November 1999, also aus einer Zeit nach Abschluss der Betriebsvereinbarung vom 2. November 1999.
Aus diesem zeitlichen Ablauf wird deutlich, dass die Betriebsvereinbarung nicht in Kenntnis des Umstandes geschlossen wurde, dass der Insolvenztag bereits fest stand, also mit Sicherheit davon auszugehen war, dass der im Tarifvertrag geregelte Fälligkeitstag des 1. Dezember 1999 außerhalb des Insg-Zeitraumes liegen würde. Die Parteien der Betriebsvereinbarung wollten lediglich Vorsorge dafür treffen, dass durch die Zurückverlegung des Fälligkeitszeitpunktes der größtmögliche Insg-Schutz für die Sonderzahlung 1999 gewährleistet würde. Eine derartige Zielrichtung ist mit Sinn und Zweck der Insg-Versicherung vereinbar, weil dies dazu dient, die wegen der Insolvenz rückständigen Arbeitsentgeltansprüche der davon betroffenen Arbeitnehmer zu sichern. Das Verhalten der Parteien der Betriebsvereinbarung ist daher vor dem Recht billigenswert.
Durch die Betriebsvereinbarung ist mithin zulässigerweise von dem Recht Gebrauch gemacht worden, den Auszahlungstag so festzulegen, dass die Sonderzuwendung insolvenzgeldrechtlich mutmaßlich geschützt war.
Weiterhin ist durch die Betriebsvereinbarung der Auszahlungstag nicht auf einen Tag außerhalb des Kalenderjahres gelegt worden, für den die Sonderzahlung gedacht ist, also nicht etwa auf einen Tag im Jahre 2000. Eine derartige Verlegung hält das BSG mit Sinn und Zweck des Tarifrechts für nicht vereinbar (vgl BSG, Urteil vom 2. November 2000 – B 11 AL 87/99 R – aaO). Durch die hier fragliche Vorverlegung bleibt es dabei, dass die Sonderzahlung dem Zeitraum zugeordnet ist, in dem sie erarbeitet worden ist, hier also dem Jahr 1999 (vgl BSG, Urteil vom 18. September 1991 – 10 RAr 12/90 – BSGE 69, Seite 228 = SozR 3-4100 § 141b AFG Nr 2).
Dem Kläger steht daher zusätzliches Insg in Höhe der rückständigen Sonderzahlung 1999 zu.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Da die Beklagte unterliegt, trägt sie die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Die Revision ist gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG zugelassen worden. Der Senat misst der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung wegen der Frage bei, ob durch eine Betriebsvereinbarung der Fälligkeitszeitpunkt einer Sonderzahlung durch Betriebsvereinbarung zurück verlegt werden darf, um dadurch die Sonderzahlung dem Schutz der Insg-Versicherung zu unterstellen.