Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 25.08.2003, Az.: L 6 U 428/01

Feststellung eines zuständigen Versicherungsträger für einen Arbeitsunfall in der DDR; Notwendige Beiladung im sozialgerichtlichen Verfahren; In der ehemaligen DDR anerkannte Arbeitsunfälle

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
25.08.2003
Aktenzeichen
L 6 U 428/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 21156
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0825.L6U428.01.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Oldenburg - 24.10.2001 - AZ: S 7 U 307/99

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Der Feststellung eines zuständigen Versicherungsträgers kommt regelmäßig keine selbstständige Bedeutung zu. Sie kann lediglich Vorfrage für den von dem Klägerin eigentlich geltend gemachten Anspruch sein.

  2. 2.

    In der ehemaligen DDR als Arbeitsunfälle anerkannte Unfälle während des Wehrdienstes gelten aus Gesichtpunkten des Vertrauensschutzes grundsätzlich als Arbeitsunfälle im Sinne des Dritten Buches der RVO.

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 24. Oktober 2001 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass die Beklagte zuständige Versicherungsträgerin für einen Unfall ist, den ein Wehrdienstleistender am 17. Mai 1989 in der ehemaligen DDR erlitt, und die Erstattung von 432,87 DM, die die Klägerin für die Einholung ärztlicher Gutachten aufgebracht hat.

2

Der Unfall ereignete sich während des Wehrdienstes, den der Verletzte bei der Volkspolizei-Bereitschaft absolvierte, und war in der DDR als - wie ein Arbeitsunfall zu wertender und auszugleichender - Dienstunfall anerkannt (vgl. das Schreiben des Ministerrats an den Verletzten vom 31. Juli 1990). Eine Unfallteilrente wurde nicht gezahlt, weil der Sturz auf Rücken und Kopf folgenlos abheilte (Mitteilung der Dres. A. vom 14. Dezember 1989). Im Juni 1996 zeigte der Verletzte der Klägerin den Dienstunfall an und beantragte, das Rentenentschädigungsverfahren einzuleiten, nachdem Leistungen nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) abgelehnt worden waren (Bescheid des Amtes für Soziales und Versorgung B. vom 10. April 1992). Die Klägerin zog medizinische Unterlagen bei und veranlasste die Rentengutachten vom April und Oktober 1998, die im Wesentlichen zu der Einschätzung der Ärzte in der ehemaligen DDR kamen. Der Verletzte nahm daraufhin den Widerspruch gegen den die Zahlung von Verletztenrente ablehnenden Bescheid der Klägerin vom 18. Juni 1998 zurück.

3

Im Juni 1998 meldete die Klägerin bei der Beklagten einen Erstattungsanspruch an: Die fachliche Zuständigkeit richte sich nach den Verhältnissen in den alten Bundesländern. Die Polizeibehörden unterstünden den Innenministern der Länder. Deshalb sei die Beklagte für den Dienstunfall bei der Volkspolizei-Bereitschaft zuständig. Demgegenüber hielt die Beklagte die Klägerin für zuständig, weil sich der Dienstunfall im Rahmen des Wehrdienstes ereignet habe.

4

Deshalb hat die Klägerin vor dem Sozialgericht (SG) Oldenburg Klage erhoben. Das SG hat durch Urteil vom 24. Oktober 2001 festgestellt, dass die Beklagte zuständige Unfallversicherungsträgerin sei, diese verurteilt, der Klägerin 432,87 DM zu erstatten und die Berufung zugelassen: Soweit Dienstunfälle im Rahmen der Ableistung des Wehrdienstes als Arbeitsunfälle im Sinne des Übergangsrechts nach der Wiedervereinigung zu behandeln seien, komme es auf die Zuordnung des "Unternehmens" an. Die Landeszuständigkeit an Stelle der Bundeszuständigkeit ergebe sich aus der Tatsache, dass die Bereitschaftspolizei Länderangelegenheit sei.

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Die Beklagte hat gegen das ihr am 26. Oktober 2001 zugestellte Urteil am 23. November 2001 Berufung eingelegt. Sie hält an ihrer - bereits vor dem SG vorgetragenen - Auffassung fest, dass sich die Frage des zuständigen Unfallversicherungsträgers deshalb nicht stelle, weil schon kein Versicherungsfall der gesetzlichen Unfallversicherung (UV) vorliege. Damit habe sich das SG nicht ansatzweise auseinander gesetzt.

6

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 24. Oktober 2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 24. Oktober 2001 zurückzuweisen.

8

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und hat ergänzend vorgetragen, die Ausschlussfrist des § 1150 Abs. 2 Satz 2 Ziff. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) finde keine Anwendung, weil sonst das sinnwidrige Ergebnis die Folge wäre, dass der Personenkreis, zu dem der Verletzte gehört habe, Leistungen weder aus der gesetzlichen UV noch einen Härteausgleich nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) erhalten würde. Die Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) zu der Ausschlussfrist des § 1150 Abs. 2 Satz 2 Ziff. 1 RVO vom 24. Februar 2000 (B 2 U 8/99 R) und 10. Oktober 2002 (B 2 U 10/02 R) seien nicht einschlägig.

9

Die Beteiligen haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.

10

Dem Senat haben den Prozessakten die Verwaltungsakten der Beteiligten vorgelegen. Sie sind Gegenstand der Beratung gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

11

Die - kraft Zulassung durch das SG (§ 144 Sozialgerichtsgesetz - SGG) - statthafte Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg. Entgegen der Ansicht des SG ist das Erstattungsbegehren der Klägerin nicht begründet. Die Klage auf Feststellung des zuständigen Versicherungsträgers (§ 55 Abs. 1 Ziff. 2 SGG) ist schon nicht zulässig.

12

Zum Verfahren brauchte der Verletzte nicht beigeladen zu werden (vgl. BSG, Urteil vom 26. März 1986 - 2 RU 77/84). Nach § 75 Abs. 1 Alt. 1 SGG sind Dritte beizuladen, die an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Das setzt die Identität des Streitgegenstandes im Verhältnis der Beteiligten (Klägerin und Beklagte) und dem Dritten (dem Verletzten) voraus. Streitgegenstand im vorliegenden Verfahren ist der Anspruch der Klägerin auf Erstattung der für die eingeholten Gutachten aufgebrachten Kosten in Höhe von 432,87 DM. Die Entscheidung hierüber greift in die Rechtssphäre des Verletzten nicht unmittelbar ein. Das ist auch nicht durch den Feststellungsantrag der Klägerin der Fall, dass die Beklagte die für die Entschädigung des Unfalls vom 17. Mai 1989 zuständige Versicherungsträgerin sei. Denn der Feststellung der zuständigen Versicherungsträgerin kommt keine selbstständige Bedeutung zu. Sie kann lediglich Vorfrage für den von der Klägerin geltend gemachten Erstattungsanspruch sein. Die Rechtssphäre des Verletzten wäre allenfalls dann von der Entscheidung der Zuständigkeitsfrage berührt, wenn dieser selbst Ansprüche auf Entschädigung von Folgen des Unfalls vom 17. Mai 1989 geltend gemacht hätte und daher ein eigenes Interesse daran haben würde festzustellen, welcher Versicherungsträger ihm Leistungen zu erbringen hat. Das ist jedoch nicht der Fall. Denn der Unfall vom 17. Mai 1989 hat keine Folgen hinterlassen. Deshalb nahm der Verletzte den Widerspruch gegen den die Zahlung von Verletztenrente ablehnenden Bescheid der Klägerin zurück. Da der Frage der Feststellung des zuständigen Versicherungsträgers keine selbstständige Bedeutung zukommt, fehlt der Klägerin auch das berechtigte Interesse an der Feststellung des zuständigen Versicherungsträgers mit der Folge, dass der Feststellungsantrag unzulässig ist.

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Die Erstattungsklage ist nicht begründet. Hat ein Leistungsträger auf Grund gesetzlicher Vorschriften vorläufig Sozialleistungen erbracht, ist der zur Leistung verpflichtete Leistungsträger erstattungspflichtig (§ 102 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - SGB - X). Voraussetzung eines - nach § 109 Satz 2 SGB X möglichen - Erstattungsanspruchs ist somit, dass der Unfall am 17. Mai 1989 einen Arbeitsunfall i.S.d. auf diesen Sachverhalt noch anzuwendenden RVO (Art. 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz, § 212 SGB VII) darstellt. Das ist jedoch nicht der Fall. Denn der Unfall ereignete sich im Rahmen des Wehrdienstes. Als Wehrdienstleistender wäre der Versicherte nach dem Recht des Dritten Buches der RVO jedoch nicht in der gesetzlichen UV versichert gewesen, weil ihm bei einer Wehrdienstbeschädigung nach Maßgabe der §§ 80 ff des SVG Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG gewährt worden wäre und für ihn daher nach § 541 Abs. 1 Ziff. 2 RVO Versicherungsfreiheit bestanden hätte (vgl. BSG SozR 3-3100 § 89 Nr. 9 m.w.N.). Der Unfall vom 17. Mai 1989 gilt auch nicht deshalb als Arbeitsunfall im Sinne des Dritten Buches der RVO, weil er als Arbeitsunfall der Sozialversicherung der ehemaligen DDR anerkannt war. Denn der Unfall ist einem für das Beitrittsgebiet zuständigen Träger der Unfallversicherung erst nach dem "Stichtag" des 31. Dezember 1993 bekannt geworden und konnte deshalb nicht entschädigt werden (§ 1150 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 RVO). Die Antragstellung beim Amt für Soziales und Versorgung genügte nicht (vgl. BSG, Urteile vom 20. Februar 2001 - B 2 U 11/00 R - und 26. Juni 2001 - B 2 U 31/00 R -). Für eine dem eindeutigen Wortlaut des § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO entgegenstehende einschränkende Auslegung besteht kein Anlass (s. zuletzt das Urteil vom 10. Oktober 2002 - B 2 U 10/02 R - S. 9 f). Entgegen dem von der Klägerin vermittelten Eindruck gelten in der ehemaligen DDR als Arbeitsunfälle anerkannte Unfälle während des Wehrdienstes aus Gesichtpunkten des Vertrauensschutzes grundsätzlich als Arbeitsunfälle im Sinne des Dritten Buches der RVO (§ 1150 Abs. 2 Satz 1 RVO). Dass dieser Vertrauensschutz aber nicht unbegrenzt gilt, sondern an dem "Stichtag" des 31. Dezember 1993 endet, ist rechtlich nicht zu beanstanden (BSG a.a.O.). Deshalb liegt die Argumentation der Klägerin über ein "sinnwidriges Ergebnis" wegen fehlender Anwendbarkeit durch das BVG (Schriftsatz vom 8. Mai 2003) neben der Sache.

14

Weil der Verletzte schon aus Rechtsgründen keinen Anspruch auf Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung hat, steht der Klägerin kein Erstattungsanspruch gegen die Beklagte zu. Die Frage des zuständigen Versicherungsträgers stellt sich deshalb nicht. Somit müssen auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen werden.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

16

Ein gesetzlicher Grund zur Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegt nicht vor. Die Frage der Anwendbarkeit der Regelung des § 1150 Abs. 2 Satz 2 Ziff. 1 RVO ist geklärt.