Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 25.08.2003, Az.: L 6 U 304/01
Anspruch auf Verletztenrente wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls; Verletzung des rechten Sprunggelenks bei einem Wegeunfall; Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bei Bewegungseinschränkungen des rechten Sprunggelenkes und belastungsabhängigen Reizzuständen
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 25.08.2003
- Aktenzeichen
- L 6 U 304/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 21153
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0825.L6U304.01.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Oldenburg - 21.06.2001 - AZ: S 7 U 88/00
Rechtsgrundlagen
- § 56 Abs. 1 SGB VII
- § 56 Abs. 2 SGB VII
- § 8 Abs. 2 SGB VII
Redaktioneller Leitsatz
Eine MdE um 20 v.H. setzt bei Sprunggelenksverletzungen eine Funktionsbeeinträchtigung voraus, die einer völligen Versteifung des oberen Sprunggelenkes im Winkel von 90 - 110 Grad zum Unterschenkel gleichkommt.
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Oldenburg vom 21. Juni 2001 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt Verletztenrente. Der 1950 geborene Kläger erlitt am 18. Juni 1997 auf dem Weg zur Arbeit einen Motorradunfall, bei der er sich eine Luxationsfraktur des rechten oberen Sprung-gelenkes (Weber B) zuzog. Gestützt auf das Gutachten von Dres. C. vom 19. Dezember 1997 erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 9. Januar 1998 als Unfallfolgen an: Bewegungseinschränkung des rechten oberen und unteren Sprunggelenkes, Konturverdickung des rechten oberen Sprunggelenkes und des Mittelfußes mit anhaltender Bindegewebs-wasseransammlung im körperfernen Drittel des Unterschenkels, verbliebene Operationsnarben am rechten Außenknöchel mit anhaltender Ulcusbildung und Kalksalzminderung der das obere Sprunggelenk bildenden Knochenanteile nach knöchern in regelrechter Stellung fest verheiltem Sprunggelenksverrenkungsbruch rechts Typ Weber B mit dadurch bedingter Herabsetzung der Gebrauchsfähigkeit des rechten Beines mit verminderter Belastbarkeit. Außerdem gewährte sie Rente als vorläufige Entschädigung in Form einer Gesamtvergütung in Höhe von 6.181,89 DM (1. Dezember 1997 bis 31. Oktober 1998 Minderung der Erwerbsfähigkeit - MdE - 20).
Am 7. Januar 1999 stellte der Kläger einen neuen Antrag auf Verletztenrente. Die Beklagte holte das Gutachten von Dres. C. vom 31. Mai 1999 ein. Nach der Be-urteilung der Gutachter bestehen als Unfallfolgen: Endgradige Bewegungseinschränkung des rechten oberen Sprunggelenkes beim Heben des Fußes, leichte Kraftminderung des rechten Beines, Konturverdickung des rechten oberen Sprunggelenkes und des körperfernen Anteils des rechten Unterschenkels, rönt-genologisch beginnende degenerative Veränderungen an der Schienbeingelenkfläche, Narbenbildung am rechten Außenknöchel. Die MdE schätzten sie ab 1. November 1998 auf 10 v.H. Mit Bescheid vom 8. Juni 1999 erkannte die Beklagte als Folgen des Arbeitsunfalls an: Leichte Kraftminderung des rechten Beines, Konturverdickungen des körperfernen Anteiles des rechten Unterschenkels und rechten oberen Sprung-gelenkes mit endgradiger Bewegungseinschränkung in diesem Bereich beim Heben des Fußes nach unter beginnender degenerativer Veränderung an der Schienbeingelenkfläche fest verheiltem Sprunggelenksbruch rechts Typ Weber B. Die Zahlung einer Rente lehnte sie mit der Begründung ab, der Arbeitsunfall habe eine MdE in rentenberechtigendem Grade nach Ablauf des Zeitraums, für den die Gesamtvergütung bestimmt war, nicht hinterlassen. Im Widerspruchsverfahren reichte der Kläger die Berichte des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. D. vom 14. Oktober 1999 und des Orthopäden Dr. E. vom 15. Oktober 1999 ein. Die Beklagte holte die Stellungnahme ihres beratenden Arztes Dr. F. vom 8. November 1999 ein. Außerdem legte der Kläger den Bericht von Dr. E. vom 1. Dezember 1999 vor, in dem dieser die MdE auf 25 v.H. schätzt. Mit Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 2000 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.
Die dagegen gerichtete Klage vor dem Sozialgericht (SG) Oldenburg hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 21. Juni 2001 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die beim Kläger vorliegenden Unfallfolgen seien nicht halb so schwer wiegend wie ein Zustand nach einer Unterschenkelamputation.
Gegen diesen am 28. Juni 2001 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 30. Juli 2001 (Montag) Berufung eingelegt, mit der er sein Begehren weiterverfolgt.
Der Kläger beantragt,
- 1.
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Oldenburg vom 21. Juni 2001 aufzuheben,
- 2.
den Bescheid der Beklagten vom 8. Juni 1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 2000 zu ändern,
- 3.
die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 1. November 1998 Verletztenrente in Höhe von mindestens 20 v.H. der Vollrente zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Oldenburg vom 21. Juni 2001 zurückzuweisen.
Die Beklagte hält den Gerichtsbescheid des SG und ihre Bescheide für zutreffend. Im vorbereiteten Verfahren ist das Gutachten von Dr. G. vom 26. Oktober 2002 eingeholt worden. Der Sachverständige hat als Unfallfolgen eine endgradige Bewegungseinschränkung des rechten oberen und unteren Sprunggelenkes und belastungsabhängige Reizzustände der rechten Knöchelgabel mit Minderbelastbarkeit festgestellt und die MdE auf 10 v.H. geschätzt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes, des Vorbringens der Beteiligten und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Prozessakte Bezug genommen. Der Entscheidungsfindung hat die Verwaltungsakte der Beklagten zu Grunde gelegen.
Entscheidungsgründe
Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig, sie ist jedoch unbegründet. Das SG und die Beklagte haben zu Recht einen Anspruch des Klägers auf Rente ab 1. November 1998 verneint.
Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII setzt der Anspruch auf Rente voraus, dass die Erwerbsfähigkeit des Versicherten infolge eines Versicherungsfalls (hier: Arbeitsunfall) über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt.
Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten durch Unfallfolgen beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf medizinisch-wissenschaftlichem Gebiet. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit sich derartige Beeinträchtigungen auf die Erwerbsfähigkeit des Verletzten auswirken, sind zwar nicht verbindlich, bilden aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE. Darüber hinaus sind bei der Beurteilung der MdE auch die von der Rechtsprechung sowie von dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze zu beachten, die zwar nicht im Einzelfall bindend, aber als Grundlage für eine gleiche und gerechte Beurteilung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis heranzuziehen sind (BSG SozR 2200 § 581 RVO Nr. 23). Sie stellen in erster Linie auf das Ausmaß der unfallbedingten Funktionsbeeinträchtigung ab.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze geht der Senat in Übereinstimmung mit Dr. H. und Dr. F. davon aus, dass die MdE des Klägers ab 1. November 1998 nicht mindestens 20 v.H. beträgt. Dem liegen folgende Erwägungen zu Grunde: Bei Verletzungen des Sprunggelenkes ist eine MdE um 20 v.H. z.B. anzunehmen bei einer völligen Versteifung des oberen Sprunggelenkes im Winkel von 90 - 110 Grad zum Unterschenkel (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. S. 746). Eine so gravierende Funktionseinschränkung lässt sich im vorliegenden Fall ab 1. November 1998 nicht feststellen: Nach den übereinstimmenden Feststellungen von Dres. I. ist der Sprunggelenksverrenkungsbruch in korrekter Stellung
knöchern fest verheilt, die Knöchelgabel ist stabil. Die Beweglichkeit des rechten oberen Sprunggelenkes ist nach den dokumentierten ärztlichen Befunden nur endgradig eingeschränkt (Untersuchung am 26. Januar 1999: 10-0-50 gegenüber links: 20-0-50; Untersuchung am 24. Oktober 2002: 15-0-30 gegenüber links: 20-0-35), ebenso die Beweglichkeit des unteren Sprunggelenkes (Untersuchung am 26. Januar 1999: seitengleich; am 24. Oktober 2002 2/3: 1-1). Gegen eine Minderbelastbarkeit des rechten Fußes spricht zudem, dass bei den Untersuchungen jeweils ein flüssiges Gangbild sowie eine seitengleiche Beschwielung der Fußsohlen festgestellt wurden. Die von den Gutachtern und dem Sachverständigen weiterhin diagnostizierten belastungsabhängigen Reizzustände im Bereich des oberen Sprunggelenkes führen nicht zu einer wesentlichen Erhöhung der MdE. Denn nach den Erläuterungen von Dr. G. sind dem Kläger dadurch nur diejenigen Tätigkeiten verschlossen, die ausschließlich im Gehen und Stehen und im häufigen Gehen in unebenem Gelände ohne gelegentliche Entlastungsphasen mit sitzender Körperhaltung zu verrichten sind. Die Berücksichtigung der Reizzustände führt lediglich dazu, dass die MdE trotz der nur endgradig eingeschränkten Beweglichkeit des rechten Sprunggelenkes mit 10 v.H. bewertet werden kann. Dies hat Dr. G. überzeugend deutlich gemacht. Eine MdE um 20 wird auch nicht unter Berücksichtigung der posttraumatischen Arthrose erreicht. Diese war auch bei der Untersuchung durch Dr. G. noch nicht ausgeprägt und hat zu keiner Zunahme der Funktionseinschränkungen geführt.
Eine für den Kläger günstigere Beurteilung ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der Berichte von Dr. J ... Dr. D. berichtet am 14. Oktober 1999, dass der Kläger noch unter Beschwerden im Bereich des rechten Beines und unter belastungsabhängigen starken Schwellungen (d.h. Reizzuständen) des rechten oberen Sprunggelenkes leidet. Dieses Beschwerdebild haben die Gutachter und der Sachverständige Dr. G. jedoch berücksichtigt. Es führt jedoch, wie bereits ausgeführt, nicht zu einer MdE von 20 v.H. Dr. E. teilt in der ärztlichen Unfallmeldung vom 2. September 1999 und in dem ausführlichen Krankheitsbericht vom 15. Oktober 1999 ebenfalls keine neuen Gesichtspunkte mit. Die gemessene Bewegungseinschränkung des rechten oberen Sprunggelenkes (10-0-30) stimmt überein mit dem Untersuchungsbefund von Dr. G ... Die Schwellung des Sprunggelenkes und die beginnende Arthrose sind von den Gutachtern und dem Sachverständigen ebenfalls berücksichtigt worden. Der vom Kläger eingereichte Bericht (ebenfalls vom 15. Oktober 1999) desselben Arztes enthält keine darüber hinausgehenden Befunde. Die Feststellung, dass die Bewegungs- und Belastungseinschränkungen des rechten Fußes des Klägers Unfallfolgen sind, wird von den begutachtenden Ärzten nicht in Abrede gestellt, das Beschwerdebild rechtfertigt jedoch nicht die Einschätzung mit einer MdE um 20 v.H. Soweit Dr. E. die MdE in dem Bericht vom 1. Dezember 1999 auf 25 v.H. schätzt, kann dem nicht gefolgt werden. Denn Dr. E. berücksichtigt zusätzlich einen Zustand nach einem 1970 bei einem Autounfall erlittenen Schädelhirntrauma, auf Grund dessen die Folgen des Arbeitsunfalls den Kläger stärker als im Normalfall treffen sollen. Diese Beurteilung ist jedoch nicht nachvollziehbar. Zum Einen teilt Dr. E. nicht mit, welche - auf ein Schädelhirntrauma zurückzuführende - Gesundheitsstörungen er bei dem Kläger festgestellt hat. Diese sind nicht augenfällig, denn der Kläger war bei sämtlichen Untersuchungen bis auf eine von Dres. C. festgestellte leichte Verlangsamung psychisch unauffällig. Zum Anderen - und das ist entscheidend - begründet Dr. E. nicht, in welcher Weise sich die geringgradige Funktionseinschränkung am rechten Sprunggelenk des Klägers durch eine vorbestehende psychische Gesundheitsstörung stärker auswirken soll.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG; Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben.