Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 06.08.2003, Az.: L 10 LW 36/02
Rechtmäßigkeit einer Abschmelzung einer gewährten Altersrente; Möglichkeit der Zusplittung der vom Ehemann im Wege der Weiterversicherung entrichteten Monatsbeiträge; Rückwirkung als zulässige authentische Interpretation eines zuvor zweifelhaften Norminhalts
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 06.08.2003
- Aktenzeichen
- L 10 LW 36/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 19948
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0806.L10LW36.02.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Stade - 08.10.2002 - AZ: S 10 LW 23/01
Rechtsgrundlagen
- § 92 Abs. 1 ALG
- § 27 GAL
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 8. Oktober 2002 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Abschmelzung der der Klägerin gewährten Altersrente gemäß § 48 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X).
Mit Bescheid vom 12. Januar 2001 gewährte die Beklagte der im Mai 1931 geborenen Klägerin ab 1. Juni 1996 Altersrente gemäß § 11 Abs. 1 Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (ALG). Sie führte insoweit das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen vom 24. Juni 1999 - L 1 LW 22/98 - aus, das durch Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17. August 2000 - B 10 LW 12/99 R - (abgedruckt in SozR 3-5868 § 92 Nr. 1) bestätigt worden war. Darin war sie verurteilt worden, der Klägerin ab 1. Juni 1996 Altersrente für Ehegatten von Landwirten zu gewähren. Dabei hatte die Beklagte davon auszugehen, dass neben den für die Klägerin in der gesetzlichen Rentenversicherung vorgemerkten 64 Pflichtbeiträgen und den vom Ehemann der Klägerin bis September 1972 geleisteten 113 Pflichtbeiträgen zur Altershilfe für Landwirte gemäß § 92 Abs. 1 ALG durch Zusplittung auch die von dem Ehemann der Klägerin bis Juli 1995 gemäß § 27 Gesetz über eine Altershilfe für Landwirte (GAL) im Wege der Weiterversicherung entrichteten 284 Beiträge auf die Wartezeit anzurechnen waren.
Nachdem der Gesetzgeber durch Art. 6 Nr. 8 Altersvermögensergänzungsgesetz (AVmEG) vom 21. März 2001 (Bundesgesetzblatt I S. 403 ff) § 92 Abs. 1 Satz 1 ALG mit Wirkung vom 23. Dezember 1995 (Art. 12 Abs. 2 AVmEG) dahin geändert hatte, dass nur "nach § 14 des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte" entrichtete Beiträge als gezahlt gelten, nahm die Beklagte mit Bescheid vom 12. Juni 2001 mit Wirkung ab 1. Juli 2001 eine so genannte Aussparung der Altersrente gemäß § 48 Abs. 3 SGB X vor, weil eine Rücknahme des rechtswidrigen Rentenbescheides vom 12. Januar 2001 aus Bestandsschutzgründen nicht in Betracht komme. Der hiergegen erhobene Widerspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 21. August 2001).
Im Nachfolgenden Klageverfahren hat das Sozialgericht (SG) Stade die gegen den Bescheid vom 12. Juni 2001 erhobene Klage mit Urteil vom 8. Oktober 2002 abgewiesen, weil der angefochtene Bescheid der rückwirkend geänderten Fassung des § 92 Abs. 1 ALG entspreche und diesbezüglich ein Verstoß gegen Verfassungsrecht nicht zu erkennen sei.
Die Klägerin hat gegen das ihr am 18. November 2002 zugestellte Urteil am 27. November 2002 Berufung eingelegt. Sie vertritt die Auffassung, dass die Änderung des § 92 Abs. 1 ALG sowohl gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot verstoße, als auch unzulässig in ihre in Art. 3 und 14 Grundgesetz (GG) geschützten Grundrechte eingreife.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des SG Stade vom 8. Oktober 2002 und den Bescheid der Beklagten vom 12. Juni 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. August 2001 aufzuheben,
hilfsweise,
den Rechtsstreit auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorzulegen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Stade vom 8. Oktober 2002 zurückzuweisen.
Sie sieht sich trotz verfassungsrechtlicher Bedenken an die durch die rückwirkende Änderung des § 92 Abs. 1 ALG getroffene Entscheidung des Gesetzgebers gebunden.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zugestimmt.
Dem Senat haben außer den Prozessakten die Verwaltungsakten der Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand der Beratung gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die statthafte Berufung der Klägerin ist form- und fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist nicht rechtswidrig. Die Beklagte ist auch nach Auffassung des erkennenden Senats verpflichtet gewesen, den rechtswidrigen, aus Bestandsschutzgründen jedoch nicht gemäß § 45 SGB X zurücknehmbaren Altersrentenbescheid vom 12. Januar 2001 gemäß § 48 Abs. 3 SGB X ab 1. Juli 2001 von den Rentenanpassungen auszusparen.
Um Wiederholungen zu vermeiden, nimmt der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die zutreffenden Ausführungen in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils Bezug. Zusammenfassend und ergänzend ist Folgendes auszuführen:
Der Altersrentenbescheid vom 12. Januar 2001 ist rechtswidrig, denn die Klägerin erfüllt nicht die nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 ALG erforderliche Wartezeit von 15 Jahren. Anrechenbar sind gemäß § 17 ALG lediglich die für sie in der gesetzlichen Rentenversicherung vorgemerkten 64 Pflichtbeiträge und die ihr zuzusplittenden 113 von ihrem Ehemann gemäß § 14 GAL entrichteten Beiträge zur Alterhilfe für Landwirte. Damit werden die erforderlichen 180 Beitragsmonate nicht erreicht. Eine Zusplittung der von dem Ehemann der Klägerin bis Juli 1995 im Wege der Weiterversicherung gemäß § 27 GAL entrichteten 284 Monatsbeiträge ist nach § 92 Abs. 1 Satz 1 ALG nicht möglich. Der Gesetzgeber hat durch die Änderung des § 92 Abs. 1 Satz 1 ALG in Art. 6 Nr. 8 AVmEG ausdrücklich geregelt, dass nur die nach § 14 GAL entrichteten Beiträge im Rahmen des § 92 Abs. 1 ALG dem Ehegatten zugesplittet werden. Das schließt eine Berücksichtigung von gemäß § 27 GAL im Wege der Weiterversicherung geleisteten Beiträgen eindeutig aus. Da der Gesetzgeber die Neufassung des § 92 Abs. 1 Satz 1 ALG rückwirkend zum 23. Dezember 1995 in Kraft gesetzt hat, ist der vorangegangenen Rechtsprechung des BSG, wonach § 92 Abs. 1 ALG in der seit dem 23. Dezember 1995 geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Reform der agrarsozialen Sicherung (ASRG-ÄndG) vom 15. Dezember 1995 (Bundesgesetzblatt I S. 1814 ff) eine Zusplittung auch der nach § 27 GAL entrichteten Beiträge nicht mit der gebotenen Deutlichkeit ausschließe (vgl. z.B. Urteil vom 17. August 2000 - B 10 LW 12/99 R - abgedruckt in SozR 3-5868 § 92 Nr. 1), die gesetzliche Grundlage entzogen.
Die vom Gesetzgeber rückwirkend zum 23. Dezember 1995 in Kraft gesetzte Änderung des § 92 Abs. 1 ALG verstößt aus Sicht des erkennenden Senats nicht gegen Verfassungsrecht (vgl. Senatsurteil vom 27. Februar 2003 - L 10 LW 6/02 -). Das BSG hat in einem Urteil vom 16. Oktober 2002 (B 10 LW 10/02 R) die angeordnete Rückwirkung für nicht verfassungswidrig erachtet, sondern als zulässige authentische Interpretation eines zuvor zweifelhaften Norminhalts angesehen. Dieser Auffassung schließt sich der Senat an und sieht gleichfalls keinen Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot. Darüber hinaus ist aber auch kein Verstoß gegen sonstige Normen des GG zu erkennen. Insbesondere hält sich die heutige Fassung des § 92 Abs. 1 ALG hinsichtlich des Ausschlusses einer Zusplittung von nach § 27 GAL entrichteten Beiträgen im Rahmen des dem Gesetzgeber auf dem Gebiet des Sozialversicherungsrechts eingeräumten weiten Ermessensspielraums. Ein Verstoß gegen die Gleichheitsgrundsätze in Art. 3 Abs. 1 und 2 GG oder ein unzulässiger Eingriff in das Eigentumsgrundrecht des Art. 14 GG ist nicht ersichtlich. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG war deshalb nicht geboten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).